Bassano an der Brenta im Allergo del Mondo (Deutsch: Zur Weltkugel), 11. Mai

Der Weg durch das Val Sugana und dann über Promolano und Bassano ist nicht bloß der kürzeste, sondern wohl auch der schönste von Trient nach Venedig, doch muß man freilich auf die drei Perlen der Lombardei verzichten: Verona, Vicenza, Padua. Wir beschlossen diesen Verzicht, weil uns das Suganatal und dann Bassano, die wenig besuchte Brentastadt, lockte, in der die Malerfamilie der da Pontes geblüht hat. Denn je weiter hinein man ins Welsche kommt, um so lebhafter wird uns Deutschen ja die Sehnsucht nach Kunst. Wir fuhren beim schönsten Wetter ab und erfreuten uns bis hinter Levico dieser Wettergunst inmitten einer Landschaft von großartiger, zuweilen wilder Schönheit. Dann fing es zu regnen an, und als wir vor Primolano die italienische Grenze überschritten hatten, gab es einen recht kalten Platzregen, in dem sich die hier beginnenden Olivenhaine etwas deplaziert ausnahmen. Die Landschaft wirkte grau in grau, und die häßlichen, verwahrlosten Häuser, gleichfalls aus grauem, unbeworfenem Stein, taten das ihrige dazu, diesen Eindruck von Düsterheit zu erhöhen. In der Sonne mag auch dies wohl fröhlicher aussehen, doch wird immer etwas Starres und Ödes übrig bleiben, vornehmlich deswegen, weil alle die Äcker, Wiesen und Weinleiten, die das ziemlich steile jenseitige Ufer der Brenta einnehmen, von großen, grauen Steinwällen umgeben sind. Kurz vor Bassano aber ändert sich der Anblick der Landschaft vollständig; er zeigt sich ein grünes, welliges, weites Gelände von durchaus heiterem Charakter, dem nur die altersgrauen Umwallungstürme Bassanos eine strengere Note verleihen. Im alten Gasthofe zur Weltkugel fanden wir uns wohl geborgen, und wir unternahmen bald einen Rundgang durch die merkwürdige Stadt, um die in alter und neuer Zeit viel gekämpft worden ist. Das Schönste an ihr ist der Blick von der Brentabrücke, die leider nicht mehr die alte schöne Form hat, die im Jahre 1813 von den Franzosen zerstört worden ist. Das Museo civico ist in der Tat sehenswert. Uns fiel besonders ein mit David da Trevigi gezeichnetes Marienbild auf, das die ganze Lieblichkeit der Primitiven hat, und ein Heiliger Martin von Jacob da Ponte, ein Werk von ganz monumentaler Kraft in Form und Farbe. Auch die Pietà desselben Meisters ist ein schönes Stück. Die da Pontes sind überhaupt alle ausgezeichnet vertreten. Ob das dem Giorgione zugeschriebene Bild der Kreuztragung wirklich den „Zorzi da Castel franco“ zum Urheber hat, mögen Berufenere entscheiden; sicher ist, daß der wunderbare Kopf einer Blondine rechts darauf von einem Meister ersten Ranges erschaffen worden ist. Ein zweifellos echter und sehr kennzeichnender Salvator Rosa ist die Grabschaufelung der Trappisten. Das Bild (steinalte Trappistenmönche, die sich um Mitternacht ihre Gräber schaufeln) wirkt wie eine Callot-Hoffmannsche Phantasie. Ein schöner, etwas süßlicher Johannes der Täufer im Knabenalter ist dem Guido Reni zugeschrieben. Würde das Bild in einer großen Galerie und von einem Kunstgeheimrat als echt „nachgewiesen“ sein, so würde es der Vervielfältigung auf Ansichtskarten nicht entgehen. Für junge Kunstgelehrte, die erst noch Geheimräte werden wollen, ist hier noch allerlei zu suchen und wohl auch zu finden, denn es giebt nicht bloß Bilder, sondern auch Archive. Bei dieser Gelegenheit eine Bemerkung zum Thema der Kunstgelehrsamkeit: Welchen Zweck haben in unseren Reisehandbüchern die kritischen Zensuren und kunsthistorischen Fachsimpeleien, mit denen die „hervorragenderen“ Kunstwerke bedacht werden? Würde nicht (für die freilich vielen, die nicht sehen können) der einfache Hinweis auf die Stücke genügen, die „man gesehen haben muß“? Muß uns der Schulmeisterbakel wirklich überall hin begleiten? Wer „studieren“ will, dem sagen diese kritischen Verdikte en passant gar nichts; der wird sich an die wirklichen Handbücher halten; wer aber genießen will, den stört diese am unrechten Ort produzierte vordringliche Gelehrttuerei; und bei den meisten hat sie leider sich selber zur Folge: das höchst leere Gerede von tiefgründigem Anschein, anstatt stiller und bescheidener Hingabe an die Werke.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Eine empfindsame Reise im Automobil