Das Leben in Yokohama (Japan) und der Umgegend
Der Kapitän hielt sein Wort und brachte uns noch an demselben Abend in den Hafen. Am Montag Abend, genau um acht Uhr, hörten die Maschinen auf zu arbeiten und der Anker wurde ausgeworfen. Die Lichter von Yokohama konnten gesehen und das Geräusch einer geschäftigen Stadt vernommen werden. Die Stadt lag in Hörweite vor uns und wir brauchten wenig Phantasie, um uns bereits ans Land gesetzt zu denken.
Das Gefühl der Erleichterung, das in uns aufstieg, als unser Dampfer gesichert vor Anker lag, ist kaum zu beschreiben. Alle Mühsale und Gefahren der Seereise waren vergessen und wir fingen bereits an, unsere stürmische Fahrt durch das stille Meer als ein interessantes Erlebnis zu betrachten. Eine halbe Stunde später, nachdem wir Anker geworfen hatten, legten bereits die Boote des Grand und des Windsor Hotels bei unserem Dampfer an, um uns ans Land zu bringen, aber trotz unserer Sehnsucht Festland unter unsere Füße zu bekommen, war es uns nicht vergönnt, schon so bald zu landen, und wir mussten noch bis zum nächsten Morgen nach dem Frühstücke an Bord des Dampfers bleiben. Da das Zollhaus bereits geschlossen war, konnten wir natürlich am Abend unser Gepäck nicht mehr ans Land bringen und ohne dasselbe wollten wir den Dampfer nicht verlassen. Selbst in diesen letzten Stunden unseres Aufenthaltes an Bord des Dampfers wurden uns noch Freundlichkeiten erwiesen. Kaum hatte nämlich der Steward James gehört, dass wir noch bis zum nächsten Morgen an Bord bleiben würden, so schickte er seinen Gehilfen Bede ans Land und ließ für unser Frühstück alle japanesischen Delikatessen der Saison besorgen.
„Ich will Ihnen ein Abschieds-Mahl bereiten,“ sagte er, „das eines Kaisers, Königs und Mikado's würdig sein und selbst einen Cincinnatier befriedigen soll.“
Es war beinahe Mitternacht, ehe wir uns von dem Blick auf die durch Tausende von Lichtern erhellte Stadt trennen konnten und unser Lager aufsuchten; aber von Schlaf war natürlich keine Rede. Wer je nach langer und mühevoller Seereise wieder Land erblickte, der kann ermessen, in welcher Aufregung uns die Aussicht hielt, unseren Fuß wieder auf das feste Land setzen zu können. Gott Morpheus hatte daher in dieser Nacht über uns seine Macht verloren.
Mit Ungeduld erwarteten wir den Tagesanbruch und die Stunden schienen zu Tagen zu werden, ehe langsam und fahl das Tageslicht am östlichen Horizonte heraufkroch. Mit dem Lichte kam aber auch ein betäubender Lärm, so dass wir mit einem Satze aus den Betten sprangen, mit Windeseile in unsere Kleider schlüpften und uns auf Deck begaben, um zu sehen, was eigentlich los sei, denn es war ein Lärm, als wären alle Irren Bedlams auf unseren Dampfer losgelassen worden. Der betäubende Lärm rührte von einigen hundert Coolies her, welche die für Japan bestimmte Ladung, die sie ans Land transportieren sollten, in Lichterschiffe schafften. Andere brachten Kohlen vom Lande und füllten den beinahe vollständig geleerten Kohlenraum des Dampfers. Alle diese Arbeiten begleiteten sie mit einem fortwährenden eintönigen Gesänge, Gestöhne, Geheul und Geschwätz ; eine so kannibalische Kombination von verschiedenartigen Tönen, dass selbst Nerven von der Stärke der Ankertaue erschüttert worden wären. Die ganze Schar von Japaner stand unter dem Kommando eines Europäers, der augenscheinlich nicht ganz nüchtern war. Die Zurufe, mit denen er die Japaner anschrie, wie : „Hayaku!“ (beeilt euch) ihr Hallunken, ihr Teufel! „Abanaio!“ (nehmt euch in Acht) ihr Schufte, ihr Canaillen!“ glichen dem Brüllen eines wilden Tieres. Für uns waren diese arbeitenden Coolies ein höchst interessantes Schauspiel. Sie waren nur sehr spärlich bekleidet, ja einige trugen nur ein Tuch um ihre Lenden und ein anderes über ihre Schultern. Ihre Kopfbedeckung bestand aus einem blauen, baumwollenen Lumpen, der vielfach verschlungen war und die merkwürdigsten Formen hatte. Einige trugen Kniehosen und nur wenige waren mit alten Röcken, von allen nur möglichen Fassons und Farben, bekleidet. Noch andere hatten wollene Decken um die Schultern geschlungen. Die Beine vom Knie abwärts waren bei Allen nackt, und nur Wenige trugen Strohsohlen unter den Füssen. Man stellt sich immer vor, dass man in Japan stets tropische Hitze zu erdulden hat, der Leser wird daher gewiss nicht wenig von der wahrheitsgetreuen Angabe überrascht sein, dass das Thermometer unter dem Gefrierpunkte stand. Die Coolies schien das aber nicht im Geringsten zu genieren und sie befanden sich anscheinend so wohl, als ob die Temperatur 40 oder 50 Grad wärmer gewesen wäre. Man kann daraus ersehen, wie zäh und wetterhart sie sind und welche Ausdauer sie besitzen. Sie sind klein von Statur wie alle Japaner, aber sehr muskulös, und einige sind so schön und proportioniert gebaut und ihr Körper so prächtig entwickelt, wie ich es selten gesehen habe. Sie verrichten ihre Arbeit sehr geschickt und fast alle legten Proben großer Körperkraft ab. Man sagte mir, dass einige dieser Coolies ganz allein Fässer, Kisten, oder Ballen, hantieren, für die man in San Francisco mindestens drei kräftige Auflader brauchen würde. Einen anderen für uns interessanten und in der Tat malerischen Anblick gewährten die unzähligen Fruchtverkäufer und Hausierer, die an Bord kamen, um ihre Waren zu verkaufen. Sie wurden nach dem Zwischendecke gewiesen, wo sie mit den Chinesen ausgezeichnete Geschäfte machten. Jeder dieser Händler hat seinen eigenen „Sampan,“ ein großes Boot, das vom Hinterteil aus mit einem langen Ruder fortbewegt wird. Diese „Sampans“ werden auch als Fährboote benutzt, um Passagiere vom Schiff ans Land, oder vom Lande aufs Schiff zu befördern. Hunderte von diesen Fahrzeugen bedecken stets die Gewässer des Hafens.
Am Montag, den 22. Dezember, um neun Uhr früh, gerade einen Monat nach dem Antritt unserer Reise, setzten wir uns zu unserem Abschiedsmahle auf dem Dampfer hin. Steward James hatte sein Wort glänzend eingelöst und ein ganz deliziöses Frühstück serviert. Es würde zu weit führen alle die Leckereien und Delikatessen, die er uns vorsetzte, aufzuzählen. Sie konnten selbst dem verwöhntesten Epikuräer genügen, und Herr James kann sich versichert halten, dass wir weder ihn noch sein Frühstück je vergessen und beiden stets eine freundliche Erinnerung bewahren werden. Nach dem Frühstück nahmen wir von den Offizieren Abschied, dankten ihnen nochmals herzlich für die uns erwiesene Freundlichkeit und bestiegen den kleinen Dampfer des Grand Hotel, in den unser Gepäck schon vorher verladen worden war. Bald dampften wir dem Zollhause von Yokohama zu und kamen nach einer oberflächlichen Untersuchung unseres Gepäckes gegen elf Uhr am Hotel an. Dasselbe liegt am sogenannten „Bund,“ einer Straße, die direkt von der Landung nach der Stadt führt und mit der Bai parallel läuft. Die Gebäude sind meistens solid und von Europäern, denen sie auch gehören, gebaut. Die Aussicht vom „Bund“ auf die Bai, die von Hunderten von Schiffen bedeckt ist und der die Umgegend als prachtvoller Rahmen dient, ist in der Tat von so bezaubernder Schönheit, dass man seinen Blick nicht abwenden kann, und je länger man hinsieht, desto entzückter wird. Die uns im Hotel angewiesenen Zimmer waren groß genug, um als kleine Tanzsäle dienen zu können; sie waren luftig und hell und gewährten eine wundervolle Aussicht auf den Hafen. Die Einrichtung war hübsch und bequem, die Zimmer waren reinlich gehalten und Alles in Allem war das Quartier gemütlich und schön. Dieses Hotel hat übrigens den Ruf, die vorzüglichste Tafel im fernen Osten zu führen. Die Eigentümer, die Herren J. Boyer und Paul Muraour, beide Franzosen und Köche von Profession, schenken der Küche ihre persönliche Aufmerksamkeit und setzen ihren Gästen in der Tat nur das Beste von Allem vor. Natürlich befestigen sie dadurch ihren wohlerworbenen Ruf und ihre Gäste sind bestens bei ihnen aufgehoben. Die Speisen wurden in sehr kleinen Portionen serviert, man konnte aber von jedem Gange so oft nachverlangen, als man wollte, und Alles war vorzüglich zubereitet. Eine Mahlzeit in diesem Hotel ist ein vollständiger Genuss und selbst wenn man vor dem Essen keinen Appetit hat, wird derselbe beim Anblick der Speisen gereizt. Die Bedienung ist vorzüglich. Die kleinen japanesischen Aufwärter, die mit engen schwarzen Gamaschen und einer kurzen Jacke bekleidet sind, entwickeln eine bei uns unerhörte Schnelligkeit und Geschicklichkeit im Handhaben des Geschirres und man sieht ihnen, wenn sie so lebhaft herumhantieren, mit großem Vergnügen zu. Die Bedienung in vielen Hotels erster Klasse in den Vereinigten Staaten kann mit diesen stets geschäftigen, aufmerksamen, flinken kleinen Kerlen keinen Vergleich aushalten. Da die Aufwärter weder Englisch sprechen noch verstehen, so bestellen die Gäste ihre Speisen von der Karte nach Nummern. Folgende Speisekarte gibt einen Begriff davon:
GRAND HOTEL.
J. Boyer & Co. - - - - Eigentümer.
Diner. — Speisekarte. Yokohama, den 17. Januar 1886.
1. Swallow's Nest Soup.
2. Fish a la Chambord.
Entrees.
3. Loin of Veal a la Polonaise.
4. Snipe a 1' Imperiale.
5. Boiled Mutton a la Reine.
Vegetables.
6. Beans. 7. Spinach.
8. Carrots. 9. Salsifis.
Joints.
10. Roast Beef. 11. Roast Truffled Capons.
12. Curry and Rice.
Entremets,
13. Pudding a la DuBarry.
14. Choux Pralines aux Violettes.
15. Sorbets Rieh es.
16. Coffee. 17. Tea.
Yokohama ist die einzige Stadt Japans, die eine einigermaßen bedeutende Bevölkerung von Fremden (Europäern und Amerikanern) enthält. Nach ihr kömmt Yeddo, dann Kobe, und die vierte im Range ist Nagasaki. Erstgenannte ist der bedeutendste Seehafen, und viele große und wohlhabende Geschäftshäuser sind dort etabliert. Der östliche Teil der Stadt liegt auf einer hohen Anhöhe. Die Häuser dort sind fast ausschließlich Privatwohnungen, schön und solid gebaut und von reizenden, großen Gärten umgeben. Das Vereinigte Staaten, das englische und das deutsche Marine-Hospital liegen ebenfalls in der Nähe. Auf der Anhöhe findet man auch einen schönen Park, welcher Bluff Garden heißt. In unmittelbarer Nähe befindet sich ein Schießstand mit einer Zieldistance von 1.000 Yards und eine Rennbahn, welche eine Meile lang ist. Yokohama, welches mit den Vorstädten Kanagawa und Hodogangai ungefähr 100.000 Seelen enthält, bietet nichts Besonderes, und unterscheidet sich kaum von den anderen Städten des Landes. Vom Hafen aus sieht man den Vulkan Fusiyama (der seit dem Jahre 1707 bereits ausgebrannt ist) 62 Meilen von der Stadt entfernt. Er ist über 14.000 Fuß hoch und der Stolz Japans. Die Japaner bilden mit großer Vorliebe diesen Vulkan auf allen Artikeln ab, die sie bemalen.
Eine ergötzliche Episode ereignete sich während unseres Aufenthaltes in Yokohama. Die Feuerwehr probierte eine neue Dampfspritze, und unter den Zuschauern befand sich ein alter Japanese, der sich ungemein für die Maschine und ihre Konstruktion interessierte; es genügte ihm nicht, ganz nahe heranzugehen und jeden Teil aus nächster Nähe in Augenschein zu nehmen, sondern er kroch auch auf den Schornstein hinauf und sah in dessen dunklen Schlund hinab. Die Zurufe und Warnungen der Umstehenden genierten ihn durchaus nicht; er setzte seine wissenschaftlichen Forschungen fort, lächelte, schüttelte den Kopf und sagte schließlich, so ein Tier sei ihm in seinem Leben noch nicht vorgekommen.
Die Szene erregte natürlich die größte Heiterkeit, ist aber sehr charakteristisch für die Japaner. Der Vorfall erinnerte mich lebhaft an die Geschichte von dem Pionier von Oshkosh, die noch aus der Zeit vor dem Kriege stammt. Als der alte Mann eine Dampfspritze zum ersten Mal in voller Tätigkeit sah, meinte er:
„O ja, das übertrifft unsere alte Handspritze ganz und gar, aber ich möchte um alles in der Welt nur wissen, wozu sie das Wasser erst kochen, ehe sie es auf das Feuer spritzen.“
Die Einwohner von Yokohama sind eigentümliche Menschen, vom humanitären und mildtätigen Standpunkte aus betrachtet. Am letzten Tage des Jahres 1884 wurde das allgemeine Hospital, ein höchst notwendiges Institut, dessen Unkosten im Verhältnis zu der Bevölkerung: und dem Wohlstand der Yokohamaer Fremden äußerst niedrig waren, „in Folge Mangels von Fonds“ geschlossen, dagegen näherte sich ein Theater, das $30.000 kostete und zu dessen Bau mehr Geld subskribiert worden als notwendig war, seiner Vollendung. Ich halte den Bau eines Theaters gewiss für sehr passend, dass aber dafür in einer Stadt mehr als genügend Geld aufgebracht werden kann, während es an Mitteln zum Unterhalt einer notwendigen Wohltätigkeits-Anstalt mangelt, ist eine Inkonsequenz, die ich mir nicht erklären kann.
Das Gefühl der Erleichterung, das in uns aufstieg, als unser Dampfer gesichert vor Anker lag, ist kaum zu beschreiben. Alle Mühsale und Gefahren der Seereise waren vergessen und wir fingen bereits an, unsere stürmische Fahrt durch das stille Meer als ein interessantes Erlebnis zu betrachten. Eine halbe Stunde später, nachdem wir Anker geworfen hatten, legten bereits die Boote des Grand und des Windsor Hotels bei unserem Dampfer an, um uns ans Land zu bringen, aber trotz unserer Sehnsucht Festland unter unsere Füße zu bekommen, war es uns nicht vergönnt, schon so bald zu landen, und wir mussten noch bis zum nächsten Morgen nach dem Frühstücke an Bord des Dampfers bleiben. Da das Zollhaus bereits geschlossen war, konnten wir natürlich am Abend unser Gepäck nicht mehr ans Land bringen und ohne dasselbe wollten wir den Dampfer nicht verlassen. Selbst in diesen letzten Stunden unseres Aufenthaltes an Bord des Dampfers wurden uns noch Freundlichkeiten erwiesen. Kaum hatte nämlich der Steward James gehört, dass wir noch bis zum nächsten Morgen an Bord bleiben würden, so schickte er seinen Gehilfen Bede ans Land und ließ für unser Frühstück alle japanesischen Delikatessen der Saison besorgen.
„Ich will Ihnen ein Abschieds-Mahl bereiten,“ sagte er, „das eines Kaisers, Königs und Mikado's würdig sein und selbst einen Cincinnatier befriedigen soll.“
Es war beinahe Mitternacht, ehe wir uns von dem Blick auf die durch Tausende von Lichtern erhellte Stadt trennen konnten und unser Lager aufsuchten; aber von Schlaf war natürlich keine Rede. Wer je nach langer und mühevoller Seereise wieder Land erblickte, der kann ermessen, in welcher Aufregung uns die Aussicht hielt, unseren Fuß wieder auf das feste Land setzen zu können. Gott Morpheus hatte daher in dieser Nacht über uns seine Macht verloren.
Mit Ungeduld erwarteten wir den Tagesanbruch und die Stunden schienen zu Tagen zu werden, ehe langsam und fahl das Tageslicht am östlichen Horizonte heraufkroch. Mit dem Lichte kam aber auch ein betäubender Lärm, so dass wir mit einem Satze aus den Betten sprangen, mit Windeseile in unsere Kleider schlüpften und uns auf Deck begaben, um zu sehen, was eigentlich los sei, denn es war ein Lärm, als wären alle Irren Bedlams auf unseren Dampfer losgelassen worden. Der betäubende Lärm rührte von einigen hundert Coolies her, welche die für Japan bestimmte Ladung, die sie ans Land transportieren sollten, in Lichterschiffe schafften. Andere brachten Kohlen vom Lande und füllten den beinahe vollständig geleerten Kohlenraum des Dampfers. Alle diese Arbeiten begleiteten sie mit einem fortwährenden eintönigen Gesänge, Gestöhne, Geheul und Geschwätz ; eine so kannibalische Kombination von verschiedenartigen Tönen, dass selbst Nerven von der Stärke der Ankertaue erschüttert worden wären. Die ganze Schar von Japaner stand unter dem Kommando eines Europäers, der augenscheinlich nicht ganz nüchtern war. Die Zurufe, mit denen er die Japaner anschrie, wie : „Hayaku!“ (beeilt euch) ihr Hallunken, ihr Teufel! „Abanaio!“ (nehmt euch in Acht) ihr Schufte, ihr Canaillen!“ glichen dem Brüllen eines wilden Tieres. Für uns waren diese arbeitenden Coolies ein höchst interessantes Schauspiel. Sie waren nur sehr spärlich bekleidet, ja einige trugen nur ein Tuch um ihre Lenden und ein anderes über ihre Schultern. Ihre Kopfbedeckung bestand aus einem blauen, baumwollenen Lumpen, der vielfach verschlungen war und die merkwürdigsten Formen hatte. Einige trugen Kniehosen und nur wenige waren mit alten Röcken, von allen nur möglichen Fassons und Farben, bekleidet. Noch andere hatten wollene Decken um die Schultern geschlungen. Die Beine vom Knie abwärts waren bei Allen nackt, und nur Wenige trugen Strohsohlen unter den Füssen. Man stellt sich immer vor, dass man in Japan stets tropische Hitze zu erdulden hat, der Leser wird daher gewiss nicht wenig von der wahrheitsgetreuen Angabe überrascht sein, dass das Thermometer unter dem Gefrierpunkte stand. Die Coolies schien das aber nicht im Geringsten zu genieren und sie befanden sich anscheinend so wohl, als ob die Temperatur 40 oder 50 Grad wärmer gewesen wäre. Man kann daraus ersehen, wie zäh und wetterhart sie sind und welche Ausdauer sie besitzen. Sie sind klein von Statur wie alle Japaner, aber sehr muskulös, und einige sind so schön und proportioniert gebaut und ihr Körper so prächtig entwickelt, wie ich es selten gesehen habe. Sie verrichten ihre Arbeit sehr geschickt und fast alle legten Proben großer Körperkraft ab. Man sagte mir, dass einige dieser Coolies ganz allein Fässer, Kisten, oder Ballen, hantieren, für die man in San Francisco mindestens drei kräftige Auflader brauchen würde. Einen anderen für uns interessanten und in der Tat malerischen Anblick gewährten die unzähligen Fruchtverkäufer und Hausierer, die an Bord kamen, um ihre Waren zu verkaufen. Sie wurden nach dem Zwischendecke gewiesen, wo sie mit den Chinesen ausgezeichnete Geschäfte machten. Jeder dieser Händler hat seinen eigenen „Sampan,“ ein großes Boot, das vom Hinterteil aus mit einem langen Ruder fortbewegt wird. Diese „Sampans“ werden auch als Fährboote benutzt, um Passagiere vom Schiff ans Land, oder vom Lande aufs Schiff zu befördern. Hunderte von diesen Fahrzeugen bedecken stets die Gewässer des Hafens.
Am Montag, den 22. Dezember, um neun Uhr früh, gerade einen Monat nach dem Antritt unserer Reise, setzten wir uns zu unserem Abschiedsmahle auf dem Dampfer hin. Steward James hatte sein Wort glänzend eingelöst und ein ganz deliziöses Frühstück serviert. Es würde zu weit führen alle die Leckereien und Delikatessen, die er uns vorsetzte, aufzuzählen. Sie konnten selbst dem verwöhntesten Epikuräer genügen, und Herr James kann sich versichert halten, dass wir weder ihn noch sein Frühstück je vergessen und beiden stets eine freundliche Erinnerung bewahren werden. Nach dem Frühstück nahmen wir von den Offizieren Abschied, dankten ihnen nochmals herzlich für die uns erwiesene Freundlichkeit und bestiegen den kleinen Dampfer des Grand Hotel, in den unser Gepäck schon vorher verladen worden war. Bald dampften wir dem Zollhause von Yokohama zu und kamen nach einer oberflächlichen Untersuchung unseres Gepäckes gegen elf Uhr am Hotel an. Dasselbe liegt am sogenannten „Bund,“ einer Straße, die direkt von der Landung nach der Stadt führt und mit der Bai parallel läuft. Die Gebäude sind meistens solid und von Europäern, denen sie auch gehören, gebaut. Die Aussicht vom „Bund“ auf die Bai, die von Hunderten von Schiffen bedeckt ist und der die Umgegend als prachtvoller Rahmen dient, ist in der Tat von so bezaubernder Schönheit, dass man seinen Blick nicht abwenden kann, und je länger man hinsieht, desto entzückter wird. Die uns im Hotel angewiesenen Zimmer waren groß genug, um als kleine Tanzsäle dienen zu können; sie waren luftig und hell und gewährten eine wundervolle Aussicht auf den Hafen. Die Einrichtung war hübsch und bequem, die Zimmer waren reinlich gehalten und Alles in Allem war das Quartier gemütlich und schön. Dieses Hotel hat übrigens den Ruf, die vorzüglichste Tafel im fernen Osten zu führen. Die Eigentümer, die Herren J. Boyer und Paul Muraour, beide Franzosen und Köche von Profession, schenken der Küche ihre persönliche Aufmerksamkeit und setzen ihren Gästen in der Tat nur das Beste von Allem vor. Natürlich befestigen sie dadurch ihren wohlerworbenen Ruf und ihre Gäste sind bestens bei ihnen aufgehoben. Die Speisen wurden in sehr kleinen Portionen serviert, man konnte aber von jedem Gange so oft nachverlangen, als man wollte, und Alles war vorzüglich zubereitet. Eine Mahlzeit in diesem Hotel ist ein vollständiger Genuss und selbst wenn man vor dem Essen keinen Appetit hat, wird derselbe beim Anblick der Speisen gereizt. Die Bedienung ist vorzüglich. Die kleinen japanesischen Aufwärter, die mit engen schwarzen Gamaschen und einer kurzen Jacke bekleidet sind, entwickeln eine bei uns unerhörte Schnelligkeit und Geschicklichkeit im Handhaben des Geschirres und man sieht ihnen, wenn sie so lebhaft herumhantieren, mit großem Vergnügen zu. Die Bedienung in vielen Hotels erster Klasse in den Vereinigten Staaten kann mit diesen stets geschäftigen, aufmerksamen, flinken kleinen Kerlen keinen Vergleich aushalten. Da die Aufwärter weder Englisch sprechen noch verstehen, so bestellen die Gäste ihre Speisen von der Karte nach Nummern. Folgende Speisekarte gibt einen Begriff davon:
GRAND HOTEL.
J. Boyer & Co. - - - - Eigentümer.
Diner. — Speisekarte. Yokohama, den 17. Januar 1886.
1. Swallow's Nest Soup.
2. Fish a la Chambord.
Entrees.
3. Loin of Veal a la Polonaise.
4. Snipe a 1' Imperiale.
5. Boiled Mutton a la Reine.
Vegetables.
6. Beans. 7. Spinach.
8. Carrots. 9. Salsifis.
Joints.
10. Roast Beef. 11. Roast Truffled Capons.
12. Curry and Rice.
Entremets,
13. Pudding a la DuBarry.
14. Choux Pralines aux Violettes.
15. Sorbets Rieh es.
16. Coffee. 17. Tea.
Yokohama ist die einzige Stadt Japans, die eine einigermaßen bedeutende Bevölkerung von Fremden (Europäern und Amerikanern) enthält. Nach ihr kömmt Yeddo, dann Kobe, und die vierte im Range ist Nagasaki. Erstgenannte ist der bedeutendste Seehafen, und viele große und wohlhabende Geschäftshäuser sind dort etabliert. Der östliche Teil der Stadt liegt auf einer hohen Anhöhe. Die Häuser dort sind fast ausschließlich Privatwohnungen, schön und solid gebaut und von reizenden, großen Gärten umgeben. Das Vereinigte Staaten, das englische und das deutsche Marine-Hospital liegen ebenfalls in der Nähe. Auf der Anhöhe findet man auch einen schönen Park, welcher Bluff Garden heißt. In unmittelbarer Nähe befindet sich ein Schießstand mit einer Zieldistance von 1.000 Yards und eine Rennbahn, welche eine Meile lang ist. Yokohama, welches mit den Vorstädten Kanagawa und Hodogangai ungefähr 100.000 Seelen enthält, bietet nichts Besonderes, und unterscheidet sich kaum von den anderen Städten des Landes. Vom Hafen aus sieht man den Vulkan Fusiyama (der seit dem Jahre 1707 bereits ausgebrannt ist) 62 Meilen von der Stadt entfernt. Er ist über 14.000 Fuß hoch und der Stolz Japans. Die Japaner bilden mit großer Vorliebe diesen Vulkan auf allen Artikeln ab, die sie bemalen.
Eine ergötzliche Episode ereignete sich während unseres Aufenthaltes in Yokohama. Die Feuerwehr probierte eine neue Dampfspritze, und unter den Zuschauern befand sich ein alter Japanese, der sich ungemein für die Maschine und ihre Konstruktion interessierte; es genügte ihm nicht, ganz nahe heranzugehen und jeden Teil aus nächster Nähe in Augenschein zu nehmen, sondern er kroch auch auf den Schornstein hinauf und sah in dessen dunklen Schlund hinab. Die Zurufe und Warnungen der Umstehenden genierten ihn durchaus nicht; er setzte seine wissenschaftlichen Forschungen fort, lächelte, schüttelte den Kopf und sagte schließlich, so ein Tier sei ihm in seinem Leben noch nicht vorgekommen.
Die Szene erregte natürlich die größte Heiterkeit, ist aber sehr charakteristisch für die Japaner. Der Vorfall erinnerte mich lebhaft an die Geschichte von dem Pionier von Oshkosh, die noch aus der Zeit vor dem Kriege stammt. Als der alte Mann eine Dampfspritze zum ersten Mal in voller Tätigkeit sah, meinte er:
„O ja, das übertrifft unsere alte Handspritze ganz und gar, aber ich möchte um alles in der Welt nur wissen, wozu sie das Wasser erst kochen, ehe sie es auf das Feuer spritzen.“
Die Einwohner von Yokohama sind eigentümliche Menschen, vom humanitären und mildtätigen Standpunkte aus betrachtet. Am letzten Tage des Jahres 1884 wurde das allgemeine Hospital, ein höchst notwendiges Institut, dessen Unkosten im Verhältnis zu der Bevölkerung: und dem Wohlstand der Yokohamaer Fremden äußerst niedrig waren, „in Folge Mangels von Fonds“ geschlossen, dagegen näherte sich ein Theater, das $30.000 kostete und zu dessen Bau mehr Geld subskribiert worden als notwendig war, seiner Vollendung. Ich halte den Bau eines Theaters gewiss für sehr passend, dass aber dafür in einer Stadt mehr als genügend Geld aufgebracht werden kann, während es an Mitteln zum Unterhalt einer notwendigen Wohltätigkeits-Anstalt mangelt, ist eine Inkonsequenz, die ich mir nicht erklären kann.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Eine Reise um die Welt im Jahr 1884-1885