Alexander Dumas.

Alexander Dumas fils, als Mitglied der »Académie« Einer der Unsterblichen, hat 1858 ein Drama »Le fils naturel« in die Welt gesandt, zu welchem er den Stoff aus seinen persönlichen Erinnerungen genommen hatte. Er selbst ist ein fils naturel, ein Kind der Liebe. Dumas père gleitet in seinen Memoiren flüchtig über das Verhältniß hinweg, welchem dieser Sohn entstammte, aber er spricht von der Klugheit und dem Scharfsinn des Knaben, dessen erste Erziehung die Großmutter, die Mutter von Dumas père, leitete. Mutter und Sohn hingen mit schwärmerischer Liebe aneinander; die alte Frau konnte dem Sohne nicht gram sein, der ihr ein verjüngtes Ebenbild ins Haus brachte; sie kümmerte sich wenig um die Thatsache, daß dieses Porträt ohne die bunte Schärpe des Maire zu Stande gekommen war Dumas père war zur Zeit, in der sein Sohn mit dem ersten Hanswurst spielte, noch nicht in die Reihe der französischen Literaten von Namen getreten. Er war Beamter in den Bureaux des Herzogs von Orleans, des nachmaligen König Louis Philippe, mit einem Gehalt von 1800 Francs. 1800 Francs! Drei Menschen sollten damit auskommen! »Schwer genug!« ruft Dumas in den Memoiren. Man darf mit Recht behaupten, daß die Liebe zu dem Söhnchen Dumas' Anstrengungen verdoppelte, sein Talent stählte. Der glückliche Vater legte bald den ersten goldenen Apfel des Erfolges in die Wiege des Knaben.

Alexander Dumas fils blieb der Romantik, welcher sein Vater gehuldigt, möglichst ferne, aber er schuf eine Romantik besonderer Art, die von den Meisten für Realismus erklärt wird. Das Beispiel des Vaters blieb in vielen Stücken eine Warnung für den Sohn. Dumas père entwarf in einer begnadeten Stunde »Monte Christo« – das geniale Märchen, in welchem ein Mann, der mit unermeßlichen Schätzen die Gewalt des Geistes verbindet, gottähnlich die Menschen beherrscht. Zu Zeiten fühlte er ein Stück »Monte Christo« in seiner Brust, und dann rollte das Gold durch seine Hände, als könnte es kein Ende nehmen. Es ist aller Welt bekannt, daß Dumas Millionen erwarb und wieder ausgab, daß er ohne Vermögen mit den Worten starb: Ich kam mit zwei Napoleons in der Tasche nach Paris, ich verlasse es mit einem. Und die Leute sagen, ich hätte mein Glück gemacht.« Der Sohn geht praktischer zu Werke. Er kennt die Course eben so gut, wie das Versmaß, er liebt die Kunst und besitzt eine reichhaltige Galerie, aber er sammelt Bilder mit wahrem Speculationsgeiste. Er verwerthet jede Zeile und verzehnfacht jeden Louisd'or, kurz Alexander Dumas fils ist ein großer Dichter, doch auch ein guter Bankier. Er schreibt ohne es mehr nöthig zu haben. Er bewohnt sein eigenes, mit Reichthum und Pracht ausgestattetes Hotel und erzog seine Kinder wie ein gut situirter, ernster Familienvater, dessen Soll und Haben aufs Beste übereinstimmen.


Alexander Dumas bezeichnet in der französischen Literatur eine ganze, große Epoche. Die moderne Zeit trägt seine Unterschrift, das moderne Drama ist sein Geschöpf. Er ist der Meister, welcher zuerst einer Gesellschaftsclasse den Namen gegeben, sie sodann in ein glänzendes Gewand gehüllt hat. Und wie ein geschickter Chemiker aus dem Aase leuchtende Stoffe und Wohlgerüche erzeugt, so hat Alexander Dumas in Fäulniß und Verwesung poetische Vorwürfe gesucht und gefunden. Als er, zwanzig Jahre alt, die »Cameliendame« schrieb, begann er ein gefährliches Spiel, um so gefährlicher, weil der Spieler reich an Talent und Begabung war.

Er umkleidete die Dirne mit der Poesie, und aus dem Teufel wird ein gefallener Engel. Wenn Dumas die Verwüstung ansieht, die er angerichtet hat, so mag er an Goethe's Zauberlehrling denken. Viele Unberufene haben nach ihm die Verwandlungen vorgenommen, bis ihnen die Werke über den Kopf gewachsen sind und sie erdrückt haben. Der Meister mag satanisch lächeln, wenn er gewahr wird, wie die gerufenen Dämonen Liebe, Ehe, Sitte, Ehre, Moral, Familie in Stücke reißen und im wilden Vernichtungskriege das schneeweiße Ideal angreifen, diesem eine Maske umbinden, die Augen und die Lippen, die Wangen und die Haare färben und der Menge den Popanz hinhalten, welchen sie für die »Wahrheit« ausgeben.

Mit siebzehn Jahren, etwas früher, als Schiller's Muse den Feuerwein der »Räuber« im dramatischen Becher credenzte, schrieb Alexander Dumas ein Gedicht, »Die Jugendsünden«. In den folgenden Jahren sah der Jüngling Spanien und Afrika. Er schrieb ein Buch, »Die Abenteuer von vier Frauen und einem Papagei«. Diese Erstlingswerke erregten kein Aufsehen – man sieht, der Pegasus nahm keinen hohen Flug, 1848 erschien der Roman »Die Dame mit den Camelien«. Es ist aller Welt bekannt, daß Dumas ihn einer schönen Sünderin auf den Leib schrieb, die, dreiundzwanzig Jahre alt, an Tuberkulose starb. Diese unpoetischeste Krankheit, zu welcher stets ein Spucknapf gehört, hat von jeher die Poeten angezogen, welche nur die hektischen Rosen auf den Wangen sahen und die Erstickungsanfälle des Hustens nicht hörten. Es läßt sich nicht erzählen, was die Camelie als Symbol angeblich bedeutete.

In rascher Folge schrieb Dumas »Diane de Lys«, »Die Dame mit den Perlen«, »Das Leben zu zwanzig Jahren«, und ebenso rasch knetete er aus diesen Romanen Bühnenspiele zurecht, die sofort angenommen wurden und auf den verschiedensten Pariser Bühnen gefielen. Der junge Dichter brachte eine blühende gewandte Sprache mit, welche den höchsten Affecten gewachsen war und sich in den zierlichsten Wendungen zu bewegen verstand. Er besaß feurige, kräftige Phantasie, einen gewaltigen realistischen Zug und verstand es, diese anscheinenden Contraste prächtig zusammenzukoppeln. Dumas war endlich, als Sohn seines Vaters, sowohl in der Boheme, als im hohen Literatenthum zuhause und fand offene oder nur halb zugelehnte Thüren. Das Ministerium Faucher that für ihn das Beste, was es zu seinem Ruhm thun konnte es verbot seine Stücke, und dadurch wurden dieselben, als sie unter einem anderen Cabinet aufgeführt wurden, zu Sensations-Ereignissen. Endlich aber, 1864, begannen die Pariser doch gegen die Moral Dumas' aufzubegehren. Er hatte ihnen im »Damenfreund« allzuviel zugemuthet. Man fürchtete die Krankheit, als sie längst ausgebrochen war. Dumas und Seinesgleichen nehmen zwar für sich die Schutzpocken-Impfung in Anspruch; sie behaupten, der Menschheit im Spiegel die Warnung vorzuhalten. Ueber diesen naiven Glauben ist aber wohl Jeder hinaus. Die Courtisane aller Welt ist in der Cameliendame salonfähig geworden und die anständigen Frauen weinen über das Unglück der armen Marguerite, welche, so spät die wirkliche Liebe begreift, die mit dem Preise ihrer Sünden sich und ihrem Gellebten für einige Monate eine Idylle der Treue schafft, die verschlagen genug ist, einem alten Narren, der in der schwindsüchtigen Cocotte eine Aehnlichkeit mit seiner ebenfalls schwindsüchtig gestorbenen Tochter entdeckt, das Geld aus der Tasche zu ziehen, mit dem sie ihren Liebhaber, von dem sie aus Liebe nichts bezahlt nimmt, in einen Alphons verwandelt, den sie erhält.

Seit zwei Jahrzehnten hat Alexander Dumas nicht allein eine Menge von Dramen geschrieben, sondern auch vielen seine Mitarbeiterschaft geliehen. »Demi-Monde«, »Die Fremde«, sind Spiegelbilder der Zeit, die man nach fünfhundert Jahren vielleicht wie eine Chronik betrachten wird. »Die Schuld einer Frau«, welche neben Girardin's Namen auch denjenigen Dumas' trägt, ist ebenso effektvoll, wie grausam und unnatürlich – Dumas stellt sich an den Scheideweg und ruft dem Weibe zu: Sieh, zwei Wege liegen vor dir. Werde Courtisane, beherrsche die Welt und den Mann, lache, schmücke dich, wechsle zuweilen eine Phrase über die Niedertracht des Alls und gehe leichtbeschwingt in goldener Freiheit durch die Gärten des Lebens. Genieße, werde geliebt – oder verleugne deine Jugend, deine Schönheit, lege die Sklavenkette um den Nacken, entbehre heute den Luxus, morgen die Herrschaft, vor Allem aber die Liebe, welche dein Mann dort empfindet, wo ihn die Eleganz und der Parfum umschmeicheln, welche er der Courtisane vielleicht mit dem Gelde bezahlt, das du ihm als Morgengabe gebracht hast. Dein Los ist das Elend – denn du bist eine »anständige Frau«. – Vor mehreren Jahren erschien, nachdem die Stücke »Die Frau des Claudius« und »Prinzessin Georges« über die Bühne gegangen waren – eine Broschüre » Tue la«. Es handelt sich um das Recht der Selbsthilfe, um die Erlaubniß, die ungetreue Gattin über den Haufen zu schießen, dem ungetreuen Gatten dasselbe anzuthun. Mit feiner Dialektik verbindet Alexander Dumas die Gewalt der hinreißenden Sophistik. Man liest erschüttert in seinen Blättern und fragt sich, wenn man die schrecklichen Bilder aus dem Leben und aus dem Geiste der Gesellschaft verfolgt: wie soll das enden? wohin steuert die Menschheit? Dieselbe Frage drängte sich auf, als Dumas 1880 außer » Tue-La«, das Bändchen "Die Frauen, welche tödten, sowie jene, die wählen«, schrieb. Nirgends ruft der Dichter nach dem Gesetze der Pflicht, nirgends schildert er diese in ihrer ethischen Bedeutung, nirgends lehrt, er die Philosophie der Resignation, die Unterordnung des Willens, und damit gibt er den Balsam aus der Hand. Er kann nur Wunden schlagen, aber keine einzige heilen. Nach Dumas sind Mann und Weib Feinde, nach Dumas ist dem Weibe in der Liebe nur die Mutterschaft Zweck, und das ist ein großer Irrthum. Das glückliche Weib lebt und stirbt für den Mann seines Herzens. Wo es in dem Kinde sein Alles sieht, findet es in dem Manne nichts. Die Mutterschaft ist eine Episode, die bis zu dem Tage währt, an dem das junge Geschlecht einer neuen Generation das Leben gibt – eine Episode, die durch unsere Cultur ausgedehnt wurde – aber wenn die jungen Schwalben längst der Alten vergessen haben, weil sie schon auf eigene Faust Nahrung suchen, hausen die Alten noch traulich zusammen. Unter den zahlreichen Romanen Dumas' erregt die »Affaire Clemenceau« sensationelles Interesse.

1874 wurde Dumas in die Akademie aufgenommen. Victor Hugo erschien ausnahmsweise in jener Sitzung und bemerkte, indem er Dumas seine Stimme gab, er bringe dem Sohne, was er in Folge seiner Verbannung dem Vater nicht geben konnte. Wie die meisten französischen Schriftsteller, ist Dumas auch in der Tagespresse thätig. Er hat in den verschiedensten Blättern Feuilletons geschrieben und unter dem Titel »Zwischenact« herausgegeben. Dumas ist jetzt 56 Jahre alt. Er ist groß und kräftig gebaut, sein ganzes Aeußeres verräth den Franzosen des Mittags, gemahnt an die Creolen. Das Haar ist kohlschwarz, der kühne Schnurrbart verleiht dem Gesicht fast einen militärischen Charakter, die dunkeln Augen spiegeln blitzschnell jeden Eindruck wieder. Er ist ein geistvoller, munterer Causeur, reich an guten Einfällen und meist guter Laune, was seine zahlreichen Freunde zu schätzen wissen, dabei ein trefflicher Erzähler, der, einmal angeregt, von einem interessanten Thema zum anderen übergeht. Alexander Dumas ist, wie wir schon erwähnten, ein großer Kunstfreund. Seine Galerie vereinigt die besten modernen Meister. – »Das Landhaus des Poeten«, von welchem die Ruinen Pompeji's noch Zeugniß ablegen, ist nicht ohne moderne Nachahmung geblieben. Das Publicum hat Alexander Dumas mit Ruhm, aber auch mit Gold überschüttet.

Ueber seine Dramen stritten alle Parteien, aber alle gingen ins Theater und von allen zog Dumas Tantiemen ein. Ein neues Stück Dumas' ist gleichbedeutend mit einer Viertelmillion; man kann sich Zeit lassen mit dem Schreiben, wenn man so weit gekommen ist. Dumas ist ein ausgezeichneter Gatte und Vater; sein Hauswesen ist vortrefflich geordnet. Außer dem eleganten Heim in Paris besitzt der Dichter auch ein Landhaus in Puys bei Dieppe, dasselbe, in dem 1870 Dumas père verschieden ist.

Alexander Dumas ist der Politik stets ferne geblieben. Er war Präsident des Schriftstellervereins, bis er, einer kleinen Reibung wegen, von dem Ehrenamte zurücktrat. Das Band der Ehrenlegion schmückt selbstverständlich seine Brust. Für und wider Dumas läßt sich streiten, seine Bedeutung muß Jeder anerkennen, denn er ist eine Individualität und ein Original. Vielleicht empfindet selbst er als Meister zuweilen Grauen vor seinem Werke, vor dem Phosphor, der der socialen Verwesung entströmt. Der Genius soll diese nicht allein aufdecken, sondern auch Mittel und Wege zur Reinigung der Atmosphäre finden. Aber im wilden Tanze tollen die Gebilde der Phantasie mit denen der Wirklichkeit umher; »die ich rief, die Geister, werde ich nun nicht los« – sagt der Mensch. Da mit einem Ruck bringt die elementare Kraft der Natur Donner und Blitz und über den Menschen blaut nach wüsten, vernichtenden Orkanen wieder ein reiner Himmel.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Eine Wienerin in Paris