Der Mode-Bazar und das Publicum.

Eine statistische Uebersicht der französischen Handelsverhältnisse hat jüngst ergeben, daß die Ausfuhr Frankreichs in den letzten Jahren um viele Millionen abgenommen hat, während die Einfuhr in stetiger Zunahme begriffen ist.

Vielleicht läßt sich ein Zusammenhang zwischen dieser und einer anderen Thatsache finden, die wohl geeignet ist, die Beobachter volkswirthschaftlicher Verhältnisse zu interessiren.


Die riesige Stadt, welche als das Herz eines großen Organismus die weitesten Kreise mit dem Ausdruck ihrer Lebensthatigkeit erfüllte, war früher der Boden, auf dem jedes Geschäft, das fleißig betrieben wurde, Wurzel faßte und gedieh, denn mit dem ungeheuren Angebot stand die Nachfrage in richtigem Verhältniß.

Die Concurrenz spornte den Geist zu mannigfaltigen Erfindungen an, die Leute waren ununterbrochen thätig; sie begannen mit einem kleinen Geschäftchen, dehnten dasselbe in der Folge weiter aus, arbeiteten viel, brauchten sehr wenig und zogen sich meistens noch im kräftigen Mannesalter als Rentier zurück.

Dem Pariser Geschäftsmann schwebte von dem Tage, an dem er seinen Laden eröffnete, ein bestimmtes Ideal vor: ein eigenes kleines Haus in der Umgebung der Stadt mit einem Gemüsegärtchen daran, einige Obstbäume in demselben und schöne Rosenstämmchen auf der kleinen Terrasse.

Passy, Auteuil, Asnieres, Enghien, Vincennes und wie die kleinen Orte in der nächsten Nähe der Weltstadt alle heißen mögen, waren das Ziel jener Träume, denen die praktischen Geschäftsleute Jahr um Jahr nachhingen, bis das ersparte Geld ihnen erlaubte, den Traum in Wahrheit zu verwandeln.

Der Kaufmannsstand sowie der Industrielle beherrschten aber auch das Terrain. Sie gaben im Mittelstande den Ton an und ihr Einfluß auf die Gesellschaft, ihre Stellung, ihre Beziehungen hingen ausschließlich von der Höhe ihres Vermögens ab.

Während man in London und England über den "Shop-keeper" lächelte, während die eigentliche Gesellschaft sich streng von der Handelswelt dieser Art abschloß, gelangte sie in Paris zu hochbedeutender Macht.

Das Mark der Handelswelt war durch und durch gesund. Die Arbeit bildete das Princip, welches die Familie zusammenhielt und ihre segnende Wirkung weithin fühlbar machte. Mann und Frau waren miteinander von Beginn der Ehe zu gleichen Zwecken thätig. Man genoß mit zufriedenem Gefühl die Ruhe, welche nicht allzu lange auf sich warten ließ, da man mit einer bescheidenen Rente vorlieb nahm.

Der feine Geschmack war ein Gemeingut des Handelsstandes, in welchem jeder Einzelne sich bemühte, die Mode durch Erfindungen seiner eigenen Phantasie zu bereichern. Jeder Kaufmann konnte auf einen gewissen Kreis von Kunden zählen, die er seinen Stamm nannte. Zwischen dem Verkäufer und Käufer herrschte Vertrauen, die Basis eines reellen Geschäftsverkehrs.

Die Zeit, in welcher sich das Leben des Kaufmannsstandes in solcher Weise abspielte, muthet die gegenwärtige Generation wie ein Märchen aus verklungenen Tagen an. Die Physiognomie der jetzigen Pariser Handelswelt ist eine wesentlich andere geworden. Das Individuum ist untergegangen. Die Masse sitzt auf dem Thron. Kanonenstöße der Reclame bedrohen die Ohren des Publicums mit Taubheit.

Die Zahl der Pariser Kaufleute, welche ohne Deficit arbeiten, welche ohne schwere Sorge dem Morgen ins Antlitz sehen, ist kleiner geworden, die glänzenden Schaufenster maskiren nur zu oft glänzendes Elend.

Der Handel ist centralisirt, das Geschäft monopolisirt. Die Industrie arbeitet für wenige Massenabnehmer. Kein Wunder, wenn die Erfindungsgabe stagnirt.

Die Stabilität der Mode, die sich seit wenigen Jahren bemerkbar macht, fußt nicht in vernünftigen Anschauungen, sondern in der Parole, welche die Massenconsumenten ausgegeben haben und welche dahin lautet, dem Alten nicht durch neue Erfindungen Concurrenz zu machen, die schließlich den eigenen Waarenvorrath aufs empfindlichste schädigen könnten. Die Macht liegt in der Hand der großen Bazars, dieser gigantischen Unternehmungen der Neuzeit. Alles ist darauf berechnet, das Kleingewerbe zu tödten, Alles zielt darauf, die Herrschaft über den Käufer zu erringen, durch alle denkbaren Mittel das Publicum anzuziehen und auf dem Weltmarkt den Sieg davonzutragen. In den riesigen Räumen des Geschäftes, in dem zuweilen ein Personal von etwa viertausend Personen den Verkehr mit dem Publicum vermittelt, wird der Käufer seiner Individualität entkleidet, er wird zur Nummer, die kaufende Menge wird nivellirt. Da ist Keiner, der durch langjährige Verbindung mit dem Hause Anspruch auf Vertrauen oder Auszeichnung machen dürfte, den Launen Aller gilt es zu schmeicheln.

Die Zusammensetzung der großen Bazare gleicht einer ungeheuren Maschinerie. Rad um Rad greift ineinander, und diese Riesenmaschine stellt sich eine einzige Aufgabe: auf die Schwächen der Frauenwelt zu speculiren. Sie steigert deren Gelüste nach Luxus, sie zeigt ihr in zierlichster Anordnung eine Unzahl von Gegenständen, deren Besitz ihr gar bald nothwendig erscheint. Kühlen Blutes ist die Dame in den großen Bazar getreten, um beispielsweise ein wärmendes Jäckchen für ihren kleinen Knaben zu kaufen. Nach beendeter Wahl hat sie sich erinnert, daß es ihr noch an ein paar Handschuhen fehlt. Wie sie so dahinschritt vom Departement der Kindergarderobe bis zu dem der Handschuhe, hat der Sirenensang des Luxus sie unablässig umtönt. Durch weite Räume, in denen Sammt und Seide aufgespeichert und in berückendster Weise zur Schau gestellt sind, durch Hallen, in denen Hunderte von fertigen Kleidern, Hunderte von Mänteln, unzählbare Hüte die neuesten Gesetze der Mode verkünden, vorbei an den duftigen echten Spitzen, vorüber an den blinkenden, blendend weißen Schätzen von Leinen und Batist, vorwärts durch die Abtheilungen der Teppiche und Möbel bahnt sie sich einen Weg durch das reizende Durcheinander der Parfumerie-Artikel, der Lederwaaren, der Fächer, sieht sie über ihrem Haupte die große aus Sonnenschirmen gebildete Rotunde sich wölben, eilt durch die künstlichen Blumen, durch die in Prachtbänden prangenden Bücher, durch die unzähligen Spielwaaren, durch das Gewoge von Bändern; bis sie endlich zu der Abtheilung »Handschuhe« gelangt, sind alle guten Vorsätze vergessen. Am nächsten Morgen wird der elegante Wagen des Magazins vor der Wohnung der Käuferin halten: eine Fülle von unentbehrlichen Dingen, die ihr am Tage vorher ganz überflüssig erschienen sind, wird von dem gallonirten Diener überreicht. Die Rechnung zeigt nun allerdings eine erschreckende Summe, aber man ist befriedigt, denn der große Bazar versteht es, einer zweiten Leidenschaft der Frau, derjenigen des billigen Einkaufens, zu fröhnen. Wie hätte man an diesem Reste von Damast vorübergehen können, der so fabelhaft billig war, wie konnte man den Ausverkauf von Bändern und Spitzen ungenützt lassen?

Müde und erschöpft hat man in dem Lesesaal gerastet, der den Käufern zur Verfügung steht. Auf dem Tische liegen in Prachtbänden die neuesten Jahrgänge von allerlei Modeblättern und Kostümbilder.

Dort an jener grünen Tafel stiegen die Federn emsig über das Papier, welches der Bazar Jedem frei gewährt. Hier besorgt der Ehemann die Correspondenz, während seine Frau in den Schätzen wühlt; von hier flattert manch heimliches Liebeswort, manch verbotenes Briefchen hinaus. Die Dame ist nirgends so sorglos und unbeachtet wie hier.

In unmittelbarer Nähe des Lesesaales drängen und drücken dichte Menschenmassen sich in eine Halle, in welcher sechs Diener ununterbrochen beschäftigt sind, Jedermann unentgeltlich Limonade und Fruchtsyrup zu verabfolgen.

Mit den Kindern eilt man nach jener Abtheilung, in der die großen mit Gas gefüllten Ballons jede halbe Stunde von einem Beamten an die anwesende Kinderwelt vertheilt werden.

Die vielen Hunderte von Kindern, die seelenvergnügt mit dem Luftballon in der Hand in Paris umherspazieren, machen treffliche Reclame für das Geschäft, denn auf jeden Ballon ist der Name des Hauses gemalt.

Am nächsten Morgen, wenn die Waaren ins Haus gebracht werden, kehrt die Vernunft zurück. Was soll man mit allen diesen Vorräthen anfangen, wie die Rechnung bezahlen? Der Bazar hat für ein Auskunftsmittel gesorgt. Man ist bereit, Alles wieder zurückzunehmen, ja selbst bezahlte Gegenstände werden einfach wieder den Vorräthen einverleibt.

Die Casse erstattet ohne Bemerkung den Betrag. Durch dieses Entgegenkommen werden die Handelsverhältnisse erleichtert. Der Käufer kauft rascher, weil er morgen das Gekaufte wieder zurückerstatten kann, aber der Korruption wird gleichzeitig augelweit die Thür geöffnet. Es ist etwas Alltägliches, daß Damen Hüte oder Confectionsgegenstände auswählen, sie am nächsten Tage bei einer Festlichkeit verwenden und wenige Stunden später zurücksenden. Es geschieht nicht selten, daß sogar Teppiche und elegante Möbel nach Hause gebracht werden, um gelegentlich eines Empfangstages zu glänzen und nach demselben in den Bazar zurückzuwandern. Man hat nach dieser Richtung hin Unglaubliches erlebt.

Vor einiger Zeit hat der Schriftsteller Pierre Giffard ein bemerkenswerthes Buch über die großen Bazare veröffentlicht. Dieses Buch hat gewiß auch auf Zola gewirkt, dessen neuester Roman »Le Bonheur de Dames« das Leben und Treiben in diesen modernen Colosseen schildert. Giffard hebt eine Thatsache hervor, die ein furchtbares Licht auf die Gesellschaft wirft.

Mitten in die glänzenden Räume, wo alle Schätze des Luxus aufgespeichert liegen, schleicht sich der Feind in der Gestalt des Diebstahles. Schrecklich genug sind es Frauen der guten Gesellschaft, welche jedes Gefühl mit Füßen treten und den elenden gemeinen Diebstahl zu ihrem furchtbaren Genossen machen.

Eine Anzahl von Inspektoren ist bestimmt, auf alles Verdächtige zu achten. Unbegreiflicherweise sind die Diebinnen meist Frauen von hohen Beamten, von Würdenträgern des Staates, von Aerzten, Rentiers, Advocaten u. s. w. Die Heilkunde kennt allerdings einen Zustand, den sie Kleptomanie nennt, er kommt aber nur in verschwindend seltenen Fällen in Betracht.

Giffard gibt an, daß in zwei Jahren in den Pariser Bazars zwölfhundert Diebinnen zur Verantwortung gezogen wurden. Der Inspector achtet genau auf die Schuldige; er geleitet sie in ein Gemach und ruft zwei Personen des weiblichen Personals, welche eine Durchsuchung vornehmen und aus den Aermeln, dem Muff oder eigens construirten Taschen gestohlene Objecte zu Tage fördern. Man hat Damen angehalten, die für zehn- bis fünfzehntausend Francs Spitzen entwendeten und hochadelige Namen trugen. In vielen Fällen verschmäht es der Bazar, die eleganten Diebinnen der Polizei zu überantworten. Man will keine bösen Zungen, man haßt das Aufsehen; man läßt sich von der Schuldbeladenen ein Attest geben, welches die Schuld bestätigt, und das man ihr gegen den Erlag einer bedeutenden Summe für die Armen zurückstellt.

Die riesigen Stapelplätze des Luxus erzeugen als weitere Thatsache die Unmöglichkeit, den Preis einer Waare mit Verständniß zu bestimmen.

Unablässig bemüht, das große Publikum anzulocken, werden zu diesem Zwecke die verschiedenartigsten Hebel in Bewegung gesetzt. Es gibt stets einige Artikel, die so billig feilgeboten werden, daß ihr Verkauf mit bedeutenden Verlusten verbunden ist. Die Menge stürzt sich auf dieselben und erwirbt nebenbei eine Unzahl von Dingen, an welchen der Bazar sich für den Verlust schadlos hält. Um immer frische und neue Waare zu haben, jagt ein Ausverkauf den anderen. Niemand weiß schließlich mehr, was eine Sache werth ist, man weiß nur, zu welchen Preisen man sie erworben hat.

Eine fernere entsittlichende Wirkung der Bazare liegt in dem Umstande, daß durch sie die Eheschließungen im Handelsstande seltener werden, daß Mann und Frau sich nicht mehr zusammenfinden, um einer gedeihlichen Zukunft entgegenzugehen.

Der verheiratete Beamte des Bazars, dessen Einkünfte nicht hoch genug sind, die Familie selbstständig zu erhalten, der darauf angewiesen ist, die Frau miterwerben zu lassen, öffnet dem Elend, der Armuth Thür und Thor.

Man fordert von verheirateten Leuten mehr und bietet ihnen weniger, weil man recht gut weiß, daß sie schwer Stellung finden.

Der Beamte des Bazars scheut daher selbstverständlich vor der Ehe zurück. Daß diese Umstände der Sittlichkeit und der Moral geradezu entgegenarbeiten, bedarf keiner Erwähnung.

Man sollte glauben, der Industrielle erziele durch die Abnahme seiner Waare von seiten des Bazars große Vortheile. Allerdings ist es bequemer, für ein einziges großes Haus zu arbeiten, als eine Menge von Consumenten zu befriedigen. Es fehlt jedoch selbst diesem Bilde nicht an Schatten. Der Bazar weiß, daß der Industrielle auf ihn angewiesen ist, er bestimmt den Preis, er zwingt den Industriellen, seine Gebote anzunehmen, und kann ihn im Augenblick, wo er ihm den Rücken kehrt, zu Grunde richten, denn wo soll der Mann, welcher die Kundschaft eines Bazars verliert, rasch ein Aequivalent auftreiben?

Der Bazar muß Alles daran setzen, billiger als jeder Andere zu verkaufen. Er muß daher dem Erzeuger die niedrigsten Preise dictiren, und dieser erzeugt Marktwaaren, die auf den Schein berechnet sind, dem Auge wohlgefallen, in der kürzesten Zeit jedoch sich in Schund verwandeln. Die Solidität, die treffliche Ausführung der Pariser Fabrikate hat bedeutend gelitten.

Der nicht Eingeweihte macht sich schwer einen Begriff von der Größe des Consums. Der Umsatz in einem der größten Bazare betragt täglich ungefähr 1 600 000 Frcs. Dasselbe Haus versendet jährlich kleine Seidenmuster, zu denen für 300 000 Francs Seidenwaaren verschnitten werden.

Paris zählt fünf bis sechs Bazare, die, glänzend fundirt, mit riesigen Mitteln das Geschäft monopolisiren. Bedauerlicherweise haben einzelne Kaufleute, um dem Stoß zu begegnen, nach einem falschen Mittel gegriffen. Sie trachten ihr Geschäft in einen Bazar zu verwandeln. Zu diesem Zwecke wurden allerlei Waaren aufgestapelt, die Reclamentrompete wurde geblasen, dem Publicum noch nie Dagewesenes an Billigkeit versprochen und alle erdenklichen Leimruthen aufgestellt, um die leichtgläubige Menge zu fangen. Der weitaus größte Theil dieser Geschäfte ist nur darauf basirt, die Käufer auszunutzen und zu prellen.

Der Pariser Handel im Allgemeinen ist zertrümmert. Statt der ehemaligen Wohlhabenheit herrscht die Sorge. Eine kleine Anzahl von Elitegeschäften bleibt allerdings aufrecht; sie bieten das Beste und das Theuerste, aber sie können nur auf einen beschränkten Kundenkreis rechnen. Vor einiger Zeit haben die zwei größten Bazare von Paris in der socialen Frage Stellung genommen. Als der Strike der Tischler und Tapezierer ausbrach und die vereinigten Meister es als unmöglich erklärten, auf die Forderungen der Arbeiter einzugehen, als demzufolge die Werkstätten geschlossen wurden, erklärten die beiden größten Etablissements sich bereit, die Löhne zu erhöhen und allen entlassenen Arbeitern Beschäftigung zu geben.

Diese Handlungsweise war ein Schlag mehr, den die Bazare der Industrie versetzten. Die Unterstützung der Arbeiter zwang die Meister, nachzugeben oder ihre Kundschaft in die Arme der Bazare zu führen.

Das Capital, mit welchem die Bazare arbeiten, ist zum Theil durch Actien aufgebracht. In einem der Bazare sind selbst Geschäftsangehörige des Hauses mit drei Millionen Einlagen betheiligt. Ein anderer Bazar arbeitet mit dem Gelde geistlicher Congregationen.

Die Bazare sind durch den ungeheuren Einfluß, den sie auf die Arbeiterbewegung, somit auf die sociale Frage nehmen können, geradezu gefährlich, und durch die Massenanhäufung des Capitals widersprechen diese Organisationen den modernen nationalökonomischen Grundsätzen.

Die Mode hat die Bazare geschaffen, heute schaffen die Bazare die Mode. In der fortwährenden Bewegung aller Vorgänge wird aber auch der Augenblick nicht ausbleiben, welcher die Bazare aus dem Sattel hebt und dem Kaufmannsstande sein altes Gedeihen wiedergiebt.

Das ist indessen nur dann möglich, wenn der Kaufmannsstand das Aeußerste an Solidität aufbietet und das Publicum durch schöne, preiswürdige Waare anzieht, anstatt die Bazare nachzuahmen.

Aber auch hier heißt es in der schwierigsten Situation aushalten. Ein Ungefähr reicht hin, die Lage zu ändern.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Eine Wienerin in Paris