Longobarden, Sachsen, Alfadur, Allvater, Naturgottheit, Gott des Krieges und der Jagd, Beschützer der Künste und Gewerbe.

Ich wende mich nunmehr zunächst zu der Erforschung der Ueberreste der Othins- oder Wodans-Sage in Meklenburg, bemerke aber sofort, daß es nicht darauf ankommt, jeden einzelnen Zug derselben aus nordischen Quellen als ächt nachzuweisen, denn der heidnische Kultus in Deutschland wird theils von jeher manches Eigenthümliche gehabt haben, theils ist die noch lebende Sage wichtig und bedeutend genug, um selbst die Edda zu erläutern und zu ergänzen, ja in einzelnen Fällen zu berichtigen.

Der nordische Odhinn, bei den Longobarden und Sachsen Wôdan genannt, ist nach Grimm’s Erklärung des Namens das allmächtige, alldurchdringende Wesen, und dieser Erklärung entspricht vollkommen das Wesen der Gottheit. Er ist der göttliche Geist, der von Anfang an über dem Chaos schwebte und, dasselbe durchdringend, Schöpfer des geordneten Weltalls ward, in welchem er fortan als höchster Herscher des Himmels nach unerforschlichem Rathschlusse waltet. Daher sein Name Alfadur, Allvater, Vater aller lebendigen Wesen, Götter und Menschen, deren Leben und Tod, Heil und Verderben in seiner Hand ruht. - Er ist die Nacht, welche den Tag, der Tod, welcher das Leben erzeugt. - Jener ersten Periode der Schöpfung des Weltalls vergleicht sich aber in dem ewigen Kreislaufe des Jahres der wüste, dunkle, todesstarre Winter, aus welcher die Erde im Frühling durch den schöpferischen Hauch Gottes zu neuem Leben geweckt wird. Daher ist der Winter schon nach unzweideutigen Sagen der Edda die Jahreszeit der Herrschaft Othins, sein eigentliches Reich, und dieser Auffassung entspricht auch seine ganze äußere Erscheinung: ein Greis in grauem Mantel, mit breitkrempigem Hute, weißem Schilde und der kriegerischen Lanze, auf schneeweißem Rosse reitend, dazu einäugig, gleich der schielenden, nur die Hälfte des Tages leuchtenden Wintersonne, - so schildert ihn die nordische Sage. - Aus diesem ursprünglichen Wesen Othins als höchster und allgemeiner Naturgottheit entwickelt sich nun durchaus einfach und ungezwungen seine ethisch- persönliche Erscheinung. Sein dunkles geheimnißvolles Walten war nicht geeignet, Liebe und Vertrauen zu wecken, sondern erfüllte die Seele der Sterblichen mit Furcht und Grauen. Daher der Glaube, daß nur blutige Opfer seinen Zorn besänftigen, und selbst Menschenblut floß an seinem Altare, dessen Name Woutan schon im Heidenthume als der Schreckliche, Wüthende gedeutet ward. Demgemäß erscheint er vor allem als Gott des Krieges *) und der Jagd, aber zugleich des Handels und der Schifffahrt, da der Verkehr mit fremden Völkern immer als eine Art Krieg betrachtet ward; ferner als Beschützer der zumeist nur im Winter betriebenen Künste und Gewerbe, sowie aller geheimnißvollen Weisheit, weshalb das ganze unheimliche Zauberwesen in seinem Dienste geübt ward. Sieg, Ehre und Reichthum kam von ihm, aber er vertheilte seine Güter nach ewigem Schicksalsschlusse, der dem Auge des Sterblichen als Laune und Willkür erschien, so war er vorzugsweise der Gott der Hohen und Reichen, der Fürsten und Helden, welche nach dem Tode bis zum Untergange der Welt mit ihm in dem freudenreichen Walhalla zu leben hofften, während die Masse des Volkes von seinem Himmel ausgeschlossen blieb.


Als Gattin Othins erscheint in der Edda die hohe Göttermutter Frigg, auch Fjörgyn und Jörd, d. h. Erde, genannt. Sie war also nach der Vorstellung des Nordens eine Erdgöttin, aber dem Wesen ihres Gatten gemäß ist dabei ursprünglich sicher nicht an unsere erwärmende und ernährende Erde zu denken, die der Mensch zu allen Zeiten als seine liebe Mutter betrachtet hat, sondern an den chaotischen Urstoff aller Dinge, aus welchem Othin das Weltall schuf, als er im Anfang der Zeit, denselben mit seinem göttlichen Geiste durchdringend, sich gleichsam mit ihm vermählte. Aber diese abstracte Idee lag natürlich den Begriffen der Menge zu fern, weshalb man sich schon früh damit begnügt zu haben scheint, in der hohen Gattin Allvaters, mit welcher dieser seinen Himmelsthron theilte, einfach und ohne weitere mystische Deutungen ein Vorbild der sorgenden Hausfrau und Mutter zu verehren, ja offenbar wird sie selbst in der älteren Edda mehrmals mit der Freia, der Göttin der Liebe, verwechselt, wie umgekehrt mehre Mythen, welche nur auf Frigg, Othins Gemahlin, zu passen scheinen, von der Freya erzählt werden, z. B. daß sie auf einem mit Katzen bespannten Wagen zur Schlacht ziehe und sich mit Othin die Erschlagenen theile.

Diesem seinem ursprünglichen Wesen gemäß tritt Wodan in den Sagen des germanischen Festlandes überall, nachdem er durch das Christenthum seiner Göttergestalt entkleidet ist, als unheimliches, nächtliches Schreckbild auf, ja häufig gradezu in der Gestalt des christlichen Teufels. Neben ihm aber erscheint zugleich seine Gattin, mit ihm gleichsam zu einem Wesen verschmolzen, als ein weiblicher Wodan, der unter den verschiedensten Namen als Frau Freke und Frick, Frau Holle, Bertha, Harke u. s. w., selbst als Hera und Diana, oder ohne besonderen Namen als die weiße Frau in allen Gegenden Deutschlands bekannt ist; gleich ihrem Gemahle eine wahre Wintergottheit im glänzenden weißen Kleide, mit eisiger Nase **), die, wenn sie ihr kaltes Bett macht, die Luft mit Schneegestöber erfüllt.




*) Der besondere Gott des Krieges, Othins Sohn Tyr, althochd. Ziu, ist offenbar nur eine jüngere Abspaltung aus dem vielseitigen Wesen des Vaters. Das Wort, mit welchem viele Beinamen Othins und Thors zusammengesetzt sind, bedeutet überhaupt das göttliche, Gott, und Othin selbst heißt ausdrücklich Sigtyr, der Siegesgott. - Daß Tacitus den germanischen Othin dem römischen Mercurius verglich, ist bekannt, andern erschien er als Mars.
**) Das heutige Volk giebt ihr eine eiserne Nase, was ein offenbares Mißverständniß ist. Auch in Frankreich ist sie als dame blanche allgemein bekannt und die notre dame aux neiges erklärt vielleicht auch dort die Bedeutung der weißen Farbe.