XII. Frau von Barnfeld hatte eine größere Gesellschaft bei sich versammelt. Der Präsident mit der Schwester und seinen beiden andern Hausgenossen waren unter den Ersten, ...

XII. Frau von Barnfeld hatte eine größere Gesellschaft bei sich versammelt. Der Präsident mit der Schwester und seinen beiden andern Hausgenossen waren unter den Ersten, die sich einstellten, und man plauderte schon ziemlich lebhaft, als Alfred mit der Frau und dem Sohne erschien.

Therese fühlte sich einer Ohnmacht nahe und ihre Hand faßte krampfhaft die Lehne des Sessels, als sie Alfred erblickte. Er trat an sie heran, sie zu begrüßen, aber die Worte erstarben auf seinen Lippen. Es war ihm nicht möglich eine gleichgültige Phrase auszusprechen, während sein Herz danach verlangte, sich voll mitzutheilen, sich ganz hinzugeben. Trotz ihrer Gewohnheit, sich in der Gesellschaft zu beherrschen, fanden sie die Worte nicht, bis Felix ihnen mit seiner Unbefangenheit zu Hilfe kam.


Er umfaßte Therese mit beiden Armen, küßte sie und sagte: Tante, ich habe mich recht nach Dir gebangt! Alle Tage habe ich kommen wollen, aber die Mutter hat es nicht erlaubt. Willst Du denn nicht, daß ich zu Dir komme?

Von Herzen gern, mein Felix! antwortete Therese, den Knaben liebkosend, ich will Deine Mutter gleich darum bitten, daß sie Dich zu mir schickt.

Sie stand auf, um Frau von Reichenbach entgegenzugehen, die sie und Alfred unaufhörlich betrachtet hatte und jetzt auf sie zuschritt. Entschuldigen Sie, sagte sie, daß der Knabe so wild und ungezogen über Sie herfiel. Ich habe es ihm unzählige Male verboten, Fremde in der Weise zu belästigen; aber die Nachsicht meines Mannes mit des Knaben Fehlern macht es es mir unmöglich, ihn zu bändigen. Schickt sich’s, eine fremde Dame so zu belästigen? fragte sie den Knaben.

Aber die Tante Therese ist ja keine fremde Dame, wendete Felix ihr ein. Als Du noch nicht hier warst, sind wir ja alle Tage zu ihr gegangen und ich habe ganz anders mit ihr und mit Agnes herum getollt, als mit Dir, Mama; die Tanten machen’s lange nicht so gefährlich mit ihren Kleidern und mit ihren Sophas. Ich konnte thun was ich wollte. Laß mich doch wieder hingehn!

Wir wollen sehen, ob Du folgsam sein und die Erlaubniß verdienen wirst, sagte Frau von Reichenbach, verdrießlich gemacht durch die Erinnerung an ihres Mannes häufige Besuche bei Therese. Wenn Du Deine Arbeiten so schlecht machst, als in dieser Woche, gehst Du gewiß nicht hin.

Der Knabe wurde roth, und sehr verlegen hing er sich an Theresen’s Arm, die begütigend Besserung für ihn verhieß. Als er bald darauf, von Agnes gerufen, zu dieser ging und die Gesellschaft sich in den Eßsaal verfügte, sagte Julian, der besorgt Theresen gefolgt war, als sie mit Frau von Reichenbach sprach, und nun die Letztere zur Tafel geführt hatte: Mir scheint es unrecht, gnädige Frau, daß Sie den Knaben öffentlich tadeln. Er hat ein reges Ehrgefühl, Sie thun ihm wehe damit und bessern Nichts.

Der Meinung bin ich auch! bestätigte Alfred. Es kommt überhaupt durch zu vieles Erziehen nichts Kluges zu Stande. Man künstelt und biegt an der menschlichen Natur zu einer Zeit, in der noch alle Anlagen wie die Blume in der Knospe verhüllt sind. Dabei kann man zu leicht störend eingreifen und verderben, statt zu fördern. Wenn man die Kinder nur vor schädlichen Einflüssen bewahrt, so thut in den meisten Fällen die Natur das Nöthige und Alles, was sich aus dem Individuum selbst entwickelt, ist ihm angemessener, als wir es zu machen verstehen.

Es haben allerdings viele bedeutende Männer ihre Erziehung selbst gemacht, wie die Geschichte uns lehrt, sagte Therese, die sich zwang, wenigstens mit einer gleichgültigen Phrase an der Unterhaltung Theil zu nehmen.

Was die Geschichte lehrt, weiß ich nicht, entgegnete Caroline, gereizt durch die abweichende Meinung der Uebrigen. Ich habe leider in meinem Leben nicht die Muße gehabt, mich viel mit Studien zu beschäftigen. Meine eigne Erfahrung und meine Beobachtungen haben mir aber gezeigt, daß Kinder, die man nicht streng erzieht und beständig überwacht, verwildern und misrathen. Darin ist die Einsicht einer Mutter, wie ich glaube, sicherer als die Geschichte.

Es lag eine solche Bitterkeit, ein solcher Spott in ihren Worten, daß es Allen, die sie hörten, auffiel. Wie kann man so unliebenswürdig sein, sagte Agnes ganz erschrocken zu Theophil, der ihr Nachbar war: Ich fürchte mich vor der Frau, obgleich sie eigentlich schön ist, und ihr Mann und Felix thun mir immer leid. Ich weiß nicht, was es ist, aber sie hat etwas Zurückstoßendes.

Zurückstoßend? meinte Frau von Barnfeld, die gute Reichenbach ist ja heute ganz charmant; was wollen Sie denn, Agnes? Ich habe sie schon ganz anders gesehen. Daß sie ewig von ihrer Würde als verheirathete Frau und von ihrer Kindererziehung spricht, wie ein pensionirter General von seinen Feldzügen, das wollte ich ihr gern verzeihen, das ist nur langweilig. Mich verdrießt und betrübt es aber, daß der liebenswürdige Alfred seine ganze Heiterkeit eingebüßt hat und für uns ganz verloren ist, seit der Ankunft seiner Frau. Er ist nicht mehr derselbe Mann.

Es ist allerdings das unpassendste Paar von der Welt, sagte Theophil, und ein Fremder, der die letzten Worte gehört hatte, fragte: Sprechen Sie von Graf Alten, der die Tochter eines Kaufmanns heirathet?

Nein, sagte Theophil, es war von einem andern Verhältnisse die Rede. In der Heirath des Grafen finde ich nichts Auffallendes. Seine Braut ist ein schönes, gebildetes Mädchen und es ist eine vieljährige Liebe von beiden Seiten.

Die Braut ist aber sehr viel jünger als der Graf, wendete Jemand ein, er ist mehr als vierzig Jahre alt und hat ganz graues Haar.

Liebt man denn einen Mann um seines Haares willen? Ich habe nie daran gedacht, wie alt ein Mann sei, wenn ich ihn liebenswürdig fand, rief Eva dazwischen. Und wenn es wahr ist, daß wir nur in der Welt sind, das Leben der Männer zu verschönen, so müßten wir ja gerade auch mit unserer Jugend das Alter eines Mannes schmücken. Sie hatte die Worte mit ihrer gewohnten Lebhaftigkeit gesprochen. Nun es geschehen war, flog ein brennendes Erröthen über ihr reizendes Gesicht und sie fragte in anmuthigster Verwirrung; Merken Sie, Herr von Reichenbach, daß Ihre Gegenwart mir poetische Bilder eingibt?

Es würde mich nicht wundern, wenn die Grazien einmal die Leier der Musen borgten, erwiderte Alfred, und der Präsident sagte: Ich finde die Bemerkung unserer schönen Wirthin vollkommen wahr. Es gibt keine Altersverschiedenheit zwischen Menschen, die sich lieben. Liebe gleicht jeden Unterschied der Jahre und des Standes aus.

Das sagen Sie, fragte eine Dame, der noch vor wenig Monaten erklärte, er würde nie eine Bürgerliche heirathen?

Ziehen Sie daraus die Lehre, meine Gnädige, daß des Menschen Gesinnung wandelbar ist, versetzte der Präsident. Uebrigens glaube ich nicht, daß ich jemals den sündhaften Gedanken gehabt habe, den Sie mir zumuthen.

Nein! sagte Alfred, das ist gewiß ein Misverständniß. Wer wie der Präsident durchdrungen ist von den Ideen unserer Zeit, wer so fest an die Rechte des Menschen glaubt, der – –

Der kann dennoch, trotz aller unwiderleglichen Theorien von den heiligen Rechten des Menschen, es praktisch finden, eine Frau aus denjenigen Familien zu wählen, welche schon im Besitz dieser Rechte waren, ehe man sie in Frankreich den großen Massen zuerkannte, sagte lächelnd der Präsident. Aber ich glaube selbst nicht, daß ich jene freventliche Gesinnung gehegt habe. Ich kann mir nicht denken, daß ich alle die zärtlichen Seufzer meines Herzens vergessen haben sollte, welche in meiner Jugend oft genug den schönen blühenden Töchtern des gesegneten Bürgerstandes galten. Mein Herz ist zu viel umfassend, um sich einer so ausschließlichen Richtung zu überlassen; und wenn mein Kopf ein hochmüthiger Aristokrat wäre, würde mein Herz mit unbegrenztem Freisinn für Alles klopfen, was schön ist.

Kaum hatte er das in scherzendem Frohsinn gesagt, als er es bereute, in Agnes’ Gegenwart sich dergleichen Aeußerungen erlaubt zu haben. Er lenkte plötzlich mit dem Bemerken ein: Indeß jedenfalls haben Sie meine frühere Behauptung wohl misverstanden. Ich kann Nichts gesagt haben, als daß ich nur ein Mädchen von guter Familie und aus edlem Hause heirathen würde. Das braucht dann eben noch keine Dame von Adel zu sein.

Mir und meiner Gesinnung ist nichts willkommener, meinte Alfred, als wenn durch Ehen zwischen Personen aus den verschiedensten Ständen eine allmälige Verschmelzung derselben zu Stande kommt; und ich hoffe es noch zu erleben, daß man die Leute nicht mehr fragt, wer bist du? sondern was bist du?

Deshalb hat Herr von Reichenbach wol eine Frau genommen, bemerkte Theophil’s andere Nachbarin, die Niemand zu fragen braucht, was sie ist, weil Jeder es ihr ansieht. – Wie Frau von Reichenbach zu einem Mittagsmahl unter Freunden sich nur so mit Brillanten beladen kann! Sie ist blendend und schimmernd in allen Farben des Regenbogens.

Ein Anderer fragte: So hoffen Sie wol recht alt zu werden, lieber Reichenbach?

Sehen Sie denn nicht, sagte Alfred, daß wir unaufhaltsam dem großen Ziele zuschreiten? Ueberall taucht es auf aus den düstersten Klüften, reines, funkelndes Gold! Es will Tag und Frühling werden in der Welt, und wenn die Gewalthabenden das Dunkel noch so sehr lieben, die kräftigen Strahlen der gesunden Vernunft erhellen die Nacht und erleuchten die Erde. Gehen Sie nach Frankreich und England, sehen Sie, mit welch sicherer Ruhe der dortige Arbeiter seine Zwecke verfolgt, wie genau er seine Rechte kennt, mit welcher Mäßigung er sie fordert, und Sie werden mir zugestehen, daß ein Mensch, der sein gutes Recht so wohl kennt, es fordern darf und es nicht misbrauchen wird. Die politische Bildung hat in jenen Ländern alle Volksklassen so weit durchdrungen, daß die Arbeitenden nicht mehr an andere angeborne Rechte glauben, als an die, welche Jedem angeboren sind, und mit diesem Bewußtsein ist schon der Unterschied der Stände in der That vernichtet. Wenn die Form auch von den Freunden des Alten noch eine Weile aufbewahrt und festgehalten wird, für den denkenden Menschen besteht sie nicht mehr, denn ihr fehlt das Leben und die Wahrheit.

Mir ist es immer ein trauriges Zeichen der menschlichen Selbstsucht gewesen, bemerkte Theophil, daß so Viele danach streben, etwas vor ihren Mitmenschen voraus zu haben. Es scheint, als ob mit dem errungenen oder ererbten Besitz die Lust daran wachse; daß Der, dem schon viel gegeben ist, noch mehr fordert; während es einer edeln Natur angemessener wäre, Jeden so weit möglich des Glückes theilhaftig zu machen, das man selbst als solches empfindet. Mich könnte ein Gut, das ich allein besäße, während alle Andern darben, nie recht erfreuen, und am vollkommensten würde ich es genießen, wüßte ich Alle eben so zufrieden als mich selbst.

Es ist anziehend und lehrreich zugleich, sagte der Präsident, wenn wir die Beweggründe kennen lernen, aus denen in den verschiedenen Menschen die Freisinnigkeit entspringt, die eben noch nicht zu lange unter uns heimisch ist. Wir können uns nicht verbergen, daß bis zur Julirevolution Deutschland in seinem poetischen Halbschlummer sich von den Ereignissen der Jahre dreizehn und fünfzehn ausruhte und feiernd von den geschehenen Großthaten träumte. Dann wachte, durch den Hahnenruf im Westen geweckt, unser theures Vaterland auf und rieb sich zehn Jahre lang die Augen, während unsere Nachbarn jenseits des Rheines ein tüchtig Stück Arbeit beendeten und einen weiten Weg zurücklegten. Nun ist der Tag auch für uns angebrochen. Jeder sieht die Freiheit in der Ferne schweben und wünscht sie dem Vaterlande als Schutzgöttin zu erobern, denn die Göttliche findet auf den verschiedensten Wegen Zugang in die Seelen der Besten. Alfred betet die Freiheit an, weil er den Men schen liebt und die Freiheit schön ist; Theophil, weil sein weiches Gefühl es nicht duldet, Unglückliche zu sehen, während er glücklich ist. Noch Andere erwarten von ihr Erlösung aus Ketten, die sie drücken; bei Vielen ist es das angeborne Rechtsgefühl, das sie der Freiheit entgegenführt. Aber fast Alles, was geistig frisch und tüchtig ist, wendet sich ihr zu. Da ist es wol zu hoffen, daß sie den Forderungen, den Bitten und Bestrebungen sich ergibt und daß auch wir sie bald als Herrscherin neben dem königlichen Beherrscher, dem Verstande, bei uns thronen sehen werden.

Daß Edelleute wie Sie, sich solchen Theorien zuneigen, sagte einer der Gäste, ist mir auffallend. Wie können Sie wünschen, daß man uns die Vorrechte entzieht, welche uns das Verdienst unserer Väter erwarb, wenn wir des Erbtheils würdig sind? Ich betrachte vielmehr Denjenigen, der sich dieser Rechte entäußert, wie einen Verschwender, der sein Gut leichtsinnig von sich wirft, wenn Sie den Vergleich entschuldigen wollen.

Sehr gern, meinte der Präsident, besonders da er uns nicht trifft. Denken Sie, Sie besäßen ein Capital, das vor grauen Jahren einer Ihrer Vorfahren rechtmäßig erwarb, das aber von den Nachfolgenden durch Unredlichkeit, durch wucherische Zinsen, die sie von Ununterrichteten erpreßten, ins Unendliche vergrößert ward. Nun käme Einer von den Beeinträchtigten und spräche: Ich will dich nicht arm machen, aber du sollst mir zum Ersatz für Alles, was die Deinen mir so lange entzogen, nur so viel geben, als ich bedarf, um durch mein Bemühen eben so reich zu werden, als Du, wenn ich dieselben Fähigkeiten besitze, die Deine Ahnen hatten. Könnten und wollten Sie ihm das verweigern, ohne ungerecht und hart zu sein? Es verlangt ja bei uns Niemand, den Adel aufzuheben, das Recht des Besitzenden zu beschränken; es will nur Jeder Raum zu freier Entwicklung haben, Das gelten dürfen, was er ist, und Das erreichen können, wozu die Vernunft ihm den Trieb und die Fähigkeit gibt. Man will denken und sagen dürfen, was man denkt; man will nicht glauben, was vor der Vernunft nicht bestehen kann. Das ist kein Unrecht, sondern eben nur eine vernünftige Forderung.

Daß Sie in Glaubenssachen eben so leicht denken, als mein Mann, das wußte ich längst, rief plötzlich Frau von Reichenbach, aber daß Sie sich auch sonst zu seinen übertriebenen Ansichten neigen, hätte ich nicht geglaubt, Herr Präsident!

Alle sahen sie verwundert an und Julian sagte: Ich finde es begreiflich, gnädige Frau, daß Sie fest an Ihrem Glauben und an Ihren angestammten Vorrechten halten! und dabei sah er so ruhig aus, als wüßte er nichts von dem Spotte, der in diesen Worten lag. Die Frauen haben eine Vorliebe für das Conserviren, darum ist den meisten alles Neue, die Moden ausgenommen, verhaßt, und auch in diesem Bereich lieben sie jetzt wieder das Uralte.

Die Männer, Herr Präsident, lieben freilich die Abwechslung mehr als wir, sagte Caroline, gleichsam um dem Präsidenten zu vergelten, und diesem schien eine scharfe Antwort auf den Lippen zu schweben. Ein Blick auf Alfred aber bewog ihn, sie zu unterdrücken, und er bemerkte, gegen Therese gewendet: Es gibt doch andererseits unter den Frauen auch viele Anhänger unserer Lehre. Meine Schwester hat z.B. die freisinnigsten Ideen.

Das glaube ich! rief Caroline mit solcher Bosheit lachend, als sie bemerkte, daß Alfred und Therese in ein flüchtiges Gespräch mit einander gerathen waren, daß Beide aufschraken, mehr von dem Tone als von den Worten betroffen, die sie nicht genau gehört hatten.

An den bestürzten, misbilligenden Gesichtern der Gesellschaft sahen sie deutlich, es müsse irgend etwas Störendes vorgefallen sein, und Alfred blickte mit instinktartigem Erschrecken nach seiner Frau hinüber. Sie begegnete seinem Auge mit Sicherheit, wechselte aber plötzlich die Farbe, als Julian sich zu ihr neigte, ihr ein Glas Champagner einschenkte und mit freundlichster Miene leise sagte: Sie schaden Niemand als sich selbst; meine Schwester ist unerreichbar für Sie, und ich bin da, sie zu beschützen. Vergessen Sie das nicht, schöne, gnädige Frau!

Sein Mund lächelte dazu wie bei einem Scherze, aber vor dem drohenden Tone seiner gedämpften Stimme, vor seinem durchbohrenden strengen Blick erschrak Caroline heftig. Sie fühlte, dieser Mann sei zu dem Aeußersten fähig, wo es seine Schwester galt, und sie fing an ihn zu fürchten.

Kaum aber hatte er es gesagt, als er sein Glas füllte, Alfred, um dessen Aufmerksamkeit von Caroline abzuziehen, damit begrüßte und ausrief: Auf das Wohl aller jungen Saaten in Deinen Gütern, der geistigen und der wirklichen. Alfred nickte ihm dankend zu und Julian sprach: Damit soll denn auch dem Ernste Lebewohl gerufen werden und mit dem Nachtische der Frohsinn beginnen. Wir haben uns in der That unterhalten, als säßen wir unter Fahnen und Siegestrophäen bei irgend einem langweiligen Zweckessen, nicht in Mitte schöner Frauen bei der liebenswürdigsten Wirthin. Wollen die Damen uns das verzeihen?

Eva meinte, wenn er Besserung gelobe und beweise, solle Gnade für Recht ergehen, und von dem Präsidenten angeregt, fand bald die heiterste Stimmung Eingang in die Gesellschaft. Scherz und Frohsinn gewannen die Herrschaft. Alle überließen sich der fröhlichsten Laune und Julian war die Seele des Ganzen.

Aber je heiterer die Gesellschaft wurde, je trauriger und schwerer empfanden Therese und Alfred ihre Trennung. An dem bewegten Streite über ernste Gegenstände hatten sie Theil zu nehmen vermocht, der laute Frohsinn der Glücklichen scheuchte sie in sich selbst zurück. Nur die Breite der Tafel trennte sie von einander, aber es war ihnen, als ständen sie an den beiden Polen der Erde. Wie Spott klang die Stimme der Scherzenden in ihr Ohr, und es dünkte sie eine Wohlthat, als Eva, Theresen’s Schweigen bemerkend, die Tafel aufhob.

Während man sich nun in den andern Zimmern um die Kamine niederließ, suchte Caroline Theresen auf und war ganz Freundlichkeit für sie, ganz Güte. Sie sprach sehr geflissentlich von der Sorgfalt, mit der das Fräulein sich ihres Knaben angenommen, während sie selbst noch auf dem Lande gewesen sei, wo die Arbeiten des Herbstes sie festgehalten hätten. Dann bat sie um die Erlaubniß, den Knaben zu ihr bringen zu dürfen, drückte den Wunsch aus, den Präsidenten und die Schwester während der nächsten Tage bei sich zu sehen, und rühmte in solcher Weise das große Glück ihrer Häuslichkeit, daß Alfred dazwischentrat, weil er fühlte, sie stehe auf dem Punkte, sich und ihn der Spottsucht preiszugeben.

Er mahnte sie an die Heimkehr und die Gäste fingen an aufzubrechen. Dadurch kam er zufällig in Theresen’s Nähe, die er nicht mehr gesucht hatte, weil es ihm zu wehe that, ihr fremd und kalt gegenüberstehen zu müssen. Von dem Gedanken an sein eigenes Loos bewegt, war ihm die in Ehescheidung begriffene Frau eingefallen und er fragte Therese, ob sie von derselben Nachricht habe?

Doch! sagte Therese. Ich habe sie kennen lernen, sie ist eine recht tüchtige Frau. Ich will morgen gegen Mittag zu ihr gehen und hören, wie es ihrer Tochter ergeht, die krank geworden ist.

Wo wohnt sie? fragte Alfred.

Therese nannte die Straße und bezeichnete die Nummer des Hauses. Es ist nicht zu weit von unserer Wohnung und das ist mir sehr lieb und in vieler Rücksicht bequem! sagte sie.

Andere Personen traten dazwischen, Agnes bat um die Erlaubniß, noch ein paar Stunden bei Eva zu bleiben, und Therese erklärte sich damit zufrieden. Man kam überein, daß Julian und Theophil, die mit Alfred noch einen Spaziergang beabsichtigten, das junge Mädchen abholen sollten, wenn sie ihn beendet haben würden.

Eva und Agnes saßen bald darauf, nach Entfernung der Gäste, in dem kleinen Stübchen beisammen, in dem Jene einst Alfred am Morgen nach ihrem ersten Begegnen empfangen hatte. Die beiden jungen Damen waren sich in den letzten Tagen näher getreten, ohne zu wissen weshalb oder wodurch. Es schien, als läge Beiden etwas auf dem Herzen, wofür sie Mittheilung bedurften, und Agnes begann diese mit der Bitte: Sagen Sie mir, Eva, was geht um mich her vor? Ich habe mich bei Therese so heimisch gefühlt wie in dem Hause meiner Eltern. Es war auch Alles so friedlich und ruhig als bei uns. Nun ist das anders geworden. Therese ist sehr niedergeschlagen, ich sehe den Präsidenten bald heiter und froh wie sonst, bald von Sorgen bedrückt. Heute ist er gegen mich gut und zärtlich wie mein Vater, dann kommen Tage, in denen er mich kalt und fremd behandelt. Das beängstigt mich. Ich ahne, ja ich kenne den Grund dieser allgemeinen Verstimmung, aber ich begreife nicht, warum das Ereigniß die Guten so sehr betrübt. Können Sie mir das Räthsel lösen?

Erst lassen Sie mich wissen, mein Schatz, was Sie denken, ehe ich mit meiner Weisheit herausrücke, meinte Eva. Was halten Sie für den Grund von Theresen’s Trauer?

Ich glaube, sie liebt –

Alfred? fiel ihr Eva ins Wort, da glauben Sie leider etwas sehr Wahres.

Herrn von Reichenbach? fragte Agnes mit dem Erschrecken, mit dem man eine furchtbare Nachricht erhält, die man nicht möglich glaubt. Ach! die Unglückliche! Nein das habe ich nicht geahnt!

Sie fing zu weinen an und nun kam die Reihe des Ueberraschtseins an Eva. Sie betrachtete Agnes verwundert und fragte: Aber was haben Sie sich denn eingebildet?

Ich glaubte Therese liebe Teophil, denn ich sehe ja, wie er nur für sie da ist, Niemand beachtet als sie, und neulich trat ich in das Zimmer, als – Sie hielt inne, denn mädchenhafte Schüchternheit und Achtung vor Therese hinderten sie, zu erzählen, wie sie Zeuge einer Scene geworden war, die nach ihrer Meinung auf ein Herzensverhältniß zwischen ihrer Beschützerin und deren jungem Freunde hindeuten mußte.

Ich hatte wol manchmal gedacht, Theophil sei zu jung für Therese, da er aber so gut und so gescheidt ist, daß man ihn lieb haben muß, meinte ich, sie könnte dennoch sehr glücklich mit ihm werden, und das machte mich ebenfalls glücklich, denn sie ist ja die Güte selber! sagte sie nach einer Pause.

Seit wann sind Sie denn eine Bewundrerin von Theophil geworden? fragte Eva. Ich erinnere mich, daß Sie noch vor wenig Wochen ihn wegen seiner eingebildeten Leiden verspotteten, daß Sie seine Weichheit Schwäche nannten und ihn gar nicht mochten.

Ach, sagte Agnes erröthend, ich habe ihm damit ein Unrecht gethan, ich habe ihn besser kennen lernen. Wenn Sie sehen sollten, wie standhaft er seine Migräne verbirgt, wie er gar nicht mehr klagt, gar nicht mehr an sich denkt, sondern immer nur bestrebt ist, Therese aufzurichten und zu erheitern, seit er sie leidend weiß, Sie würden ihm gut geworden sein wie ich.

In der That war mit Theophil, wie es Agnes richtig bezeichnete, eine wesentliche Veränderung vor sich gegangen. Was weder die Mittel der Aerzte, noch des Präsidenten und Theresen’s Ermunterungen zu leisten vermocht, das hatte seine treue Ergebenheit für die Letztere bewirkt. In dem dringenden Wunsche, ihr beizustehen, fand er Kraft, sich und seine Leiden zu vergessen, seine Hypochondrie zu besiegen. Da er nicht mehr unaufhörlich seiner Körperschmerzen gedachte, da er sich bestrebte, heiter zu sein, um die Freundin zu zerstreuen, fand er die verlorene Heiterkeit wieder, seine Gesundheit besserte sich und mit dem gesteigerten Wohlbefinden kam ihm neuer Lebensmuth und neue Kraft. Er war ein ganz Anderer geworden und Agnes konnte seines Lobes kein Ende finden.

Und was sagt der Präsident zu Ihrer Bewunderung des Assessors? zu Ihrem leidenschaftlichen Liebhaben? fragte Eva.

Er freut sich Theophil’s Genesung und ist ihm herzlich zugethan, das wissen Sie selbst, liebe Eva! entgegnete Agnes unbefangen.

Und weiter hatten Sie mir nichts zu sagen? Sonst beunruhigt Sie nichts?

Theresen’s Schicksal thut mir so leid, wiederholte sie, denn ich kann mir lebhaft denken, wie unglücklich sie ist, und welche Zukunft steht ihr bevor!

Sie meinen, wenn der Präsident sich verheirathet? fragte Eva und sah das Mädchen scharf und prüfend an.

Der Präsident? Julian soll heirathen, aber wen denn? davon weiß ich ja kein Wort, rief Agnes und fügte lachend hinzu: Den Vogel Phönix möchte ich übrigens wohl sehen, den der Präsident sich auserkoren hat. An allen Frauen findet er Mängel, keine ist ihm schön genug. Gewiß, des Präsidenten Braut kennen zu lernen, würde mich sehr erfreuen.

Da nahm Eva einen kleinen Spiegel, der auf dem Tische vor ihr lag, umfaßte Agnes und hielt das Glas so, daß diese ihr Bild erblickte. Was soll das? fragte sie ganz arglos.

Ihnen das Mädchen zeigen, das Julian sich auserkoren hat, und das er heirathen will.

Agnes lachte hell auf. Sie hielt es für einen Scherz, aber Eva wußte ihr mit solcher Lebhaftigkeit von der Vorliebe des Präsidenten für sie zu sprechen, gab ihr so viel kleine und doch schlagende Beweise dafür, daß das arme Mädchen still und ängstlich wurde und endlich seufzend sagte: Ach! hätten mich meine Eltern doch lieber nicht hieher geschickt. In welche Verwirrung gerathe ich hinein! Wenn es wahr wäre, daß der Präsident an mich dächte –

Nun? fragte Eva, was wäre das für ein Unglück? Da Sie ihm gut sind, werden Sie ihn heirathen und das glücklichste Loos von der Welt haben.

Aber liebe Eva, ich bin ja so jung! Freilich! ich schätze den Präsidenten sehr, aber ich habe mir doch immer gewünscht, einmal einen Mann zu heirathen, den ich liebe, und lieben kann ich ihn so wenig, als man seinen Vater heirathen kann. Ich verehre ihn, ich bin ihm von Herzen dankbar, aber er ist ja viel, viel zu alt für mich; lieben und heirathen könnte ich ihn nie! sagte Agnes sehr bestimmt und fest.

Da fiel ihr Eva um den Hals, küßte sie und rief: Du holdes, süßes Kind! und Du hast es gar nicht geahnt, wie er Dir zugethan ist? Du hast nie daran gedacht, daß Julian’s Liebe Dich beglücken könnte? Wie entzückt mich Deine Kindlichkeit! Eine solche Schwester wie Du! das muß ein großes Glück, eine wahre Wonne sein. Möchtest Du mich wohl zur Schwester haben, lieber Engel? fragte sie, Agnes mit wahrer Zärtlichkeit liebkosend.

Gewiß, sagte Agnes, denn wenn Sie es wollen, können Sie unwiderstehlich sein und ich liebe Sie, obgleich Sie mir oft recht wehe gethan haben mit Ihren häßlichen Neckereien in Theophil’s Gegenwart.

Es soll nie wieder geschehen, betheuerte Eva. Vergiß es, Liebchen! und nenne mich Du. O! so lieb wie ich Dich habe, so lieb hat Dich Niemand. Wie zeige ich es Dir nur?

Sie eilte zu ihrem Toilettentisch, nahm ein kostbares Armband, auf dem sie als Braut gemalt war und das ihrer Mutter gehört hatte, legte es Agnes an und sagte: Nimm das zum Andenken, und wenn Alles wird, wie wir Beide es wünschen, dann flechte ich Dir bald den Brautkranz in Dein wunderschönes Haar und bin selbst sehr, sehr glücklich. Aber so sprich doch, sage doch, daß Du meine neue Schwester bist, nenne mich Du, liebe Agnes!

Die beiden jungen Frauenzimmer umarmten einander, das trauliche Du ward oft von den blühenden Lippen gesprochen, manch süßes Geheimniß getauscht, und als später Theophil und der Präsident das junge Mädchen abzurufen kamen, erglühten Eva und Agnes in dunklem Erröthen und trennten sich mit der herzlichsten Umarmung.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Eine Lebensfrage. Zweiter Teil.