Fruchtbarkeit, Sommerhitze, Mittelalter, Elias, Johannes, Bauernregeln, Donnergott, Ernste-Segen.

Die Verehrung Thor’s als Gott der Fruchtbarkeit war eine nothwendige Folge der erquickenden und befruchtenden Wirkung des Gewitters nach langer schwüler Sommerhitze. Im Mittelalter hatten sich noch viele hierauf bezügliche altheidnische Gebräuche erhalten, z. B. feierliche Prozessionen zur Erstehung eines befruchtenden Regens, Besprengung der Saat mit Weihwasser, oder Bestreuung derselben mit geweiheter Asche, wobei verschiedene Heilige, namentlich Elias und Johannes, oft gradezu an die Stelle des heidnischen Donnergottes traten (Gr., S. 117), die Mutter Maria aber eben so unverkennbar die heidnische Erdgöttin vertrat. Diese Gebräuche sind jedoch bei uns nach Einführung des Protestantismus völlig vergessen, und nur in den Bauerregeln über die Witterung, den zu hoffenden Ernte-Segen u. s. w. ist hin und wieder einiges erhalten, was an den alten Glauben an ein unmittelbares Eingreifen des Gottes erinnert, z. B. die Hoffnung auf eine reiche Obsternte, „wenn de Dunner äver de Bleusten geiht“, d. h. wenn es während der Blüthezeit donnert, wogegen ein Gewitter über unbelaubten Bäumen Obstmangel verkündet. - Aber nicht bloß das Gedeihen der Saaten, sondern auch die fröhliche Entwickelung des thierischen Lebens, namentlich des Menschen selbst, stand unter Thor’s Obhut: er war zugleich Gott der Liebe und der Ehe. Daher wurden im Alterthume die Hochzeiten am Donnerstage oder, wie noch jetzt bei uns, am Freitage, den heiligen Tagen des Thor und der Freya, gefeiert. Ein Gewitter während der Hochzeit bedeutet eine fruchtbare Ehe. In andern Gegenden muß die Braut während des ersten Gewitters nach der Hochzeit ein schweres Gewicht heben, was Gesundheit und Stärke verleiht und die Lasten der Ehe erleichtert. - Wer den Segen spendet, kann ihn aber auch versagen, wer Leben und Gesundheit verleiht, gebietet zugleich über Siechthum und Tod. Daher wurden ansteckende Seuchen, welche am häufigsten Folge langer Sommerschwüle sind, oder doch durch diese begünstigt werden, im Alterthume dem Thor zugeschrieben. Ebenso alle hitzigen und entzündlichen Krankheiten, namentlich das Fieber (goth. heitô, brinnô), das Zahnweh, die Rose und allerlei Hautausschläge, Geschwüre und selbst die brennende Wunde; ferner der Schlagfluß, die fallende Sucht oder Schwere Noth (Epylepsie), Ohnmacht, Schlaflosigkeit, männliches Unvermögen und allgemeine Schwäche, sowie Fehler der Sinne, namentlich des Auges, und Gedächtnißschwäche. Daher ist sicher an Thor zu denken, wenn von einem Menschen, der ein sogenanntes Feuermal oder rothes Haar hat, und den man bekanntlich für falsch hält, gesagt wird: Gott habe ihn gezeichnet. Von dem Urheber dieser Uebel hoffte man aber wiederum auch ihre Heilung; daher z. B. die wunderbare heilkräftige Wirkung des Donnerkeiles, sowie des Donnersplitters, auf die ich zurückkomme: eine mythische Homöopathie, die wir auch schon oben in der Wodanssage angetroffen haben und wofür wir später bei Besprechung des auf Thor bezüglichen Elementardienstes und der ihm heiligen Pflanzen und Thiere reichliche Belege finden werden. Der moderne Rath, einen Teufel durch den andern zu vertreiben, ist also nicht heidnisch.

Wenn aber Wodan Glück und Unglück nur nach Wilkür und Laune zu vertheilen schien, so erscheint Thor’s Segen stets nur als Lohn der Tugend und des Fleißes, sein Zorn dagegen als Strafe der Sünde. Die tief gewurzelte Ansicht, daß Mißwachs und ansteckende Seuchen von der erzürnten Gottheit als Strafe der Gottlosigkeit und zur Buße und Besserung über die Menschen verhängt würden, ist daher nicht bloß christlich, sondern schon im Heidenthume begründet. Eben so allgemein ist der Glaube an den rächenden Blitzstrahl; daher die bekannten Flüche, womit der Beleidigte seinem Feinde droht, daß ihn der Donner regieren oder holen, oder daß das Donnerwetter d’rein schagen solle 1). Vor allem aber war Thor der Rächer der im Verborgenen geübten, heimlichen Sünde. Der Glaube, daß der Meineidige vom Blitze erschlagen werde, ist uralt, und noch vor Kurzem haben unsere Zeitungen mehre Fälle berichtet, wo nach der Ueberzeugung des Volkes dies Gottesgericht wirklich vollzogen ward. In Acten des 16. Jahrhunderts werden auch Beispiele erzählt, daß der Meineidige auf der Stelte erblindet sei. Im Alterthum ward daher der feierliche Eid unter Anrufung des Thor geleistet, welchem mitunter auch seine Verwandten Niördr und Freyr zur Seite standen. Mit Recht bezieht daher Grimm den im Mittelalter sehr gebräuchlichen Schwur bei dem Barte, oder unter Berührung des Bartes mit der Hand auf den rothen Bart des Donnergottes. Denselben Sinn aber hatte der gleichfalls vorkommende Gebrauch, daß der Schwörende einen Büschel Aehren gen Himmel halten mußte. Noch jetzt hört man häufig die Bekräftigung eines Gelübdes mit den Worten „Dunner hal!“ oder „Dunner sla!“, d. h. der Blitz soll mich treffen, wenn ich lüge, für welchen Fall man sich sonst bekanntlich auch dem Teufel anheim giebt. - Wenn mich aber nicht alles täuscht, so fand nicht bloß die feierliche Eidesleistung im Angesichte Thor’s statt, sondern es stand die Pflege der Gerechtigkeit überhaupt, wenigstens das gesammte Beweisverfahren unter seiner Obhut. Seiner Wanderung zur Gerichtsstätte der Götter wird in der Edda ausdrücklich gedacht. Nach einzelnen Beispielen hatte dort zwar Othin den Vorsitz, aber Thor fällte den ersten Spruch und hatte das letzte Wort. In andern Fällen hatte Thor wirklich den Vorsitz. Alle übrigen Götter neben diesen beiden waren schweigende Zuhörer. Hieher gehören vor allen die Ordalien, diese Appellation an die allwissende Gottheit zur Ermittelung der Wahrheit und Unschuld auf der einen, sowie zur Enthüllung der Lüge und des geheimen Verbrechens auf der anden Seite, worauf ich noch zurückkommen werde.





1) Grimm, S. 561, führt mehre gleichbedeutende Flüche an, von welchen einige auch bei uns bekannt sind, namentlich „datt dî de Dros hal!“ Statt des Dros citirt man auch den Schinder, womit die von Grimm angeführte Bedrohung mit dem Stöpker übereinstimmt, denn Stöpker, von stäupen, ist der Gerichtsbüttel.