Somnambulismus in Paris.

Das Hellsehen ist von altersher in Paris zu Hause. Dem König in der Wiege wurde das Horoskop gestellt. Die Astronomen lasen aus den Sternen sowie aus den Dämpfen ihrer Retorten die Zukunft, das Ende der Dinge. Katharina von Medicis, die sonst Alles wagte, erkühnte sich nicht, gegen die zwei Rugieri, ihre Astronomen, etwas zu unternehmen und überschüttete sie mit Gold. Als einer der Rugieri Katharina einst erzürnte, drohte sie ihm mit dem Kerker. »Madame,« erwiderte der Astronom, »dieser Kerker müßte gut eingerichtet sein, denn Sie selbst würden sich bald an keinem anderen Orte sicher fühlen.«

Noch brodelte und dampfte die Hexenküche der Revolution, als auch schon die Lenormand, bestimmt durch den Ehrgeiz und die Goldstücke der feurigen, schönen Witwe Beauharnais, dem ersten Napoleon eine glänzende Zukunft prophezeite und es nicht unterließ, sich ihrer Gönnerin dankbar zu zeigen, indem sie Napoleon zurief: »So lange Josephine die deine ist, wird das Glück dir treu bleiben.«


Die Gemalin Napoleon's, welche als Creolin doppelt abergläubisch war und der schon in ihrer Heimat, als sie noch Kinderschuhe trug, eine alte Zigeunerin viel Leid und großes Glück, ja sogar eine Krone prophezeit haben soll, versäumte bei keiner Gelegenheit, Wahrsagerinnen zu befragen. Die Lenormand verstand es, der Kaiserin zu imponiren und dennoch ihren Interessen zu dienen. Sie hielt Napoleon lange Zeit durch das Wort: »Mit Iosephinen wendet sich dein Glück« von der geplanten Scheidung zurück.

Die zweite Kaiserin der Franzosen, Eugenie, erinnerte sich gleichfalls daran, daß eine Mulattin, später eine Maurin, ihr ein großes Schicksal geweissagt. Sie interessirte sich lebhaft für Somnambulismus, welcher einige Zeit in der eleganten Welt durch Karten und Kaffeesatz verdrängt worden war. Nicht selten fuhr sie unerkannt zu einer der Pariser Wahrsagerinnen, um sich Raths zu erholen. Als ein junges Mädchen ans dem hohen Adel in hysterische Krämpfe verfiel und während derselben abgerissene Worte über vergangene und künftige Ereignisse ausstieß, verfolgte die Kaiserin aufmerksam den Zustand und lauschte wiederholt den wirren Reden der Kranken, die sie auf einem Täfelchen verzeichnete.

Das Paris der dritten Republik interessirt sich nicht minder für Hellseherinnen. Da die vielen amerikanischen und englischen Elemente auch den Spiritismus cultiviren, so ergibt sich ein um so bunteres Durcheinander. Im englischen Viertel fliegen die Tische, schreiben die Geister, stöhnen die Violinen, tollt der ganze Spectakel der vierten Dimension.

Unter den eleganten Lebemännern finden sich immer Einige, welche sich den Magen an irdischen Genüssen verdorben haben und zu übersinnlichen übergehen. Speculative französische Köpfe haben aus dem Somnambulismus einen Handelsartikel gemacht, und mit ihrem großen Geschäftsgeist verstehen die Französinnen es prächtig, daraus Capital zu schlagen. Fern vom Centrum des Pariser Lebens umschließen die Mauern eines großen Hauses eine furchtbar traurige Gesellschaft. Die »Salpétrière« ist die letzte Heimat siecher, unheilbarer Frauen, das Asyl von Geisteskranken, Blöden und Epileptischen. Dort, wo die Zerstörung des Nerven-Apparats in wilden Dissonanzen ausklingt, waltet Professor Charcot seines ernsten Amtes. Vor einem großen Publicum von Fachleuten und gebildeten Laien erläutert der Gelehrte allwöchentlich die Erscheinungen des überreizten, kranken Nervensystems und der Hysterie. Hier werden Magnetismus, Hypnotismus und Somnambulismus ihrer Wunder entkleidet; hier werden sie in traurigen Exempeln gezeigt, wissenschaftlich beleuchtet und auf ihre natürliche Basis zurückgeführt. »Ich blasphemire nicht,« sagte Charcot einmal, »wenn ich behaupte, daß der Hysterie nichts unmöglich sei. So wie der Blinde durch sein entwickeltes Tastgefühl anders fühlt als der Sehende, so functionirt der kranke Nerven-Apparat anders als der gesunde.« An der Salpétrière sieht man Mädchen, welche auf weite Entfernungen hin Personen an dem Geruche, der von ihnen ausgeht, erkennen und alle Zustande, durch welche die Medien frappiren, aufweisen. Die Einen hören Engel singen, die Anderen bleiben mit geschlossenen Augen in den schwierigsten Stellungen, durch den Arm gestochene Nadeln werden nicht gefühlt, kataleptisch unbewegliche Leiber werden zu Pyramiden übereinander geschichtet, keiner dieser Körper empfindet die Last, die auf ihm ruht u.s.w. Charcot trachtet, während er ein überraschendes Experiment nach dem anderen zeigt, den Glauben, als ob ihm ein besonderes Fluidum innewohnte, zu zerstören und behauptet, daß jeder Arzt die gleichen Wirkungen erzielen müsse.

Tout Paris aber denkt anders. Tout Paris findet die Hysterie, sobald sie hinter Spiegelfenstern in prächtigem Himmelbett wohnt, gar fesselnd und interessant. Was im Hospital eine Scheu erregende Krankheitserscheinung ist, das wird inmitten der Pariser Lebewelt zum pikanten Schaustück. Ein Unternehmer entreißt eine Hysterische dem Spitalbette, wo man sie heilen wollte, und bemüht sich, ihre hysterischen Erscheinungen und Anlagen weiterzuentwickeln – aus Geschäftsgründen natürlich. Tout Paris glaubt an Wunder und donnert über die Zweifler. Hat nicht auch das Wasser von Lourdes Gegner gehabt und dennoch mehr Nutzen gestiftet als zehn Facultäten? Und erst die stigmatisirte Louise. Fort mit allen wissenschaftlichen Theorien! Grün ist der Baum des Aberglaubens und goldene Früchte fallen dem in den Schoß, der ihn zu schütteln versteht.

In den Pariser Zeitungen finden sich stehende Ankündigungen von Somnambulen und Kartenaufschlägerinnen. Die meisten unter ihnen erfreuen sich regen Zuspruchs und reichlicher Einnahmen. Die eleganten Viertel von Paris wie auch die Arbeiter-Quartiere haben jedes ihre berühmte Somnambule, deren Bezahlung sich nach den Mitteln der Clienten richtet. Man sucht die Hellseherin auf, um sich der Treue oder Untreue des geliebten Gegenstandes zu versichern, den Ausgang eines Liebesabenteuers zu erfahren oder ein probates Mittel gegen ein körperliches Leiden zu erhalten. In der Regel fordert die Sonmambule Haare, einen Brief oder sonst einen mit Fluidum durchtränkten Gegenstand. Vor einigen Jahren lebte eine Hellseherin, welcher man förmliche Wunderthaten nachrühmte, in einer überaus luxuriös eingerichteten Wohnung. Sie ließ sich in einem Salon consultiren, dessen schwarzsammtene Wände von den Himmelszeichen bedeckt waren; sie weissagte aus den bläulichen Dämpfen verbrannter Gewürze und trieb ihr Komödienspiel mit ungeheurem Erfolge. Eines schönen Tages war sie verschwunden – entführt von einem Verehrer magnetischen Fluids, behaupteten die Einen, wahrend die Anderen meinten, sie habe sich als Rentière ins Privatleben zurückgezogen und einen effectvollen Abgang gesucht. Gläubige Gemüther versicherten, es habe sie der Teufel geholt.

So oft ein Unternehmer wie Donato auftritt, wächst der Zulauf der Somnambulen. Die blonde Lucile, das den Wienern wohlbekannte Medium Donato's, füllte allabendlich in Paris die Salle Herz mit dem elegantesten Publicum. Jeder Sitz kostete zehn Francs. Die schöne, üppige Dame ist nun der Wissenschaft verloren, sie magnetisirt nur mehr ihren Gatten, einen ehrsamen Tuchhändler. Im Faubourg St. Germain versammelte eine Dame aus den ersten Kreisen an jedem Freitag gläubige Anhänger, denen sie, vom Geiste erleuchtet, in ekstatischem Zustande Weissagungen vortrug. Die schlanke junge Frau, in weite, faltige Gewänder gehüllt, machte mit den blauschwarzen, aufgelöst über die Schultern wallenden Haaren, dem wachsbleichen Gesichte, den großen blauen Augen einen fast überirdischen Eindruck. Oft redete sie von religiösen oder politischen Dingen, zuweilen ließ sie sich in Prophezeiungen über die Angelegenheiten anwesender Personen vernehmen. Die Heiligen sprachen mit ihr und sie selbst war nur der Dolmetsch himmlischer Stimmen. War der Freitag vorüber, so consultirte die Dame alle Aerzte, um sich von ihrem Leiden heilen zu lassen. Nahte der Freitag wieder heran, so gerieth sie neuerdings in fieberhaften Zustand, welcher endlich in Hallucinationen seinen Höhepunkt erreichte. Während der Weissagungen, die sie mit lauter Stimme in elegischen Tönen verkündete, sah und hörte sie nichts von der Außenwelt. Als sie eines Abends gerade im besten Vortrag war, hörte mau einen furchtbaren Knall, dem heftiges Weinen und Schreien von Kinderstimmen folgte. Die Gesellschaft stürzte aus den geöffneten Flügelthüren in das nächste Zimmer, aus welchem der Knall vernommen wurde. Allen voran eilte die Prophetin, welche mit einemmale alles Hellsehen verlassen zu haben schien. Sie war nur noch die geängstigte Mutter, die sofort die Stimme ihrer Kinder erkannte und Gefahr für diese fürchtete. Der kleine Knabe und das sechsjährige Mädchen hatten neugierig den Vorhang von einer Glasthür zu schieben versucht, um das Treiben der Gesellschaft zu beobachten. Sie waren sammt den Kinderstühlchen durch die Glastafeln durchgebrochen. Im Fallen zerschnitten sie sich Stirn und Hände. Wer beschreibt das Erstaunen der Gesellschaft, als sie ihre Somnambule sofort eifrigst damit beschäftigt sahen, die Wunden der Kinder zu verbinden und die armen Kleinen über ihren Unfall zu trösten. Am nächsten Freitag Abends zählte Paris eine Sehenswürdigkeit weniger ...

Madame B., in den eleganten Boulevard-Blättern als Somnambule annoncirt, galt als Specialistin in Herzenssachen und Kopfschmerzen. Auf Wunsch einer Freundin begleitete ich dieselbe zu der Wunderthäterin. Der Concierge wies uns in das dritte Stockwerk. Ein grauhaariges Männchen öffnete die Thür. Wir traten in einen kleinen, einfach ausgestatteten Salon, dessen Hintergrund eine podiumartige Erhöhung zeigte. Hier stand ein rothsammtener, offenbar für die Somnambule bestimmter Lehnsessel. Das Männchen stellte sich uns als Magnetiseur vor. Die Gestalt war sehr unbedeutend, dagegen trug das Gesicht, in welchem unter buschigen Augenbrauen scharf blickende, graue Augen leuchteten, einen energischen charakteristischen Ausdruck. Auffallend waren die wohlgepflegten, nervigen Hände, aus welchen das Fluidum strömen sollte, die aber auch mit nachlässiger Eleganz das vor der Consultation geforderte Goldstück anzunehmen verstanden. Der Magnetiseur verließ uns für wenige Augenblicke und kehrte dann in Begleitung der Somnambule zurück. Die Dame mochte dreißig Jahre zählen. Sie war klein und mager; ihr Gesicht, durch zwei große, dunkle, brennende Augen belebt, erschien gelb und mumienhaft. Langes, dunkles Haar wallte über ihre Schultern. »Das sind die elektrischen Schnüre, welche den Magnetismus empfangen und unter Umständen auch wieder ausströmen,« erklärte der Magnetiseur, indem er mit der Hand leicht über die Haarwellen fuhr. Die Dame setzte sich; einige Streichungen genügten, um sie in tiefen Schlaf zu versetzen. Meine Begleiterin reichte einen Ring und frug, ob die Person, welche ihr denselben gegeben habe, treu sei. Der kleine Mann hatte uns vorher erklärt, daß er jede nicht zur Sache gehörige Frage, jede Art Prüfung der Somnambule zurückweisen müsse. Wir sollten uns auf thatsächliche Fragen beschränken. Die Schläferin drehte den Ring hin und her und erklärte, es sei ein Nebel um die Person, welcher sie verhindere, deren Züge zu erkennen, schließlich versicherte sie, daß eine Frau um die Liebe derselben ringe, versprach jedoch meiner Begleiterin den Sieg über die Nebenbuhlerin, nur müsse sie stets sanft und geduldig sein. Begreiflicherweise imponirte uns diese Art des Hellsehens ebenso wenig wie die Behandlung der Kopfschmerzen. »Du leidest, weil dein Herz zu unruhig schlagt; lerne es beherrschen, mäßige dein Empfinden, grüble nicht, hasse nicht, bete täglich zu deinem Schutzheiligen, trinke Sodawasser und nimm von dieser Essenz.« Im nächsten Augenblicke hatte der Magnetiseur aus einem bereit stehenden, verschiedene Fläschchen und Büchschen enthaltenden Kasten ein kleines Flacon mit weißer Flüssigkeit genommen, welches er mit den Worten: »Nur zehn Francs, Madame!« meiner Gefährtin überreichte. Von der Dame über die Charakter-Eigenschaften des geliebten Mannes befragt, erging sich die Somnambule in Gemeinplätzen; mit einemmale griff sie an ihren Kopf, erklärte, nichts mehr zu sehen, und öffnete, gleichsam erschöpft, die Augen. Nach wenigen Minuten erhob sie sich von ihrem Lehnstuhle, machte uns eine artige Verbeugung und zog sich in das Nebenzimmer zurück. – Der Magnetiseur zeigte uns einen ganzen Stoß von Zeugnissen hoher Herrschaften, welche angeblich durch die wunderbaren Rathschläge der Hellseherin noch Heilung bei schweren körperlichen Leiden gefunden, nachdem alle Aerzte längst die Hoffnung aufgegeben hatten. Auf vielfache Erkundigung erfuhr ich, daß es bei andern Somnambulen ebenso uninteressant hergehe. Die Einen wüßten eben etwas mehr, die andern etwas weniger Geist aufzubringen.

Mit ebenso viel Unglauben als Interesse folgte ich einer Einladung, welche ein Arzt an die gesammte medicinische Presse von Paris gerichtet hatte, um seine somnambule Frau vorzustellen. Die Sitzung sollte in der Wohnung eines bekannten Pariser Arztes stattfinden. Ein großer Kreis interessanter Leute war versammelt: Grauköpfe, die manch wissenschaftliches Problem gelöst, auf deren Gesichtern skeptisches Lächeln wohnte, Männer mit Physiognomien wie in Granit gemeißelt, die von ernster Gedankenarbeit redeten, jugendlich kräftige Gestalten, deren Intelligenz sie als Anhänger des Fortschritts erkennen ließ. Etwa fünfzig Herren waren dem Rufe gefolgt. Ausnahmsweise wurde mir als der Fremden, als der Frau eines Collegen, gestattet, anwesend zu bleiben. Die Herren discutirten. Der junge Mann, welcher sich als Magnetiseur präsentirte und die Herren als Collegen ansprach, war eine schlanke, kaum mittelgroße Erscheinung, sein Gesicht verrieth Energie und Intelligenz, seine Brust schmückten zahlreiche Orden. »Ich beschäftigte mich,« begann er, »seit Jahren mit den Wundern des Somnambulismus; ich habe bei meiner Frau, welche schon im Alter von zwölf Jahren in somnambule Zustände verfiel, getrachtet, diesen Hang, diese Richtung weiterzuentwickeln. In wie hohem Grade mir dies gelungen ist, werden Sie, meine Herren, selbst beurtheilen. Meine Experimente entstammen rein wissenschaftlichem Interesse.« Der junge Mann stellte nun seine Frau vor. Die Dame, ihrer Aussprache nach Italienerin, mochte höchstens zweiundzwanzig Jahre zählen, sie war mittelgroß, überschlank. Das Gesicht erschien wachsbleich, die dunklen Augen, unter denen sich blaue Ränder hinzogen, blickten müde und verschleiert. Sie trug ein weißes Cachemirkleid, das sich eng, fast faltenlos an Ober- und Unterkörper schmiegte und die Formen des ersteren scharf hervortreten ließ. Die Arme waren völlig entblößt, das Haar fiel in Ringeln auf die Schultern. Ziemlich deutlich erklärte die Dame ihre Bereitwilligkeit, die Vorstellung zu beginnen. Nach wenigen magnetischen Streichungen von Seite ihres Gemals versank sie in tiefen Schlaf, die Augen blieben jedoch weit geöffnet. Einige der anwesenden Herren überzeugten sich, daß die Pupillen nicht reagirten. Der Magnetiseur stellte zwischen einem der Anwesenden und der Dame den magnetischen Rapport her, indem er die Hände der beiden Personen in einander legte. Er bat den Herrn, in Gedanken seine Wohnung zu betreten und sich von der Somnambule begleiten zu lassen. Diese werde die Wohnung genau schildern. Nun begannen peinliche Minuten, die arme Hellseherin war offenbar ihrer Aufgabe nicht gewachsen; durch vielfache Andeutungen hatte sie zwar eine Straße im Quartier Latin als Wohnstätte des Doctors angegeben, in der Beschreibung der Wohnung jedoch konnte sie sich nicht zurechtfinden; trotzdem ihr der Fragende sehr liebenswürdig entgegenkam und ihr eine Menge von Fingerzeigen bot, bezeichnete sie die Lage und Einrichtung der Wohnung ganz falsch; sie litt offenbar unter der Angst, welche sich ihrer bemächtigt hatte, und gab mit leiser, wispelnder Stimme verwirrte Antworten. Ihr Gatte bemerkte das Lächeln auf den Mienen aller Zuseher und unterbrach den magnetischen Rapport mit der Frage: »Glauben Sie an Magnetismus, mein Herr?« – »Nein,« versetzte der Angeredete, »aber es würde mich freuen, durch Ihre Frau Gemalin eines Bessern belehrt zu werden.« Der Magnetiseur rief aus: »Jetzt begreife ich Alles; durch Ihren Unglauben gehen die mächtigsten Ströme magnetischen Fluidums verloren, nur dem Gläubigen enthüllt sich die Welt der Wunder.« Eine deutsche Gesellschaft wäre in lautes Lachen ausgebrochen, die Franzosen blieben artig und ruhig. – Der magnetisirende Doctor bat eine andere Person, in magnetische Verbindung mit seiner Frau zu treten. Der Erfolg war nicht besser, und abermals behauptete der Gemal, daß die Kraft der Somnambule an dem ungewöhnlich starken Unglauben der Gesellschaft zerschellen müsse. Das war selbst den artigen Franzosen zu viel. Lebhaftes Gemurmel erhob sich. Da zog ein älterer Herr ein versiegeltes Päckchen aus der Tasche.

»Wir erlassen der Hellseherin alle Wunder; sie möge uns einfach sagen, was in diesem Päckchen ist!« – »Hier werden unglaubliche Zumuthungen gestellt; das Medium gehorcht nicht Ihrem Willen, das Medium hat sich nur nach mir zu richten und ich verbitte mir derlei Alfanzereien!« rief der erregte Magnetiseur. Heftige Aufregung bemächtigte sich der Versammlung. Scharfe Worte fielen, und nur mit Mühe gelang es dem Experimentator, die Aufmerksamkeit des Auditoriums neuerdings zu gewinnen. Der magnetische Rapport ward beiseite gelassen und es begannen nun die bekannten Kunststückchen. Die junge Frau ward steif und starr, verblieb in den schwierigsten Stellungen, ließ sich die Arme mit Nadeln durchstechen u. s. w. Einer der Zuschauer behauptete, die Production nur dann gelten zu lassen, wenn die Dame mit verbundenen Augen manipulire. Die nicht reactionirenden Pupillen seien kein Beweis für das Nichtsehen. Ein anderer der Anwesenden meinte, man habe gemg gesehen, um zu wissen, daß man bei Professor Charcot in der Salpétrière täglich weit interessantere Dinge beobachten könne. Eine andere Gruppe sprach über Katalepsie, und erläuternd berührte einer der Sprecher die Schlafende. Der Magnetiseur gerieth in furchtbare Aufregung. »Diese Zerrung muß meine Frau schmerzen, Sie haben kein bezahltes Medium vor sich, Ihre ganze Kritik ist höchst ungerecht, Sie haben sich nur zum Spott hier versammelt.« Ein erregtes Wort gab das andere. Der Hausherr empfand das überaus Peinliche der Situation. Er haschte nach einem anderen Ansprachsthema, und es gelang ihm, die Versammlung auf seine neuen elektrischm Apparate aufmerksam zu machen. Man gruppirte sich um dieselben in einem zweiten Salon und plauderte. Die Hellseherin war indessen erwacht, ihr Gatte sprach von störenden, mit einander ringenden Natureinflüssen, und bald verließ die Somnambule im dunklen Straßenanzuge den Schauplatz ihrer Niederlage. Die medicinische Presse hatte keine Ursache, eine neue Aera des Somnambulismus zu verzeichnen.

Die Franzosen, welche einst officiell die Göttin Vernunft auf den Thron setzten, haben auch von diesem Thron manches Stück abgeschlagen ... Man zeigte mir in einem eleganten Wagen im Bois de Voulogne eine ziemlich corpulente, etwa fünfzig Jahre alte Dame, welche zwei reizende junge Mädchen, ihre Töchter, begleitete. Die Dame besaß ein großes Hotel in den Champs Elysées, eine Villa in Passy und folgende Biographie: Als Tochter eines Concierge betrat sie, fünfzehnjährig, in einer Féerie eine Vorstadtbühne; in einer Versenkung verletzte sie sich den Fuß und war, da sie fortan hinkte, gezwungen, der Bühne zu entsagen. Ihre Schönheit veranlaßte den Unternehmer eines cercle de jeu, sie als Buffet-Dame zu engagiren. Nach zwei Jahren erzählte ihr ein die Gesellschaft besuchender Magnetiseur, daß seine Somnambule ihm gestorben sei; sie erbot sich als Ersatz, jedoch gegen »Halb Part«. Paris, London, Rom und Madrid beschäftigten sich jahrelang mit der wunderwirkenden Hellseherin. Nach gethaner Arbeit beschließt diese ihr Leben als Rentière, nur noch damit beschäftigt, für die beiden Töchter, mit deren Vätern die Mairie nicht viel zu schaffen hatte, gute Partien zu suchen. Sie wird sie finden.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Eine Wienerin in Paris