Tokio, die Hauptstadt von Japan. Sitten und Gewohnheiten der Japaner

In Yeddo (Tokio oder Tokiyo in japanischer Sprache), der Hauptstadt von Japan, deren gegenwärtige Einwohnerzahl mehr als eine Million beträgt, hielten wir uns mehrere Tage lang auf.

Vor dem Jahre 1868 soll die Stadt über zwei Millionen Seelen beherbergt haben, und eine Zeit lang nahm sie die Auszeichnung für sich in Anspruch, die größte Stadt der Welt zu sein. Bis zum Jahre 1868 hatte die Regierung zwei Häupter, den Tycoon, das weltliche, und den Mikado, das geistliche Oberhaupt des Landes.


Die wirkliche Regierung lag aber in den Händen von etwa zweihundert Beamten, welche „Daimios“ hießen. Jeder von diesen herrschte in seinem Distrikt so unumschränkt, wie die Feudalherren in alten Zeiten und sie hatten Hunderte, ja oft Tausende von Untertanen als Soldaten zur Verfügung.

Diese Daimios waren gezwungen, mindestens sechs Monate im Jahre in Yeddo zu wohnen und während der Zeit, in welcher sie sich in ihrem Distrikt aufhielten, wurden ihre Familien als Geiseln für ihre Loyalität zurückbehalten.

In Folge dessen wurde die Bevölkerung Yeddos durch die Daimios, mit ihren Familien und Anhängern um beinahe eine Million vermehrt.

Aber nach der denkwürdigen Revolution von 1868, die mit der Absetzung des Tycoon und der Erhebung des Mikado zum Alleinherrscher endete, während der Tycoon zum Range eines gewöhnlichen Prinzen degradiert wurde, erhielten die Daimios die Erlaubnis, permanent in ihren Distrikten wohnen zu dürfen, mussten aber ihre Heerscharen auflösen, da die Regierung die militärischen Angelegenheiten des Landes selbst in die Hand nahm und allein verwaltete. So kam es, dass die Einwohnerzahl von Yeddo um die Hälfte abnahm.

Die Hauptsehenswürdigkeiten Yeddos sind seine Buddhisten-Tempel, von denen der von Shiba, oder Siba, der größte und unzweifelhaft auch der schönste ist. Der Altar und die denselben umgebenden kolossalen Säulen erscheinen dem Auge wie eine Masse leuchtenden und glänzenden Goldes. Die plastischen Abbildungen, wie die von Götzen, Vögeln, Fischen und Tieren aller Art, sowie unbeschreiblichen Ungeheuern und mythologischen Wesen, sind geradezu großartig.

Gold (gelb), rot und grün sind überall die hervorstechenden Farben, doch sind auch hie und da andere mit Geschmack angebracht. Der Anblick ist von so großartiger Schönheit, dass er bei dem Besucher des Tempels einen unauslöschlichen Eindruck hinterlässt.

Die Shinto-Tempel sind meist auf erhöhten Punkten erbaut. Sie sind sehr einfach, sowohl in Bezug auf ihren Bau als auf ihre Einrichtung. Sie enthalten keine Götzen, auf dem Altare steht nur ein großer Spiegel und ihm zur Seite eine Glocke aus Bronce. Dies sind die Requisiten des Gottesdienstes, der in drei Teile zerfällt: Erstens, im Waschen der Hände in einem Becken, das direkt am Eingang im Innern des Tempels angebracht ist; zweitens, im Gebet vor dem Spiegel; und drittens, im Anschlagen der Glocke, wodurch der Sonnengöttin (der erhabensten Gottheit der Shintoisten) angekündigt wird, dass der Gläubige sein Gebet beendet hat.

Die Shinto-Priester nehmen anscheinend wenig Anteil am Gottesdienste und schenken demselben fast gar keine Aufmerksamkeit, wie mir Japaner versicherten, die es wissen mussten.

Sowohl die Religion der Buddhisten, wie die der Shintos, haben im Laufe der Zeit mannigfache Veränderungen erfahren. Jede nahm nach und nach so viel von der andern an, dass beide schließlich ihren ursprünglichen Charakter verloren. Jetzt kann faktisch nur ein Gelehrter, der sich mit dem Gegenstand eingehend beschäftigt hat, eine einigermaßen klare Definition, oder Erklärung, der beiden Religionen geben, und selbst ein solcher muss zugeben, dass seine Erläuterung vielleicht noch schwache Punkte enthält.

Yeddo hat, wie alle japanischen Städte, enge Straßen; niedrige, einstöckige (nur in seltenen Fällen zwei- oder dreistöckige) Häuser mit kolossalen Dächern, die ganz und gar nicht im Verhältnis zu den übrigen Dimensionen des Gebäudes stehen. Die Dächer der meisten Gebäude der Stadt sind mit schweren und oft ornamentierten Tonplatten bedeckt, in den Vorstädten wird Stroh zur Dachbedeckung benutzt. Die Gebäude hier haben mehr oder weniger die Form eines Vogelkäfigs. Damit meine ich, dass sie sehr klein und die Türen und Fenster der Statur der Bevölkerung angemessen sind. In den meisten Fällen sind die Fenster durch Lattengitter geschützt, wodurch die Ähnlichkeit mit Vogelkäfigen noch erhöht wird. Glas wird nur in den seltensten Fällen bei den Fenstern benutzt, denn gewöhnlich versieht dünnes Seidenpapier seine Stelle. Natürlich gibt es auch Ausnahmen von dieser Regel, wie z. B. die Tempel, die Läden und Godowns (Warenmagazine) der größeren Kaufleute. Von den letztgenannten Gebäuden gleichen viele eisernen Geldschränken, da sie feuerfest gebaut und mit sechs bis acht Zoll dicken, eisernen Fensterläden und Türen versehen sind. Außerdem sind noch die Schulhäuser und die Regierungs-Gebäude, lauter große Bauten, sowie die Wohnhäuser und andere Gebäude der Europäer, Ausnahmen von der erwähnten Regel. Viele der Gesandschafts-Hotels fremder Nationen sind imposante, große Gebäude, und kann das der Vereinigten Staaten den Vergleich mit den anderen sehr gut aushalten. Mit seinem neuen hellgelben Anstriche und dunklen Verzierungen gewährt es einen ebenso eleganten als wohnlichen Anblick.

Die Städte von Japan gleichen einander sehr, sie unterscheiden sich in der Tat nur durch ihre Größe und ihre Umgebung. Jedes Haus scheint ein Geschäftslokal, oder eine Werkstatt zu sein, nur dann und wann stößt man auf das Wohnhaus eines wohlhabenden Eingeborenen, oder ein Waren-Magazin. Wie alle diese Läden und Werkstätten ihre Eigentümer ernähren können, ist ein Rätsel, das nur ein Japaner lösen kann. Mindestens fünfundsiebzig Prozent der Läden führen dieselben Artikel, nämlich: Tee, Kaffee, Reis, Gemüse und Früchte, aber von Allem nur einen kleinen Vorrat. Die meisten der anderen Geschäftslokale sind „Teehäuser,“ wo heißer Tee und auch stärkere Getränke verabreicht werden. Viele dieser Häuser enthalten nur ein Zimmer, das etwa zwanzig Fuß im Quadrate misst. Die vordere Hälfte nach der Straße zu ist das Geschäftslokal, während der erhöhte, durch ein Lattengitter abgegrenzte hintere Teil, als Wohnzimmer benutzt wird. Die ganze Einrichtung des Hinterzimmers besteht aus einigen Matten auf dem Fußboden und einem etwa einen Quadratfuß großen Feuerkasten aus Holz, der keinen Deckel hat und zu drei Vierteilen mit Asche und Sand gefüllt ist. In diesem brennt ein niedriges Feuer von kleinen Stückchen Holzkohle, und ein solcher Apparat vertritt den Heiz- und den Kochofen. Um diesen Kasten herum hocken die Familienmitglieder an kalten Tagen und versuchen sich zu wärmen, indem sie die Hände über das sogenannte Feuer halten. Dass sie aber ihren Zweck erreichen, glaube ich kaum. Die Wäsche zum Wechseln, wo solche vorhanden ist, sowie die Bettwäsche, wird in einem Schubkasten, oder vielmehr einer an der Wand befestigten Lade aufbewahrt und dieselbe dient zugleich als Kommode und Kleiderschrank. In der Nacht dienen die Matten auf dem Fußboden als Bett, und hier erfreut sich der Japanese, in eine wollene Decke, oder auch wohl nur in seine Kleider gehüllt, eines so gesunden Schlafes, als wenn er auf Eiderdaunen-Kissen gebettet wäre. Nur die sehr wohlhabenden Leute kennen den Luxus eines wirklichen Ofens, der Betten und anderer Möbel. Die Armen, die in Japan unverhältnismäßig stark vertreten sind, haben noch nicht einmal einen Feuerkasten, oder Matten und Decken. Es ist für den Fremden ein unergründliches Rätsel, wie diese armen Leute unter den Unbilden eines strengen Winters existieren können.

Von Statur ist der Japaner unter dem Durchschnitts-Maß. Die Hautfarbe rangiert in allen Schattierungen von blassgelb bis zu dunkelbraun. Das Haar ist grob und pechschwarz und wird von den jüngeren Leuten bis zu sechs Zoll lang getragen. Viele der älteren Leute rasieren den oberen Teil ihres Kopfes ganz glatt und lassen im Übrigen das Haar so lang wachsen, dass sie es nach Frauenart mit Haarnadeln und Agraffen stecken können. Sie sehen schrecklich aus.

Selbst in den größten Städten gehen die meisten Männer, alt und jung, ohne Kopfbedeckung. Viele Bewohner der höheren Klassen haben indessen die europäische Tracht adoptiert und tragen auch Hüte und Mützen. Die Regierungsbeamten und Soldaten sind ebenfalls nach europäischer Art gekleidet. Die National-Kleidung der japanischen Männer besteht aus ganz eng anliegenden Beinkleidern (richtige Bühnen-Tricots) meist von dunkler, selten von heller Farbe; einer Weste, oder einer Art Mieder und darüber ein pelerinartiges Gewand mit Ärmeln, die mehrere Fuß weit sind. Diese dienen als Aufbewahrungsort von Taschentüchern, Portemonaies, Fächern und kleinen Paketen, sie versehen also die Stelle unserer Taschen. Um den unteren Teil des Körpers trägt der Japaner ein dunkelfarbiges Tuch, oder eine Schürze, die unter dem Obergewand hervorsieht und einem enganschließenden Unterrock gleicht.

Die japanischen Frauen sind noch kleiner von Statur wie die Männer und überhaupt zierlicher gebaut, ihre Köpfe aber gleichen den Dächern ihrer Häuser, denn sie stehen ebenfalls außer allem Verhältnis zu dem Körper. Das Kostüm der Frauen gleicht dem der Männer, aber eine japanische Schöne der besseren Klassen sieht sehr elegant aus. Die meiste Zeit und Aufmerksamkeit verwenden sie auf ihr Haar, das sehr kunstvoll frisiert und mit Schmucknadeln, Kämmen, Fächern und Troddeln verziert ist. Eine Art Klebestoff, oder Leim, wird beim Frisieren benutzt und gibt dem Haar einen Schein, der ganz unnatürlich ist.

Die Kinder sind alle in derselben Weise gekleidet und gleichen sich im Aussehen fast wie ein Ei dem anderen. Babys werden auf dem Rücken der Mütter, oder älterer Kinder, getragen. Hier und da sieht man wohl auch einen zärtlichen Vater, oder Großvater, der so ein Stückchen Mensch zwischen den Schultern trägt. Die Mütter scheinen ihre Kinder sehr zu lieben und geben sich die größte Mühe, die Köpfe der Kleinen so grotesk aufzuputzen wie nur möglich. Einige Mütter rasieren z. B. das Haar ganz ab; andere lassen nur einen Büschel am Wirbel stehen. Noch andere wieder lassen, damit sich ihre Kinder ja von anderen unterscheiden, ein Büschel Haare über jedem Ohre stehen, während andere vollständige Gänge herausrasiert haben, so dass der Kopf aussieht wie ein Park en miniature. Die Kleinen sehen allerdings nicht sehr schön aus, ja uns Europäern kommen sie eher wie Affen als Menschen vor.

Die Leute auf dem Lande, oder Farmer, kleiden sich alle gleich. Ihre Kleidung besteht aus dunkelblauen Tricots, einem weiten Sackrock mit großen Ärmeln, und einem hellblauen Tuche, das in einer ganz merkwürdigen Form um den Kopf' geschlungen wird. Männer und Weiber sind gleich gekleidet. Diese Leute sind alle sehr arm. Die Häuser, in denen sie wohnen, sind miserable Hütten mit Strohdächern. Die Anzahl der Kinder, die man auf einer Tour durchs Land trifft, ist wahrhaft erstaunlich. Die Dörfer wimmeln förmlich von Kindern. Die Bedeckung ihrer Leiber ist kaum Kleidung zu nennen, sie besteht nämlich aus geflickten Lumpen, die aber doch genügend zu sein scheinen, um sie warm zu halten. Da die Anwendung von Wasser und Seife nur eine sehr spärliche ist, kann man die Gesichtsfarbe nicht erkennen.

Ganz Japan gehört der Regierung, und sowohl das Grundeigentum in Städten als auch auf dem Lande ist an verschiedene Parteien zu enormen Preisen vermietet, oder verpachtet. Der Farmer kann aus dem Boden kaum genug gewinnen, um seine Pacht zu zahlen, und wenn nicht bald in irgend einer Weise Abhilfe kommt, sind ernstliche Verwicklungen zu befürchten. In Bezug auf die Pacht von Land herrschen faktisch in Japan noch schlimmere Zustände wie in Irland. Die Landbevölkerung, die zwar fleißig, höflich und harmlos ist, hat noch verschiedene rohe Sitten ihrer Vorfahren beibehalten. Eine Dame würde sich bei einer Fahrt über Land entsetzen. Eine von verheirateten Frauen auf dem Lande noch streng befolgte Sitte ist das Schwärzen der Zähne und Abrasieren der Augenbrauen. Sie sehen dadurch im höchsten Grade abstoßend aus und gleichen geradezu Ungeheuern. Es heißt, dass das Land weder Vögel, die singen, noch Blumen, die duften, hervorbringt und dass nur importierte Schafe daselbst zu finden sind. Die Kühe sind klein und geben keine Milch, und die Pferde sind kaum größer als Ponys. Die Wege sind eng, nur wenige breit genug für gewöhnliche Wagen, die meisten aber nicht einmal acht Fuß weit, man kann also nur zu Pferde, oder in der Jinriksha (eine Art großer Kinderwagen, der von einem oder zwei Männern gezogen wird), oder zu Fuß reisen. Frachten werden nach dem Inneren des Landes auf dem Rücken von Pferden befördert. Diese Lasttiere sind selten mit Hufeisen beschlagen, ihre Hufe werden mit Strohmatten, die mit Strohschnüren befestigt sind, umwickelt. Diese Strohschuhe halten selten länger als einen halben Tag, sie müssen also oft erneuert werden und der Treiber muss für den Fall der Not stets einen großen Vorrat davon mit sich führen. In großen Städten wird aber allgemein das eiserne Hufeisen gebraucht. Die Japaner, Männer wie Frauen, tragen nur selten Schuhe; Stroh-Sandalen, oder Holzpantinen (Sohlen aus Holz, unter denen oft noch drei bis vier Zoll dicke Lagen von Holzblöcken angebracht sind), die mit einer zwischen der großen und zweiten Zehe durchlaufenden Schnur befestigt werden, sind allgemein im Gebrauch. Europäische Schuhe werden nur von Denjenigen getragen, die sich europäisch kleiden. Die Strümpfe sind wie Fausthandschuhe gemacht, da die große Zehe einen separaten Platz hat, damit das Schuhband durchgezogen werden kann. Selbst während des kalten Wetters, wenn der Schnee sechs Zoll hoch den Boden bedeckt, trägt die Hälfte der Bevölkerung nichts als Sandalen, oder Pantinen. Mit anderen Worten, die Leute laufen faktisch barfuß herum.

Im Genusse berauschender Getränke stehen die Japaner nicht hinter ihren ausländischen Mitmenschen zurück. Das beliebteste Getränk wird „Saki“ genannt. Es ist ein aus Reis destillierter Schnaps, der ganz angenehm schmeckt, in zu großen Quantitäten genossen aber eine schreckliche Wirkung hat.

Der Neujahrstag, der auf den 1. Januar fällt und der größte Feiertag ist, wird von allen Bevölkerungsklassen gefeiert. Ganz Japan ist an diesem Tage berauscht. Es ist dies eine alte Gewohnheit, die Jahrhunderte zurückreicht und von den meisten Japaner streng befolgt wird. Selbst unsere Hotel-Aufwärter gingen aus, um den Feiertag nach Landesart zu begehen. Nichts konnte sie davon abhalten, und sie lachten einfach über die Drohung der Hoteliers, dass sie entlassen würden. Als sie Abends, zur Zeit des Diners, zurückkehrten, waren sie alle im siebenten Himmel.

Eine gute Eigenschaft der Eingeborenen ist die, dass sie im Rausche weder lärmend noch streitsüchtig werden. Auch zeigen sie sich nicht eher wieder auf der Straße, als bis die Spuren der Trunkenheit vollständig verschwunden sind. Man trifft daher höchst selten einen Betrunkenen.

Am Neujahrstage gab auch der erhabene Mikado den „Prinzen von königlichem Geblüt,“ sowie den hohen Würdenträgern des Reiches, samt den Vertretern fremder Nationen, ein Festmahl. Bei dieser Gelegenheit hielt er folgende kurze und bündige Rede:

„Ich feiere hiermit Neujahr. Es gereicht mir zu großem Vergnügen, dass es mir vergönnt ist, mit den Vertretern fremder Nationen und den Staatsministern zusammenzukommen, um sie zu bewirten.“

Während dieses Festmahls sprachen die Gesandten Frankreichs und Chinas kein Wort miteinander und enthielten sich sogar aller bei solchen Gelegenheiten üblichen Höflichkeiten. Sie taten fast nichts anderes, als dass sie sich gegenseitig starr ins Gesicht sahen.

In Japan interessierte man sich sehr wenig für den französisch-chinesischen Konflikt. Die ganze Geschichte wurde als eine Farce betrachtet. Die Geschäfte litten aber großen Schaden, denn es war, so lange die Streitigkeiten dauerten, nichts zu tun. Die Klagen der Kaufleute im Osten wurden immer lauter und zahlreiche Petitionen wurden an die verschiedenen Regierungen geschickt, um dieselben zum Einschreiten zu bewegen. Auf diese Weise hoffte man die Feindseligkeiten, deren Verlängerung den gänzlichen Ruin der Geschäfte nach sich gezogen hätte, beizulegen.

Diejenigen Reisenden, welche in beiden Ländern Umschau hielten, sind in ihrer Mehrzahl der Ansicht, dass die Japaner den Chinesen an Intelligenz nachstehen und dass sie nicht zuverlässig sind. Wenn ein Japaner einige Dollars in der Tasche hat, so kann sein Prinzipal jede Minute riskieren, dass er ihn im Stich lässt, auch wenn er eine sehr verantwortliche Stelle einnimmt, nur um sich einen guten Tag zu machen. Er kehrt auch dann nicht eher zu seiner Arbeit zurück, als bis seine Barschaft vollständig erschöpft ist. Aus diesem Grunde werden auf den japanischen Dampfern und in den Waren-Magazinen Chinesen angestellt. Im Großen und Ganzen sind die Japaner freundliche, gutmütige Burschen mit stets heiterem Gemüt. Sie sind glücklich und zufrieden, ob sie Geld haben oder nicht. Die Chinesen dagegen scheinen für nichts Anderes Sinn zu haben, als für den Gelderwerb, und sie befinden sich nur dann glücklich, wenn sie mit Gold, oder Silber, in der Tasche klimpern können. Sie sparen das Geld mit dem Egoismus eines Geizhalses zusammen, der gradezu ekelhaft ist.

Im Kolorieren von Photographien, der Fabrikation von Porzellan, dem Verfertigen von „Waren mit eingelegtem Metall, dem Härten von Stahl, dem Anfertigen von Schwert- und Messerklingen, stehen die Japaner jeder Nation der Erde voran. Auch ihre Stickereien finden, was Schönheit der Farben, Originalität des Musters und kunstvolle, sorgfältige Arbeit anbelangt, nirgends ihres Gleichen.

Ehe ich von diesem Teile Japans Abschied nehme, will ich versuchen ein Bild der Führer und Bedienten zu entwerfen, die während unseres Aufenthaltes in Yokohama und Tokio in unseren Diensten standen. Bei unserer Ankunft im Grand Hotel nahmen wir einen jungen Japaner in Dienst, der als Führer und Bedienter fungieren sollte. Er hieß Toya, war ein Vollblut-Japaner im Aussehen und Gebaren, aber trotzdem ein sehr hübscher Bursche. Er sprach zwar nicht sehr gut Englisch, aber mit viel Kombinationsgabe und einiger Phantasie unsererseits konnten wir gewöhnlich schon herausbekommen, was er uns sagen wollte. Wir hatten bis zum Neujahrstage auch nicht den geringsten Grund zur Klage. An diesem Tage gaben wir ihm Urlaub und sahen ihn nie wieder nüchtern. Er zeigte sich wohl am zweiten und dritten Januar im Hotel, war aber so entschieden voll des süßen „Saki,“ dass der Geschäftsführer des Hotels ihn hinausjagte und wir gezwungen waren, ihn zu entlassen. Von da an zeigte er sich uns nie wieder, und seine Freunde versicherten uns, es geschehe das, weil er sich seiner Trunkenheit schäme. Auf Empfehlung des Eigentümers unseres Hotels engagierten wir nun Kanako und Thora, zwei Vollblut-Japaner. Der erstere war zierlicher gebaut als Toya und kaum fünf Fuß hoch. Er wog etwa 100 Pfund und hatte ebenso markierte Züge wie Toya. Er sprach Englisch reckt fließend lind leistete uns daher als Führer und Dolmetscher ausgezeichnete Dienste. Auch er legte wohl einen Teil seines überflüssigen Geldes in „Saki“ an, doch zeigte er sich nie, wenn er sich unter dem Einflusse dieses tückischen Getränkes befand. Thora, der unsere Zimmer in Ordnung hielt und bei Tisch aufwartete, sah ganz aus wie ein nordamerikanischer Indianer. Der Schnitt seines Gesichtes, die Hautfarbe und sein ganzer Habitus deuteten entschieden auf indianischen Ursprung hin, und doch war er ein Vollblut-Japaner. Er sprach ungefähr so viel Englisch wie Toya und war ein guter und treuer Diener, mit dem wir sehr zufrieden waren. Auf unseren Streifereien durch Tokio begleitete uns ein Däumling dieses Landes „der aufgebenden Sonne,“ der etwa 75 Pfund wog und Katsu hieß. Er kam Kanako in jeder Beziehung gleich, kannte jeden Winkel der großen japanischen Hauptstadt und machte es sich zu seiner Lebensaufgabe, uns jede Sehenswürdigkeit der Stadt zu zeigen. Er hätte um Alles in der Welt nickt zugegeben, dass uns eine derselben entgangen wäre und machte uns auch mit den Sitten und Gewohnheiten des Landes bekannt. So erzählte er uns, dass Katzen, Hunde, Ratten und Mäuse, mit Ausnahme der weißen Mäuse, von den ärmeren Klassen täglich verzehrt werden, was uns übrigens auch von japanischen Beamten, die häufig in unser Hotel kamen, bestätigt wurde. Sie behaupteten sogar, dass die Konsumption dieser Tiere im Verhältnis ebenso groß sei als in China, trotzdem sie in Japan nicht öffentlich feilgeboten werden.

Ich nehme hier mit Vergnügen Gelegenheit, Herrn Christiansen, dem Steward des Grand Hotels, und Herrn Henriques, dem Eigentümer des Yokohamaer Leihstalles, meinen Dank auszusprechen.

Diese Herren nahmen sich unserer mit größter Freundlichkeit an, arrangierten viele höchst interessante Ausflüge, auf denen sie uns begleiteten, und Herr Henriques trieb seine Freundlichkeit sogar so weit, uns seine elegante Philadelphiaer Equipage und seine schönsten Pferde unentgeltlich zur Verfügung zu stellen.

Herr Christiansen hat eine romantische Vergangenheit. Er ist ein Amerikaner von dänischer Abkunft, ein Gentleman vom Wirbel bis zur Zehe und ein jovialer, liebenswürdiger Gesellschafter. Er wurde vor etwa vierzig Jahren in Flensburg geboren, lief in noch jugendlichem Alter seinen Eltern fort und wurde, seinem Hange nach Abenteuern folgend, Schiffsjunge. Er diente dann als Matrose auf dänischen, deutschen, englischen und amerikanischen Kriegs- und Kauffahrtei-Schiffen und war zu einer Zeit Proviantmeister auf dem „Palos,“ der damals vom Kapitän Nelson (unserem Reisegefährten auf dem Dampfer Rio Janeiro) kommandiert wurde.

Verschiedene Male wurde er zum Kapitän auf Kauffahrtei-Schiffen befördert, ja einmal Fächelte ihm Fortuna sogar so hold, dass er Kommandeur seines eigenen Schiffes war.

„Ich hielt mich damals für unabhängig reich,“ sagte er, „war aber nicht zufrieden genug, und durch mein Streben immer noch mehr irdische Güter aufzuhäufen, verlor ich Alles.“

Ehe er seine jetzige Stellung im Hotel erhielt, war er bei dem Seehundsfang beteiligt, wobei er oft Reichtümer erwarb, die er aber immer wieder bei neuen Unternehmungen zusetzte. Vor einigen Jahren verheiratete er sich mit einer, sehr gebildeten japanischen Dame von hohem Range und aus bester Familie, deren Vergangenheit womöglich noch romantischer als die ihres Gatten ist. Sie war die Tochter eines Offiziers von hohem Rang in der Armee des Tycoon. Kurz vor dem Ende der Revolution von 1868 wurde ihr Vater gefangen genommen und hingerichtet, und da ihre Mutter schon vorher gestorben war, blieb das erst dreijährige Kind als Waise zurück.

Glücklicherweise hörte eine gutherzige und mildtätige Engländerin von dem bedauernswerten Schicksal der Kleinen und adoptierte die arme Waise. Später zog diese Engländerin nach Shanghai, wo sie ihre Adoptivtochter in einem katholischen Nonnenkloster erziehen ließ. Von dort gingen sie nach Süd-Amerika und kehrten erst nach einem zwölf Jahre dauernden Aufenthalt daselbst nach Japan zurück. Bald nach der Rückkehr starb die Pflegemutter und so stand ihre Adoptivtochter nun zum zweiten Mal allein in der Welt.

Sie fand jedoch bald Beschäftigung als Gouvernante bei einer englischen Familie und wohnte bei dieser in Yokohama. Dort traf Christiansen seine spätere Frau zum ersten Male; sie lernten sich näher kennen und lieben und heirateten sich nach kurzem Brautstande. Die Ehe ist eine sehr glückliche und ihr kleiner Sohn ist ihr Augapfel. Er hat ein Paar so glänzende kluge Augen, eine so dunkle Hautfarbe und so kräftige Lungen, wie sie fast alle anderen japanischen Halbblut- oder Vollblut-Babys aufweisen.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Eine Reise um die Welt im Jahr 1884-1885