Eine Lebensfrage. Zweiter Teil.

Von der Verfasserin der Clementine und Jenny.
Autor: Lewald, Fanny (1811-1889), Erscheinungsjahr: 1872
Themenbereiche
Inhaltsverzeichnis
  1. I. Gegen das Ende des Octobermonates war die vornehme Gesellschaft von Reisen, aus den Bädern, und von ihren Landsitzen heimgekehrt und die Winterunterhaltungen nahmen in der Residenz ihren Anfang...
  2. II. Ich bekomme so eben einen Brief von Reichenbach, der mich beunruhigt, sagte an einem der nächsten Tage der Präsident zu seiner Schwester, als sie allein bei dem Frühstück waren...
  3. III. Alfred hatte seine nöthigsten Geschäfte kaum geordnet, als er in die Stadt zurückeilte. Er verlangte Therese wiederzusehen und doch bangte ihm davor...
  4. IV. Die junge erwartete Hausgenossin war angelangt und Therese hatte sie in ihren eigenen Zimmern eingerichtet. Aus dem Kinde war ein blühendes gesundes Mädchen von sechzehn Jahren geworden, ...
  5. V. Der November war nun fast zu Ende und man näherte sich dem Tage, an dem der Maskenball statthaben sollte. Der Präsident und Therese hatten der Baronin ihre Gegenwart für den Abend zugesagt...
  6. VI. Seit vielen Tagen hatte Alfred einen Brief von seinem Freunde, dem Domherrn, erwartet. Endlich langte er an. Nach einer kurzen Einleitung hieß es in demselben: ...
  7. VII. Die Baronin Wöhrstein ging, in einen rosa Domino gehüllt, am Arme ihres bedeutend älteren Mannes durch die erleuchteten, blumengeschmückten Gemächer ihres schönen Hauses...
  8. VIII. Fast alle Personen unserer Erzählung waren am Morgen nach der Maskerade verstimmt oder traurig. Eva’s gehoffter Triumph war durch das Erscheinen von Agnes gestört, ...
  9. IX. In wechselnden Beschäftigungen und Bestrebungen verging die Zeit und man näherte sich dem Weihnachtsfeste. Therese hatte alle Personen ihres nächsten Kreises für den heiligen Abend eingeladen ...
  10. X. Zum zweiten Male hatte sich Alfred gegen seine Neigung mit seiner Frau vereinigt. Noch an dem Abend des Tages, an dem jene Ereignisse stattgefunden, die wir geschildert, ...
  11. XI. Mit ebenso großer Unruhe hatte Therese an das erste Wiedersehen gedacht, das sie nach jenen schmerzlichen Ereignissen mit Alfred haben würde. Ihr Bruder war absichtlich mehrmals ...
  12. XII. Frau von Barnfeld hatte eine größere Gesellschaft bei sich versammelt. Der Präsident mit der Schwester und seinen beiden andern Hausgenossen waren unter den Ersten, ...
  13. XIII. Um die zwölfte Vormittagsstunde des nächsten Tages stieg eine reichgekleidete Dame die drei Treppen hinauf, welche zu der, von Therese am verwichenen Tage gegen Alfred genannten Wohnung führten...
  14. XIV. Im Hause des Präsidenten hatte der Weihnachtsabend heiterer begonnen. Wenn schon nicht Alle fröhlich waren, so herrschte doch das innigste Wohlwollen unter den Mitgliedern des kleinen Kreises, ...
  15. XV. In den Stürmen, welche Alfred’s Leben bewegt, hatte er Sophien’s weniger gedacht und sie fast gar nicht gesehen. Julian’s Bitte, sie nicht zu verlassen, fiel wie ein Vorwurf in seine Seele ...
  16. XVI. Die Krankheit des Präsidenten hatte einen sehr gefährlichen Charakter angenommen. Als Alfred zu Sophien kam, war sie von derselben bereits unterrichtet und trat ihm mit der Frage entgegen, ...
  17. XVII. Alfred hielt Wort. Fast täglich besuchte er Sophie, aber die Nachrichten, die er ihr zu bringen hatte, waren wenig erfreulich. Der Zustand des Präsidenten schwankte anfangs hin und her,...
  18. XVIII. Langsam und drückend schwer gingen die Tage an Therese vorüber. Sie hatte gleich nach des Bruders Erkranken ihre Pflegetochter von sich entfernen, sie zu Frau von Barnfeld schicken wollen,...
  19. XIX. In des Kranken Zimmer angelangt, fand sie diesen in wilden Fieberphantasien. Der Arzt wurde geholt, neue Verordnungen wurden gemacht und Eva sah an der ängstlichen Eilfertigkeit, ...
  20. XX. Ohne Theresen’s Erlaubniß erhalten zu haben, kehrte Alfred mehrmals im Laufe des Tages zurück. Sie schien sich deß zu freuen, obgleich sie ihn nur ganz flüchtig dabei sah, es erquickte sie, ...
  21. XXI. Als Alfred zu Sophien kam, erkannte er selbst sie kaum wieder. Sie hatte zu der dunkeln, nonnenhaften Kleidung, die sie jetzt beständig trug, eine Haube aufgesetzt, die mit breiter Stirnbinde das Gesicht verhüllte. ...
  22. XXII. Julian’s Genesung schritt sicher, aber nur sehr langsam fort und mit der Beruhigung über seinen Zustand kehrten Theresen’s Gedanken, nach Sophien’s Entfernung, ...
Auszug: Erster Abschnitt

I. Gegen das Ende des Octobermonates war die vornehme Gesellschaft von Reisen, aus den Bädern, und von ihren Landsitzen heimgekehrt und die Winterunterhaltungen nahmen in der Residenz ihren Anfang.

Wie ein fröhliches Kind in eine blühende Wiese hineinspringt, jauchzend vor Lust und ungewiß, welche Blume es pflücken soll, weil alle ihm gleich schön und begehrenswerth erscheinen, so stürzte Eva sich in die Zerstreuungen, die sich ihr darboten. Theater, Concerte, Bälle und Gesellschaften wurden ihr zu reichen Quellen der Freude, und um so reicher, als ihre Anmuth und Fröhlichkeit einen großen Kreis von Bewunderern um sie versammelten.

Da sie fast an jedem Tage in Gesellschaft oder durch andere Zerstreuungen in Anspruch genommen war, kam sie seltener zu Therese, brachte aber, so oft sie erschien, einen solchen Schatz von guter Laune mit, daß Julian sich höchlich daran ergötzte. Eines Abends kam sie früher, als sie pflegte, und ihr Diener trug ihr mehrere Päcke Bücher nach.

Therese bewillkommte sie, und Theophil, der dabei war, sagte: Meine gnädige Frau! was bedeuten die Folianten, die Sie uns mitbringen? Sollten Sie die Absicht haben, sich den Wissenschaften zu widmen?

Komme ich Ihnen so alt und so häß ich vor, daß ich solch trauriger Zuflucht bedürfte? entgegnete sie und fügte hinzu: aber eine ernste Angelegenheit ist es allerdings und Ihr Alle sollt mir Rath geben.

Therese und Theophil boten bereitwillig ihre Dienste an und wünschten zu wissen, um was es sich handle.

Das sage ich nicht eher, als bis Sie, Herr Assessor, mir eine Frage beantwortet haben. Könnten Sie sich entschließen, mir einen Dienst zu leisten, an dem mir sehr viel gelegen ist?

Von Herzen gern, wenn es in meiner Macht steht.

O! das ist schon eine Hinterthüre, durch die Sie entschlüpfen wollen, dies: wenn es in meiner Macht steht. Daß Sie es thun können, das weiß ich, sonst forderte ich es ja nicht. Etwas Ueberwindung könnte es Sie kosten, aber dafür wäre es Ihnen auch höchst heilsam.

Und was ist es denn? fragte Theophil.

Sie sollen mit mir bei der Baronin Wöhrstein heute über drei Wochen in einer maskirten Quadrille tanzen.

Sie erzeigen mir zu viel Ehre, sagte Theophil, indem Sie Ihre Wahl auf mich fallen ließen, aber ich verdiene sie nicht. Ich bin ein schlechter Tänzer, gehöre überhaupt zu derlei Festen nicht und habe das der Baronin selbst gesagt, die mich dazu eingeladen hat.

Ach, das weiß ich ja Alles! rief Eva ungeduldig, das hat mir die Baronin erzählt und doch müssen und werden Sie kommen. Erstens taugt Ihnen das ewige Studiren, das Lesen und wieder Lesen gar nichts. Aus all den gelehrten Büchern holen Sie sich Ihre Kopfschmerzen und aus den poetischen Romanen den Lebensüberdruß und was Sie sonst noch quält. Sehen Sie, Herr Assessor, ich nehme nie ein Buch in die Hand; aber ich gehe aus, ich spreche mit vernünftigen Leuten, ich zerstreue mich alle Tage und davon bin ich gesund und zuletzt eben so gescheidt als alle Andern. So sollen Sie es auch machen.

Dies war nur „Erstens“, sagte Therese lachend, willst Du uns nicht das Zweitens mittheilen?

Zweitens, rief Eva, wird kein Cavalier einer Dame solche Bitte abschlagen, drittens werden wir Beide zusammen vortrefflich sein und viertens will ich es so, und darum muß es geschehen.

Dies ist allerdings so entscheidend wie der letzte Beweis der Könige, die Kanonen. Aber wollen Sie mir nicht wenigstens eine kurze Bedenkzeit gestatten? fragte Theophil.

Eva zog die Uhr aus dem Gürtel und sagte: Es ist jetzt sechs ein halb Uhr, um sieben, hat mir heute früh der Präsident gesagt, werde er zu Hause sein, um an der Berathung Theil zu nehmen; so lange gebe ich Ihnen Frist, dann müssen Sie sich entschieden haben. Inzwischen erlauben Sie, daß ich mit meiner Freundin eine Privatverhandlung abmache. Nun denken Sie nach, edler Assessor! rief sie und zog Therese an den Kamin, wo sie sich Beide niederließen...