An Herrn Dr. Franz Blei in München. Trient, den 10. Mai

LIEBER BLEI! Auf der Reise ist es leider nicht möglich, so schöne gesetzte Briefe zu schreiben, wie ich sie von Dir gewöhnt bin, und so schäme ich mich fast, in dem Zustande, der nach Dir und Emerson das Unanständigste auf der Welt ist, an dich zu schreiben –: in Eile. Auch werde ich Dir kaum viel Neues erzählen können. Nimm also diese Zeilen nur als Lebenszeichen und Dokument des Vergnügens, das wir, Gemma und ich, auf dieser Reise im Adlerwagen genießen, dessen angenehmen Gang Du selber in München ja kennen gelernt hast. Was wir uns damals so schön auseinander gesetzt haben, daß das Reisen im Automobil das Reisen en grand seigneur sei, hat sich uns bis jetzt durchaus bestätigt. Es ist wirklich das Reisen als Genuß der Freiheit, das Reisen als Befreiung.

Wir sind, meiner alten Vorliebe für Eppan nachgebend, hierher nicht direkt von Bozen, sondern über Englar gefahren und haben davon nicht allein den Genuß gehabt, die Herrlichkeiten Eppans zu genießen, sondern auch eine zwar nicht automobilmäßige, aber entzückend schöne Straße kennen zu lernen: die über Kaltern nach Auer.


Der Weg war zum Teil freilich pneumatikmörderisch, und wir haben, als vorsichtige Laufwagenreisende, hier einen arg zerfetzten Hinterradmantel ersetzt, weil zu befürchten stand, daß er morgen das Zeitliche segnen würde, aber dafür führte er uns mitten durch die schönsten Strecken dieser in jeder Hinsicht gesegneten Landschaft. Ich weiß nicht, ob es wahr, oder bloß eine boshafte Erfindung ist, daß die Ackerbürger Kalterns, die in dem Rufe stehen, des frommen Tirols allerfrömmste Katholiken zu sein, Christus zum Ehrenbürger ihres Ortes ernannt haben, – eine Blasphemie würde aber nicht darin liegen, denn die Schönheit dieses Erdenwinkels ist ein würdiger Rahmen auch für die Gegenwart des Höchsten. – Eine Fähre setzte unseren Wagen als erstes Automobil bei Auer über die Etsch, dann ging es die alte schöne Etschstraße entlang aus dem deutschen Südtirol ins welsche, vorbei an der völlig unwahrscheinlich gelegenen uralten Nibelungenfeste Hadernburg und immer zwischen Weingelände durch bis Trient, der ersten Stadt von rein italienischem Charakter. Leider fanden wir das alte Hotel Europa ganz vermodernisiert, wie es denn überhaupt eine Unart der Italiener zu sein scheint, das schöne Alte ohne Empfindung auszutilgen, wofür sie mit mehr Zuversicht als Geschmack etwas unzulänglich Neues aufrichten. Ein Glück, daß der Dom, dieses schöne, alte, deutsche Werk, nicht so leicht zu modernisieren ist wie ein Hotel. Die ehrwürdige lombardische Gottesburg steht noch in alter, grimmiger Schöne da, und wir wollen hoffen, daß sie auch noch stehen und bleiben wird, wenn sich die Sehnsucht der Welschtiroler erfüllt, und das Trentino als selbständiges Kronland ersteht.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Eine empfindsame Reise im Automobil