Eine Wienerin in Paris

Autor: Schreiber, Clara (1848-1905), Erscheinungsjahr: 1884
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Aus der Vorrede

Es ist eine alte Erfahrung, daß Vorreden entweder gar nicht oder nur von denjenigen Kritikern gelesen werden, welche sich die Lecture des ganzen Buches ersparen wollen. Der vorliegende Band schafft einmal eine Ausnahmssituation. Ihr Buch erscheint mit einer Vorrede, und diese darf sicher sein, wenigstens von einer Person gelesen zu werden: von Ihnen. Sie haben den guten Einfall gehabt, sich die Ouvertüre bei einem Andern – bei mir – zu bestellen, und nun bin ich Ihrer Person als Publicum sicher, denn Sie werden doch neugierig sein, zu erfahren, ob ich Ihnen nicht im Vorhinein etwas Uebles nachsage – was übrigens ganz originell wäre ... Ich nenne Ihren Einfall einen guten, so lange ich voraussetze, Sie hätten wirklich nicht mehr gewollt, als sich selbst das Niederschreiben einer Einleitung zu ersparen. War Ihre Absicht eine andere, sind Sie etwa von der Idee ausgegangen, daß Sie einer Einführung bedürfen und daß ich der Mann sei, dieselbe zu besorgen, dann freilich erlauben Sie mir, Ihnen mein aufrichtiges Beileid auszudrücken. Denken Sie sich, welchen Eindruck es auf eine Familie hervorbringt, wenn Jemand, den sie kaum kennt, ihr einen seiner Freunde vorstellt ... Sie wollen es trotzdem? Ich wasche meine Hände in Unschuld, ich gebe nach, weil ich Frauen gegenüber noch niemals Recht behalten habe und kaum hoffen darf, jetzt, so nahe dem Schwabenalter, eine bessere Erfahrung zu machen. Also ich bitte um Ihren Arm, gnädige Frau; erlauben Sie, daß ich Sie bekannt mache: Frau Clara Schreiber – der Leser – seine Gattin, die Frau Leserin ... Sind Sie nun zufrieden? Oder wünschen Sie, daß ich ein Wort über den Stoff hinzufüge, den Sie sich gewählt? Ein Wort über Paris? Das sieht sehr leicht aus, aber bedenken Sie, daß Lutetia wie ein längst verblichener Traum hinter mir liegt und daß ich diese Zeilen in Wien in der Währingerstraße Nr. 50 schreibe, und daß ich, die Feder in der Hand, trotz alles Bestrebens mehr an das schöne, tugendreiche Aussee denke als an mein schönes, sündhaftes Paris – an Ihr Aussee, die Perle des Salzkammergutes. Sie können leichten Herzens ein Buch über Paris schreiben, denn nachdem Sie es gründlichst kennen gelernt haben, widmen Sie sich nun den Freuden der Erinnerung in Ihrem wunderbaren »Alpenheim«, und Sie gedenken der Place de la Concorde, der Champs-Elysées und des Bois de Boulogne, indessen Ihre Blicke den Röthelstein streifen und den Sarstein und den Loser und die Trisselwand und die Kuppen des Dachsteins ... Denken Sie noch daran, wie wir auf dem Rückwege von dem düsteren, weltfernen Toplitzsee in dem freundlichen »Gössl« über Paris plauderten, und wie die bildhübsche Schwester der Wirthin, eine leibhaftige Alpenrose, uns einen köstlichen Kaffee einschänkte, wie Tortoni ihn niemals gebraut hat? Ich muß gestehen, daß ich damals den Eindruck empfing, wir seien zwei raffinirte Lebenskünstler, ein Eindruck, der sich mir aber für mein Theil keineswegs jetzt erneuern will, da ich an dem heimischen Schreibtische sitze und die weißen, von der Sonne bestrahlten Blätter vor mir liegen habe.

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