Künstlerische Kultur im Bürgertum

Zu diesen Erfolgen haben nicht Staatsmittel, nicht eine Schar festangestellter Künstler akademischer Beschränktheit geführt, die die Überlieferung in den Äußerlichkeiten suchen, sondern die Intelligenz unabhängiger Leiter, die die Leistungen der Manufaktur auf den Einsatz lebendiger Kräfte begründeten.

Dass zu derselben Zeit auch die Architektur und Plastik in Kopenhagen neue Bahnen beschritt, kann kein Zufall sein. Die künstlerische Kultur, die solange nur den Malern eigen war, beginnt nun, sich über das Bürgertum auszubreiten.
Wir haben es schwerer in Hamburg, weil uns der Stamm ansässiger Künstler fehlt. Es muss deshalb unsere oberste Sorge sein, nach Kräften dahin zu streben, dass uns dieser unumgängliche Machtfaktor nicht länger vorenthalten bleibt.


Nur von einer kräftigen und gesund entwickelten heimischen Künstlerschaft dürfen wir erwarten, dass unsere Produktion auf allen gewerblichen Gebieten die unserer wirtschaftlichen Lage entsprechende Leistungsfähigkeit erreicht. Alle Gewerbeschulen, die der Staat nach dem üblichen Schema einrichtet, können zu diesem Ziele nicht führen. Das beweist nicht nur die Entwicklung in Hamburg. Nur aus einer gedeihlichen künstlerischen Produktion kann die dekorative Kunst ihre Kraft saugen, nur Künstler taugen zu Führern des Handwerks.

Und nur von ihnen kann eine wirkende Beteiligung der ganzen Bevölkerung angeregt werden. Die Teilnahme an der lebendigen Produktion, das Mitschaffen angeregt durch das Miterleben, Stolz und Ehrgeiz auf die heimische Leistung sind die Faktoren, die wir brauchen. Alles andere kommt dann von selber: die Lust zum Sammeln, die Erziehung durch den Umgang mit dem Kunstwerk im eigenen Besitz.

Auch bei der Verbindung mit den besten deutschen Meistern, ohne die wir selbst bei stark entwickelter heimischer Produktion nicht auskommen, können wir einen heimischen Künstlerstand, der auch im übrigen Deutschland in Ansehen steht, nicht entbehren. Wenn wir es wollen und verstehen, können wir aus uns heraus dasselbe wie Kopenhagen.

Das letzte Jahrzehnt hat auch bei uns überall die Keime aus dem Boden gelockt. Wir haben eine Anzahl versprechender jüngerer Künstler, eine heimische Schule für die neuen Talente hat sich im Anschluss an eine bedeutende Lehrkraft gebildet, zahlreiche Sammler und Kunstfreunde sind aufgestanden: möge das alles nicht wieder, wie so oft schon, beim bloßen Anlauf bleiben.

Hier kann die Tätigkeit des Bürgers einsetzen, der sich seiner Pflicht gegen Mitzeit und Zukunft bewusst ist, und er braucht nicht zu fürchten, dass in jedem einzelnen Falle große Aufwendungen nötig sind. Hier liegt auch eine Aufgabe des Staates, der für die niedere Erziehung unendliche Opfer gebracht, und auch für die Zukunft festgelegt hat. Was er damit erreicht, bleibt unfruchtbar, solange der notdürftig unterrichteten Masse, die durch die Volksschulen und die Gewerbeschulen geht, die Führer nicht erzogen werden. Diese sind das Wertvollste, denn sie leisten eine Arbeit von unberechenbarer Wirkung und unberechenbarem Wert, weil ihr Wesen Qualität ist. Jede Qualität die die niedere Arbeit haben kann, stammt aus der der Führer.

Aus langer Erfahrung vermögen wir in Hamburg die Qualität der Arbeit im kaufmännischen Betriebe sehr wohl zu würdigen. Jeder Kaufmann weiß, dass ihm keine Aufwendung zu hoch sein darf, wenn es gilt, einen Menschen zu fesseln, der nicht nur mechanische Arbeit leisten kann sondern Ideen und Energie entwickelt. Der Rückschluss auf die übrigen Lebensgebiete sollte nicht schwer fallen.

Die Stadtgemeinde von Kopenhagen hat wie die jeder Landeshauptstadt ein anderes Leben als die von Hamburg, die allein und souverän dasteht, während die der Landeshauptstädte mit vielen andern Mächten den Boden und die Wirksamkeit teilen müssen.

Was wird den Landeshauptstädten nicht alles durch den Staat abgenommen. Was fließt ihnen an Kräften aller Art zu in den höchsten Regierungs- und Verwaltungsorganen des Staates, im Hochschulwesen, in der Wissenschaft, in der Literatur, in der Kunst. Kopenhagen lebt nicht nur als Stadtgemeinde, es ist das eigentliche Lebensorgan eines energischen Staatswesens. In Kopenhagen denkt, dichtet und bildet Dänemark, und Kopenhagen denkt, dichtet und bildet für Dänemark. Das Land hat kein anderes Werkzeug dafür.

Diese Qualität fehlt Hamburg, in ihm denkt, dichtet und bildet keine Blütenlese der feinsten Geister eines ganzen Volkstums. Es ist auf sich selbst und die nächste Umgebung angewiesen.

Was die Stadtgemeinde in Kopenhagen für kulturelle Zwecke tut, ist sehr schwierig zu beobachten. Ich habe mir dazu, so sehr es mich gelockt hätte, nie Zeit nehmen können. Dem Fremden, der Kopenhagen durchwandert, scheint alles Wesentliche der Staat zu tun. Die Stadtgemeinde hat kein eigenes Museum, ihre Schulen und Verwaltungsgebäude fallen nicht, wie in neuerer Zeit in Berlin, durch künstlerische Absichten auf, wenigstens nicht in den Stadtteilen, die der Fremde besucht, wenn er die Museen studiert. Die Stadtgemeinde Kopenhagen scheint keine Kunstwerke zu erwerben, jedenfalls nicht für ein eigenes Museum. Ihre eigene Geschichte stellt sie nicht dar, oder dies städtische Museum müsste mir entgangen sein. Man sollte freilich annehmen, dass für ein solches Museum Interesse vorhanden wäre oder erweckt werden könnte. Es ist für eine Stadt wie Kopenhagen geradezu eine Notwendigkeit, denn die Entwicklung des Stadtplans, die doch jeder Kopenhagener irgendwo durch die Anschauung müsste kennen lernen können, lässt sich nur aus Büchern studieren, die nicht jedem zugänglich sind. Auch der Fremde vermisst eine solche Anstalt — nicht wegen der Schaustellung von Kopenhagener Privataltertümern sondern wegen des Saales, in dem an großen klaren Plänen die Entstehung und Wandlung des Stadtbildes studiert werden kann, wegen der Säle mit den Aufnahmen der städtischen Architektur durch die Jahrhunderte.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Eine Sommerfahrt auf der Yacht Hamburg