- 2 -

Aus den Forschungen Grimm’s und seiner Nachfolger ergiebt sich, daß die Verehrung der beiden Hauptgottheiten des Nordens, Othin und Thor, auch in Deutschland am verbreitetsten war und am tiefsten in den Seelen der Menschen Wurzel geschlagen hatte, weshalb sie am schwersten auszurotten war, und vorzugsweise noch bis auf den heutigen Tag zahlreiche Spuren in den Sagen und der ganzen religiösen Anschauung des Volkes zurückgelassen hat. Diese Beobachtung finden wir auch in Meklenburg und der benachbarten Mark Brandenburg *) vollkommen bestätigt, wogegen in beiden, Jahrhunderte hindurch nur von Slaven bewohnten, Ländern auch nicht die leiseste Erinnerung an die slavischen Götter zurückgeblieben ist. Keine einzige, wenn auch halb verklungene Sage deutet dem forschenden Freunde unserer Vergangenheit die heiligen Stätten an, wo einst die berühmten Tempel des Radegast und seiner Genossen standen, deren Macht und Herrlichkeit aus dem Gedächtniß der Enkel des überwundenen und in seiner Eigenthümlichkeit völlig untergegangenen Wendenvolkes spurlos verschwunden ist, wogegen die siegreich eingewanderten Sachsen neben dem dreieinigen Gotte der Christen auch die alten heidnischen Götter der Heimath in das eroberte Land einführten, und in blindem Wahne, aber zugleich mit fast kindlicher Treue, noch Jahrhunderte hindurch in Leid und Freude, in Furcht und Hoffnung, in Haß und Liebe an ihnen festhielten. Zwar ist Meklenburg heute unleugbar ärmer an alten Sagen, als andere deutsche Länder, was theilweise seinen Grund darin haben mag, daß das Volk, dem dieselben angehören, schon als Christen einwanderte, wenigstens erklärt sich daraus sicher die Beobachtung, daß diese Sagen bei uns nur selten an bestimmte Oerter und Namen, welche meistens slavisch geblieben sind, anknüpfen. Doch ist auch durch die verheerenden Kriege des 17. Jahrhunderts, durch welche die neuere Zeit bei uns mehr als anderswo von der Vergangenheit gleichsam losgerissen ist, namentlich mit dem Untergange fast der Hälfte der ehemaligen Dörfer, vieles verloren gegangen; denn grade die Dörfer sind die eigentlichen Bewahrer alter Traditionen, da in den Städten die Bevölkerung fortwährend mit zu vielfachen neuen Elementen gemischt wird und die skeptische Schulbildung der oberen Stände zu tief in die unteren Schichten hinabdringt, der von der Hand in den Mund lebende Tagelöhner auf den Höfen des flachen Landes aber so wenig an die Vergangenheit, als an die Zukunft denkt. Dazu kommt ferner der fromme Eifer der protestantischen Kirche, welche sofort nach errungenem Siege alle alten Sagen und Gebräuche des Volkes ohne Unterschied als papistische Abgötterei, mit allen ihr zu Gebote stehenden Mitteln unablässig verfolgte, selbst mit Zuhülferufung des weltlichen Schwertes, welches namentlich unter dem Herzog Gustav Adolph zu Güstrow (1654 - 1695) ganz in dem Sinne der Geistlichkeit mit consequenter unerbittlicher Strenge geführt ward. Dagegen sind in neuerer Zeit, wie in ganz Dentschland, so auch in Meklenburg, in Folge der allgemeiner verbreiteten Kultur und der vorherschend politischen Richtung der Zeit, wodurch der Einfluß der Religion auf Leben und Sitte des Volkes überhaupt geschwächt ist, auch die Ueberreste des alten Heidenthums im raschen Absterben begriffen. Noch aber ist genug übrig geblieben, um mit Hülfe der in ältern Schriften aufgezeichneten Nachrichten den Charakter desselben mit Sicherheit zu erkennen, dieser ist aber, wie gesagt, rein deutsch, eine Erscheinung, welche wichtig und bedeutungsvoll für die Geschichte unseres Landes ist und einen neuen Beweis liefert, wie vollständig nach der sächsischen Eroberung desselben die zurückgebliebenen, verhältnißmäßig unbedeutenden, slavischen Elemente in den deutschen aufgegangen sind, und wie albern es ist, wenn sich hin und wieder selbst gelehrte Forscher noch immer darin gefallen, unser Meklenburg als ein halb slavisches Land zu betrachten.




1) Dr. Adelbert Kuhn, Ueber das Verhältniß Märkischer Sagen und Gebräuche zur Altdeutschen Mythologie; in den Märkischen Forschungen Bd. 1. 1841, S. 115 ff.