X. Zum zweiten Male hatte sich Alfred gegen seine Neigung mit seiner Frau vereinigt. Noch an dem Abend des Tages, an dem jene Ereignisse stattgefunden, die wir geschildert, ...

X. Zum zweiten Male hatte sich Alfred gegen seine Neigung mit seiner Frau vereinigt. Noch an dem Abend des Tages, an dem jene Ereignisse stattgefunden, die wir geschildert, hatte er Caroline in sein Haus geführt und nach einer erschütternden Scene zwischen den Gatten war eine Aussöhnung zu Stande gekommen.

Ermüdet von dem Kampfe mit sich selbst, überließ er die Bestimmung der äußeren Verhältnisse dem Präsidenten und seiner Frau. Diese hatte Neigung, auf das Land zurückzukehren, aber Julian widerrieth es ihr. Er fürchtete, wenn die Eheleute nach den Vorgängen der letzten Zeit sich allein, in der Stille des Landlebens gegenüberständen, würde das Andenken an die schmerzliche Vergangenheit zu mächtig sprechen und zu laut gehört werden. Es schien ihm wünschenswerth, daß ein gesellig und geistig angeregtes Leben ihnen über ihre mißliche Lage forthelfe, und beide Gatten erklärten sich bereit, in der Stadt zu bleiben, da ohnehin nichts schlagender dem gegen Therese verbreiteten Verdachte widersprechen konnte, als ein gutes Einverständniß der Eheleute und der beiden Familien untereinander.


Die Aufregung, die Gemüthsbewegungen, die Alfred empfunden, tönten in den ersten Tagen seines neuen Beisammenseins mit Carolinen lebhaft in ihm nach; aber edle Naturen haben eine solche Opferfreudigkeit, daß sie sich in vielen Fällen über sich und ihre Kraft, ja selbst über die Größe ihres Opfers täuschen. Je schwerer es ist, je mehr sie darunter leiden, um so mehr erhebt sie das Bewußtsein der Liebe oder der Ueberzeugung, aus der sie es dargebracht haben, um so fester hängen sie an Demjenigen, für den es gebracht ward. So empfand es Alfred, der in sich die Gewißheit trug, ein zerstörtes eheliches Verhältniß, zerstört durch gänzliche Verschiedenheit der Charaktere und Neigungen, könne nie zu einem beglückenden Bande werden. Er wußte, daß er nicht glücklich sein würde, und seine ganze Hoffnung war darauf gerichtet, der von ihm geliebten Freundin die verlorene Ruhe wiederzugeben, und, ungestört durch Carolinen’s Nähe, sich selbst und seinen Arbeiten zu leben.

Er ersuchte seine Frau, sich ganz nach ihren Wünschen in der Stadt einzurichten, er stellte ihr mit verschwenderischer Zuvorkommenheit bedeutende Summen zur Verfügung, und that Alles, sie äußerlich zufriedenzustellen. Er wollte ihr gewähren, was er ihr gewähren konnte, um sie dafür zu entschädigen, daß er ihr kein Herz zu bieten vermochte.

Aber diesen Mangel empfand Caroline zum Glück nicht mehr so tief. Sie war seit Jahren daran gewöhnt, daß ihr Mann ein in sich abgeschlossenes Dasein führte. Außer bei den gemeinsamen Mahlzeiten, bei einer Spazierfahrt oder einem Besuche hatten sie sich auch früher oft Tage hindurch nicht gesehen. So blieb es auch jetzt und Caroline war zufrieden, um so mehr als sie die Zerstreuungen der Residenz liebte, sie lange entbehrt hatte und nun eine reiche Unterhaltung in ihnen fand.

Nicht so war es mit ihrem Gatten. Wenn er einsam träumend in seinem Zimmer saß, störte ihn die unruhige Geschäftigkeit seiner Frau, die bald diese, bald jene Anordnung zu machen hatte und laut sprechend oder scheltend ihre Befehle gab, weil ihr, wie den meisten ungebildeten Menschen Ruhe, sowohl körperliche als geistige, kein Bedürfniß, laute Thätigkeit vielmehr ein Labsal war. Sie empfand und kannte das Glück nicht, durch keine äußere Bewegung, durch kein Geräusch gestört, den Geist ausruhen zu lassen in der Betrachtung seiner selbst, die Gedanken zurückkehren zu lassen in die stillen Tiefen der eigenen Seele, in ihr geheimnißvolles Geburtsland, um sie dann erstarkt der Außenwelt und dem Leben wieder zuwenden zu können. Sie wollte wie Menschen von niedriger Stufe der Entwicklung, wie die Kinder, von Außen her angeregt und beschäftigt werden. Sie mußte gehen, schaffen, sprechen und arbeiten, obschon eine zahlreiche Dienerschaft sie solcher Nothwendigkeit enthob. Versagte der Körper endlich ein mal den Dienst, war sie gezwungen, still und unthätig auf derselben Stelle zu bleiben, so mußte sie ihre Hände wenigstens beschäftigen und jedes Bändchen, jede Kleinigkeit, die ihr dann zunächst lag, ward ihr zu willkommenem Spiele.

Sie kannte keine Ruhe und eben deshalb hielt sie sich für fleißig und für thätig. Ihre klappernden Schlüssel, ihr beständiges Kommen, Gehen, Befehlen, die unruhige Hast, mit der sie arbeitete, hatten Alfred von jeher belästigt. Jetzt, wo er sich an die gleichmäßige Ruhe in Theresen’s Nähe gewöhnt hatte, machte die Weise seiner Frau ihn so ungeduldig, daß er es kaum zu verbergen, kaum zu ertragen wußte.

Er hatte sich es gelobt, Caroline milder zu beurtheilen, sie zufrieden zu stellen. Jetzt sah er sie heiter, zu jedem Lebensgenusse gestimmt, und es that ihm wehe, daß sie so leicht zu befriedigen war, daß sie glücklich sein konnte ohne Liebe. Er würde Mitleid mit ihr gefühlt, dies Mitleid würde ihn zu ihr gezogen haben, sagte er sich, wenn sie empfunden hätte, wie ganz ihr sein Herz verschlossen war. Daß sie es nicht fühlte, daß sie ihn mit Zärtlichkeiten überhäufte, wenn irgend eine ihrer kostspieligen Launen befriedigt war, mit Zärtlichkeiten, die er weder verlangte noch theilte, das verletzte ihn auf das Aeußerste und machte sie ihm widerwärtig.

Verstimmt und innerlich widerstrebend, erfüllte er ihr Verlangen, sie bei den Besuchen, die sie zu machen hatte, bei den Lustbarkeiten, an denen sie Theil zu nehmen wünschte, zu begleiten. Daß sie nicht an die Erschütterungen dachte, die er erlitten, daß sie selbst nichts davon empfand, schien ihm unglaublich; und wie unzart, wie rücksichtslos mußte sie sein, wenn sie so wenig Schonung für seine Stimmung hatte, ihn zu Genüssen zu überreden, die ihm augenblicklich unmöglich zusagen konnten.

Er hatte auf des Präsidenten Bitte, der ihn häufig besuchte, Therese noch nicht wiedergesehen, und Julian hatte ihm nur wenig von der Schwester gesprochen. So oft er in eine Gesellschaft trat, fürchtete er ihr zu begegnen, und wenn er sie nicht fand, seufzte er über die getäuschte Erwartung. Die blendend hellen Räume des Theaters, die überfüllten Gesellschaftssäle konnten ihn nicht zerstreuen, und bei dem nächsten Anlaß gestand er seiner Frau, daß er sich zu Vergnügungen nicht aufgelegt fühle, daß er sich bei seiner Arbeit und in seinem Hause wohler fühle. Er schlug ihr freundlich vor, den Abend mit ihm allein zuzubringen, und sie erklärte sich dazu bereit, aber mit einer so schlecht verhehlten Verdrießlichkeit, daß er seine Bitte schnell bereute. Sie blieb den ganzen Tag hindurch in übler Laune, sie schalt die Dienstboten, jede Bewegung, jede Miene des Sohnes gaben ihr Anlaß zu Tadel, jede Aeußerung ihres Mannes einen Grund zum Widerspruch. Endlich am Abend schien der Sturm besänftigt. Es ward ruhiger im Hause und Alfred verfügte sich in Carolinen’s Zimmer, die eifrig strickend am Theetisch saß, während Felix unter Aufsicht seines Lehrers in einer andern Stube mit den Arbeiten für den kommenden Tag beschäftigt war.

Ein paar Fragen seiner Frau, häusliche Angelegenheiten betreffend, waren bald beantwortet und Alfred griff mechanisch nach einem Buche, das vor ihnen lag. Er schlug es auf, durchblätterte es, der Gegenstand fesselte ihn und er wollte lesen; aber Carolinen’s Stricknadeln hinderten ihn daran. Der kleine, immer sich wiederholende Ton der gegeneinander schlagenden Nadeln war ihm lästig. Tausendmal hatte er das seiner Frau gesagt und sie gebeten, die ganz unnöthige Arbeit, wenigstens in seiner Gegenwart, zu unterlassen. Sie aber strickte gern und konnte, wie sie es nannte, nicht müßig sein. Alfred’s Widerwille gegen das Strickzeug galt ihr als eine von seinen räthselhaften Grillen, und sie strickte denn auch heute, wo sie nach längerer Trennung zum ersten Male wieder den Abend mit ihrem Manne allein beisammen war.

So gut er konnte, kämpfte er die unangenehme Empfindung nieder, er wollte sie gewähren lassen und sprach es nicht aus, wie ungeduldig sie ihn mache, indeß dabei zu lesen war ihm doch nicht möglich. Er legte das Buch aus den Händen und sagte, an das Gelesene denkend, halb zu sich selbst sprechend: Wie schön sind diese Briefe Yorik’s an Elise! welch innige Zärtlichkeit, welche Tiefe des Gefühls ist in ihnen! So oft ich sie vornehme, erfreue ich mich an der schlichten Darstellungsart dieser poetischen Schöpfung auf’s Neue.

Findest Du das? entgegnete Caroline, mir kommen sie sehr langweilig vor. Ich nahm sie heute mit, als ich das Eßzimmer aufräumen ließ, wo Du sie vergessen haben mußt, denn Deine Bücher liegen ja überall umher. Da habe ich beim Stricken eine Weile darin gelesen, aber es geht ja gar nichts vor sich in dem Buche!

Muß denn etwas geschehen in einer Dichtung, muß es große Scenen, Entführungen, muß es Mord und Todtschlag geben, damit sie uns anziehend wird? Ist die Schönheit des Gedankens und der Empfindung nicht genug?

Mord und Todtschlag braucht es nicht zu geben, aber Etwas muß doch geschehen, antwortete Caroline, Liebe oder sonst Etwas muß doch in einem Buche sein, die bloßen Gedanken thun es doch nicht.

Und was ist das anders als reinste, heiligste Liebe, rief Alfred lebhaft, nahm das Buch und begann den neunten Brief an Elise zu lesen, den er vorher angefangen hatte. Nach den ersten Seiten hielt er aber inne: Möchtest Du nicht wenigstens das Strickzeug fortlegen, während ich lese? bat er.

Caroline that es und er fuhr in dem Briefe fort; aber kaum hatte er noch ein paar Zeilen gelesen, als er sie leise gähnen hörte. Endlich nahm sie ihr Arbeitskörbchen zur Hand und fing darin etwas zu suchen an. Das störte Alfred, doch ließ er sich nicht unterbrechen und las weiter. „Ich will meine Frau und Tochter kommen lassen, hieß es an der Stelle, die sollen Dich, um zu gesunden, nach Montpellier, nach Bareges, nach Spaa führen, oder wohin Du willst. Du sollst es bestimmen und Ausflüge machen, in welchen Winkel der Welt die Phantasie Dich lockt. Wir wollen an den Gestaden des Arno fischen und uns in den lieblichen Labyrinthen seiner Thäler verlieren, meine Elisa!“

Caroline lachte laut auf. Nun! das wird für die Frau und die Tochter auch kein sonderliches Vergnügen gewesen sein, rief sie aus, wenn der alte Seladon und die sentimentale Elisa sich in den Labyrinthen verirren gegangen sind.

Aber Caroline! wie ist Dir diese Aeußerung möglich! rief Alfred unwillig und betroffen aus.

Ich begreife nicht, was Dir daran auffällt! Du weißt, für Ueberspannung habe ich keinen Sinn. Ich nenne die Dinge beim rechten Namen, und wenn ein verheiratheter, alter Mann einer fremden Frau solche Briefe schreibt, das finde ich unsittlich und empörend und diese Briefe sind langweilig trotz alledem. Ich schlafe dabei ein, wenn ich nicht stricken soll.

Alfred legte das Buch schweigend nieder. In demselben Augenblicke klapperten auch schon wieder die verhaßten Stricknadeln an sein Ohr und Caroline sagte: Du magst es glauben oder nicht und magst es kleinbürgerlich nennen, aber gegen einen guten gestrickten Strumpf kommt der beste gewebte englische nicht auf!

So lasse welche stricken! man hat mir in diesen Tagen von einer Frau gesagt, die mit ihren Töchtern dergleichen Arbeit wünscht! meinte Alfred, um sie zu begütigen.

Kennst Du die Frau? Sind die Töchter jung? fragte aber Caroline sofort mit einem Tone des Verdachtes.

Ich weiß es nicht, ich habe sie nie gesehen. Der Präsident interessirt sich für sie und sie bedürfen, wie er sagte, dringend einer Unterstützung.

Dann sind Mutter und Töchter häßlich! rief Caroline lachend. Wären sie hübsch, so sorgte der Präsident allein für sie.

Alfred zuckte verächtlich die Schultern und schwieg. Nach einer Weile warf Caroline, die wieder einmal eine ihrer besonders unliebenswürdigen Launen hatte, die Frage auf: Ich möchte wohl wissen, wie viel Frau von Barnfeld und die Brand’s jährlich verausgaben?

Alfred antwortete nicht darauf, und sie wiederholte die Frage mit dem Zusatz: Warum antwortest Du mir nicht?

Weil mir das sehr gleichgültig ist und weil ich es nicht mag, wenn Du Dich in der Weise um fremde Angelegenheiten kümmerst. Es hat ja Jeder vollauf mit den eigenen zu thun.

Ich glaube nicht, daß ich die meinigen vernachlässige! rief sie mit gewohnter Empfindlichkeit. Der Vorwurf trifft mich nicht.

Wer denkt denn daran, Dir einen Vorwurf zu machen? entgegnete ihr Alfred.

Es ist möglich, daß die Brand weniger bedarf als ich, aber wie armselig ist sie auch gekleidet! Freilich ist sie auch so verblüht, daß ihr die glänzendste Toilette nicht helfen könnte, fuhr Caroline eifrig fort.

Alfred stand auf und wollte sich entfernen, um seinem Zorne keine Worte zu geben, als Felix hereinsprang. Er hatte Theresen’s Namen gehört, und als falle ihm plötzlich Etwas ein, wendete er sich mit der Frage an den Vater: Warum gehen wir denn nicht mehr zu Tante Therese, Vater? Es war ja immer so hübsch bei ihr und ich bin ihr gut.

Du auch? rief Caroline.

Freilich! versicherte Felix. Sie weiß ja so viel Geschichten von alten Helden und von Elfen! laß uns doch morgen hingehn! Aber denke Dir, Vater, wie die Mutter drollig ist! Sie sagt, sie liebe Tante Therese nicht, und fragt immer nach ihr, wenn wir allein sind. Immerfort soll ich erzählen, was sie gesagt hat und was sie gethan hat, und was Du thust, wenn wir bei ihr sind. Ob sie auch zu uns herkommt! und heute hat sie mich zuletzt gefragt, ob Du Tante Therese küßtest. Du – die Tante! – Der Knabe lachte dazu, aber Alfred rief im Tone des höchsten Zornes: das ist empörend! stand heftig auf und verließ das Zimmer. Seine Frau folgte ihm erschrocken in seine Arbeitsstube nach. Sie versuchte, sich zu entschuldigen, ein Mißverständniß des Knaben vorzuschützen. Er hörte auf ihre Worte nicht, und als sie sich weinend an seine Brust lehnte, als sie ihn küssen wollte, stieß er zum erstenmale sie so unsanft von sich, daß sie zurücktaumelte. Die Falschheit wäre schlimmer, rief er, wäre strafbarer, als die Küsse, die ich nach Deiner Meinung mit Therese gewechselt haben soll.

Er ließ sie stehen, nahm Hut und Mantel und schritt in die helle Winternacht hinaus.

Der Schnee knisterte unter seinen Fußtritten, als er die Straße hinabging. Von beiden Seiten leuchtete Licht aus den Fenstern der Läden und Gasthäuser. Es war nur wenig Tage vor dem heiligen Abende und viel fröhliches Leben und Treiben in den Straßen. Knaben mit brummenden Waldteufeln liefen umher; Mütter aus den ärmeren Klassen trugen ihre Kinder auf den Armen, die fröhlich von den Wundern des Weihnachtsmarktes erzählten. Andere hatten sich mit Weihnachtsbäumen und einfachem Spielzeug beladen und guckten in die Fenster der Conditoreien hinein, an deren Thüren die Equipagen der reichen Familien hielten. Eben stieg ein stattlicher Mann vor einer derselben aus dem Wagen. Er war Alfred nahe befreundet und glücklich verheirathet. Behutsam hatte er seine Frau herausgehoben und zählte nun lachend die Kinder, welche der Diener ihm auf die Treppe hinaufreichte, damit die kleinen Füße den kalten Boden nicht berührten.

Alfred blickte bewegt auf das heitere Bild. Er wollte dem Freunde ausweichen und hüllte sich, schnell vorüberschreitend, tiefer in den Mantel. Aber der Andere hatte ihn erkannt und rief ihm scherzend zu: Wohin so eilig und so allein in der fröhlichen Weihnachtszeit? Sie schämen sich wol vor mir, daß Sie ohne Frau und Kind umherlaufen? Sehen Sie da, ich habe alle Vier mit hergebracht und war nahe daran, auf Verlangen meiner Frau, sogar die Wärterin mit dem Kleinsten mitzunehmen. Die Weihnachtszeit gehört der Familie an. Wo haben Sie die Ihrigen?

Sie sind zu Hause.

Und wo gehen Sie hin?

Ich will mir Bewegung machen, sagte Alfred. Das Bild des lieblichen Familienlebens that ihm wehe und er suchte zu entkommen, mit der Bemerkung, daß es zu kalt für die Kleinen sei, und daß er sie nicht aufhalten wolle.

Schnell und immer schneller schritt er vorwärts, je trüber die Gedanken in seiner Brust sich entfalteten. Alles war heiter in dieser Zeit; der Aermste suchte für die Weihnacht, für diesen Lichtblick in dem Familienleben der Deutschen, Freude zu schaffen in dem Kreise der Seinen. Elternliebe führte die Eheleute enger noch zusammen, aber er selbst hatte noch nicht an das Fest gedacht, seit er wieder mit seiner Frau unter demselben Dache lebte.

In dumpfem Mißmuth waren seine Tage dahingegangen, ein trübes Weihnachtsfest stand ihm in seinem Hause jetzt bevor. Wie anders hatte er es zu feiern gehofft, wie hatte Therese es dem Knaben seit seiner Ankunft anmuthig zu schildern gewußt! Alfred selbst war zum Kinde geworden mit dem Kinde; wie ein Knabe hatte er sich wieder auf das Fest gefreut. Mit sorgfältiger Liebe hatte er die Geschenke gewählt, die er für Therese bestimmt! Nun lagen sie da, und Therese sollte sie nicht sehen.

So widerwärtig als an diesem Abend war ihm Caroline nie gewesen. Er hatte sie nicht geliebt seit Jahren; heute verabscheute er sie. Er fragte sich, wie es ihm möglich gewesen sei, sich gegen seine bessere Ueberzeugung wieder mit ihr zu verbinden? Er klagte sich selbst unverzeihlicher Schwäche an, er zürnte dem Präsidenten und Theresen besonders. Tausend wilde Phantasien durchkreuzten sein Gehirn. Er wollte, er mußte frei werden.

Was zwang ihn denn, in den unerträglichen Verhältnissen auszudauern? Rücksichten auf seinen Sohn? Und wenn Felix stürbe, ehe er die Früchte dieses Opfers genossen hätte?

Schaudernd bebte er zusammen; denn der fluchenswerthe Gedanke zuckte in ihm auf, daß der Tod seines Sohnes ihn befreien, der Tod seines einzigen Kindes sein Glück begründen könne.

Er war allein in den fernsten Gängen des Thiergartens, tiefe Stille und Dunkelheit um ihn her. Der Wind hatte am Tage den Schnee von den Bäumen herabgeschüttelt, gespenstisch zeichneten sich die dunkeln Stämme der Bäume gegen die weiße Schneefläche des Erdreichs ab, und hoben ihre schwarzen, kahlen Aeste wie schaurige Wahrzeichen zum Himmel empor. Nur dann und wann schwirrte ein Vogel, langsam die breiten Flügel bewegend, an ihm vorüber, sich auf einem Baume das Nachtlager zu suchen. Ein leises Knistern der Zweige verrieth den Ort, an dem er es gefunden, ein paar liegen gebliebene Schneeflöckchen glitten unter seiner Berührung von den Bäumen zur Erde herab, dann regte sich Nichts mehr. Alfred war bange vor sich selbst, sein eignes Herz war ihm fremd und es graute ihm vor sich selber. Er ging und ging – und endlich löste sich die Starrheit, die ihn umfangen hielt.

In dem heiligen Schweigen, in der Ruhe der Natur fing er sich zu beruhigen, sich wieder zu sammeln an. Sein Leid löste sich in Thränen auf, der Sturm der Leidenschaft besänftigte sich, Kraft und Klarheit kehrten allmälig in seine gequälte Seele zurück.

Die frische Kälte der Winternacht kühlte sein erhitztes Blut und legte sich wohlthuend um seine brennende Stirn. Er schlug den Mantel zurück, damit der kalte Strom auch seine Brust berühre, und athmete tief auf, wie Jemand, der eine zu schwere Bürde von sich wirft. Statt scheu in die Zukunft zu sehen, blickte er fest in seine eigne Brust und eine tiefe Unzufriedenheit, eine beschämende Reue bemächtigten sich seiner.

Er hatte Hand an seine Frau gelegt, er hatte sich so tief erniedrigt, ein Weib die Kraft des Stärkern empfinden zu lassen. Sein Glück, er konnte es sich nicht verbergen, war ihm einen Augenblick hindurch theurer erschienen, als das Leben seines Kindes. Er hatte sie jetzt kennen lernen, die schaurigen Geheimnisse, welche die Tiefe der menschlichen Brust verbirgt, und fühlte deutlicher als je, wohin ein Zustand führen könne, der uns mit uns selbst in Widerspruch bringt.

Je länger er vorwärtsschritt, je fester bildete sich ein Entschluß in ihm aus, je zuversichtlicher gelobte er sich, ihn zu halten, aber er war müde geworden von dem innern Kampfe, er mußte einen Augenblick rasten. Trotz der winterlichen Kälte ließ er sich auf einer der Bänke nieder. Er schloß die Augen und ein Gefühl von Erquickung kam über ihn. Die unnatürliche Spannung seiner Geistes- und Körperkräfte ließ nach, die Schwingungen seines Blutes wurden gelinder, er konnte freier denken, freier fühlen.

Wie lange er so gesessen, er wußte es nicht. Das ferne Anschlagen eines Hundes erweckte ihn zur Wirklichkeit. Er erhob sich und schritt der Stadt zu.

Als er seine Wohnung erreichte, war es tief in der Nacht. Caroline hatte sich lange zur Ruhe begeben. Er eilte in sein Zimmer und trat vor das Bett seines Sohnes. Ruhig, mit der blühenden Röthe der Gesundheit auf den Wangen, schlief der schöne Knabe schon seit mehren Stunden. Sein Vater betrachtete ihn mit tiefer Erschütterung, endlich konnte er es sich nicht versagen, einen Kuß auf die Stirn des Sohnes zu drücken. Das erweckte den Knaben. Schlaftrunken blickte er auf und sagte freundlich, den Vater erkennend, indem er die Arme nach ihm ausbreitete: Lieber Vater!

Ein heißer Thränenstrom brach bei den schlichten Worten aus des Vaters Augen. Er drückte den Sohn fest an sich, küßte ihn und legte ihn dann mit weiblicher Sorgfalt in die Kissen zurück. Mein geliebter Sohn! – Das war Alles, was er sagen konnte, und es sagte Alles.

Am nächsten Tage erwachte er in sehr weicher Stimmung. Er suchte seine Frau auf, bot ihr versöhnend die Hand und bat: Laß uns des gestrigen Abends vergessen! Mich reut die Heftigkeit, zu der ich mich hinreißen ließ, aber auch Du warst nicht ohne Schuld. Wir wollen Beide schonender werden, damit unsere neue Vereinigung nicht nur eine leere Form bleibe, damit sie uns endlich zum Frieden verhelfe.

Aber Caroline nahm die Hand nicht, die er ihr bot, und antwortete ihm nicht. Sie nahm ruhig das Frühstück ein, bei dem sie Alfred gefunden hatte. Hörst Du nicht, was ich Dir sage? Hast Du keine Erwiderung darauf? fragte er.

Mißhandlungen kann ich nicht vergeben; ich kann es nicht vergessen, daß Du mich fortgestoßen, daß Du mich mißhandelt hast! sagte Caroline kalt.

Und glaubst Du, mich hätten Deine Worte, Dein Betragen nicht ebenso arg verwundet? Caroline! Worte sind oft verletzender als die schärfste Waffe. Laß uns den Balsam der Vergebung auf unsere Wunden legen, laß uns von Herzen vergessen. Wir haben Alles, was zum Glücke erforderlich ist, warum verbittern wir einander das Leben? warum trüben wir die Kindheit unsers Felix durch unsern beständigen Unfrieden? Komm! laß uns vergessen! Laß uns nur an den Knaben denken, wir wollen ausfahren, für seine Weihnachtsbescherung zu sorgen.

Ich habe in diesem Augenblick nicht Zeit, ich bin auch noch nicht für eine Promenade gekleidet, meinte Caroline schmollend.

So will ich warten; wann denkst Du fertig zu sein?

Mein Gott! Alfred! quäle mich nicht, rief sie heftig aus. Was gestern geschehen ist, ist geschehen. Redensarten ändern das nun einmal nicht, Redensarten habt Ihr Dichter billig. Und daß Du mich jetzt zum Ausgehen zwingst, da ich keine Lust dazu habe, ist auch nicht gemacht, mich zu versöhnen. Ich werde schon für Felix besorgen, was nöthig ist, Du brauchst mich nicht dazu zu treiben. Ich liebe mein Kind so gut als Du.

Alfred stand auf, da er sah, daß seine Frau nicht in der Stimmung war, in der er sie zu finden gehofft hatte. Als er sich entfernte, sagte sie: Gestern Abend ist eine Einladung zu heute Mittag von Frau von Barnfeld für uns abgegeben worden. Denkst Du sie anzunehmen?

Ja! sagte Alfred und ging hinaus.

Sie blickte ihm spöttisch nach. Natürlich! rief sie, aber was thuts? früher oder später mußte das doch geschehen!

Sie rief ihrem Mädchen und ordnete ihre Kleidung für den Mittag so glänzend als möglich an, sie wollte schön und prächtig sein ihrer gehaßten Nebenbuhlerin gegenüber. Sie scheute sich vor diesem Begegnen und doch hatte sie es seit lange gewünscht, um zu sehen, wie Alfred und Therese sich gegen einander verhielten.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Eine Lebensfrage. Zweiter Teil.