XIII. Um die zwölfte Vormittagsstunde des nächsten Tages stieg eine reichgekleidete Dame die drei Treppen hinauf, welche zu der, von Therese am verwichenen Tage gegen Alfred genannten Wohnung führten...

XIII. Um die zwölfte Vormittagsstunde des nächsten Tages stieg eine reichgekleidete Dame die drei Treppen hinauf, welche zu der, von Therese am verwichenen Tage gegen Alfred genannten Wohnung führten.

Es war Caroline. Sie hatte die letzten Worte gehört, die Alfred mit Therese bei Frau von Barnfeld gesprochen, und nicht gezweifelt, daß es auf eine Zusammenkunft zwischen den Liebenden abgesehen sei. In heftiger Eifersucht hatte sie kaum die Stunde erwarten können, in der sie sich Gewißheit über ihren Argwohn zu verschaffen dachte, und als sie ihren Mann nach eilf Uhr hatte ausgehen sehen, hatte sie sich angekleidet und den Weg nach dem bezeichneten Hause eingeschlagen.


Sie sagte der dort Wohnenden, daß man sie ihr als eine geschickte Arbeiterin empfohlen habe und daß sie gekommen sei, ihr einige Aufträge zu geben. Frau Berent nahm diese mit großer Beflissenheit an, bedauerte aber, sie vermuthlich nicht so schnell ausführen zu können, als es verlangt ward, da die Krankheit ihrer ältern Tochter diese und sie selbst von der Arbeit abhalte. Caroline erklärte sich mit dem Aufschub einverstanden und Frau Berent wähnte nun das Geschäft abgethan, als sie mit Verwunderung bemerkte, daß Caroline sich niedersetzte und Boa und Muff von sich legte.

Sie wohnen recht behaglich, liebe Frau, fing sie theilnehmend an, waren Sie immer so gut eingerichtet?

Ich habe bessere Tage gekannt, gnädige Frau, antwortete Jene, und habe mich bestrebt, mir durch angestrengte Arbeit den äußern Anstrich einer Wohlhabenheit zu erhalten, die nie wiederkehren wird. Meine Töchter und ich haben die Nächte zu Hilfe genommen, wenn wir Arbeit hatten, um uns nur nicht von den Möbeln zu trennen, die ich aus dem Hause meiner Eltern mitgebracht habe.

Und hat der Präsident von Brand sich Ihrer in der letzten Zeit nicht angenommen?

Wie ein Schutzgott hat er für uns gesorgt! rief Frau Berent aus. Er hat es dahin gebracht, daß mein Mann eine andere Wohnung bezogen, er hat uns durch seine Schwester Arbeit verschafft, die uns seit den letzten Monaten fehlte, und den Arzt zu meiner kranken Tochter geschickt. Mit wahrer Großmuth erspart er uns die Demüthigung, Almosen annehmen zu müssen, indem er uns das Geld, das er uns auf die schonendste Weise angeboten, als Darlehn, nicht als Geschenk gegeben –

Die Frau konnte kein Ende finden in dem Lobe des Präsidenten, so daß Caroline sie mit der Frage unter brach: Und seine Schwester kommt auch zu Ihnen?

Ja, sie ist schon mehrmals hier gewesen und hat mir, als sie heute Wein für meine Tochter schickte, sagen lassen, daß sie um Mittag nach uns sehen würde.

Und kommt sie allein, wenn sie sich anmelden läßt?

Der Diener begleitet sie bisweilen.

Sonst Niemand? Haben Sie nicht gesehen, daß sonst Jemand sie begleitete oder sie erwartete, wenn sie fortging?

Gnädige Frau! versetzte die Berent, warum machen Sie diese Frage? Fräulein von Brand ist meine Wohlthäterin und –

Und Sie halten sich für verpflichtet, ihr einen Gegendienst zu leisten, das ist in der Ordnung! meinte Caroline spöttisch. Aber wissen Sie, was Sie damit thun? – Ich höre, Sie wollen sich scheiden lassen, Sie haben einen Mann, der Sie schlecht behandelt: da müssen Sie verstehen, wie einer Frau zu Muthe ist, die von ihrem Mann betrogen wird, und Fräulein von Brand ist es, die meinen Mann dazu verleitet.

In dem Augenblick läutete die kleine Thürglocke, Frau Berent ging hinaus zu öffnen und sah mit äußerster Bestürzung Therese anlangen. Von dieser verehrten Beschützerin Arges zu denken, war ihr unmöglich; und anzunehmen, daß eine so vornehm scheinende Dame, wie Frau von Reichenbach, absichtlich einer ihr fremden Frau das Unglück ihrer Ehe und die Ursache desselben mittheilen solle, ohne mindestens Gewißheit über diese zu haben, schien ihr ebenso unglaublich. Sie hätte Hab und Gut darum gegeben, um Therese zu entfernen, aber sie wußte es nicht anzufangen. Verwirrt und stotternd sagte sie, als diese bei ihr eintrat: Seit mehr als einer halben Stunde ist eine Frau von Reichenbach hier, die unaufhörlich nach Ihnen fragt.

Nach mir? wiederholte Therese. Sie hat Ihnen also wohl auf meine Empfehlung an ihren Mann neue Arbeit gebracht? Das freut mich. Wie stehts mit Ihrer Tochter?

Mit den Worten wollte Therese in das Zimmer gehen, aber Jene hielt sie mit angstvoller Geberde zurück und bat: Gehen Sie nicht hinein, folgen Sie mir; ich bin nur eine schlichte Frau, aber hören Sie meinen Rath und gehen Sie zurück. Es ist gewiß besser, gnädiges Fräulein, Sie gehen zurück.

Therese begriff die auffallende Unruhe der Frau nicht und schickte sich zu neuen Fragen an, als Caroline heraustrat und lächelnd sagte: Sie lassen so lange auf sich warten, daß ich fürchten muß, ich bin es, die Sie abhält, näher zu treten. Wenn ich Sie störe, will ich mich entfernen.

Nicht im geringsten! entgegnete Therese, mein Geschäft hier ist bald abgethan.

Sind Sie hergegangen?

Ja wohl! das schöne Wetter lockte mich dazu.

Und Sie haben Ihren Diener mit?

Therese verneinte es. Warum ließen Sie sich denn nicht wie gewöhnlich von Fräulein Agnes begleiten?

Ich dachte daran; es fiel mir aber ein, die Kranke hier möchte einen Ausschlag oder sonst ein Uebel haben, bei dem ich Agnes einer Ansteckung aussetzen könnte, deshalb ließ ich sie zurück.

Die vollkommen unbefangenen Antworten des Fräuleins schienen Caroline schwankend zu machen; dennoch fragte sie, ob Therese erlauben wolle, daß sie hier ihre Rückkehr aus dem Krankenstübchen erwarte und sie nach Hause begleite?

Sie nahm den Vorschlag ohne Weiteres an und ging mit der Hausfrau zu deren Tochter. Man fand sie schlafend, die Mutter schickte das jüngere Mädchen, das die Kranke bewachte, hinaus, ergriff Theresen’s Hände, küßte sie und sagte: Verzeihen Sie mir, wenn ich Sie beleidige. Ich weiß, es ist unmöglich, was jene Dame mir sagte; aber es könnte sein, daß irgend ein unglücklicher Zufall – daß Sie auf der Straße dem Manne der Dame begegneten und sie in der Vermuthung bestärkt würde, Sie wären um seinetwillen hergekommen –

Die arme Frau konnte vor Verlegenheit die Worte nicht finden, sie bat Therese flehend um Vergebung, falls sie zu weit gegangen sei aus redlicher Besorgniß für sie. Tief verletzt, suchte diese die geängstete Frau zu beruhigen, nahm die nöthige Rücksprache wegen der Kranken mit ihr und kehrte zu Caroline zurück, die ihr auf das freundlichste begegnete und mit der sie sich bald darauf entfernte.

Schweigend schritten sie nebeneinander her. Aber Therese konnte sich nicht überwinden, mit Frau von Reichenbach zu sprechen. Sie war zu sehr erschüttert von der neuen Beleidigung, welche diese ihr wieder zugefügt hatte, während Caroline jede Miene ihrer Begleiterin ängstlich bewachte und unruhig umherblickte, überzeugt, Alfred irgendwo zu begegnen. Aber statt Alfred war es Felix, der mit seinem Lehrer zu Pferde aus dem Park zurückkehrte, als die Damen eben in die Hauptstraße eintraten. Er grüßte freundlich und ritt vorüber. Seine Mutter gerieth dadurch in eine unangenehme Verwickelung. Sie mußte fürchten, der Knabe werde sie fragen, wo sie gewesen sei, und diese Frage könne ihrem Manne den Besuch bei Frau Berent verrathen, den sie ihm zu verbergen wünschte. Auch durch Therese konnte er davon benachrichtigt werden, deshalb fiel sie auf einen Ausweg und bat, als sie sich an der Ecke der Wilhelmsstraße trennten: Wenn Sie meinen Mann sehen sollten, liebes Fräulein, verrathen Sie ihm nicht, daß wir uns heute trafen. Ich habe dort eine Arbeit bestellt, mit der ich ihn überraschen möchte.

Therese sah sie ruhig an und sagte mit Würde: Die Bitte konnten Sie ersparen, Frau von Reichenbach! Durch mich soll Ihr Herr Gemahl es nicht erfahren, wie Sie Ihren und meinen Namen durch niedrigen Verdacht entehren.

Caroline wollte etwas erwidern, begütigend einlenken, aber Therese ließ es nicht zu. Sie verbeugte sich kalt und ging davon.

Unruhig und erbittert, weil sie sich gedemüthigt fühlte, legte Frau von Reichenbach den Weg nach ihrem Hause zurück. Diesmal hatte ihr Verdacht sie betrogen; dennoch glaubte sie an ein dauerndes Einverständniß Alfred’s mit Theresen und war gewiß, daß Beide sich oft sehen und sprechen mußten. Alfred’s Nachgiebigkeit gegen sie selbst, aus der edelsten Quelle entspringend, nahm sie für Zugeständnisse, die er ihr im Bewußtsein seiner Schuld gegen sie mache. Selbst die ruhige Haltung der Beiden am letzten Mittage dünkte sie ein Beweis, daß es nicht das erste Begegnen nach der Trennung gewesen sein könne, und sie gelobte sich, um jeden Preis die Wahrheit zu erfahren.

Felix brachte sie mit dem Vorgeben einer Ueberraschung zum Schweigen über ihr Zusammentreffen auf der Straße und die nächsten Tage verflossen ohne besondere Störungen für die Eheleute.

Eine Art von Waffenstillstand schien dadurch eingetreten zu sein, der Weihnachtsabend brach herein, man zündete die Kerzen des Tannenbaumes für den Knaben an, und die Bescherung fand statt. Aber war es die trübe, schmerzliche Stimmung des Vaters, die den fröhlichen Knaben beängstigte, oder wirkte das Andenken an die Freuden, die ihm Therese und Agnes verheißen, und die er nun entbehren sollte, nachtheilig auf ihn ein: er stand gleichgültig, fast traurig vor seinen neuen Reichthümern. Er betrachtete die Geschenke, die für ihn bereitet waren, die reichen Angebinde des Vaters für die Mutter, und blickte dabei verstohlen den Vater an, der sinnend in einer Ottomane saß und zerstreut den schönen Kopf seines großen Hundes streichelte.

Während Frau von Reichenbach der Dienerschaft und einigen armen Personen die Weihnachtsgaben zutheilte, Jedem die Größe des Geschenkes durch anpreisende Worte fühlbar machte und, wo es thunlich war, Besserung fordernd, eine Strafrede hielt, stieg Alfred’s Unmuth mehr und mehr. Ihm war diese üble Gewohnheit Carolinen’s, die sie mit allen Engherzigen theilte, verhaßt. Er liebte es, die Menschen zu erfreuen, er hielt es für unerläßliche Schuldigkeit, dem Armen von dem eignen Ueberflusse mitzutheilen, er fühlte sich glücklich, ein trauriges Antlitz zu erheitern. Mehrmals an diesem Abende hatte er schon Carolinen’s unliebenswürdige Weise durch Winke und mißbilligende Bewegungen getadelt. Er hatte sie gebeten, sich der Ermahnungen zu enthalten, in Folge deren alle Beschenkten mißmuthig und gekränkt davonschlichen. Endlich ward es ihm zu lästig und er wollte sich entfernen, als ein Blick auf den Sohn ihn davon zurückhielt. Die ganze Scene erschien ihm so freudlos, ihn jammerte des Knaben und er ging an den Weihnachtstisch, um irgend ein Spiel mit Felix zu beginnen, als dieser fragte: Mama! welches ist denn nun die Ueberraschung, die Du neulich mit Tante Therese bestelltest, als ich Euch auf der Straße zusammen begegnet bin?

Alfred horchte auf, Theresen’s Namen, die Erwähnung, daß seine Frau sie ohne sein Wissen gesehen, fielen ihm auf und er fragte: Was meint Felix damit?

Ach! er ist ein Kind! entgegnete sie. Er begegnete mir neulich, als ich von der Frau Berent kam, bei der ich zufällig das Fräulein getroffen hatte.

Du bei Frau Berent? und was wolltest Du bei ihr?

Hast Du mich nicht selbst gebeten, ihr Arbeit zu geben und Dich nicht mehr durch Stricken zu belästigen? antwortete Caroline.

Aber von welcher Ueberraschung spricht denn Felix? fuhr Alfred fort.

Ich weiß es nicht, von einer Ueberraschung war gar nicht die Rede. Was sollte ich dort bestellt haben, etwa die Bücher, die ich für Dich gekauft? oder das Necessaire? Felix weiß nicht, was er spricht.

Der Knabe betheuerte, die Mutter habe ihm streng verboten, dem Vater vor Weihnachten zu sagen, daß er ihr begegnet sei, weil sie ihm eine Freude machen wolle. Caroline schalt ihn einen kleinen Lügner, als Alfred plötzlich fragte: Wann warst Du bei der Berent?

Am Freitage.

Den Tag nach dem Mittagsessen bei Frau von Barnfeld, sagte Alfred mit Bedeutung, da ihm der Zusammenhang klar ward. O! nun verstehe ich’s, das ist Deine alte Art, das ist Deiner würdig.

Er that als höre er Carolinen’s Worte nicht, die sich spöttisch darüber äußerte, daß er sich des Tages so genau erinnere, wendete ihr den Rücken und setzte sich mit Felix nieder, ein chinesisches Zusammensetzspiel zu versuchen, das man ihm beschert hatte.

Aber seine Gedanken schweiften in die Ferne und er war froh, als die zehnte Stunde schlug und der Knabe zur Ruhe gehen mußte. Das arme Kind hatte keine rechte Lust von dem Feste gehabt, denn Leid und Freude des Einzelnen theilen sich elektrisch den Andern mit, und das Unglück seiner Eltern traf auch ihn.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Eine Lebensfrage. Zweiter Teil.