Kopenhagener Kunst

Die Kopenhagener Akademie hat das große Glück gehabt, in der kritischen Stunde, wo ihr die zahllosen Talente der neuen bürgerlichen Gesellschaft zuströmten, zwar kein Genie, aber einen Mann von reinster Gesinnung als Leiter zu besitzen, den alten Eckersberg, einen Schüler Davids. Wie sich das Museumswesen von Kopenhagen als eine Senkung französischer Ideen entwickelt hat, so hat der Kopenhagener Kunst ein Davidschüler das Edelste aus der Pariser Überlieferung eingepflanzt, die redliche Gesinnung, die Selbstzucht, die Unerbittlichkeit und Arbeitsfreude.

Das war jedoch alles Französische, was Eckersberg mitbrachte. Sonst war an ihm alles dänisch geblieben, und dänische, nicht französische Künstler hat er erzogen.


Die Entwicklung ging rasch, wie immer, wo sie gesund ist. Im Jahre 1814 musste er von Grund aus neu beginnen. Zehn Jahre später, zwischen 1825 und 1830, hatten die bedeutendsten seiner Schüler ihn schon weit überflügelt, und eine national-dänische Kunst war durch diesen französischen Anstoß ausgelöst.

Seither hat es in jeder Generation hervorragende dänische Künstler gegeben. Fremde Einflüsse haben nicht viel verändert, mit Ausnahme des einen, der vom Pariser Impressionismus ausging. Es ist den dänischen Künstlern nie glänzend gegangen. Bis auf die jüngste Zeit hat es große Mäcene nicht gegeben, ein ausländischer Markt, wie ihn in jüngster Zeit die Holländer hatten, hat nie mitgesprochen, der Kunsthandel hat nie eine Rolle gespielt. Aber die Stadt hat doch immer ihre Kunst getragen, eine bescheidene Kunst, wenn man will, keine Kunst der großen Leinwände, aber eine tüchtige und eine bodenwüchsige Kunst. Bei uns in Hamburg würde, wenn ihn nicht 1810 der Tod abgerufen hätte, zur selben Zeit mit Eckersberg ein großer Meister, ein weit größerer, tieferer und unabhängigerer, an die Spitze der jungen Schar von Talenten getreten sein, die zur selben Zeit mit den jungen Kopenhagenern aufgeschossen waren: Philipp Otto Runge. Er hatte den Trieb und die Absicht, sich als Lehrer in den Mittelpunkt des Schaffens zu stellen, voll des ruhigen Bewusstseins der eingeborenen Kraft. Er wusste nicht, dass er schon umgeben war von den Begabungen, die er allein berufen war, ihrem höchsten Ziel, das heißt sich selbst, zuzuführen.

Mit ihm starb nicht nur die Möglichkeit einer eigenen hamburgischen Kunst großen Stils, die ganze deutsche Kunst hätte ein anderes Antlitz getragen, wäre ihm die Urfülle körperlicher Gesundheit beschieden gewesen wie seinen Geschwistern. Was er war und wollte, lehren seine Bilder und seine Schriften. Wer es noch nicht empfunden hat, wird es fühlen, wenn wir sein endlich wiederentdecktes und zurückerobertes Hauptwerk, das große Bildnis seiner Eltern, das monumentalste deutsche Bildnis der ersten zwei Drittel des neunzehnten Jahrhunderts, als Mittelpunkt seiner übrigen Werke in der Kunsthalle zu Ehren bringen können. Eckersberg, der viel mehr gelernt hatte, hat nichts entfernt Ähnliches hervorgebracht. Vor keinem seiner Werke wird die Seele vom Schauer der Ehrfurcht erbeben, wie vor diesem gewaltigen Gebilde.

Wir haben in Hamburg nach Runges Tod Talente genug hervorgebracht, aber wir haben sie mit zählbaren Ausnahmen nicht zu halten und zu bilden gewusst. Eine hamburgische Überlieferung konnte nicht entstehen. Es gab Jahrzehnte, in denen die mächtige Stadt, die vor den meisten andern in Deutschland den Beruf gehabt hätte, Kunst zu tragen, es fast ohne eigene künstlerische Produktion aushalten konnte. Eine Schule hat es im neunzehnten Jahrhundert für die Begabungen bei uns nichtgegeben. Wir haben durch Stipendien aller Art das mögliche getan, den Strom von Begabungen hinauszuleiten.

In der ersten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts wurde auch in Kopenhagen Kunst an sich gemacht. Von der gestaltenden Kraft, die in den Künstlern wirkte, ging sehr wenig in die dekorative Kunst über. Dass die Teilnahme der Künstler für eine geschmackvolle Gestaltung des Hausrats schon damals zu haben gewesen wäre, hat Pietro Krohn in seinem Gewerbemuseum durch die schöne kleine Sammlung von Möbeln und von dekorativen Malereien aus Künstlerhäusern bewiesen. Ein Talent wie Köbke, das nach seinen Bildnissen und den kleinen Landschaften — seinen besten — fast als eine Miniaturmalerbegabung erscheint, entpuppt sich in den dekorativen Landschaften des Kopenhagener Gewerbemuseums als eine Kraft von staunenswerter Fülle und erlesenstem Geschmack.

Bei uns hatte schon Runge klar erkannt und in Wort und Tat ausgesprochen, dass die Maler berufen seien, die Entwicklung der schmückenden Künste zu leiten. Es war sein unzweideutig dargelegter Plan, in diesem Sinne die mindern Talente zu nützlicher Tätigkeit zu erziehen. Die Gensler waren, soweit sie die Möglichkeit fanden, als Förderer des Handwerks tätig. Aus ihrer Idee entstand zu einer Zeit, wo solche Anläufe in Deutschland kaum vorkamen, der sinnige in Silber getriebene Künstlerpokal. Als überall in Deutschland die neue Zeit nach ihrem eigenen Ausdruck rang, fehlten bei uns die Künstler, die ihn gefunden hätten.
Nicht so in Kopenhagen. Seit den achtziger Jahren haben sich auch dort die Künstler vom Bildermalen an sich losgesagt und sich der schmückenden Aufgaben bemächtigt.

Was sie erreicht haben, lehrt ein Beispiel, die Entwicklung der Porzellanmanufaktur. Seit sie die Wiederholung des ewig Dagewesenen aufgegeben und sich die Modelle zu ihrer Tierplastik von begabten Bildhauern und die Entwürfe für den Schmuck ihrer Vasen von Malern geholt hat, entschlossen auf den Boden ihrer Zeit tretend, hat sie alle Porzellanmanufakturen der ganzen Welt überholt und kann für ihre Niederlagen in Berlin, London und Paris, von den übrigen Städten zu schweigen, nicht Material genug beschaffen. Die Staatsmanufakturen in Berlin, Dresden und sogar in Sevres können von ähnlichen Erfolgen nicht berichten und sind sogar gezwungen, den Typus, den die Dänen aufgestellt, nachzuahmen.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Eine Sommerfahrt auf der Yacht Hamburg