IX. In wechselnden Beschäftigungen und Bestrebungen verging die Zeit und man näherte sich dem Weihnachtsfeste. Therese hatte alle Personen ihres nächsten Kreises für den heiligen Abend eingeladen ...

IX. In wechselnden Beschäftigungen und Bestrebungen verging die Zeit und man näherte sich dem Weihnachtsfeste. Therese hatte alle Personen ihres nächsten Kreises für den heiligen Abend eingeladen und war rüstig dabei, für Jeden eine Freude zu bereiten. Sobald die Zeitungen dem Präsidenten gebracht wurden, pflegte sie nach den verschiedenen Anzeigen zu greifen, um zu sehen, was Luxus und Mode Neues geschaffen, um darunter für die Ihrigen zu wählen, was ihnen etwa noch erwünscht sein konnte.

Eines Morgens saßen die Geschwister ebenfalls friedlich bei einander, Julian mit den politischen Nachrichten beschäftigt, als eine Stelle unter den vermischten Nachrichten Theresen’s Auge fesselte. Sie las sie, das Blatt zitterte in ihren Händen und mit den Worten: Wer hat mir das gethan, wie habe ich das verschuldet? ließ sie die Zeitung zur Erde fallen, während sie ihr Gesicht mit den Händen verhüllte. Der Bruder fuhr erschreckt empor und fragte was es gäbe. Aber sie vermochte nicht zu antworten. Schweigend deutete sie auf das Papier. Er hob es auf und fand bald die Stelle, welche ihre Aufregung veranlaßt hatte. Sie war aus der Hauptstadt der Provinz datirt, in der die Güter des Herrn von Reichenbach lagen, und lautete wie folgt:


„Man spricht in unsern höhern Cirkeln davon, daß der gefeierte Dichter Alfred von Reichenbach, der bedeutende Güter in unserer Provinz besitzt, sich von seiner Frau trennen werde, mit der er seit elf Jahren in friedlicher Ehe gelebt hat. Eine Dame von Stande, ein Fräulein von B. in der Residenz, zu der er schon vor Eingehung seiner Ehe ein Herzens-Verhältniß gehabt hat, soll es verstanden haben, ihn aufs Neue zu fesseln, und Ursache der beabsichtigten Scheidung sein.“

Der Präsident war, wie seine Schwester, von dem unverdienten Angriff hart getroffen. Er drückte das Papier zusammen und schleuderte es von sich; dann aber wich der Zorn über die Kränkung dem Mitleid, das ihm die Schwester einflößte, die durch das Gewicht der Anklage wie vernichtet war.

Sie weinte nicht, sie klagte nicht. Sie hatte die Hände gefaltet und sah starr und regungslos in dumpfem Brüten vor sich nieder. Julian neigte sich zu ihr, zog sie an seine Brust und sagte: Hier findest Du Schutz! hierher zu mir wende Dich und weine Dich aus. Sieh nicht so starr vor Dich nieder; was thut das Geschwätz eines Elenden, wenn wir Alle an Dich glauben und Dein eigenes Gewissen Dich freispricht! Richte Dich auf Therese, sei stark, wie ich Dich immer gekannt habe. Sieh mich an und fühle, daß ich bei Dir bin, daß Dein Bruder bei Dir ist, dem Du heilig bist, wie seine Ehre.

Er hob ihren Kopf sanft empor und zwang sie, ihm in das Auge zu blicken; aber trotz der milden Ruhe in seinen Worten trug sein Gesicht so deutlich die Spuren der Erschütterung, daß Therese, davon getroffen, weinend an seine Brust sank. Er hielt sie lange fest umschlungen und gönnte ihr Zeit, sich innerlich klar zu machen, was ihr geschehen sei, während er selbst sich gewaltsam zu sammeln strebte und mit sich zu Rathe ging über Das, was er in diesem Falle zunächst zu thun habe.

Theresen’s erste Worte, nachdem sie ihres Schreckens Herr geworden, galten Alfred. Was wird er sagen? Wie wird er mich bedauern, wie tief wird es ihn selbst verletzen! rief sie aus. Wenn Du mich liebst, Julian, eile zu ihm, sage ihm, daß ich ruhig bin – nein! nein! unterbrach sie sich selbst, das ist eine Lüge, ruhig kann ich darüber nicht werden. Wenn ich denke die Eltern hätten das erlebt an ihrer einzigen Tochter! und Du, Julian, daß Du beschimpft wirst durch mich, o das ertrage ich nicht!

Ein neuer Thränenstrom erstickte ihre Stimme. Der Bruder hielt noch immer ihre Hand in der seinen; zuletzt drückte er sie herzlich und sagte: Glaubst Du, daß ich mein Haupt weniger frei erheben werde, weil ein Elender darnach zu zielen wagt? Wohl Dir und mir, daß seine Waffe uns nicht verwunden kann! Dein Leben ist ohne jeden Fehl! Wo wäre die innere Kraft vernünftiger Selbstschätzung, wenn sie uns in solchem Augenblicke verließe? Wenn wir nicht den Muth hätten, uns über eine elende Schmähung zu erheben? Richte Dich innerlich empor Therese, sei getrost, damit ich die Ruhe gewinne, der Außenwelt die Stirne zu bieten. Sehe ich Dich nur mit Dir selber einig, so wird alles Andere sich leicht zurechtlegen lassen.

O, vergib mir, Bruder, vergib mir! rief Therese noch immer in heftiger Bewegung. Hätte ich Dir gefolgt, hätte ich Alfred nicht wiedergesehen, so wäre das Alles nicht gekommen. Zürne mir nicht, Julian!

Ich sollte Dir zürnen, weil Du schuldlos leidest? Wollte der Himmel, ich hätte Dir jeden Kummer ersparen, Dich so glücklich machen können, als ich es wünschte, als Du es verdienst, mein armes Mädchen! mein Kind und meine Schwester! sagte der Präsident, während sein Auge von Thränen glänzte.

Therese küßte ihm inbrünstig die Hände und rief: Ich will Alfred nicht wiedersehen, wenn Du es verlangst.

Darüber wollen wir noch nichts entscheiden, antwortete Julian, ehe ich ihn selbst gesprochen habe. Daß wir uns innerlich frei fühlen und ruhig sein können, darf uns nicht abhalten, uns gegen die Pfeile zu schützen, die der üble Wille von Fremden auf Dich schleudern könnte. Ich ahne, von welcher Seite die Schmähung kam; es könnten ihr neue Angriffe folgen und die Ehre einer Frau muß durch keinen Verdacht angetastet werden; eine Frau muß auch den Schein eines Tadels zu vermeiden suchen. Wie wir Dir am sichersten Schutz gewähren, das kann ich nur mit Alfred gemeinsam berathen, zu dem ich eilen will, um ihn vor leidenschaftlichen Entschlüssen zu bewahren. Sie dürften seinem Charakter wohl zunächst liegen und würden das Uebel ärger machen. Lebe wohl, Schwester! sagte er, sie umarmend, und mache, daß ich Dich ruhig wiederfinde, denn besonnener Ueberlegung bedürfen wir heute.

Er entfernte sich und langte bald darauf bei Alfred an, dem er schon an der Thüre seines Hauses begegnete. Ich wollte zu Dir kommen, sagte Alfred, ich muß Dich sprechen.

So laß uns hineingehen, antwortete Julian mit einer Gelassenheit, die sehr gegen die Aufregung seines Freundes abstach.

In dem Arbeitszimmer seines Freundes angelangt legte der Präsident Mantel und Hut von sich, setzte sich ruhig nieder und sagte, die Zeitung in die Hand nehmend, die vor ihm auf dem Tische lag: So weißt Du es auch schon?

Meine Frau war bei mir, heute in aller Frühe, rief Alfred, gerade in dem Augenblick, in dem ich das höllische Machwerk las, das die reinste, edelste Seele beschimpfen sollte. Das ist der Schlag, vor dem mich Fernow warnte, den der elende Kaplan beabsichtigt hat. Sie haben es klug ersonnen, daß Caroline gerade heute kommen mußte, um sich an der Wirkung ihrer List zu weiden; aber ich danke es ihnen, denn sie geben mir die Freiheit wieder, indem sie mir neue Pflichten auferlegen und die alten Bande zerstören. Wüßte ich nicht, wie hart Therese von der Unwürdigkeit getroffen sein wird, so könnte ich Jenen danken für die Art, in welcher sie mich vorwärts treiben.

Lasse das, sagte der Präsident, Du bist in einer Aufregung, die nicht geeignet ist für die Besprechung, die ich wünsche. Ich kam zu Dir –

Nein! höre mich, laß mich erst sprechen! rief Alfred. Du weißt es, daß ich Therese liebe, daß ich sie schon in früher Jugend geliebt habe, daß der Wunsch, sie zu besitzen, mir die Fesseln doppelt unerträglich machte, die ich zu zerbrechen wünschte, ehe ich noch Therese wiedergesehen hatte, und in denen ich dennoch blieb, weil ich es für Pflicht hielt. Ich war nicht glücklich, ich wußte, Therese könne es nicht sein, denn eine unwiderlegliche Gewißheit in meiner Seele sagt mir, daß sie mich liebt. Aber ich wußte sie geschützt und geborgen an Deiner Seite, sie bedurfte meiner nicht und ich wollte mich darein finden, sie ein Scheindasein führen zu sehen, wie es das meine war. Nun tritt Caroline gegen sie auf und der elende Ruhberg lehrt sie die Waffen wählen, die am tiefsten verwunden. Sie stellen Therese der üblen Nachrede, dem falschen Urtheil preis, sie beschimpfen das reinste Verhältniß, das reinste Herz, die Frau, die ich liebe. Damit legen sie mir die heilige Pflicht auf, Theresen’s Ehre zu retten, damit geben sie mir meine Freiheit wieder. Ich wollte zu Dir kommen, um noch in dieser Stunde die Hand Deiner Schwester von Dir zu fordern. Noch heute übergebe ich die Scheidungsklage dem Gerichte und sobald ich frei bin, wird Therese mein.

Er hielt inne und der Präsident sagte in seinem kühlsten Tone: Und die Leute ersehen daraus, daß jene Nachricht die volle Wahrheit enthielt, daß es wirklich meine Schwester ist, die Dich zu der Scheidung veranlaßt hat.

Alfred war überrascht. In der großen Aufregung, in der Besorgniß für die Geliebte hatte er nur daran gedacht, ihr und sich selbst genug zu thun, und das Urtheil der Menge gar nicht in Betracht gezogen.

So beschützest Du Therese nicht, mein Freund! sagte der Präsident, so gibst Du sie vielmehr dem Tadel absichtlich anheim, thust, wozu Deine Neigung Dich führt, und versäumst, was Du bisher sehr richtig als Deine Pflicht erkannt hast und was auch thatsächlich noch heute Deine Pflicht ist.

Meine Pflicht ist allein, Theresen’s Kränkung zu vergüten, den Menschen zu zeigen, wie schuldlos sie an dem Vorwurfe ist, den man ihr macht, rief Alfred.

Der Meinung bin ich selbst, entgegnete der Präsident, darum verlange ich, daß Du Dich mit Deiner Frau vereinigst und –

Unmöglich! das kann nicht sein! unterbrach ihn Alfred; verlange, was Du willst, nur das Eine fordre nicht.

Es gibt keinen andern Ausweg, es ist das Einzige, was Du für Therese thun kannst, sagte der Präsident sehr ernst, eben darum fordre ich es auch von Dir, und werde weder an Deine Freundschaft für mich, noch an Deine Liebe für Therese glauben, wenn Du Dich weigerst, das Opfer zu bringen.

Alfred ging, wie es bei heftiger Gemüthsbewegung seine Art war, mit schnellen Schritten im Zimmer umher. Hast Du Caroline gesprochen? fragte der Präsident.

Nein! ich habe ihr sagen lassen, ich wolle und würde sie nicht sehen.

Und dann? fragte Julian.

Dann ist sie in das Hotel zurückgekehrt, in dem sie gestern abgestiegen ist, wie sie dem Diener sagte. Aber was soll die Frage?

Dich veranlassen, Deine Frau aufzusuchen und sie in Dein Haus zu führen. Folge mir, Alfred, bat er dringend, gib mir nach, denn ich bin ruhiger als Du. Nimm Caroline nachsichtig auf, Du rettest Theresen’s Ehre damit, Du vernichtest Ruhberg’s Plane, der Dich mit Gewalt aus Deinem Eigenthume vertreiben, die Erziehung Deines Sohnes, das Wohl Deiner Gutsinsassen in seine Hände bekommen möchte. Kannst Du da noch schwanken?

Du zeigst nur eine Seite der Medaille, sagte Alfred; das Elend, die Lüge und das Leid der Kehrseite hältst Du wohlweislich verborgen. Ich soll dem falschen Urtheil der Menge genugthun und mich selbst verachten müssen, wenn ich in den unwürdigsten Ketten liege. Was kümmert uns das sinnlose Urtheil der thörichten Welt, wenn Therese und ich endlich das Glück erreichen, das wir erstreben!

Du schiltst die Welt thöricht und ihr Urtheil sinnlos, jetzt, wo Du es gegen Dich zu haben fürchtest. Als es Dich den Liebling des Volkes nannte, als es Deine Dichtungen bewunderte und Dich wegen der vortrefflichen Einrichtungen auf Deinen Gütern pries, hast du es hochgeschätzt und anders darüber gedacht. Der heutige Tag wird vergehen, mein Freund, Jahre werden sich über die Leiden dieser Zeit hinwälzen, Du wirst ruhig geworden sein über Das, was Dich jetzt bewegt. Gegen das Urtheil der Menschen wird eine Natur wie die Deine nie gleichgültig werden. Ihr Lob, ihre Bewunderung werden Dich freuen, ihr Tadel Dich schmerzen wie heut; und hegtest Du keine Achtung vor der Reinheit Deines eigenen Namens, so fordere ich, daß Du sie vor dem fleckenlosen Rufe meiner Schwester habest, den ich zu schützen verlange.

Alfred gab sich nicht für überwunden. Er versuchte vielmehr den Präsidenten für seine Ansicht zu gewinnen. Er malte ihm in grellen Farben die Zukunft aus, der er ihn überantworten wolle, er erinnerte ihn an ihre Unterhaltung über das Unglück einer Ehe, die in sich zerfallen sei, bestritt, daß der gute Zweck Julian’s das Mittel heilige. Umsonst! der Präsident beharrte bei seiner Erklärung und wußte für seine Forderung so entscheidende Gründe anzuführen, daß Alfred endlich ausrief: Uns Beide bewegen zu verschiedene Wünsche, wir sind Beide Partei, unser Urtheil ist befangen. Laß uns zu Therese gehen; sie mag entscheiden, und was sie von mir fordert, das kann, das werde ich thun.

Mit diesem Vorschlage erklärte Julian sich zufrieden und die Freunde machten sich auf den Weg nach der Wohnung des Präsidenten, in der sich inzwischen neue Verwicklungen vorbereitet hatten.

Kaum war nämlich der Präsident von der Schwester hinweggegangen, als der Diener ihr eine Dame meldete, die ihren Namen nicht nennen wolle, sie aber dringend zu sprechen verlange. Therese, unfähig, in ihrer Stimmung eine Fremde zu empfangen, befahl dem Diener, die Dame um Wiederkehr zu einer andern Stunde zu ersuchen. Trotz dieser ablehnenden Antwort öffnete sich bald darauf die Thüre, eine Frau trat heftig herein und sagte: Um Vergebung, wenn ich Sie störe, mein Fräulein, und gegen Ihre Erlaubniß mich bei Ihnen einführe. Ich bin genöthigt, Sie aufzusuchen, da mein Mann, vermuthlich aus Rücksicht für Sie, mich nicht sprechen will. Ich bin die Frau Ihres Freundes, des Herrn von Reichenbach.

Therese war keines Wortes mächtig. Carolinen’s unerwartetes gewaltsames Erscheinen, die Art, in welcher sie gegen sie auftrat, nahmen ihr jede Fassung, und es konnten auch kaum zwei verschiedenere Frauen gedacht werden, als diese beiden, die sich jetzt zum ersten Male im Leben einander gegenüber standen. Die unschönen, bleichen Züge Theresen’s, aus denen jedoch die Würde einer edlen Seele, die Ruhe wahrer Weiblichkeit sprachen, selbst ihre schlichte Kleidung, bildeten einen großen Gegensatz gegen Frau von Reichenbach, die vor Zorn erglühend, in leidenschaftlicher Unruhe, fast erlag unter der Last ihres überladenen Anzugs. Beide hatten wohl ein anderes Bild von einander gehabt und sahen sich einen Moment befremdet an. Daß Alfred diese Frau nicht lieben, daß er von ihr nicht verstanden werden konnte, fühlte Therese deutlich und sie beklagte ihn von Herzen, während Caroline sich fragte: Wie kann Alfred mir, eben mir dieses bleiche, nicht schöne Mädchen vorziehen? Was kann ihn an sie fesseln? und sollte es mir nicht gelingen, ihn zu mir zurückzuführen, wenn er uns neben einander sähe? Ein Gefühl von Triumph erhob sich in ihrer Brust, trotz der Verlegenheit, die immer mehr Herrschaft über sie gewann, so daß sie keine Worte für Das zu finden wußte, was sie seit lange beschlossen hatte, der verhaßten Nebenbuhlerin zu sagen.

Endlich war es diese, die sich überwand. Was verschafft mir die Ehre, Sie zu sehen, gnädige Frau? Ich will nicht glauben, daß Sie herkamen, sich an meiner Kränkung zu erfreuen! sagte sie so ruhig als sie es vermochte.

Ihre Kränkung! rief Caroline, und wodurch sind Sie gekränkt? Ich verstehe Sie nicht.

Therese reichte ihr statt der Antwort das verhängnißvolle Blatt. Frau von Reichenbach durchlas es und sagte mit einem bösen Aufwerfen der Lippen: Ist es meine Schuld, wenn ein Gerücht, das in unserer Gegend allgemein verbreitet ist und an das ich leider selber glauben muß, den Weg in die Zeitungen findet, da mein Mann leider zu denen gehört, die sich als öffentliche Charaktere derlei auch gelegentlich gefallen lassen müssen.

Die Worte „mein Mann“ von Carolinen’s Lippen ausgesprochen durchzuckten Therese wie ein Dolch stoß und wider ihren Willen schlug sie die Augen zu Boden, als Caroline heftig ausrief: Sie sagen, daß Sie leiden! und was habe ich anders gethan, als gelitten, seit vielen Jahren und immer nur und ganz allein durch Sie! Ich hatte einen Bräutigam, der mich anbetete, von dem ich das höchste Glück erwartete. Da traten Sie dazwischen und raubten mir seine Liebe. Das Andenken an Sie hat mir sein Herz entfremdet, unsere Ehe unglücklich gemacht. Ich war die Kälte meines Mannes endlich gewohnt worden, ich fing an Ersatz in meinem Sohne zu finden und gab mich endlich darein. Da treten Sie zum zweiten Male zwischen meinen Mann und mich, da verbannen Sie mich aus seiner Nähe und trennen mich von ihm und meinem Kinde. Kennen Sie eine Einsamkeit wie die, in der ich gelebt habe die ganze Zeit hindurch? Ein edler, verständiger Freund räth mir, Alfred noch einmal zur Versöhnung zu überreden. Auf seine Veranlassung fahre ich hierher. Ich treffe am Abende hier ein, aber ich wage nicht das Haus meines Mannes, mein Haus, als das meine zu betrachten, ich muß ein Zimmer in einem Hôtel beziehen. Ich bin an demselben Orte mit meinem Manne und meinem Sohne und ich soll Beide nicht sehen. Mein Mann weiset mich von sich und verweigert mir meinen Sohn, weil er Sie liebt. Die Leiden, die Sie mir verursachen, sind in der That größer, als der Verdruß, den Sie über den Bericht empfinden können, den ich jetzt bei Ihnen zum ersten Male sehe.

Sie hätte noch lange fortfahren können zu sprechen, ohne von Therese unterbrochen zu werden. Der Gedanke, daß man ihrem Verhältniß zu Alfred eine falsche Deutung geben könne, war ihr bis zu diesem Tage nie gekommen. Die heimliche Anklage der Zeitung, Carolinen’s Vorwürfe fielen wie ein grelles Licht in ihre Seele und zeigten ihr ihr eignes Bild in völlig veränderter Gestalt. Großmüthig, wie ihre Natur es war, vergaß sie, daß es die üblen Eigenschaften Carolinen’s waren, welche Alfred von dieser entfernt hatten. Nur das Gefühl, sie erstrebe die Liebe, sie besitze das Herz eines Mannes, der einer Andern Treue geschworen habe, sie stehe trennend zwischen den Eheleuten, war in ihr rege. Sie fühlte sich tief erniedrigt und beschämt und ihre Thränen strömten unaufhaltsam.

Diese unverkennbare Bewegung ihrer Nebenbuhlerin stimmte Frau von Reichenbach allmälig milder. Sie hatte erwartet, eine Frau in Therese zu finden, die, stolz in ihrem Glücke, den Anforderungen Hohn sprechen würde, welche sie zu machen gekommen war. Theresen’s leidendes Aussehen, ihr Schmerz, den Caroline für Reue hielt, söhnten sie gewissermaßen mit ihr aus und gaben ihr Hoffnung. Sie faßte die Hand der Weinenden und sagte nicht ohne eigene Rührung: Mein Mann hat Sie mir so oft als gut und edel geschildert, mein Fräulein! Zeigen Sie mir, daß Sie es sind. Geben Sie ihn frei! Ich will nicht leugnen, ich trage einen Theil der Schuld, die unsere Ehe verdarb; aber sind Sie denn fehlerlos? Ich liebe meinen Mann, ich habe empfinden lernen, wie er mir fehlen würde überall, daß ich nicht glücklich sein kann ohne ihn, und er ist meines Sohnes Vater. Geben Sie ihn frei!

Wollte Gott, ich könnte das! sagte Therese leise.

Sie können es! rief Caroline. Nehmen Sie ihm nur die Hoffnung, sagen Sie ihm nur, daß Sie ihn nie heirathen würden, und er wird zu mir zurückkehren. Ich läugne es Ihnen nicht, ich beklage Sie! Ich will glauben, daß Sie ihn lieben, aber was ist Ihre Liebe gegen die Rechte einer Frau? Was ist ein solches Verhältniß wie das Ihre gegen eine Ehe? Was sind Ihre Ansprüche gegen die meinen? Sie opfern einen Liebhaber, der Sie nicht lieben darf, der eine schwere Sünde damit begeht an Frau und Kind: und ich soll meinen Mann und mein Kind zugleich verlieren? Nimmermehr! aber freilich Sie wissen nicht, was Mutterliebe ist! Sie wissen nicht, was Sie an mir verbrechen!

Vor der unedlen Ausdrucksweise zog sich das Herz der armen Therese kalt zusammen, wie von einer eisigen Hand berührt. Daß eine Frau wie diese ihr solche Vorstellungen machen durfte, daß sie dieselben nicht als ganz grundlos von sich zu weisen vermochte, das erniedrigte sie in ihren eignen Augen. Sie fühlte an dem Schmerz, der sie durchwühlte, wie wenig sie seit lange an eine Trennung von Alfred gedacht, wie sehr sie ihn als zu sich gehörend betrachtet, wie sie sich betrogen hatte mit dem Glauben, Alfred’s Freundschaft genüge ihr und sie werde niemals mehr verlangen. Worauf sie gehofft, was sie erwartet und ersehnt, ward ihr jetzt unabweisklich klar und Alfred’s Ausspruch stand plötzlich wie mit flammenden Schriftzügen vor ihrem innern Auge: Wahre Liebe strebt nach gänzlicher Vereinigung! Ja! so war es! Sie liebte Alfred, sie wünschte und verlangte die Seine zu werden; sie liebte einen Mann, der durch Bande, die er selbst nicht zu lösen wagte, gefesselt war; und sie hatte sich bis jetzt für schuldlos gehalten, während sie eine Sünde in sich nährte und diese Sünde als Tugend an sich bewunderte.

Mit hoher Selbstüberwindung und mit dem Tone der Wahrheit sprach sie, nachdem sie lange schweigend mit sich gerungen: Es soll anders werden, Frau von Reichenbach! ich will versuchen, Sie mit mir auszusöhnen. Ich will versuchen, Sie zufrieden zu stellen. Was ich kann, werde ich thun, Ihnen den häuslichen Frieden wiederzugeben, ohne Rücksicht auf mich; aber haben Sie Mitleid, haben Sie Nachsicht mit mir und überlassen Sie mich diesen Augenblick mir selbst. Ich ertrage es nicht länger; Ihre Gegenwart drückt mich zu Boden.

Caroline stand auf und betrachtete Therese verwundert: Ist das die Wahrheit oder ist es nur der Wunsch, mich zu entfernen, der Sie zu den Versprechungen veranlaßt? fragte sie.

Der niedrige Verdacht erhob Therese und ruhig antwortete sie: Ich habe Niemand getäuscht im Leben, als mich selbst. Was daraus erwächst an Leid und Schmerz, werde ich ertragen und mich nicht schonen aus selbstsüchtiger Schwäche. Ich konnte irren, aber ich beharre nicht im Irrthum, wenn ich ihn erkannt habe als solchen. Glauben Sie mir das und leben Sie wohl.

Und woran werde ich wissen, daß Sie Ihren Vorsatz ausführen?

Sie sollen noch heute den Beweis davon erhalten, wenn es in meiner Macht steht, entgegnete Therese, während sie Caroline begleitete, die sich entfernte.

In völliger Erschöpfung fiel sie in den Sessel, der ihr zunächst stand; sie wollte einen Plan fassen, ihre Gedanken ordnen, aber eine Stumpfheit ihrer geistigen und körperlichen Kräfte hinderte sie daran. Sie hätte es für eine Gnade des Himmels gehalten, wenn eine Ohnmacht ihr auch nur für wenige Augenblicke das Bewußtsein des Elends genommen hätte, das über sie hereingebrochen war und gegen das anzukämpfen ihr die Kraft fehlte. Sie fühlte, daß sie einen Entschluß fassen müsse, um sich jene Achtung vor sich selbst zu erhalten, die im Stande ist, uns über das schwerste Leid hinwegzutragen. Es war ihr als müsse sie beten um Kraft, aber die Stimme der Vernunft in ihr fragte: Warum beten um Etwas, das die Natur dir gegeben hat? Warum Hülfe erwarten, wo du sie dir selbst gewähren kannst? Du mußt wollen und du wirst können.

Und der starke Wille, das Rechte zu thun, trug auch jetzt den Sieg über die Schwäche davon. Sie richtete sich empor und überlegte, wie sie Dasjenige am besten erreichen könne, was sie für ihre Pflicht hielt, als Alfred selber sich bei ihr melden ließ. Er hatte den Präsidenten gebeten, ihn mit Therese allein zu lassen und nicht durch seinen Einfluß das Urtheil der Schwester zu bestimmen.

O gut, daß Sie kommen! rief sie ihm entgegen: gut, daß ich Sie sehe!

Plötzlich stockte sie. Was hatte sie denn eigentlich im Sinne? Sie wollte Alfred bitten, zu seiner Frau zurückzukehren, sie wollte ihm sagen, daß sie ihre gegenseitige Neigung, ihr Verhältniß für ein strafbares halte; aber das hieße ihm ja eingestehen, daß sie ihn liebe, daß sie auf die Zukunft unbewußt Hoffnungen gebaut habe, vor denen sie jetzt erröthete. So gedemüthigt, wie sie sich vor Caroline gefühlt hatte, so beschämt stand sie vor Alfred, als dieser, ihr Schweigen benutzend, ihr in raschen beredten Worten nochmals seine Liebe gestand und sie beschwor, die Seine zu werden.

Wir waren verblendet, Therese! sagte er, als wir uns sträubten, dem Zuge zu folgen, der unsere Seelen zu einander führt. Ich schuf mir eine Welt von eingebildeten Pflichten, die ich schlecht erfüllte, denn mein Herz erkannte sie nicht an und hatte keinen Theil an ihnen. Wir haben entsagen wollen und haben davon gelitten. Haben wir zu entsagen vermocht? Glüht nicht die heftigste Leidenschaft für Sie in meiner Brust? Fühlen Sie nicht, trotz aller Kämpfe, daß Sie mich lieben? daß wir nicht glücklich sein können ohne einander? daß Sie mein sind und mein bleiben müssen? daß ich Sie nicht lassen kann und werde? Sprechen Sie ein Wort, Therese, nur das eine Wort, und Sie geben mir Leben und Glück und Ruhe wieder.

Er hatte sich bei den letzten Worten zu ihr geneigt und schloß sie an seine Brust. Das erweckte sie aus dem traumhaften Sinnen, mit dem sie auf seine Worte gelauscht hatte. – Die Sprache seiner Liebe überwältigte ihr Herz, ein nie gekanntes Glück erfüllte sie, alle Vorsätze, alle guten Entschlüsse waren vergessen. Vergessen waren Caroline und die Versprechungen, die sie ihr aus vollster Ueberzeugung geleistet. Alfred war da, sie sah ihn wieder, er liebte sie, er bot ihr seine Hand! Das Glück winkte ihr, nur ein Wort von ihrem Munde und sie stand am Ziele ihrer heißesten Wünsche.

Ihre Arme erhoben sich, den Geliebten zu umfangen, ihre Sehnsucht zog sie, an seinem Herzen auszuruhen von ihren Leiden, aber hart und mächtig mahnend rief die Stimme ihres Gewissens sie zurück und erbleichend machte sie sich aus seinen Armen frei.

Nicht um solche Worte zu hören, habe ich Sie zu sehen verlangt, sagte sie seufzend und stockte aufs Neue; nicht dazu! wiederholte sie tiefaufathmend; und freier und wärmer werdend, fügte sie hinzu: Ich habe Frau von Reichenbach gesehen, sie war bei mir, sie verlangt, daß ich ihre Fürsprecherin bei Ihnen werde.

Unmöglich! rief Alfred, sie hätte es gewagt, sich Ihnen zu nähern, nach der Beleidigung, die sie Ihnen angethan?

Nein! unterbrach ihn Therese, nein! Sie irren! Ihre Frau ist nicht dabei im Spiele, sie wußte nichts von der Unwürdigkeit, sie war davon überrascht, sie ist ihr völlig fremd. Aber – Ihre Frau bittet Sie um Vergebung, sie verlangt von ihrer Großmuth Nachsicht. O, Sie wissen es nicht, wie es mir das Herz zerriß, eine Frau zu sehen, die ihren Gatten, ihren Sohn wiederfordert, von mir wiederfordert, sagte sie erröthend. Wie heilig klang mir der Name einer Gattin, einer Mutter aus ihrem Munde! Ich fühlte, daß diese Bande unauflöslich sind, daß sie allein Achtung fordern, daß sie Alles ausgleichen, Alles austilgen müssen, daß kein anderes Verhältniß vor ihnen bestehen darf. Ich hätte mein Herzblut hingeben mögen, um Ihrer Frau genug zu thun, wenn ich allein es bin, die Sie von ihr entfernt hat!

Alfred lächelte mit bitterem Hohn. Wie täuscht Sie Ihr großmüthiges Herz! sagte er. Wie wenig kennen Sie diese Frau, wie wenig verdient sie das Opfer, das Sie ihr bringen wollen!

Sie mag gefehlt haben, Fehler haben, unterbrach ihn Therese, die durchaus vollenden wollte, was sie für ihre Pflicht hielt, aber sind wir frei von Schuld? Sie will auf sich wachen. Alfred, haben Sie Erbarmen mit ihr und mit mir! – Sie ist die Mutter Ihres Sohnes; wie wollen Sie sich an dem geliebten Kinde erfreuen, ohne liebend der Frau zu denken, die es Ihnen geboren hat? – Sie bieten mir Ihre Hand, Sie wollen Ihre Frau verstoßen. Aber kann ich Ruhe finden bei dem Bewußtsein, daß mein Glück auf den Trümmern Ihrer Ehe gegründet wird und daß Ihre Frau der Stunde flucht, die uns verbindet? Lassen Sie uns das Beispiel der Seelengröße nachahmen, die Sie so oft und so begeistert geschildert haben, lassen Sie uns entsagen. Kehren Sie zu Ihrer Frau zurück, geben Sie Ihrem Sohne die Mutter, mir und sich die Achtung vor uns selbst wieder, nehmen Sie den Fluch der Schuld von uns!

Alfred hörte ihr lautlos zu. Was sie von ihm verlangte, was sie ihm als Pflicht vorhielt, er beachtete es kaum. Daß sie ihn liebe, hörte er allein in ihren Worten; sie schien ihm schön und schöner zu werden und nie zuvor hatte er sie stärker und zärtlicher geliebt, als in dem Augenblicke, da sie mit solcher Selbstverleugnung, mit so edler Wärme zu ihm sprach.

Noch einmal und immer wieder schilderte er ihr das Glück, das sie ihm gewähren könne, das Leid seiner unglücklichen Ehe mit Caroline. Waren Sie ohne Schuld daran, haben Sie die Nachsicht für sie gehabt, die eine solche Frau von Ihnen fordern durfte? Sie sind mit einem heimlichen Widerstreben die Ehe eingegangen, hat dies Bewußtsein Sie niemals ungerecht gegen Ihre Frau gemacht? – Und wenn es wirklich wäre, wie Ihre Frau behauptet, wenn es mein unseliges Bild gewesen wäre, welches störend zwischen Ihnen und Caroline gestanden hätte, wenn ich unbewußt die Schuld trüge an Ihrem Unglück, gönnen Sie mir den Trost, versöhnend zwischen Sie und Ihre Frau zu treten. Gönnen Sie mir die Hoffnung, mein theurer, lieber Freund! daß ich es bin, daß die Achtung vor mir und vor sich selbst es ist, die Sie zu Ihrer Frau zurückführt, die Ihrem Sohne die Eltern wieder zusammenführt.

Umsonst! ihre Bitten scheiterten an Alfred’s Ueberzeugung, daß er mit seiner Frau nicht glücklich wer den könne. Er verbarg der Geliebten die Ansichten ihres Bruders nicht, aber dennoch forderte er die Erfüllung seiner Wünsche, dennoch beharrte er darauf, daß er es nicht ertragen könne, in der Unwahrheit zu leben, zu der die Vereinigung mit seiner Frau ihn zwinge.

Glauben Sie nicht, Therese, sagte er, daß die Ereignisse des heutigen Tages mich zu meinen Handlungen bewegen. Schon lange fühle ich, daß für mich kein Wirken und Schaffen möglich ist, daß ich elend und muthlos werde, wenn ich mit mir selbst nicht einig bin. Ich habe es versucht, mich zufriedenzustellen durch die Erfüllung meiner Pflicht; sie sollte mir Kraft und Ruhe geben, mich über Ihren Verlust zu trösten. Ich habe mich getäuscht, sie konnte das nicht. Fühlen Sie nicht, daß dem Menschen ein unwiderstehliches Verlangen nach Glück, nach Wahrheit innewohnt? Ich habe das Unrecht begangen, ein Mädchen zu meiner Frau zu machen, die ich nicht mehr liebte. Ich habe in guter Absicht gefehlt und schwer dafür gebüßt. Wollen Sie, daß ich zum Unrecht das Verbrechen füge, in erkanntem Unrecht zu beharren? Wollen Sie, daß ich in den Armen meiner Frau mich nach Ihnen sehne? Wollen Sie in dem falschen Glauben, ich könnte Sie vergessen, mich zu einer Tiefe des Elends hinabstoßen, von der Ihr reiner Blick sich schaudernd abwenden würde, wäre ich hart genug, sie Ihnen zu enthüllen? Das können Sie nicht wollen, das willst Du nicht, Therese! oder Du hast mich nie geliebt. Wenn Du fühltest wie ich, wenn nicht kalte Rücksichten auf das Urtheil der Fremden, wenn nicht die Liebe für Deinen Bruder mächtiger in Dir wären als die Liebe zu mir, wie könntest Du zaudern, mein zu werden, wie könntest Du daran denken, mich von Dir zu stoßen, um mich mit einer Frau wie Caroline auf das Neue zu vereinen, hättest Du mich je geliebt.

Da konnte sie sich nicht länger überwinden. Und wen habe ich geliebt als Dich, seit ich zu denken vermag? rief sie und warf sich in die Arme des Geliebten, die sich öffneten sie zu empfangen, und ruhte weinend an seiner Brust, während seine Küsse auf ihren Lippen brannten.

Aber mitten in dem Entzücken des Augenblicks riß sie sich aus seinen Armen los, und das Gesicht in den Händen bergend, stieß sie leise, wie man in angstvollem Traume zu sich selber spricht, die Worte aus: Das ist Ehebruch, das ist ein Verbrechen.

Alfred ließ sie erschüttert los. Da warf sie sich vor ihm nieder, umfaßte seine Knie und rief in leidenschaftlicher Erregung: Du sagst, Du liebst mich, Alfred! o so rette mich vor dem Schicksal, das über uns hereinbricht. Du bist ein Mann, Du hast Muth, Du hast Kraft. Sei stark, überwinde mehr als die Welt, rette mehr als das Leben – überwinde Dich, rette unsere Seelen vor Verbrechen und Verzweiflung. Kehre zu Deiner Frau zurück, vergiß diese unglückselige Stunde, laß Dein Beispiel mir vorleuchten, ich werde Dir folgen. Sei mehr als ein Mensch, der unwillig vergibt. Sei Gott ähnlich, vergib ihr, und beglücke! Erhebe Caroline barmherzig bis zu Dir; vergib ihr, damit ich mir und Dir vergeben darf, und wie zu dem Heiland, der mich erlöst von Verdammniß, will ich zu Dir emporblicken und zu Dir beten aus der Ferne. Fühle, wie ich Dich liebe, Alfred, wie ich Dir vertraue, wenn ich freudig und getrost ein solches Opfer von Dir fordere, wenn ich Dir die Kraft zutraue, es freudig mir und Deiner Pflicht zu bringen.

Er hob sie auf, Thränen entströmten seinen Augen und mit tiefer Traurigkeit sagte er still und ernst zu ihr: Du weißt nicht was Du bittest, nicht was Du von mir forderst; aber es sei, wie Du es willst! Gott gebe, daß wir diese Stunde nie bereuen. Ich gehe zu meiner Frau.

Langsam schritt er der Thüre zu und verließ das Haus, ohne Julian gesehen zu haben. Als dieser endlich in das Zimmer seiner Schwester trat, nachdem er lange vergebens die Rückkehr des Freundes erwartet, lag sie matt und keines Wortes mächtig in dem Sessel, der zunächst der Thüre stand. Es war zu viel gewesen für ihre Kraft.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Eine Lebensfrage. Zweiter Teil.