Louis Blanc.
Die französische Erde, welche Königsblut getrunken hat, auf der Kaiserthrone zusammenbrachen, ist sonderbar gemischt. Aus der Drachensaat der eingebildeten Weltherrschaft erwuchs ein Brod, an dem die Zähne stumpf geworden sind. Der Franzose hat den großen Fehler begangen, seine Ideale in der Politik statt in der Humanität zu suchen. Die Politik mit den Flammen des Meinungskampfes verbrannte die Gemüther. Was sind Brüderlichkeit, Freiheit und Gleichheit Anderes als leere Worte, so lange immer und überall die Elenden mit ihren Wahrzeichen hervortreten? – An Stelle werkthätiger, hilfreicher Humanität ist die Social-Demokratie auf den Schild einer Fraction gehoben worden.
So wie sie im Jahre 1848 erfaßt ward, glimmte in den Ideen derselben allerdings ein Funke idealer Begeisterung, aber der Funke wurde entweder zum vernichtenden Brande oder er erstickte in der eigenen Asche – er ward nicht zur wärmenden Flamme. Weder die Idee des Eigenthumes noch die des Staates im Sinne der Socialisten von damals läßt in ihrer Consequenz für die Humanität etwas hoffen.
Das moderne Frankreich producirt unglaublich viel feine Köpfe und wenig scharfe, schneidige Individualitäten. Es tanzt um das goldene Kalb und sucht die nationale Ehre in Träumen von Revanche. Indem es auf sein ungeheures stehendes Heer blickt, vergißt es, daß dieser lebendige eiserne Wall mit der civilisatorischen Aufgabe nichts, aber leider auch gar nichts zu schaffen hat, sondern in Frankreich wie anderswo einen Damm gegen den Fortschritt der Civilisation und Humanität bildet.
Frankreich hatte wenige Männer zu verlieren, die so selbstlos wie Louis Blanc einem Ziele zustrebten. Ihm war es heiliger Ernst mit der Idee der Volksbeglückung. Sein Wollen hielt freilich weder seinem Können, noch Dem, was er wirklich erreichte, die Waagschale.
Die erste Revolution brauste wie ein Sturmwind daher; sie erbaute mit Blitzesschnelligkeit den Tempel der jungen Freiheit; der Mörtel der neuen Menschenrechte, mit dem Blute der Mitbürger gekittet, konnte kein Bau für die Ewigkeit werden. Die unvorbereitete Volksseele hatte kein rechtes Verständniß für die so rasch errungenen Kronjuwelen der Freiheit, und erst lange nachdem der schlaue Usurpator Bonaparte sie entwendet und nach seinem Geschmacke umgefaßt hatte, merkte das gute Volk den Betrug. Die ersten Tempel der Freiheit und Vernunft waren Kartenhäuser gewesen, die nächsten werden Monumentalbauten sein; aber solche entstehen langsam, Steinchen um Steinchen wird zusammen getragen, die freien Geister aller Nationen sind die Baumeister. Louis Blanc besaß den Glauben an eine edle und reine Volksseele, den alle Täuschungen, welche er persönlich erfuhr, nicht erschütterten. Seine socialistischen Ideen entstammten wahrhaft ästhetischer Empfindung. Er widmete dem Schönen und Hohen reinen Cultus. Solche Menschen werden immer verhindern, daß die Gemeinheit sich breit mache. Sie wirken, weil sie leben und durch ihr einfaches Dasein viel Böses und Unedles ungethan bleibt. Die flüchtigste persönliche Berührung mit Louis Blanc genügte, um einen unvergänglichen Eindruck hervorzurufen. Mir wurde Gelegenheit darüber zu urtheilen.
Louis Blanc hatte von Freunden gehört, daß mir die heiße Grotte von Monsumano aus eigener Anschauung bekannt sei. Seit einem Jahre schwer leidend, interessirte sich der kranke Denker für den Aufenthalt in dem italienischen Teplitz.
Man forderte mich auf, Louis Blanc zu besuchen. Ich fand den greisen Staatsmann in einer aufs einfachste ausgestatteten Wohnung. Er lag oder saß vielmehr halb liegend von vielen Kissen unterstützt auf einem braunen Ledersopha seines Arbeitscabinets. Seine Mienen waren bereits sehr verfallen, aber man merkte, daß der kranke Demokrat sein Aeußeres noch immer nicht vernachlässigte, sondern sorgfältig bemüht war, dem Besucher keinen unbehaglichen Eindruck zu hinterlassen.
Da ich wußte, daß an die Reise nach Monsumano nicht mehr zu denken war, schilderte ich in matten Farben.
Blanc entsann sich, daß Mazzini, Kossuth und Garibaldi einst Monsumano aufgesucht hatten. »Sie nehmen sich zu viel Mühe für einen alten unbrauchbaren Mann,« bemerkte er. »Ach! hätt' ich Monsumano in Gesellschaft meines Bruders Charles besuchen können, vielleicht hätten wir beide neue Lebenskraft gefunden.«
Blanc sprach gewählt, klangvoll und verbindlich, trotz der Schmerzen, die ihm sein Leiden verursachte, frug er mich wie mir Paris behage, erkundigte er sich nach den politischen Verhältnissen Oesterreichs; da ich fühlte, daß ein längerer Besuch unstatthaft sei, verließ ich den berühmten Mann und nahm die traurige Ueberzeugung, daß sein Leben zu Ende gehe.
In der That blieb mir bald nur noch die pietätvolle Erinnerung an den Todten.
Hätte der bescheidene Mann einen Theil der Millionen besessen, welche Victor Hugo sein Eigen nennt, so würde er vielleicht die Verwirklichung mancher volkswirthschaftlich-politischen Idee versucht oder mindestens angestrebt haben. Victor Hugo, der » Lés Misérables« an die Stirne des Jahrhunderts schrieb, lebt als Millionär im Palaste; Louis Blanc lebte und starb in puritanischer Einfachheit. In seinem Aeußeren war er nichts weniger als ein Barricadenheld, er verleugnete niemals die nationale Neigung zur Elegance. Die Kleidung war sorgfältig gewählt, die Wäsche stets von tadelloser Reinheit, die kleinen zierlichen Hände waren selten unbehandschuht und die Füße steckten in tadellosem Schuhwerk. Mit dem sauber gekämmten Haar, dem freundlichen, intelligenten Gesicht, der zierlichen, ebenmäßigen Gestalt, glich Louis Blanc durchaus nicht dem Kämpfer der Tribüne, dem Redner, dessen Worte die Flammen der Empörung gegen das Bestehende entzünden. Aber so wenig der äußere Mensch der Vorstellung vom Volkshelden entsprach, eben so kraftvoll, schlicht und einfach war doch der Charakter des Politikers, der unentwegt, überzeugungstreu für seine Anschauungen Gut und Blut und Leben zu opfern bereit war, der die Aeußerung that: »Die Freude, sich zu opfern, ist das einzige Gefühl, welches mit der Handlung auf gleicher Höhe steht.«
George Sand erinnert Louis Blanc an diesen seinen Ausspruch, als sie seine Versöhnung mit Mazzini anstrebte. 1853 waren Louis Blanc und Mazzini gleichzeitig in London, wo sie als politische Flüchtlinge Schutz suchten.
Mazzini hatte einen Brief veröffentlicht, in welchem er die Schwächen der französischen Demokratie erbarmungslos aufdeckte und der Spaltung, der Uneinigkeit, der Zerfahrenheit derselben die Schuld an dem Untergang des republikanischen Principes in Europa beimaß. Louis Blanc entgegnete überaus heftig, nannte Mazzini einen ehrgeizigen Streber, worüber dieser sich nicht beruhigen konnte. George Sand trachtete sich ins Mittel zu legen und schrieb Mazzini, daß ihrer Ueberzeugung nach er und Louis Blaue im Innersten dasselbe dächten, und sie belegt das mit Citaten aus Blanc's Schriften.
»Louis Blanc«, ruft sie aus, »ist eine durchaus reine, ehrliche Natur, solche Männer sind in jeder Lage gleich selten und schätzenswerth.« Louis Blanc und sein Bruder Charles lebten 1831 als Jünglinge in Paris. Sie waren so arm, daß sie in einem Dachkämmerchen hausten und mit schmalen Bissen vorlieb nahmen. Charles Blanc, von der hohen Befähigung seines Bruders überzeugt, duldete nicht, daß dieser das Wasser selbst hinauf in ihre Mansarde trug oder den Speisenvorrath holte. Die rührenden Züge, welche Daudet in » Petite chose« von der Liebe zweier Brüder aufzählt, von denen der Eine die Begabung des Andern neidlos und entzückt über die eigene Individualität stellt, könnten dem Leben der beiden Blanc abgelauscht sein. »Man soll nicht sagen,« meinte Charles, »daß Du durch solch' kleinliches Elend gegangen bist.«
Welch' edler Stolz aber in den Jünglingen lebte, beweist der Umstand, daß sie, als ein Oheim ihnen statt der erbetenen Empfehlung einer Arbeit 500 Francs brachte, diese mit den Worten: »Was soll uns Geld? Wir wollen Arbeit!« zurückwiesen. Die große Zärtlichkeit der Brüder äußerte sich später fast auf mystische Weise. –
Eines Tages rief Charles Blanc in Rouen aus: »Mein Bruder ist in Gefahr, ich habe hier, bei meinem Herzen, einen Stich gefühlt – ich muß fogleich nach Paris –« Als er in Paris ankam, traf er den Volksmann im Wundfieber – Tags zuvor, um die von Charles bezeichnete Minute, war er das Opfer eines Attentates geworden. 1838 hatte Louis Blanc in Paris das Blatt: »Die Revue des politischen Fortschrittes« gegründet. Nach dem Artikel: »Die Ideen Napoleons«, wurde er auf dem Heimwege aus dem Theater am 15. August 1839 überfallen und derart mißhandelt, daß er fast todt auf dem Platze blieb.
Der junge Journalist hatte sich rasch in der liberalen Presse einen angesehenen Namen erworben. In der » Revue du Progres« veröffentlichte er seine berühmte Theorie » L'organisation du travai«(die Organisation der Arbeit), welche 1840 separat in Paris in Druck erschien. In diesem Jugendwerke legt Blanc sein Credo ab, das ihn als Idealisten kennzeichnet. Er entwickelt alle Pläne socialer Reform und schreibt das Elend der Massen dem Hervortreten des Individualismus und der daraus entstehenden Concurrenz zu. Er verlangt die Absorption des Individuums von der weiten Gemeinschaft, wo Jeder nach seinen Bedürfnissen empfangen und nach seinen Fähigkeiten geben solle. Eine Folge dieses Systems wäre die Gleichheit des Lohnes, trotz der ungleich producirten Arbeit.
Mit dem ersten Bande seiner » Histoire de dix ans« begründete er seinen schriftstellerischen Ruf. Dieses Werk, das glänzend durch Stylistik, mit lebendiger und feuriger Diction viel interessante Enthüllungen brachte, richtete sich gegen die Juli-Dynastie, Der Verfasser wollte dieselbe stürzen und versetzte ihr mit seiner 1847 erschienenen » Histoire de la revolution francaise« einen empfindlichen Schlag. Blanc bekannte sich offen zum Socialismus und galt als ein Zukunftsmann der Arbeiter, welche von ihm die Reorganisation der Gesellschaft erwarteten. 1848 stellte er sich an die Spitze der Bewegung. Seinem Einfluß ist die Abschaffung der Todesstrafe zuzuschreiben.
Unter den Männern vom Luxembourg war Blanc der wichtigste Stimmführer. Hier bereitete sich der Sturz der alten socialen Verhältnisse vor. Arbeitsgeber und Arbeiter tagten miteinander; hier kam die vielgefürchtete Arbeiterliga zu Stande, jener Bund, der in den weitesten Kreisen wie das Vorzeichen des Zusammenbrechens aller bestehenden Gesellschaftsformen angesehen ward. Wenn Blanc seine idealen Theorien in feuriger Rede auseinandersetzte, jubelten ihm Hunderttausende zu, aber der Idealist verlor Macht und Ansehen, als es galt, praktische Resultate zu erzielen. Louis Blanc mochte immerhin von Gleichheit des Eigenthums reden, er hätte niemals einen Angriff auf die Kasse des Nächsten angeführt. Er feierte noch einen Triumph am 17. März, wo ihm 200 000 Blousenmänner zujauchzten und ihm die Führerschaft anboten. Er fühlte sich ohnmächtig diese zu übernehmen. »Die ich rief, die Geister, werd' ich nun nicht los« mochte es in ihm erklingen. – Der alte Meister, die alte Ordnung, wäre ihm hochwillkommen gewesen. – Die Stimmung für Blanc schlug um, man behauptete, es sei ihm nicht Ernst mit seinem Streben, und unterschob ihm Volksverrath und reactionäre Gesinnung. Wohl ward er von Paris und Corsica in die Nationalversammlung gewählt, aber sein Referat über seine Thätigkeit erregte keine Sympathien – die Meute wendete sich gegen ihn. Schon am 15. Mai gelangte er nur durch die Hilfe zweier ehrlicher Gegner, Arago und Rochejaquelin, ungefährdet nach Hause.
Auf neuerliches Trängen gab die National-Versammlung am 25. August in der Nachtsitzung die Erlaubniß zu Blanc's Verhaftung. Dieser war bei der Abstimmung zugegen und als 504 Stimmen gegen ihn und nur 252 sich für ihn erklärten, trachtete er zu entkommen. Wieder war es Arrago, der ihn mit Geld versah, und seine Flucht nach Belgien ermöglichte. Von hier wandte sich Blanc nach London. Er setzte dort seine literarischen Arbeiten fort und blieb, trotz der Versuche, welche von Seite Frankreichs unternommen wurden, ihn zur Rückkehr zu bestimmen, bis nach dem Sturze Napoleons in England.
Erst nach dem Zusammenbruche des Kaiserreiches kehrte Blanc nach Frankreich zurück. Am 8. September 1870 langte er daselbst an, er hoffte noch auf eine Intervention der neutralen Mächte. Von verschiedenen Seiten, auch von der Regierung der Nationalvertheidigung, wollte man ihn bestimmen nach England zurückzukehren, um mit dem Cabinet Gladstone zu unterhandeln und die Sympathien des englischen Volkes zu Gunsten Frankreichs zu stimmen. Die Einschließung von Paris und die Weigerung eines Geleitsbriefes von Seite des preußischen General-Commandos verhinderten die Ausführung dieses Projectes. Blanc erklärte, keine, wie immer genannte Wahl anzunehmen, wurde aber dennoch bei den Communal-Wahlen einstimmig gewählt. Er gab sich verzeihlichen Täuschungen hin. Noch in den ersten Tagen des Januar beschwor er die Bevölkerung von Paris, den eisernen Reif der seindlichen Schaaren zu durchbrechen und in offener Schlacht das Schicksal entscheiden zu lassen.
Nach der Capitulation erkannte Louis Blanc der Nationalversammlung nur das Recht zu, über Krieg und Frieden zu entscheiden. Er hatte als Volksvertreter 216,471 Stimmen von 328,970 Votanten.
Er protestirte nach der Ernennung Thiers' zum Chef der Executivgewalt gegen den Rapport der Commission, welche die Republik als ein Provisorium zu behandeln schien. »Die Republik ist die nothwendige Form der nationalen Souveränetät.« Blanc stürzte sich mit Feuereifer in die Geschäfte, er erklärte, daß nur der allgemeine Volkswille, also ein Plebiscit, berechtigt sei, den Frieden mit Preußen abzuschließen, und wollte um keinen Preis französisches Gebiet abtreten. Er brachte einen Gesetzentwurf ein, der von den Mitgliedern der Nationalvertheidigung strenge Rechenschaft über alle während ihrer Administration vorgefallenen politischen und militärischen Acte forderte.
Von seinem Platze auf der äußersten Linken bekämpfte er alle Versuche, die Monarchie wieder aufzurichten. Bei den Senatswahlen 1876 erhielt Blanc nur 87 von 227 Stimmen, dagegen wurde er im Februar dreifach zum Deputirten gewählt. Das fünfte und das dreizehnte Arrondissement sowie Saint Denis stimmten für ihn. Er nahm die Wahl des fünften Arrondissements an und behielt seinen Platz auf der äußersten Linken. Im Mai war er einer der 363 Deputirten, welche dem Ministerium Broglie ein Vertrauensvotum verweigerten.
Zu Beginn der Session von 1879 unterstützte er vor der zweiten Kammer mit aller Kraft der Beredsamkeit das Project der vollständigen politischen Amnestie, welches Victor Hugo vor dem Senate befürwortete.
In den letzten Jahren zog sich Blanc von dem öffentlichen Leben zurück. »Mir fehlen Kraft und Lust zum Kampfe,« meinte er, »und im Frieden erreicht der Volksvertreter sicherlich Nichts.« Man behauptet, daß Blanc Denkwürdigkeiten über die letzten Jahre geschrieben habe, daß die Herausgabe aber erst nach geraumer Zeit zu gewärtigen sei.
Blanc war einer der eifrigsten Anhänger des allgemeinen Stimmrechtes. – Freilich ahnte er nicht den Mißbrauch, welchen Napoleon mit dem Plebiscit treiben sollte, ein solcher war nach Blanc's Idee überhaupt ausgeschlossen, denn er hatte den Satz aufgestellt: »Ueber die Republik als solche kann nie abgestimmt werden, sie ist die selbstverständliche unzerstörbare Grundlage der Gesetze und kann als Grundlage der Institutionen nie in Frage kommen.«
Blanc war ein reines Kindergemüth, seine Handlungsweise war stets edel und großmüthig. In den ersten Jahren seines Aufenthaltes in London lebte er im Hause eines Friseurs, von dem er zwei bescheidene Stübchen gemiethet hatte. Bei diesem Friseur befand sich ein deutsches Mädchen, eine entfernte Anverwandte des Hausherrn, die verschiedene Dienstleistungen im Haushalte verrichtete. Eines Tages, in Blanc's Abwesenheit, wurde in dessen Wohnung eine Hausdurchsuchung vorgenommen und eine bedeutende Anzahl von Papieren mit Beschlag belegt. Einer Irländerin, die im selben Hause wohnte, erging es nicht besser. Das deutsche Mädchen erfaßte die drohende Situation, es bemächtigte sich blitzesschnell der literarischen Arbeiten Blanc's, brachte diese auf die Seite und erwies Blanc dadurch einen großen Dienst. Die Familie machte dem Mädchen heftige Vorwürfe, und dieses ging mit der Irländerin, welche gleich Blanc sofort ihre Wohnung verlegte. Blanc ließ die Beiden nicht mehr aus dem Auge. Der Verbannte trat der deutschen Vereinsamten bald näher, er fühlte innige Sympathie für das schlichte Geschöpf und binnen Kurzem schloß sie sich gänzlich Blanc an. Fern von dem geliebten Bruder bedurfte Blanc hingebender schwärmerischer Zuneigung, er nannte das deutsche Mädchen den Schutzgeist seines Lebens. Er setzte sich über die nationale Empfindung hinweg und hielt treu zu der Fremden. 1865 gab er ihr seinen Namen und so wurde Christina Groh seine Gattin. Viele haben über diese Ehe gelächelt. Madame Blanc war im Vergleiche zu ihrem Manne eine untergeordnete Intelligenz, sie besaß auch wenig Streben und brachte es nie dahin, gut französisch zu conversiren oder eine Seite in Blanc's Büchern zu lesen. Die nahen Freunde Blanc's zollten der Dame jedoch große Achtung, da sie die Treue und Liebe, die Sorgfalt, welche sie Blanc bewies, schätzten. Sie starb 1876. Victor Hugo erzeigte ihr die Ehre die Leichenrede zu halten. Das schöne brüderliche Verhältniß zu Charles Blanc entwickelte sich nach der Rückkehr Louis' von England in neuer, voller Harmonie. Louis Blanc, der kinderlose Mann, überschüttete den Bruder mit allen Schätzen der Zärtlichkeit. Der Tod Charles' traf ihn bis ins Mark. Er konnte sich von dem Schlage nicht erholen.
Blanc hatte von jeher warme Neigung und inniges Verständniß für die Natur. Die Aerzte redeten ihm zu, in Nizza Heilung zu suchen, er meinte lächelnd: »Das ist wohl vergebens, aber das Sterben unter den lauen Lüften im Grün des Südens scheint mir schöner.« In hoffnungslosem Zustande kam er, begleitet von erprobten treuen Dienern, nach Nizza. Hier, wo der Lorbeer Ruhmeslieder singt, der Oelbaum Friedenspfalmen flüstert, ist Blanc verschieden.
Sein Leichenzug in Paris gestaltete sich zu einer großartigen Kundgebung. An dem Tage wußte Jeder, daß ein Bannerträger der Wahrheit, einer von denen, die es wahrhaft ehrlich mit dem Volke meinten, gestorben sei.
Die hauptsächlichsten Publicationen Blanc's sind außer der schon erwähnten »Geschichte der zehn Jahre« und der »Geschichte der Revolution«, die »Briefe aus London«, welche im »Temps« erschienen« und die gesammelten Artikel aus dem »Rappeil« »Fragen von Heute und Morgen«; einige Broschüren: »Keine Girondisten mehr«, »Die Republik ist untheilbar«, der »Katechismus der Socialisten«– erregten bei ihrem Erscheinen lebhafte Discussion.
Blanc schrieb klar, schneidig und präcis. In der Geschichte der Elite-Naturen des neunzehnten Jahrhunderts bleibt einer Individualität und seinem geistigen Schaffen ein Blatt gesichert.
So wie sie im Jahre 1848 erfaßt ward, glimmte in den Ideen derselben allerdings ein Funke idealer Begeisterung, aber der Funke wurde entweder zum vernichtenden Brande oder er erstickte in der eigenen Asche – er ward nicht zur wärmenden Flamme. Weder die Idee des Eigenthumes noch die des Staates im Sinne der Socialisten von damals läßt in ihrer Consequenz für die Humanität etwas hoffen.
Das moderne Frankreich producirt unglaublich viel feine Köpfe und wenig scharfe, schneidige Individualitäten. Es tanzt um das goldene Kalb und sucht die nationale Ehre in Träumen von Revanche. Indem es auf sein ungeheures stehendes Heer blickt, vergißt es, daß dieser lebendige eiserne Wall mit der civilisatorischen Aufgabe nichts, aber leider auch gar nichts zu schaffen hat, sondern in Frankreich wie anderswo einen Damm gegen den Fortschritt der Civilisation und Humanität bildet.
Frankreich hatte wenige Männer zu verlieren, die so selbstlos wie Louis Blanc einem Ziele zustrebten. Ihm war es heiliger Ernst mit der Idee der Volksbeglückung. Sein Wollen hielt freilich weder seinem Können, noch Dem, was er wirklich erreichte, die Waagschale.
Die erste Revolution brauste wie ein Sturmwind daher; sie erbaute mit Blitzesschnelligkeit den Tempel der jungen Freiheit; der Mörtel der neuen Menschenrechte, mit dem Blute der Mitbürger gekittet, konnte kein Bau für die Ewigkeit werden. Die unvorbereitete Volksseele hatte kein rechtes Verständniß für die so rasch errungenen Kronjuwelen der Freiheit, und erst lange nachdem der schlaue Usurpator Bonaparte sie entwendet und nach seinem Geschmacke umgefaßt hatte, merkte das gute Volk den Betrug. Die ersten Tempel der Freiheit und Vernunft waren Kartenhäuser gewesen, die nächsten werden Monumentalbauten sein; aber solche entstehen langsam, Steinchen um Steinchen wird zusammen getragen, die freien Geister aller Nationen sind die Baumeister. Louis Blanc besaß den Glauben an eine edle und reine Volksseele, den alle Täuschungen, welche er persönlich erfuhr, nicht erschütterten. Seine socialistischen Ideen entstammten wahrhaft ästhetischer Empfindung. Er widmete dem Schönen und Hohen reinen Cultus. Solche Menschen werden immer verhindern, daß die Gemeinheit sich breit mache. Sie wirken, weil sie leben und durch ihr einfaches Dasein viel Böses und Unedles ungethan bleibt. Die flüchtigste persönliche Berührung mit Louis Blanc genügte, um einen unvergänglichen Eindruck hervorzurufen. Mir wurde Gelegenheit darüber zu urtheilen.
Louis Blanc hatte von Freunden gehört, daß mir die heiße Grotte von Monsumano aus eigener Anschauung bekannt sei. Seit einem Jahre schwer leidend, interessirte sich der kranke Denker für den Aufenthalt in dem italienischen Teplitz.
Man forderte mich auf, Louis Blanc zu besuchen. Ich fand den greisen Staatsmann in einer aufs einfachste ausgestatteten Wohnung. Er lag oder saß vielmehr halb liegend von vielen Kissen unterstützt auf einem braunen Ledersopha seines Arbeitscabinets. Seine Mienen waren bereits sehr verfallen, aber man merkte, daß der kranke Demokrat sein Aeußeres noch immer nicht vernachlässigte, sondern sorgfältig bemüht war, dem Besucher keinen unbehaglichen Eindruck zu hinterlassen.
Da ich wußte, daß an die Reise nach Monsumano nicht mehr zu denken war, schilderte ich in matten Farben.
Blanc entsann sich, daß Mazzini, Kossuth und Garibaldi einst Monsumano aufgesucht hatten. »Sie nehmen sich zu viel Mühe für einen alten unbrauchbaren Mann,« bemerkte er. »Ach! hätt' ich Monsumano in Gesellschaft meines Bruders Charles besuchen können, vielleicht hätten wir beide neue Lebenskraft gefunden.«
Blanc sprach gewählt, klangvoll und verbindlich, trotz der Schmerzen, die ihm sein Leiden verursachte, frug er mich wie mir Paris behage, erkundigte er sich nach den politischen Verhältnissen Oesterreichs; da ich fühlte, daß ein längerer Besuch unstatthaft sei, verließ ich den berühmten Mann und nahm die traurige Ueberzeugung, daß sein Leben zu Ende gehe.
In der That blieb mir bald nur noch die pietätvolle Erinnerung an den Todten.
Hätte der bescheidene Mann einen Theil der Millionen besessen, welche Victor Hugo sein Eigen nennt, so würde er vielleicht die Verwirklichung mancher volkswirthschaftlich-politischen Idee versucht oder mindestens angestrebt haben. Victor Hugo, der » Lés Misérables« an die Stirne des Jahrhunderts schrieb, lebt als Millionär im Palaste; Louis Blanc lebte und starb in puritanischer Einfachheit. In seinem Aeußeren war er nichts weniger als ein Barricadenheld, er verleugnete niemals die nationale Neigung zur Elegance. Die Kleidung war sorgfältig gewählt, die Wäsche stets von tadelloser Reinheit, die kleinen zierlichen Hände waren selten unbehandschuht und die Füße steckten in tadellosem Schuhwerk. Mit dem sauber gekämmten Haar, dem freundlichen, intelligenten Gesicht, der zierlichen, ebenmäßigen Gestalt, glich Louis Blanc durchaus nicht dem Kämpfer der Tribüne, dem Redner, dessen Worte die Flammen der Empörung gegen das Bestehende entzünden. Aber so wenig der äußere Mensch der Vorstellung vom Volkshelden entsprach, eben so kraftvoll, schlicht und einfach war doch der Charakter des Politikers, der unentwegt, überzeugungstreu für seine Anschauungen Gut und Blut und Leben zu opfern bereit war, der die Aeußerung that: »Die Freude, sich zu opfern, ist das einzige Gefühl, welches mit der Handlung auf gleicher Höhe steht.«
George Sand erinnert Louis Blanc an diesen seinen Ausspruch, als sie seine Versöhnung mit Mazzini anstrebte. 1853 waren Louis Blanc und Mazzini gleichzeitig in London, wo sie als politische Flüchtlinge Schutz suchten.
Mazzini hatte einen Brief veröffentlicht, in welchem er die Schwächen der französischen Demokratie erbarmungslos aufdeckte und der Spaltung, der Uneinigkeit, der Zerfahrenheit derselben die Schuld an dem Untergang des republikanischen Principes in Europa beimaß. Louis Blanc entgegnete überaus heftig, nannte Mazzini einen ehrgeizigen Streber, worüber dieser sich nicht beruhigen konnte. George Sand trachtete sich ins Mittel zu legen und schrieb Mazzini, daß ihrer Ueberzeugung nach er und Louis Blaue im Innersten dasselbe dächten, und sie belegt das mit Citaten aus Blanc's Schriften.
»Louis Blanc«, ruft sie aus, »ist eine durchaus reine, ehrliche Natur, solche Männer sind in jeder Lage gleich selten und schätzenswerth.« Louis Blanc und sein Bruder Charles lebten 1831 als Jünglinge in Paris. Sie waren so arm, daß sie in einem Dachkämmerchen hausten und mit schmalen Bissen vorlieb nahmen. Charles Blanc, von der hohen Befähigung seines Bruders überzeugt, duldete nicht, daß dieser das Wasser selbst hinauf in ihre Mansarde trug oder den Speisenvorrath holte. Die rührenden Züge, welche Daudet in » Petite chose« von der Liebe zweier Brüder aufzählt, von denen der Eine die Begabung des Andern neidlos und entzückt über die eigene Individualität stellt, könnten dem Leben der beiden Blanc abgelauscht sein. »Man soll nicht sagen,« meinte Charles, »daß Du durch solch' kleinliches Elend gegangen bist.«
Welch' edler Stolz aber in den Jünglingen lebte, beweist der Umstand, daß sie, als ein Oheim ihnen statt der erbetenen Empfehlung einer Arbeit 500 Francs brachte, diese mit den Worten: »Was soll uns Geld? Wir wollen Arbeit!« zurückwiesen. Die große Zärtlichkeit der Brüder äußerte sich später fast auf mystische Weise. –
Eines Tages rief Charles Blanc in Rouen aus: »Mein Bruder ist in Gefahr, ich habe hier, bei meinem Herzen, einen Stich gefühlt – ich muß fogleich nach Paris –« Als er in Paris ankam, traf er den Volksmann im Wundfieber – Tags zuvor, um die von Charles bezeichnete Minute, war er das Opfer eines Attentates geworden. 1838 hatte Louis Blanc in Paris das Blatt: »Die Revue des politischen Fortschrittes« gegründet. Nach dem Artikel: »Die Ideen Napoleons«, wurde er auf dem Heimwege aus dem Theater am 15. August 1839 überfallen und derart mißhandelt, daß er fast todt auf dem Platze blieb.
Der junge Journalist hatte sich rasch in der liberalen Presse einen angesehenen Namen erworben. In der » Revue du Progres« veröffentlichte er seine berühmte Theorie » L'organisation du travai«(die Organisation der Arbeit), welche 1840 separat in Paris in Druck erschien. In diesem Jugendwerke legt Blanc sein Credo ab, das ihn als Idealisten kennzeichnet. Er entwickelt alle Pläne socialer Reform und schreibt das Elend der Massen dem Hervortreten des Individualismus und der daraus entstehenden Concurrenz zu. Er verlangt die Absorption des Individuums von der weiten Gemeinschaft, wo Jeder nach seinen Bedürfnissen empfangen und nach seinen Fähigkeiten geben solle. Eine Folge dieses Systems wäre die Gleichheit des Lohnes, trotz der ungleich producirten Arbeit.
Mit dem ersten Bande seiner » Histoire de dix ans« begründete er seinen schriftstellerischen Ruf. Dieses Werk, das glänzend durch Stylistik, mit lebendiger und feuriger Diction viel interessante Enthüllungen brachte, richtete sich gegen die Juli-Dynastie, Der Verfasser wollte dieselbe stürzen und versetzte ihr mit seiner 1847 erschienenen » Histoire de la revolution francaise« einen empfindlichen Schlag. Blanc bekannte sich offen zum Socialismus und galt als ein Zukunftsmann der Arbeiter, welche von ihm die Reorganisation der Gesellschaft erwarteten. 1848 stellte er sich an die Spitze der Bewegung. Seinem Einfluß ist die Abschaffung der Todesstrafe zuzuschreiben.
Unter den Männern vom Luxembourg war Blanc der wichtigste Stimmführer. Hier bereitete sich der Sturz der alten socialen Verhältnisse vor. Arbeitsgeber und Arbeiter tagten miteinander; hier kam die vielgefürchtete Arbeiterliga zu Stande, jener Bund, der in den weitesten Kreisen wie das Vorzeichen des Zusammenbrechens aller bestehenden Gesellschaftsformen angesehen ward. Wenn Blanc seine idealen Theorien in feuriger Rede auseinandersetzte, jubelten ihm Hunderttausende zu, aber der Idealist verlor Macht und Ansehen, als es galt, praktische Resultate zu erzielen. Louis Blanc mochte immerhin von Gleichheit des Eigenthums reden, er hätte niemals einen Angriff auf die Kasse des Nächsten angeführt. Er feierte noch einen Triumph am 17. März, wo ihm 200 000 Blousenmänner zujauchzten und ihm die Führerschaft anboten. Er fühlte sich ohnmächtig diese zu übernehmen. »Die ich rief, die Geister, werd' ich nun nicht los« mochte es in ihm erklingen. – Der alte Meister, die alte Ordnung, wäre ihm hochwillkommen gewesen. – Die Stimmung für Blanc schlug um, man behauptete, es sei ihm nicht Ernst mit seinem Streben, und unterschob ihm Volksverrath und reactionäre Gesinnung. Wohl ward er von Paris und Corsica in die Nationalversammlung gewählt, aber sein Referat über seine Thätigkeit erregte keine Sympathien – die Meute wendete sich gegen ihn. Schon am 15. Mai gelangte er nur durch die Hilfe zweier ehrlicher Gegner, Arago und Rochejaquelin, ungefährdet nach Hause.
Auf neuerliches Trängen gab die National-Versammlung am 25. August in der Nachtsitzung die Erlaubniß zu Blanc's Verhaftung. Dieser war bei der Abstimmung zugegen und als 504 Stimmen gegen ihn und nur 252 sich für ihn erklärten, trachtete er zu entkommen. Wieder war es Arrago, der ihn mit Geld versah, und seine Flucht nach Belgien ermöglichte. Von hier wandte sich Blanc nach London. Er setzte dort seine literarischen Arbeiten fort und blieb, trotz der Versuche, welche von Seite Frankreichs unternommen wurden, ihn zur Rückkehr zu bestimmen, bis nach dem Sturze Napoleons in England.
Erst nach dem Zusammenbruche des Kaiserreiches kehrte Blanc nach Frankreich zurück. Am 8. September 1870 langte er daselbst an, er hoffte noch auf eine Intervention der neutralen Mächte. Von verschiedenen Seiten, auch von der Regierung der Nationalvertheidigung, wollte man ihn bestimmen nach England zurückzukehren, um mit dem Cabinet Gladstone zu unterhandeln und die Sympathien des englischen Volkes zu Gunsten Frankreichs zu stimmen. Die Einschließung von Paris und die Weigerung eines Geleitsbriefes von Seite des preußischen General-Commandos verhinderten die Ausführung dieses Projectes. Blanc erklärte, keine, wie immer genannte Wahl anzunehmen, wurde aber dennoch bei den Communal-Wahlen einstimmig gewählt. Er gab sich verzeihlichen Täuschungen hin. Noch in den ersten Tagen des Januar beschwor er die Bevölkerung von Paris, den eisernen Reif der seindlichen Schaaren zu durchbrechen und in offener Schlacht das Schicksal entscheiden zu lassen.
Nach der Capitulation erkannte Louis Blanc der Nationalversammlung nur das Recht zu, über Krieg und Frieden zu entscheiden. Er hatte als Volksvertreter 216,471 Stimmen von 328,970 Votanten.
Er protestirte nach der Ernennung Thiers' zum Chef der Executivgewalt gegen den Rapport der Commission, welche die Republik als ein Provisorium zu behandeln schien. »Die Republik ist die nothwendige Form der nationalen Souveränetät.« Blanc stürzte sich mit Feuereifer in die Geschäfte, er erklärte, daß nur der allgemeine Volkswille, also ein Plebiscit, berechtigt sei, den Frieden mit Preußen abzuschließen, und wollte um keinen Preis französisches Gebiet abtreten. Er brachte einen Gesetzentwurf ein, der von den Mitgliedern der Nationalvertheidigung strenge Rechenschaft über alle während ihrer Administration vorgefallenen politischen und militärischen Acte forderte.
Von seinem Platze auf der äußersten Linken bekämpfte er alle Versuche, die Monarchie wieder aufzurichten. Bei den Senatswahlen 1876 erhielt Blanc nur 87 von 227 Stimmen, dagegen wurde er im Februar dreifach zum Deputirten gewählt. Das fünfte und das dreizehnte Arrondissement sowie Saint Denis stimmten für ihn. Er nahm die Wahl des fünften Arrondissements an und behielt seinen Platz auf der äußersten Linken. Im Mai war er einer der 363 Deputirten, welche dem Ministerium Broglie ein Vertrauensvotum verweigerten.
Zu Beginn der Session von 1879 unterstützte er vor der zweiten Kammer mit aller Kraft der Beredsamkeit das Project der vollständigen politischen Amnestie, welches Victor Hugo vor dem Senate befürwortete.
In den letzten Jahren zog sich Blanc von dem öffentlichen Leben zurück. »Mir fehlen Kraft und Lust zum Kampfe,« meinte er, »und im Frieden erreicht der Volksvertreter sicherlich Nichts.« Man behauptet, daß Blanc Denkwürdigkeiten über die letzten Jahre geschrieben habe, daß die Herausgabe aber erst nach geraumer Zeit zu gewärtigen sei.
Blanc war einer der eifrigsten Anhänger des allgemeinen Stimmrechtes. – Freilich ahnte er nicht den Mißbrauch, welchen Napoleon mit dem Plebiscit treiben sollte, ein solcher war nach Blanc's Idee überhaupt ausgeschlossen, denn er hatte den Satz aufgestellt: »Ueber die Republik als solche kann nie abgestimmt werden, sie ist die selbstverständliche unzerstörbare Grundlage der Gesetze und kann als Grundlage der Institutionen nie in Frage kommen.«
Blanc war ein reines Kindergemüth, seine Handlungsweise war stets edel und großmüthig. In den ersten Jahren seines Aufenthaltes in London lebte er im Hause eines Friseurs, von dem er zwei bescheidene Stübchen gemiethet hatte. Bei diesem Friseur befand sich ein deutsches Mädchen, eine entfernte Anverwandte des Hausherrn, die verschiedene Dienstleistungen im Haushalte verrichtete. Eines Tages, in Blanc's Abwesenheit, wurde in dessen Wohnung eine Hausdurchsuchung vorgenommen und eine bedeutende Anzahl von Papieren mit Beschlag belegt. Einer Irländerin, die im selben Hause wohnte, erging es nicht besser. Das deutsche Mädchen erfaßte die drohende Situation, es bemächtigte sich blitzesschnell der literarischen Arbeiten Blanc's, brachte diese auf die Seite und erwies Blanc dadurch einen großen Dienst. Die Familie machte dem Mädchen heftige Vorwürfe, und dieses ging mit der Irländerin, welche gleich Blanc sofort ihre Wohnung verlegte. Blanc ließ die Beiden nicht mehr aus dem Auge. Der Verbannte trat der deutschen Vereinsamten bald näher, er fühlte innige Sympathie für das schlichte Geschöpf und binnen Kurzem schloß sie sich gänzlich Blanc an. Fern von dem geliebten Bruder bedurfte Blanc hingebender schwärmerischer Zuneigung, er nannte das deutsche Mädchen den Schutzgeist seines Lebens. Er setzte sich über die nationale Empfindung hinweg und hielt treu zu der Fremden. 1865 gab er ihr seinen Namen und so wurde Christina Groh seine Gattin. Viele haben über diese Ehe gelächelt. Madame Blanc war im Vergleiche zu ihrem Manne eine untergeordnete Intelligenz, sie besaß auch wenig Streben und brachte es nie dahin, gut französisch zu conversiren oder eine Seite in Blanc's Büchern zu lesen. Die nahen Freunde Blanc's zollten der Dame jedoch große Achtung, da sie die Treue und Liebe, die Sorgfalt, welche sie Blanc bewies, schätzten. Sie starb 1876. Victor Hugo erzeigte ihr die Ehre die Leichenrede zu halten. Das schöne brüderliche Verhältniß zu Charles Blanc entwickelte sich nach der Rückkehr Louis' von England in neuer, voller Harmonie. Louis Blanc, der kinderlose Mann, überschüttete den Bruder mit allen Schätzen der Zärtlichkeit. Der Tod Charles' traf ihn bis ins Mark. Er konnte sich von dem Schlage nicht erholen.
Blanc hatte von jeher warme Neigung und inniges Verständniß für die Natur. Die Aerzte redeten ihm zu, in Nizza Heilung zu suchen, er meinte lächelnd: »Das ist wohl vergebens, aber das Sterben unter den lauen Lüften im Grün des Südens scheint mir schöner.« In hoffnungslosem Zustande kam er, begleitet von erprobten treuen Dienern, nach Nizza. Hier, wo der Lorbeer Ruhmeslieder singt, der Oelbaum Friedenspfalmen flüstert, ist Blanc verschieden.
Sein Leichenzug in Paris gestaltete sich zu einer großartigen Kundgebung. An dem Tage wußte Jeder, daß ein Bannerträger der Wahrheit, einer von denen, die es wahrhaft ehrlich mit dem Volke meinten, gestorben sei.
Die hauptsächlichsten Publicationen Blanc's sind außer der schon erwähnten »Geschichte der zehn Jahre« und der »Geschichte der Revolution«, die »Briefe aus London«, welche im »Temps« erschienen« und die gesammelten Artikel aus dem »Rappeil« »Fragen von Heute und Morgen«; einige Broschüren: »Keine Girondisten mehr«, »Die Republik ist untheilbar«, der »Katechismus der Socialisten«– erregten bei ihrem Erscheinen lebhafte Discussion.
Blanc schrieb klar, schneidig und präcis. In der Geschichte der Elite-Naturen des neunzehnten Jahrhunderts bleibt einer Individualität und seinem geistigen Schaffen ein Blatt gesichert.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Eine Wienerin in Paris