Zwanzigstes Kapitel. - Von deutscher Heldensage. - König Laurin, Äneas, König Dagobert, Tirol, Brennerberg, Gothensaß, Schmied Weland, Meerfrau, Riesen, Zwergenland, Eisack, Etsch, Inn, König Elberich, Drachen, Schlangenhaupt.

Auf dem Gipfel des hohen Twiel innerhalb der Burgmauern war ein zierlich Gärtlein angelegt; ein steiler Felsvorsprung, von Mauerwerk eingefaßt, umschloß den mäßigen Raum. Es war ein feiner Platz, als wie eine Hochwacht, denn steil abwärts sprang der Fels, also, daß man über die Brüstung gelehnt einen Stein mochte hinabschleudern ins tiefe Tal, und wer sich am Ausspähen erfreute, der mochte Umschau halten über Berg und Fläche und See und Alpengipfel, keine Schranke hemmte den Blick.

Im Eckwinkel des Gärtleins ließ ein alter Ahorn vergnüglich seine Wipfel im Winde rauschen, schon war das beflügelte Samenkorn reif und gebräunt und wirbelte auf die schwarze Blumenerde hernieder; – eine Leiter war an den grüngrauen Stamm gelehnt, zu Füßen stand Praxedis und hielt die Enden eines schweren langen Zeltgetüchs, in den Ästen aber saß Burkard, der Klosterschüler, mit Nagel und Hammer und suchte das Tuch festzunageln.


„Achtung!“ rief Praxedis, „ich glaube, du schauest dem Storch nach, der dem Kirchturm von Radolfs Zelle entgegenfliegt. Paß auf, du Ehrenpreis aller lateinischen Schüler, und schlag’ mir den Nagel nicht neben den Ast.“

Praxedis hatte das Tuch mit der Linken emporgehalten, jetzt ließ es der Klosterschüler fahren, da zog sich’s gewichtig herab, riß von dem lässig eingeschlagenen Nagel und sank schwerfällig, so daß die Griechin schier ganz drein begraben ward.

„Warte, Pfuscher!“ schalt Praxedis, wie sie sich aus der groben Umhüllung vorgewickelt, „ich werd’ einmal nachsehen, ob es keine grauen Haare mehr abzuschneiden gibt.“

Kaum war das letzte Wort gesprochen, so ward der Klosterschüler auf der Leiter sichtbar, er kletterte die Sprossen bis zur Hälfte nieder, dann sprang er mit gleichen Füßen auf das Tuch und stand vor Praxedis.

„Setzt Euch“, sprach er, „ich will mich gern wieder strafen lassen. Ich hab’ heut nacht geträumt, Ihr hättet mir alle Haare ausgerauft und ich wär’ mit einem Kahlkopf in die Schule gekommen und es hätt’ mich gar nicht gereut.“

Praxedis schlug ihm leicht auf das Haupt.

„Werd’ nicht zu üppig in den Ferien, Männlein, sonst wird dein Rücken ein Tanzboden für die Rute, wenn du wieder im Kloster bist.“

Aber der Klosterschüler dachte nicht an den kühlen Schatten seiner Hörsäle. Er stund unbeweglich vor Praxedis.

„Nun?“ sprach sie, „was gibt’s noch? Was begehrt man?“

„Einen Kuß!“ antwortete der Zögling der freien Künste.

„Hört mir den Zaunkönig an!“ scherzte Praxedis. „Was hat Eure Weisheit für Gründe zu solchem Begehr?“

„Die Frau Herzogin hat’s auch getan“, sagte Burkard, „und Ihr habt mich schon über ein dutzendmal aufgefordert, ich soll Euch die Geschichte erzählen, wie ich mit meinem alten Freund Romeias vor den Hunnen geflohen und wie er als ein tapferer Held gestritten hat. Das erzähl’ ich Euch aber nur um einen Kuß.“

„Höre“, sprach die Griechin mit ernst verzogener Miene, „ich muß dir etwas sehr Merkwürdiges mitteilen.“

„Was?“ frug der Knabe hastig.

„Du bist der törichtste Schlingel, der je seinen Fuß über eine Klosterschulschwelle gesetzt! ...“ sprach sie, verstrickte ihn schnell in ihre weißen Arme und küßte ihn derb auf die Nase.

„Wohl bekomm’s!“ rief eine tiefe Baßstimme von der Gartenpforte her, wie sie den Knaben schalkhaft von sich stieß. Es war Herr Spazzo.

„Schönen Dank!“ sprach Praxedis unbetrübt. „Ihr kommt gerade recht, Herr Kämmerer, um bei Aufrichtung des Zelttuchs zu helfen. Mit dem törichten Knaben bring’ ich’s heut nicht mehr zustand.“

„So scheint es!“ sprach Herr Spazzo mit einem dreischneidigen Blick auf den Klosterschüler. Der hatte Angst vor des Kämmerers grimm gestrichenem Schnurrbart und drehte sich einem Rosengebüsch zu. Astronomie und Metrik, Aristoteles in der Ursprache und rote Frauenlippen schwebten in tanzendem Durcheinander durch das fünfzehnjährige Gemüt.

„Gibt’s keine besseren Leute zu küssen im Hohentwieler Burgfrieden, Jungfräulein?“ fragte Herr Spazzo.

„Wenn man je eine Sehnsucht hätte“, war Praxedis’ Antwort, „so sind die besseren Leute ausgeritten und fahren in Nacht und Nebel herum und kommen erst am hellen Tag in einem Aussehen wieder heim, daß man meinen könnt’, sie hätten Irrlichter einfangen wollen.“

Da hatte Herr Spazzo seinen Teil. Er hatte aber ein Gelübde getan, von seinem nächtlichen Ritt samt Kuckucksruf und „Vince luna“ kein Wörtlein zu verplaudern. „Wozu soll ich Euch helfen?“ fragte er demütig.

„Eine Laube herrichten!“ sprach Praxedis. „In abendlicher Sommerkühle will die Herzogin hier Hof halten – es sollen Geschichten erzählt werden, alte Geschichten, Herr Kämmerer, je wunderbarer desto besser! Unsere Herrin hat das Lateinische satt bekommen, sie will was anderes, Ungeschriebenes, Einheimisches ... Ihr müßt auch Euer Scherflein beitragen.“

„Gott sei meiner Seele gnädig!“ sprach Herr Spazzo, „wenn unter einer Frauen Herrschaftsführung nicht alles wunderbar herginge, so möcht’ man sich noch verwundern. Gibt’s keine fahrenden Sänger und Saitenspieler mehr, die um einen Helm voll Weines und eine Hirschkeule die Kehle heiser singen von derlei Mären? Da steigen wir hoch im Wert! Landflüchtige Possenreißer, Barden und derlei müßige Gesellschaft soll man mit Ruten aushauen, und wenn sie drum klagen, sei ihnen der Schatten eines Mannes an der Wand234 verabreicht als Entgelt. Ich dank’ für die Ehre.“

„Ihr werdet tun, was befohlen wird, als getreuer Dienstmann, der noch Rechenschaft schuldig ist über gewisse Geschäftsführungen beim klösterlichen Weinkrug“, sprach Praxedis. „Es ist doch lustiger, als Latein buchstabieren. Habt Ihr keine Lust, den gelehrten Herrn Ekkehard auszustechen?“

Der Wink leuchtete dem Kämmerer ziemlich ein. „Gebt mir den Tuchzipfel“, sprach er, „daß wir das Zeltdach spannen.“ Er stieg zum Ahorn auf und festigte die Enden im Geäst. Gegenüber waren hohe Stangen eingeschlagen, von blauer Bohnenblüte umrankt, dahin trug Praxedis das Getüch an seinen an dern Enden; in kurzem hing die schattige Decke über den luftigen Raum, die grauweiße Leinwand schimmerte anmutig zum Gelbgrün der Blätter und Ranken, es war eine lustige Gartenfrische.

„Der Vesperwein möchte sich anmutig hier trinken lassen“, sagte Herr Spazzo halb betrübt über das, was bevorstand. Praxedis aber ordnete Tisch und Sitze; der Herzogin Polsterstuhl mit dem durchbrochenen Schnitzwerk lehnte sie an den Stamm des Ahorns, niedrige Schemel für die andern, ihre Laute holte sie herunter und legte sie auf den Tisch, Burkard aber mußte einen großen Blumenstrauß binden, der ward vor den Herzogssitz gestellt. Dann band die Griechin einen roten Seidenfaden um den Baumstamm, zog ihn bis zur Bohnenhecke hinüber und von dort zur Mauer, so daß nur ein schmaler Durchgang frei blieb. „So!“ sprach sie vergnügt, „jetzt ist unser Plaudersaal umgrenzt und umfriedet, wie König Laurins Rosengarten235, die Mauern sind wohlfeil herzustellen.“

Die Herzogin freute sich ihres Einfalls und schmückte sich mit einer gewissen Absicht. Es war noch früh am Abend, da stieg sie zur Laube hinab. Blendend rauschte die stolze Erscheinung einher, sie hatte ein weites Gewand umgetan, Saum und Ärmel mit schimmerndem Gold durchstickt, ein stahlgrauer mantelartiger Überwurf wallte bis zum Boden herab, von edelsteinbesetzten Agraffen gehalten; übers Haupt trug sie ein schleierartig Gewebe, licht und durchsichtig, von güldenem Stirnband anschmiegend zusammengefaltet. Sie griff eine Rose aus Burkards Strauß und heftete sie zwischen Band und Schleier.

Der Klosterschüler, der schon nahe daran war, Klassiker und freie Künste zu vergessen, hatte sich die Gnade erbeten, der Herzogin Schleppe zu tragen, und ihr zu Ehren ein Paar abenteuerliche Schnabelschuhe, an beiden Seiten mit Ohren versehen, angelegt236 und machte sich verschiedene Gedanken über das Glück, einer solchen Gebieterin als frommer Edelknabe zu dienen.

Praxedis und Herr Spazzo traten mit ein. Die Herzogin schaute sich flüchtig um: „Ist Meister Ekkehard, zu dessen Belehrung wir den Abend geordnet, unsichtbar?“

Er war nicht erschienen.

„Mein Oheim muß krank sein“, sprach Burkard. „Er ist gestern abend mit großen Schritten in seiner Turmstube auf und nieder gegangen, und wie ich ihm die Sternbilder vor dem Fenster erklären wollt’, den Bär und Orion und den mattschimmernden Fleck der Plejaden, hat er mir keine Antwort gegeben. Dann hat er sich angekleidet aufs Lager geworfen und im Schlaf gesprochen.“

„Was hat er gesprochen?“ fragte die Herzogin.

„›Meine Taube‹, hat er gesagt ›die du in den Spalten der Felsen dich verbirgst und den Ritzen des Gesteines, zeig’ mir dein Angesicht, laß deine Stimme klingen in meine Ohren, denn die Stimme ist süß und dein Angesicht schön‹, und ein andermal hat er gesagt: ›Warum küssest du den Knaben vor meinen Augen? was hoff’ ich und säum’ ich noch in libyschen Landen?‹“

„Da schaut’s gut aus“, flüsterte Herr Spazzo der Griechin zu, „habt Ihr das auf dem Gewissen?“

Die Herzogin aber sprach zu Burkard: „Du wirst selber geträumt haben. Spring’ hinauf und such’ deinen Ohm, daß er heruntersteige, wo wir seiner warten.“

Sie ließ sich anmutig auf dem thronartigen Sitz nieder. Da kam Ekkehard mit dem Klosterschüler in den Garten. Er sah blaß aus; sein Blick war unstet und trüb. Er neigte sich stumm und setzte sich an des Tisches entgegengesetzt Ende. Burkard wollte seinen Schemel zu Füßen der Herzogin rücken wie gestern, da sie Virgil lasen, aber Ekkehard stund auf und zog ihn an der Hand zu sich herüber. „Hierher!“ sprach er. Die Herzogin ließ ihn gewähren.

Sie schaute in die Runde. „Wir haben gestern behauptet“, sprach sie, „daß wir in unsern deutschen Sagen und Geschichten so viel schöne Gelegenheit zu Kurzweil besitzen, als weiland die Römer in ihrem Heldenlied vom Äneas. Und sicher weiß ein jedes von uns etwas von schneller Helden Fechten und fester Burgen Brechen, von treuer Liebsten Scheidung und reicher Könige Zergängnis; des Menschen Herz ist mannigfach geartet, was der eine seitab liegen läßt, mutet den andern an. Darum haben wir die heutige Tagfahrt geordnet, daß von jedem unserer Getreuen, wie das Los entscheidet, ein anmutig Stück erzählt werde, und behalten uns vor, dem liebreizendsten einen Preis auszusetzen. Siegt einer von euch Männern, so mög’ er das uralte Trinkhorn gewinnen, das aus König Dagoberts Zeiten her droben im großen Saal hängt; siegt meine treue Praxedis, so wird ein Schmuckstück ihrer harren. Halmzug bestimme den Anfang!“

Praxedis hatte vier Grashalme von verschiedener Länge geordnet und reichte sie der Herzogin.

„Soll ich für den jungen Verskünstler auch ein Hälmlein beifügen?“ fragte sie.

Aber Burkard sprach mit weinerlicher Stimme:

„Ich bitt’ Euch, verschonet mich. Denn wenn meine Lehrer in Sankt Gallen erfahren möchten, daß ich mich wiederum an unnützen Mären ergötzt, so würd’ ich gestraft wie damals, als wir auf Romeias’ Wächterstube die Geschichte vom alten Hildebrand und seinem Sohn Hadubrand aufführten. Der Wächter hat immer seine Freude dran gehabt und hat uns selber die hölzernen Rosse geschnitzt und die langen dreieckigen Schilde; ich bin der Sohn Hadubrand gewesen und mein Mitschüler Notker machte den alten Hildebrand, weil er eine so große Unterlippe hat wie ein alter Mann. Und wir sind aufeinand’ eingeritten, daß eine Staubwolke zu des Romeias Fenster hinauswirbelte; just hatte Notker den Armring losgelöst und mir als Gabe gereicht, wie das Lied es vorschreibt237, und ich sprach zu ihm:

›Du scheinst mir, alter Heune, doch allzu schlau; lockest mich mit deinen Worten, willst mich mit deinem Speere werfen; bist du so zum Alter gekommen, daß du immer trogest? mir kündeten Seefahrende westlich über den Wendelsee: hinweg nahm ihn der Krieg, tot ist Hildebrand, Heribrands Erzeugter!‹ –

Da kam Herr Ratolt, unser Lehrer der Rhetorika, heraufgeschlichen und fuhr mit seiner großen Rute so grimmig zwischen uns, daß Roß und Schild und Schwert den Händen entfielen: den Romeias schalt er einen altväterischen Bärenhäuter, der uns von nützlichem Studium ablenke, und mein Kamerad Notker und ich sind drei Tage bei Wasser und Brot eingesperrt gesessen und haben zur Strafe fürs Hildebrandspiel jeder hundertundfünfzig lateinische Hexameter zu Ehren des heiligen Othmar anfertigen müssen ...“

Die Herzogin lächelte. „Da sei Gott für, daß wir dich wiederum zu solcher Sünde verleiten“, sprach sie.

Sie faßte die Halme in der Rechten zusammen und reichte sie anmutig den andern zum Ziehen. Ekkehards Augen hafteten unverrückt auf der Rose am Stirnband, wie er vor sie trat. Sie mußte ihn zweimal auffordern, bis er zog.

„Mord und Brand und Weltende!“ wollte Herr Spazzo herausfahren; er hatte den kürzesten Halm gegriffen. Aber er wußte, daß keine Ausrede ihn loswinden könne, und schaute betrüblich über die steile Felswand hinunter ins Tal, als ob sich von dort ein Ausweg auftun müsse. Praxedis hatte die Laute gestimmt und spielte ein Präludium, das klang lieblich zum Rauschen der alten Ahornwipfel.

„Unser Herr Kämmerer hat keine Strafen zu fürchten wie der Klosterzögling, wenn er uns etwas Schönes bringt“, sprach die Herzogin. „Nun denn!“

Da neigte sich Herr Spazzo vorwärts, stellte sein Schwert mit dem breiten Griff vor sich, so daß er seine Arme drauf stemmen konnte, strich seinen Bart und hub an:

„Wiewohl ich an alten Geschichten keine absonderliche Freude gewonnen und es lieber höre, wenn zwei Schwerter aufeinanderklirren oder ein Hahnen ins volle Faß geschlagen wird, so hab’ ich doch einmal eine schöne Mär aufgelesen. Mußte dereinst in jungen Tagen ins Welschland hinunterreiten, da ging mein Weg durchs Tirol und über den Brennerberg, und war ein rauher, steiniger Saumpfad, der über Kluft und Gefelse zog, also daß mein Roß ein Hufeisen einbüßte. Und war Abend worden, so kam ich an ein Dörflein, heißt Gothensaß oder Gloggensachsen, so aus den Zeiten Herrn Dietrichs von Bern dort inmitten alter Lärchenwälder wie im Versteck steht. An Rücken des Berges gelehnt war zu äußerst ein burgartig Haus, davor lagen viel Eisenschlacken und sprühte ein Feuer drinnen und ward stark gehämmert. Da rief ich den Schmied herfür, daß er mein Roß beschlage, und wie sich niemand rührte, tat ich einen Lanzenstoß nach der Tür, daß sie sperrweit auffuhr, und tat dazu einen starken Fluch mit Mord und Brand und allem Bösen: so stund plötzlich ein Mann vor mir mit zottigem Haar und schwarzem Schurzfell, und war ich sein kaum ansichtig, so war auch schon meine Lanze niedergeschlagen, daß sie zersplitterte wie sprödes Glas, und eine Eisenstange über meinem Haupt geschwungen, und an des Mannes nackten Armen sprangen Sehnen herfür, als könnt’ er einen Amboß sechzehn Klafter tief in die Erde hineinschmettern.

Da vermeinte ich, unter solchen Umständen möcht’ ein höflich Wort nicht vom Übel sein, und sprach daher: ›Ich wollt’ Euch nur um die Gewogenheit ersuchen, daß Ihr mein Roß beschlaget.‹ Drauf stieß der Schmied seine Stange in den Erdboden und sprach: ›Das lautet anders und schafft Euch Rat. Aber Grobheit gilt nichts in Welands Schmiede, das mögt Ihr in Eurer Heimat weiter sagen.‹

Er beschlug mein Roß und ich sah, daß er ein ehrenwerter Schmied war, und ward ihm gut befreundet und ließ das Rößlein in seinem Stall stehen und blieb bei ihm in der Nachtherberge. Und wir tranken scharf bis in die Nacht hinein, der Wein hieß Terlaner und er schenkte ihn aus einem Schlauche. In währendem Trinken befrug ich den rußigen Gastfreund um Gelegenheit und Namen seiner Schmiede. Da lachte er hell auf und erzählte die Geschichte vom Schmied Weland. Fein war sie nicht, aber schön.“

Herr Spazzo hielt eine Weile an und warf einen Blick auf den Tisch, wie einer, der sich nach einem Trunk Weines umschaut, trockene Lippen zu feuchten. Aber es war keiner zur Hand und man verstand den Blick nicht. Da fuhr er fort:

„›Woher der Weland gekommen‹, sprach der Mann von Gothensaß damals zu mir, ›ist hierlands nicht bekannt. Sie sagen, in nordischen Meeren, im Land Schonen sei der Riese Vade sein Vater gewesen, seine Großmutter aber eine Meerfrau, die kam aus der Tiefe, wie er geboren ward, und saß eine lange Nacht auf der Klippe und harfte: jung Weland muß ein Schmied werden! Da brachte Vade den Jungen zu Mimer, dem Schmiedungsverständigen, der hauste im dunkeln Tann zwanzig Meilen hinter Toledo und lehrte ihn viel mannigfache Kunst. Wie er aber sein erst Schwert geschmiedet, hieß ihn Mimer selber weiter ziehen, auf daß er die letzte Meisterschaft bei den Zwergen erringe. Und Weland ging zu den Zwergen und gewann viel Ruhm.

Da brachen die Riesen ins Zwergenland, daß Weland weichen mußte, und blieb ihm nichts als sein breites Schwert Mimung, das schnallte er über den Rücken und kam ins Land Tirol. Zwischen Eisack, Etsch und Inn aber saß dazumal der König Elberich, der nahm den Weland freundlich auf und wies ihm die Waldschmiede zu am Brenner, und Eisen und Erz und was sonst in des Gebirges Adern verborgen ruht, sollte all des Weland sein.

Und dem Weland ward’s wohl und fröhlich ums Herz in den Tiroler Bergen; die Wildwasser rauschten zu ihm heran und trieben das Radwerk, der Sturm blies ihm das Herdfeuer an und die Sterne sprachen: wir müssen uns anstrengen, sonst glänzen die Funken, die Weland schlägt, heller denn wir.

So gedieh Welands Arbeit wohl. Schildesrand und Schwert, Messer und Pokal und was an Kleinod eines Königs Hofburg ziert, wirkte der Sinnige, und war kein Schmied, so weit die Sonne auf Alpenschnee glänzt, sich mit Weland zu messen. Elberich aber hatte viel böse Feinde, die einten sich und setzten den einäugigen Amilias zu ihrem Führer und brachen ins Land ein. Und Elberich trug großes Herzeleid und sprach: „Wer mir des Amilias Haupt brächte, mein einzig Töchterlein sollt’ ihn dafür küssen als Ehgemahl!“ Da löschte Weland sein Schmiedfeuer, schnallte sein breites Schwert Mimung um und zog aus gegen Elberichs Widersacher. Und das Schwert war brav und schlug dem Amilias das Haupt ab, daß aller Feind über Joch und Klausen heimlief. Weland aber brachte seinem König das Haupt. Da sprach der zürnend: „Was ich von meiner Tochter angelobet, das hat der Wind verweht; ein Schmied kann nicht mein Sohn sein, des würden meine Hände rußig, wenn er den Gruß mir bieten wollt’. Aber als Lohn sollst du drei Goldpfennige haben, dafür kann ein Mann turnieren und stechen, reigen und tanzen, zieren und pflanzen und eine Dirne sich kaufen am Markt.“ Weland warf ihm die drei Goldpfennige vor die Füße, daß sie unter den Thron rollten, und sprach: „Behüt’ Euch Gott, auf Nimmerwiedersehen!“ und wandte sich, aus dem Lande zu gehen. Der König aber wollte den Schmied nicht missen, darum ließ er ihn niederwerfen und die Sehnen am Fuß durchschneiden, daß er hinkend ward und ungemut und des Fliehens vergessen mußt’.

Und Weland schleppte sich traurig in die Waldschmiede heim und zündete sein Feuer wieder an, aber er pfiff und sang nimmer, wenn er mit schwerem Hammer das Eisen schlug, und sein Gemüt ward ingrimmig. Da kam einsmals des Königs Sohn, der war ein rotwangiger Knab’ und war allein in den Wald gezogen und sprach: „Weland, ich will dir zuschauen.“ Da sprach der Schmied tückisch: „Stell’ dich an Amboß, so schaust du alles am besten“, – und zog die glühende Eisenstange aus den Flammen und stieß sie dem Königsknaben durchs Herz. Sein Gebein bleichte er und goß um die Knochen viel Erz und Silber, daß sie zu Säulen der Leuchter wurden, um den Schädel aber fügte er einen Goldrand, da ward der Schädel zum Becher. All dies aber sandte Weland dem Elberich, und wie die Boten geritten kamen und nach dem Knaben fragten, sprach er: „Ich sah ihn nimmer, er ist zu Wald gerannt.“

Zu selber Zeit erging sich des Königs Tochter in ihrem Garten, die war so schön, daß sich die Lilien vor ihr neigten. Am Zeigefinger trug sie einen Ring von Gold, gestaltet wie eine Schlange, und ein Karfunkel blitzte im Schlangenhaupt, den hatte Elberich selbst eingefügt und hielt den Ring teurer als ein Königreich und schenkte ihn seiner Tochter nur, weil sie in ihrer Schöne ihm über alles lieb war. Dieweil sie aber eine Rose pflückte, sprang der Ring von der Jungfrau Finger und hüpfte mit hellem Schein über das Gestein und zerbrach; und der Karfunkel fiel aus der güldenen Fassung, daß die Maid die Hände rang und bitterlich wehklagte und sich nicht traute heimzugehen, denn sie fürchtete ihres Vaters Zorn.

Da sprachen die dienenden Frauen: „Geh’ heimlich zum Schmied Weland, der weiß Rat dafür.“ So trat die Königstochter in Welands Schmiede und klagte ihre Not. Der nahm den Ring und fügte ihn zusammen und schmolz Gold und Erz und der Karfunkel blitzte wieder im Schlangenhaupt. Aber Welands Stirn war tief gefurcht, und wie die Jungfrau ihm freundlich zulachte und gehen wollt’, da sprach er: „Hei! wie kommst du mir geschlichen!“ und warf die feste Tür ins Schloß und legte Riegel vor und griff die Königstochter mit starker Hand und trug sie in die Kammer, wo Moos und Farrenkraut geschichtet lag. Und wie sie von dannen ging, weinte sie und raufte ihr seidenweich Haar ...‹“

Ein Geräusch unterbrach Herrn Spazzo. Praxedis hatte zur Herzogin aufgeschaut, ob sie nicht etwa errötend aufspringen und Herrn Spazzo den Mund schließen solle; doch aus dem strengen Antlitz war nichts zu lesen. Darum trommelte sie ungeduldig mit den Fingern auf ihrer Laute.

„... und es war eine Gewalttat geschehen“, fuhr Herr Spazzo unbeirrt fort. Da hub Weland ein Singen und Jodeln an, wie die Waldschmiede es nimmer gehört, seit ihm die Sehnen zerschnitten worden. Dann ließ er Schwerter und Schilde unvollendet und schmiedete Tag und Nacht und schmiedete zwei große Flügel und war kaum fertig, so kam Elberich mit Heeresmacht den Brenner herabgeritten. Da band sich Weland die Flügel an und hing sein Schwert Mimung um und trat auf die Zinne, daß die Leute riefen: „Sehet, der Weland ist ein Vogel worden!“

Er aber rief mit starker Stimme vom Turm: „Behüt’ Euch Gott, König Elberich! Ihr werdet des Schmiedes gedenken. Den Sohn hat er erschlagen, die Tochter trägt ein Kind von ihm. Ade, ich lass’ sie grüßen!“ rief’s und seine ehernen Flügel hoben sich und rauschten wie Sturmwind, und er fuhr durch die Lüfte. Der König griff seinen Bogen und alle Ritter spannten in grimmer Eil’, wie ein Heer fliegender Drachen schossen die Pfeile ihm nach, doch Weland hob die Schwingen, kein Eisen traf ihn nicht, und flog heim nach Schonen auf seines Vaters Schloß und ward nicht mehr gesehen. Und Elberich hat seiner Tochter den Gruß nicht ausgerichtet. Sie aber genas noch in demselben Jahrgang eines Knaben, der hieß Wittich und ward ein starker Held, wie sein Vater.

„Das ist der Mär’ von Weland Ende238!“

Herr Spazzo lehnte sich zurück und tat einen langen behaglichen Atemzug. Ein zweites Mal werden sie mich in Ruhe lassen, dachte er. Der Eindruck des Erzählten war verschieden. Die Herzogin sprach sich lobend aus, des Schmiedes Rache mutete sie an; Praxedis schalt, es sei eine rechte Grobschmiedsgeschichte, man sollte dem Kämmerer verbieten, sich noch vor Frauen sehen zu lassen. Ekkehard sprach: „Ich weiß nicht, mir ist, als hätt’ ich Ähnliches gehört, aber da hieß der König Nidung und die Schmiedwerkstätte stand am Kaukasus.“

Da rief der Kämmerer zürnend: „Wenn Euch der Kaukasus vornehmer ist wie Gloggensachsen, so mögt Ihr’s dorthin verlegen; ich weiß noch recht wohl, wie mir mein Tiroler Freund den Ort genau gewiesen239. Über der Kammertür war eine geknickte Rose von Erz geschmiedet und auf dem Turm ein eiserner Adlerflügel, und stand eingegraben: ›Hie flog der Schmied von dannen.‹ Dann und wann kommen Leute hinabgewallfahrtet und beten und glauben, der Weland sei ein großer Heiliger gewesen240.“

„Lasset sehen, wer Herrn Spazzo den Preis jetzt streitig machen soll“, sprach die Herzogin und mischte die Lose. Sie zogen. Der kleinste Halm blieb in Praxedis’ Hand. Die tat weder verlegen, noch bat sie um Nachsicht; sie fuhr mit der weißen Hand über die dunkeln Haarflechten und begann:

„Mir haben zwar die Ammen keine Wiegenlieder von alten Recken gesungen und in Waldschmieden bin ich, Gott sei es gedankt, niemalen eingekehrt, aber selbst in Konstantinopel geht die Rede von solcherlei Abenteuer. Und wie ich am Kaiserhof unterwiesen ward in allen Künsten, die dienenden Maiden wohl anstehen, da war eine alte Schlüsselverwahrerin, die hieß Glycerium, die sprach oft zu uns:

›Höret, Mägdlein, so ihr je einer Prinzessin dienet, und ihr Herz ist in heimlicher Minne entbrannt, und sie kann den nicht sehen, den sie begehrt, so müsset ihr schlau sein und bedachtsam wie die Kammerfrau Herlindis, da der König Rother um des Kaiser Konstantinus Tochter geworben.‹ Und wenn wir im Frauensaal beisammensaßen, da ward gewispert und geflüstert, bis Glycerium, die Alte, erzählte vom König Rother.“

›“Vor alten Zeiten saß in der Meerburg am Bosporus der Kaiser Konstantinus, der hatte eine wunderbar schöne Tochter, und die Leute sprachen von ihr, sie sei strahlend wie der Abendstern und leuchte unter allen Maiden wie der Goldfaden in der Seiden. Da kam eines Tages ein Schiff gefahren, daraus stiegen zwölf edle Grafen und zwölf Ritter und ritten in Konstantinus’ Hof ein, und einer ritt voran, der hieß Lupolt. Und alles Volk der Hauptstadt staunte über sie, denn Mäntel und Gewande waren schwer von Edelstein und JachantenA1 besetzt, und an den Sätteln der Rosse klang’s von goldenen Schellen. Das waren die Boten des Königs Rother von Wikingland, und Lupolt sprang vom Roß und sprach zum Kaiser:

Uns schickt unser König, geheißen Rother, der ist der schönste Mann, der je vom Weibe kam, ihm dienen die besten Helden und an seinem Hof ist Ball und Schall und Federspiel, so viel das Herz begehrt. Er aber ist unbeweibt und sein Herz steht einsam: Ihr solltet ihm Eure Tochter geben!“ Konstantinus aber war ein zornmütiger Herr; grimm warf er seinen Reichsapfel zu Boden und sprach: „Um meine Tochter hat noch keiner geworben, der nicht den Kopf verloren, was bringt Ihr mir solchen Schimpf über das Meer? Ihr seid alle gefangen!“ Und ließ sie in einen Kerker werfen, da schien weder Sonne noch Mond drein, und bekamen nur Wasser, sich zu laben, und weinten sehr.

Wie die Kunde zum König Rother kam, da ward ihm sein Herz sehr traurig und er saß auf einem Stein und sprach zu niemand. Dann faßte er den Entschluß, in Reckenweise über Meer zu fahren, um seinen getreuen Sendboten beizuspringen. Und er war verwarnt vor den Griechen, daß man dort die Wahrheit übergülden müsse, so man etwas beschaffen wolle, darum hieß er seine Recken eidlich angeloben, daß sie alle vorgäben, er heiße nicht Rother, sondern Dietrich, und sei landflüchtig vor dem König Rother und gehre Hilfe bei dem Griechenkaiser. Also fuhren sie über Meer.

Und Rother nahm seine Harfe an Schiffes Bord, denn bevor seine zwölf Gesandten die Anker gelichtet, war er mit der Harfe an den Strand gekommen und hatte drei Singweisen gegriffen, das sollte ihnen ein Angedenken sein: und kommet ihr je in Not und höret die Weisen erklingen, so ist Rother helfend euch nah!

Es war ein Ostertag und der Kaiser Konstantin war nach dem Hippodrom ausgeritten, da hielt Rother seinen Einzug. Und alle Bürgersleute von Konstantinopel liefen zusammen; das war noch nie erschaut, denn Rother brachte auch seine Riesen mit sich: der erste hieß Asprian und trug eine Stahlstange, die war vierundzwanzig Ellen lang, der zweite hieß Widolt und war so wildwütig, daß sie ihn in Ketten mitführen mußten, der dritte hieß Abendrot.

Und viel tapfere Degen kamen mit Rother geritten, und zwölf Wagen mit Schätzen fuhren an, und war solche Pracht, daß die Kaiserin sprach: „O weh, wie dumm sind, wir gewesen, daß wir unsere Tochter dem König Rother versagten; was muß der für ein Mann sein, der solche Helden vertreibt über die Meere!“

König Rother trug einen güldenen Harnisch und einen purpurnen Waffenrock und zwei Reihen schöner Ringe am Arm und beugte sein Knie vor dem Griechenkaiser und sprach: „Mich Fürsten Dietrich hat ein König in Acht getan, der heißt Rother, nun ist alles, was ich gearbeitet, zu meinem Schaden. Ich biet’ Euch meine Dienste an“.

Da lud Konstantinus die Helden alle zum Hippodromushof und hielt sie in hohen Ehren und hieß sie zu Tisch sitzen. Es lief aber da ein zahmer Löwe herum, der gewohnt war, den Knechten das Brot wegzufressen. Der kam auch an Asprians Teller, ihn aufzulecken. Da griff Asprian den Löwen an der Mähne und warf ihn an des Saales Wand, daß er zerbrach. And die Kämmerer sprachen zueinand’: „Wer nicht an die Wand fliegen will, lasse dieses Mannes Teller unberührt“.

König Rother aber teilte den Griechen viel schöne Geschenke aus; jedem, der ihn auf der Herberge besuchte, hieß er einen Mantel verehren oder ein Stück Gewaffen. Es kam auch ein landflüchtiger Grafe daher, dem schenkte er tausend Mark Silber und nahm ihn in Dienst, also daß viel hundert Ritter in sein Gefolge traten. So war in aller Munde des vermeinten Dietrichs Preis, und unter den Frauen hob sich ein Wispern und Raunen, es war keine Kemenate, daß die Wände nicht Herrn Dietrich rühmen hörten.

Da sprach die goldlockige Kaiserstochter zu Herlindis, ihrer Kammerfrau: „O weh mir! wie soll ich es anfangen, daß ich desselben Herren ansichtig werde, den sie alle preisen?“

Herlindis aber entgegnete: „Nun bitte deinen Vater, daß er ein Freudenfest gebe am Hofe und den Helden dazu lade, so magst du ihn am besten ersehen“.

Die Kaiserstochter tat nach Herlindis’ Rat und Konstantinus nickte ihr zu und entbot seine Herzoge und Grafen zum Hippodromushofe und die fremden Helden dazu. All’ die Geladenen kamen, da hob sich ein unsäglich Gedränge um den, den sie Dietrich nannten, und wie die Kaisertochter mit ihren hundert Frauen eintrat, geziert mit güldener Krone und gold-und zyklatgesticktemA2 Mantel, brach gerade ein ungefüger Lärm aus: Asprian, den Riesen, hatte ein Kämmerer auf seiner Bank rücken geheißen, daß andere Leute auch Platz bekämen, da schlug Asprian dem Kämmerer einen Ohrschlag, daß ihm der Kopf entzweibrach, und es gab ein bös Durcheinander, so daß Dietrich Ruhe stiften mußt’.

Darum konnte die Kaiserstochter des Helden nicht ansichtig werden und hätte ihn doch so gern gesehen.

Da sprach sie daheime wieder zu Herlindis: „O weh mir, nun hege ich Tag und Nacht Sorgen und habe keine Ruh’, bis meine Augen den tugendsamen Mann erschaut. Der möcht’ einen schönen Botenlohn verdienen, der mir den Helden zur Kammer führen wollt’.“

Herlindis aber lachte und sprach: „Den Botengang will ich in Treuen tun, ich geh’ zu seiner Herberg’.“ Und die Vielschlaue legte ihr zierlichstes Gewand an und ging zu dem Herrn Dietrich. Der empfing sie frömmiglich und sie setzte sich viel nahe zu ihm und sprach ihm ins Ohr: „Meine Herrin, des Kaisers Tochter, entbeut dir viel holde Minne; sie ist der Freundschaft zu dir Untertan, du sollst dich aufmachen und hingehen zu ihr.“

Aber Dietrich sprach: „Frau, du sündigest dich. Ich bin in andern Tagen zu mancher Kemenate gegangen, da es wohl sein mocht’, was spottest du itzt des heimatlosen Mannes? An des Kaisers Hofe ist edler Herzoge und Fürsten eine große Zahl: nie gedachte deine Frau der Rede.“

Und als Herlindis ihm minniglich zuredete, sagte Herr Dietrich: „Hier sind der Merker so viele; wer seine Ehr’ behalten will, muß wohlgezogen tun; Konstantinus möcht’ mir das Reich verbieten. Darum wär’ es mißhellig, so ich deine Frau sehen wollte. Vermelde ihr das, so sehr ich ihr zu dienen begehre.

Herlindis wollte von dannen gehen, da hieß der König seine Goldschmiede zwei Schuhe gießen von Silber und zwei von Golde, und schenkte ihr von jedem Paar einen, dazu einen Mantel und zwölf güldene Spangen, denn er war artigen Gemütes und wußte, daß man einer Fürstin Kammerfrau, die in Sachen der Minne Botengang tut, wohl ehren soll.‹“

... Praxedis hielt eine Weile an, denn Herr Spazzo, der seit einiger Zeit mit seines Schwertes Scheide viel großnasige Gesichter in den Sand gezeichnet, hatte ein vernehmlich Räuspern erhoben. Da er aber keine weitere Einsprache tat, fuhr sie fort:

„›... Und Herlindis sprang fröhlich heim und sprach zu Hause zu ihrer Herrin: „Hart und fleißig pflegt der gute Held seiner Ehren, ihm ist des Kaisers Huld zu lieb. Aber schauet her, wie er mir Liebes tat; die Schuhe, den Mantel, die zwölf Spangen: o wohl wir, daß ich zu ihm kam! Ich mag wohl auf der weiten Erde keinen schöneren Ritter erschauen. Gott verzeih’ mir, daß ich ihn angaffete, als wär’ er ein Engel.“

„O weh mir!“ sprach die Kaiserstochter, „soll ich denn nimmermehr selig sein? So sollst du mir zum mindesten die Schuhe geben, die dir des edlen Degens Huld verlieh, ich füll’ sie dir mit Golde.“

Da ward der Kauf geschlossen: sie zog den güldenen Schuh an und nahm auch den silbernen, doch der ging an denselben Fuß. „O weh mir!“ klagte die Holde, „es ward ein Mißgriff getan, ich bring’ ihn nimmer an, du mußt wiederum gehen und Herrn Dietrich bitten, daß er dir den andern gebe und selber komme.“

„Das wird die Lästerer freuen“, lachte Herlindis. „Was tut’s? Ich gehe“ – und sie hob ihr Gewand schier bis ans Knie und schritt, als hätte sie fraulichen Ganges vergessen, über den regenfeuchten Hof zu Dietrich. Und der werte Held wußte wohl, warum sie kam, er tat aber, als sähe er’s nicht. Herlindis sprach zu ihm: „Ich muß noch mehr Botengänge tun, es ist ein Mißgriff geschehen: itzt heißt dich meine Herrin mahnen, daß du den andern Schuh gebest und sie gesehest selber.“ – „Hei, wie tät ich’s gerne“, sprach er, „aber des Kaisers Kämmerer werden mich melden.“ – „O nie!“ sagte Herlindis, „die tummeln sich im Hof und schießen den Speerschaft, nimm du zwei Diener und heb’ dich leis mir nach, bei Schall und Kampfspiel misset dich keiner.“

Jetzt wollte die Getreue von dannen gehen. Doch der Held sprach: „Ich will erst nach den Schuhen fragen.“ Da rief Asprian draußen: „Was liegt an einem alten Schuh? Viel tausend haben wir geschmiedet, die trägt das Ingesind; ich will den rechten suchen.“ Und er brachte ihn, und Dietrich schenkte der Kammerfrau wiederum einen Mantel und zwölf Spangen.

Da ging sie voraus und kündigte ihrer Herrin die erwünschte Märe. Herr Dietrich aber hieß im Hippodromushofe einen großen Schall anheben und hieß die Riesen ausgehen; da fuhr Widolt mit der Stange heraus und gebärdete sich schreckentlich, und Asprian schlug einen Purzelbaum in die blaue Luft, und Abendrot warf einen ungefügen Stein von viel hundert Pfunden und ersprang ihn zwölf Klafter weit, so daß keiner der Merker Herrn Dietrich wahrnehmen mochte.

Der ging züchtiglich über den Hof. Am Fenster erschaute ihn die harrende Kaisertochter, da schlug ihr Herz, und die Kemenate ward ihm aufgetan und sie sprach zu ihm: „Willkomm’, edler Herr! wie seh’ ich Euch gerne. Nun sollt Ihr mir die schönen Schuhe selber anziehen.“

„Mit Freuden!“ sprach der Held „und setzte sich zu ihren Füßen, und sein Gebaren war gar schön, und sie stellte ihren Fuß auf sein Knie, der Fuß war zierlich und die Schuhe paßten wohl, da fügte sie Herr Dietrich ihr an.“

„Nun sage mir, vieledle Jungfrau“, begann drauf der Listige, „dich hat sicher schon gebeten manch ein Mann, du sollest zu seinem Willen stahn, welcher unter allen hat dir am besten gefallen?“

Da sprach des Kaisers Tochter ernsthaft: „Herr! auf die Seele mein, so wahr ich getauft bin, so man alle Recken der Welt zusammenstehen hieße, es möchte keiner wert sein, dein Genosse zu heißen. Du bist der Tugend ein auserwählter Mann, – und doch, so die Wahl bei mir stünde, so nähme ich einen Helden, des muß ich denken mit jedem neuen Tag; seine Boten hat er ausgeschickt, um mich zu werben, die liegen itzt in tiefem Kerker. Er heißt Rother und sitzt über dem Meer – wird mir der nicht, so bleib’ ich eine Maid immerdar.“

„Eia“, sprach Dietrich, „willst du den Rother minnen, den schaff’ ich dir zur Stelle. Wir haben als Freunde fröhlich gelebt, er war mir gnädig und gut, wenngleich er dann mich Landes vertrieb.“

Da sprach die Kaisertochter: „Höre, wie kann dir der Mann lieb sein, wenn er dich vertrieben? Ich merke wohl, du bist ein Bote, hergesandt von König Rother, nun sprich und verhehle mir nichts: was du mir heut auch sagest, ist wohl bei mir vertaget bis an den Jüngsten Tag.“

Da tat der Held einen festen Blick nach ihr und sagte: „Nun stell’ ich alle meine Dinge Gottes Gnade und der deinen anheim. Wohl denn! es stehen deine Füße in König Rothers Schoß!“

Hart erschrak die Vielholde; den Fuß zuckte sie auf und klagte: „O weh mir, nun war ich so ungezogen, mich trog der Übermut, daß ich den Fuß gesetzt auf deinen Schoß. Hat dich Gott hergesendet, das wär’ mir innig lieb. Doch wie mag ich dir getrauen? So du die Wahrheit probtest, noch heute wollt’ ich mit dir meines Vaters Reich räumen; es lebet kein Mann, den ich nähme, so du König Rother wärest genannt – aber vorerst bleibt’s wohl ungetan.“

„Wie soll ich’s besser proben“, erwiderte der König, „als durch meine Freunde im Kerker? So die mich erschauen könnten, dir würde bald kund, daß ich wahr geredet.“

„So will ich meinen Vater bereden, daß er sie heraus lasse“, sprach des Kaisers Tochter. „Aber wer wird Bürge sein, daß sie nicht entrinnen?“

„Ich will sie über mich nehmen“, sprach er.

Da küßte des Kaisers Tochter den Helden und er schied mit Ehren aus ihrer Kemenaten und ging auf seine Herberge und war ihm gar wonniglich zumute. Als aber der Morgen graute, nahm die Jungfrau einen Stab und schlüpfte in ein schwarz Trauergewand und legte einen Pilgerkragen über die Achsel, als wolle sie aus dem Lande abscheiden, und sah bleich und betrübt drein und ging zum Kaiser Konstantinus hinüber, klopfte an seine Türe und sprach listig zu ihm: „Mein lieber Herr Vater, nun muß ich bei lebendem Leib ins Verderben. Mir ist gar elend, wer tröstet meine Seele? Im Traume treten die eingekerkerten Boten des König Rother vor mich und sind abgezehrt und elend und lassen mir keine Ruhe; ich muß fort, daß sie mich nimmer quälen, es sei denn, Ihr lasset mich die Armen mit Speisung, Wein und Bad erquicken. Gebet sie heraus, wenn auch nur auf drei Tage.“

Da antwortete der Kaiser: „Das will ich dulden, so du mir einen Bürgen stellest, daß sie am dritten Tage wieder niedersteigen zum Kerker.“

Dieweil man nun zu Tische ging im Kaisersaal, kam auch der vermeinte Herr Dietrich mit seinen Mannen, und als die Mahlzeit vollendet und man die Hände wusch, ging die Jungfrau um die Tische, als wolle sie unter den reichen Herzogen und Herrn den Bürgen suchen, und sprach zu Dietrich: „Nun gedenke, daß du mir aus der Not helfest, und nimm die Boten auf dein Leben.“

Er aber sprach: „Ich bürge dir, du allerschönste Maid.“

Und er gab dem Kaiser sein Haupt zum Pfand, und der Kaiser schickte seine Mannen mit ihm, daß sie den Kerker öffneten.

Drin lagen die Gesandten elend und in Unkräften; als man die Kerkertüren einbrach, schien der helle Tag ins Verlies, der blendete die Armen, denn sie waren sein nicht mehr gewohnt. Da nahmen sie die zwölf Grafen und ließen sie aus dem Kerker gehen; jedwedem folgte ein Rittersmann und das Gehen fiel ihnen sauer. Voran schritt Lupolt, ihr Führer, der hatte ein zerrissen Schürzlein um die Lenden geschlungen, und sein Bart war lang und struppig, der Leib aber zerschunden. Herr Dietrich stund traurig und wandte sich zur Seite, daß sie ihn nicht erkenneten, und hielt mit Gewalt die Tränen an, denn noch niemals war ihm das Leid so nah gestanden. Er hieß sie zur Herberge führen und pflegen und die Grafen sprachen: „Wer war der, der seitab stand? der will uns sicher wohl.“ Und sie lachten in Freud’ und Leid zugleich, aber kannten ihn nicht.

Anderen Tages nun lud die Kaiserstochter die Vielgeprüften zu Hofe und schenkte ihnen gute funkelnde Gewänder und ließ sie in die warme Badstube setzen und einen Tisch richten, sie zu atzen. Wie nun die Herren saßen und ihres Leids ein Teil vergaßen, nahm Dietrich seine Harfe und schlich hinter den Umhang und ließ die Saiten erklingen: er griff die Singweise, die er einst gegriffen am Meeresstrand. Lupolt hatte den Becher erhoben, da entsank er seiner Hand, daß er den Wein niedergoß auf den Tisch, und einer, der das Brot schnitt, ließ sein Messer fallen und alle horchten staunend: voller und heller erklang ihres Königs Singweise. Da sprang Lupolt über den Tisch und alle Grafen und Ritter ihm nach, als wär’ ein Hauch alter Kraft plötzlich über sie gekommen, und sie rissen den Umhang nieder und küßten den Harfner und knieten vor ihm und des Jubels war kein Ende.

Da wußte die Jungfrau, daß er treu und wahrhaft der König Rother von Wikingland war und tat einen lauten Freudenruf, daß Konstantinus, ihr Vater, herzugelaufen kam – er mochte wollen oder nicht, so mußte er sie zusammengeben, und die Gesandten stiegen nimmermehr in ihren Kerker, und Rother hieß nimmermehr Dietrich und küßte seine Braut und fuhr mit ihr heim übers Meer und war ein glückseliger Mann und hielt sie hoch in Ehren, und wenn sie in Minne beisammen saßen, sprachen sie: „Gelobt sei Gott und Mannesmut und kluger Kammerfrauen List“!‹“

„Das ist die Mär vom König Rother241!“

... Praxedis hatte lang’ erzählt.

„Wir sind wohl zufrieden“, sprach die Herzogin, „und ob der Schmied Weland den Preis davontragen wird, scheint uns nach König Rothers Geschichte ein weniges zweifelhaft.“

Herr Spazzo ward drob nicht böse. „Die Kammerfrauen in Konstantinopel scheinen die Feinheit mit Löffeln gegessen zu haben“, sprach er. „Aber sollt’ ich auch besiegt sein, der letzte hat noch nicht gesungen.“

Er sah auf Ekkehard hinüber. Aber der saß wie ein Traumbild in sich versunken. Er hatte vom König Rother wenig vernommen, der Herzogin Stirnband mit der Rose war das Ziel seiner Augen gewesen, dieweil Praxedis erzählte.

„... Übrigens glaub’ ich die Geschichte kaum“, fuhr Herr Spazzo fort. „Vor Jahren bin ich im Bischofshof zu Konstanz drüben beim Wein gesessen, da kam ein griechischer Reliquienverkäufer, der hieß Daniel und hatte viel heilige Leiber und Kirchenschmuck und künstlich Geräte bei sich. Dabei war auch ein altertümlich Schwert mit edelsteinbesetzter Scheide, das wollt’ er mir aufschwatzen und sprach, es sei das Schwert des König Rother, und wären die güldenen Taler bei mir nicht ebenso dünn gesäet gewesen wie die Haare auf des Griechen Scheitel, ich hätt’ es gekauft. Der Mann erzählte, mit dem Schwert hab’ Herr Rother mit dem König Ymelot von Babylon gestritten um des Kaisers Tochter, aber von goldenen Schuhen und Kammerfrauen und Harfenspiel hat er nichts gewußt.“

„Es wird noch vieles auf der Welt wahr sein, ohne daß Ihr Kenntnis davon habt“, sprach Praxedis leicht.

Der Abend dunkelte. Mit gelbem Schein war der Mond aufgestiegen, würziger Duft durchströmte die Lüfte, im Gebüsch und am Felshang flimmerte es von Leuchtkäfern, die sich anschickten, auszufliegen. Ein Diener kam herab und brachte Windlichter; von ölgetränktem Linnen wie von einer Laterne umfangen, brannten die Kerzen. Es war lind und lieblich im Garten.

Der Klosterschüler saß vergnügt auf seinem Schemel und hielt die Hände gefaltet wie in Andacht.

„Was meint unser junger Gast?“ fragte die Herzogin.

„Ich wollte mein schönstes lateinisches Buch geben“, sprach er, „wenn ich es hätte mit ansehen können, wie der Riese Asprian den Löwen an die Wand warf.“

„Du mußt ein Recke werden und selber auf Riesen und Drachen ausziehen“, scherzte die Herzogin.

Aber das leuchtete ihm nicht ein: „Wir bekommen mit dem Teufel zu streiten“, sagte er, „das ist mehr.“

Frau Hadwig war noch nicht gestimmt, aufzubrechen. Sie knickte ein Zweiglein vom Ahorn in zwei ungleiche Stücke und trat zu Ekkehard. Der fuhr verwirrt auf.

„Nun“, sprach die Herzogin, „ziehet! Ihr oder ich.“

„Ihr oder ich!“ sprach Ekkehard stumpf. Er zog das kürzere Ende. Es gleitete ihm aus der Hand; er ließ sich wieder auf seinen Sitz nieder und schwieg.

„Ekkehard!“ sprach die Herzogin scharf.

Er schaute auf.

„Ihr sollet erzählen.“

„Ich soll erzählen!“ murmelte er und fuhr mit der Rechten über die Stirn. Sie war heiß; es stürmte drin.

„Jawohl, – erzählen! Wer spielt mir die Laute dazu?“

Er stand auf und sah in die Mondnacht hinaus. Verwundert schauten die anderen sein Gebaren. Er aber hub mit klangloser Stimme an:

„Es ist eine kurze Geschichte. Es war einmal ein Licht, das leuchtete hell und leuchtete von einem Berg hernieder und leuchtete in Regenbogenfarben und trug eine Rose im Stirnband ...“

„Eine Rose im Stirnband?!“ brummte Herr Spazzo kopfschüttelnd.

„... Und es war einmal ein dunkler Nachtfalter“, fuhr Ekkehard in gleichem Ton fort, „der flog zum Berg hinauf und flog um das Licht und wußte, daß er verbrennen müsse, wenn er hineinfliege, und flog doch hinein, und das Licht verbrannte den Nachtfalter, da ward er zur Asche und vergaß des Fliegens. Amen!“

Frau Hadwig sprang unwillig auf.

„Ist das Eure ganze Geschichte?“ fragte sie.

„Meine ganze Geschichte!“ sprach er mit unveränderter Stimme.

„Es ist Zeit, daß wir hinaufgehen“, sagte Frau Hadwig stolz. „Die Nachtluft schafft Fieber.“

Sie schritt mit verächtlichem Blick an Ekkehard vorüber. Burkard trug ihr die Schleppe. Ekkehard stand unbeweglich. Der Kämmerer Spazzo klopfte ihm auf die Schulter: „Der Nachtfalter war ein dummer Teufel, Herr Kaplan!“ sprach er mitleidig. Ein Windstoß kam und blies die Lichter aus. „Es war ein Mönch!“ sprach Ekkehard gleichgültig, „schlafet wohl!“ –

Fußnoten

A1 D.i. Hyazinthen (Zirkon).

A2 Mittelhochdeutsch zyklat, sigelat (aus grisch.-lat. cyclas, „das Rundkleid“) bedeutet einen golddurchwirkten Seidenstoff.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Ekkehard