Thôrr, Donar, Donnerer, Othin, Edda, Bergriese, Himmelsgewölbe, Sommergott, Blütenkranz, Hertha, Nerthus.
Der nordische Thôrr, althochdeutsch Donar, der Donnerer, gehört einer jüngeren Phase in der Entwickelung der Weltschöpfung an, als Othin, dessen Sohn er genannt wird. Er ist der aus der dunklen, kalten Nacht geborne lichte, warme Tag, das aus ewigem Tode erwachte Leben. Aber während Othin als der allgemeine höchste Welttgeist erschien, ist Thor der besondere höchste Gott der Erde, wo er als Beherrscher der Elemente die Ordnung vollendet, und die empörten Elementargeister, welche die Edda als winterliche Reif- und Bergriesen darstellt, mit seinem gewaltigen Hammer niederschmettert. Wenn er, ein schöner, kräftiger Mann mit rothem Barte, auf dem mit zwei Böcken bespannten Wagen über das Himmelsgewölbe hinfährt, so bebt die Erde unter dem rollenden Donner; der brausende Sturm ist sein Odem, der die seegenschwangern Wolken vor sich her treibt, und zermalmende Blitze durchzucken die Luft, so oft er den feurigen, gewaltigen Hammer schwingt. Aber während die Wolke ihren Segen für alle Menschen über die Erde ausschüttet, trifft der rächende Blitz nur den Schuldigen. Hiemit ist uns sein ganzes Wesen enthüllt. Er ist vor allem der lichte, freundliche Sommergott, der Gott der Fruchtbarkeit 1) und der Liebe, aber zugleich Gott der Gerechtigkeit.
Thor’s Gemahlin, die schönhaarige Sif, ward gleich der Frigg als Erdgöttin verehrt, aber dem Wesen ihres Gatten entsprechend, erscheint sie im Gegensatze zu dieser als die sommerliche Mutter Erde, bald im jugendlichen Blüthenkranze des Frühlings, bald im goldenen Schmucke des Herbstes. Sie ist die Göttin der Schönheit und Liebe und entspricht wahrscheinlich der Hertha oder Nerthus (der mütterlichen Erdgöttin der Germanen des Festlandes deren schöne Frühlingsfeier uns Tacitus schildert 2).
Thor, der in Liebe und Gerechtigkeit waltende nächste Vater des Menschengeschlechtes, der Landâs, wie ihn die Edda nennt, d. h. der allgemeine Landesgott, und seine Gattin, die liebe Mutter Erde, waren hiernach vorzüglich die Gottheiten der ackerbauenden und friedliebenden Masse des Volkes, welches ihnen nicht nur in diesem Leben ales Heil und den ganzen reichen Segen der Natur verdankte, sondern auch dereinst nach dem Tode in ihrer Friedenshalle zu wohnen hoffte. Es ist daher natürlich, daß der neubekehrte Heide in dem Gotte der Liebe, welchen ihm die Apostel des Christenthums predigten, vor allem seinen „guten Vater“ Thor wieder zu erkennen glaubte, während die fromme Ehrfurcht, mit welcher er bisher zu der Mutter Erde gebetet hatte, eben so natürlich auf Maria, die liebreiche Mutter Gottes, übertrug, und so erklärt es sich zugleich, daß der mächtige Donnerer selbst in den Sagen und Mährchen des Volkes fast nirgends mehr als ein selbstständiges göttliches Wesen hervortritt, während der gefürchtete Wodan noch heute unter dem alten Namen sein Opfer empfängt. Aber die kindliche Ehrfurcht und die heitere Liebe, mit welcher das Volk einst an dem Altar des Frieden und Freude verbreitenden Sommergottes trat, ist gleichwohl nicht aus den Gemüthern entwichen, sondern tritt in zahlreichen Gebräuchen und abergläubischen Meinungen, ja in der ganzen eigenthümlichen Naturanschauung des niederen Volkes unverkennbar hervor.
Schon die Heiligkeit der Naturerscheinung, in welcher das Heidenthum vorzugsweise das unmittelbare Walten der Gottheit erkannte, ist bemerkenswerth. Noch jetzt blickt mancher fromme Christ ehrfurchtsvoll und mit entblößtem Haupte zu der dunklen Gewitterwolke empor und glaubt, daß Gott ihm in diesem Augenblicke näher sei, als sonst; und wenn der Allmächtige in dem rollenden Donner und dem zuckenden Blitze seine Gegenwart offenbart, ruht alle Arbeit, der Genuß von Speise und Trank ist frevelnde Sünde, und wer es wagt, unehrerbietig mit dem Finger in die Wolke zu zeigen, in welcher der Unsichtbare thront, muß darauf gefaßt sein, sofort den rächenden Blitzstrahl auf sich herabzuziehen. Diese heilige, ehrfurchtsvolle Scheu, mit welcher das Volk das „Gotteswetter“ betrachtet, geht offenbar weit über den Eindruck hinaus, welchen die Erhabenheit der Naturerscheinung an sich auf jeden denkenden und fühlenden Menschen machen muß, sie ist eine unbewußte Anbetung des heidnischen Gottes.
1) Wie neben Othin Thor als besonderer Kriegsgott verehrt ward, so finden wir im Norden den Freyr neben Thor als besondere Gottheit der Fruchtbarkeit. Freyr war jedoch kein Afe, sondern Niords Sohn aus dem Geschlechte der Vanen, Halbgötter, woraus sein jüngerer Ursprung folgt.
2) In den Eddaliedern wird der Sif verhältnißmäßig selten gedacht. Ihr Ansehen scheint vielmehr durch den Dienst der jüngeren Freya, Freyr’s Schwester, welche im Norden gleichfalls als Göttin der Liebe und Schönheit verehrt ward, schon früh verdunkelt zu sein.
Thor’s Gemahlin, die schönhaarige Sif, ward gleich der Frigg als Erdgöttin verehrt, aber dem Wesen ihres Gatten entsprechend, erscheint sie im Gegensatze zu dieser als die sommerliche Mutter Erde, bald im jugendlichen Blüthenkranze des Frühlings, bald im goldenen Schmucke des Herbstes. Sie ist die Göttin der Schönheit und Liebe und entspricht wahrscheinlich der Hertha oder Nerthus (der mütterlichen Erdgöttin der Germanen des Festlandes deren schöne Frühlingsfeier uns Tacitus schildert 2).
Thor, der in Liebe und Gerechtigkeit waltende nächste Vater des Menschengeschlechtes, der Landâs, wie ihn die Edda nennt, d. h. der allgemeine Landesgott, und seine Gattin, die liebe Mutter Erde, waren hiernach vorzüglich die Gottheiten der ackerbauenden und friedliebenden Masse des Volkes, welches ihnen nicht nur in diesem Leben ales Heil und den ganzen reichen Segen der Natur verdankte, sondern auch dereinst nach dem Tode in ihrer Friedenshalle zu wohnen hoffte. Es ist daher natürlich, daß der neubekehrte Heide in dem Gotte der Liebe, welchen ihm die Apostel des Christenthums predigten, vor allem seinen „guten Vater“ Thor wieder zu erkennen glaubte, während die fromme Ehrfurcht, mit welcher er bisher zu der Mutter Erde gebetet hatte, eben so natürlich auf Maria, die liebreiche Mutter Gottes, übertrug, und so erklärt es sich zugleich, daß der mächtige Donnerer selbst in den Sagen und Mährchen des Volkes fast nirgends mehr als ein selbstständiges göttliches Wesen hervortritt, während der gefürchtete Wodan noch heute unter dem alten Namen sein Opfer empfängt. Aber die kindliche Ehrfurcht und die heitere Liebe, mit welcher das Volk einst an dem Altar des Frieden und Freude verbreitenden Sommergottes trat, ist gleichwohl nicht aus den Gemüthern entwichen, sondern tritt in zahlreichen Gebräuchen und abergläubischen Meinungen, ja in der ganzen eigenthümlichen Naturanschauung des niederen Volkes unverkennbar hervor.
Schon die Heiligkeit der Naturerscheinung, in welcher das Heidenthum vorzugsweise das unmittelbare Walten der Gottheit erkannte, ist bemerkenswerth. Noch jetzt blickt mancher fromme Christ ehrfurchtsvoll und mit entblößtem Haupte zu der dunklen Gewitterwolke empor und glaubt, daß Gott ihm in diesem Augenblicke näher sei, als sonst; und wenn der Allmächtige in dem rollenden Donner und dem zuckenden Blitze seine Gegenwart offenbart, ruht alle Arbeit, der Genuß von Speise und Trank ist frevelnde Sünde, und wer es wagt, unehrerbietig mit dem Finger in die Wolke zu zeigen, in welcher der Unsichtbare thront, muß darauf gefaßt sein, sofort den rächenden Blitzstrahl auf sich herabzuziehen. Diese heilige, ehrfurchtsvolle Scheu, mit welcher das Volk das „Gotteswetter“ betrachtet, geht offenbar weit über den Eindruck hinaus, welchen die Erhabenheit der Naturerscheinung an sich auf jeden denkenden und fühlenden Menschen machen muß, sie ist eine unbewußte Anbetung des heidnischen Gottes.
1) Wie neben Othin Thor als besonderer Kriegsgott verehrt ward, so finden wir im Norden den Freyr neben Thor als besondere Gottheit der Fruchtbarkeit. Freyr war jedoch kein Afe, sondern Niords Sohn aus dem Geschlechte der Vanen, Halbgötter, woraus sein jüngerer Ursprung folgt.
2) In den Eddaliedern wird der Sif verhältnißmäßig selten gedacht. Ihr Ansehen scheint vielmehr durch den Dienst der jüngeren Freya, Freyr’s Schwester, welche im Norden gleichfalls als Göttin der Liebe und Schönheit verehrt ward, schon früh verdunkelt zu sein.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Erinnerungen an die nordische Mythologie in den Volkssagen und Aberglauben Mecklenburgs.