Achtes Kapitel

Das achte Kapitel ist der Mission des Grafen Orlow nach Wien gewidmet. Auch hier wird die österreichische Politik, welche zuerst eine wohlwollende, dann eine unparteiische Neutralität in Aussicht gestellt hatte, um endlich zu einer feindseligen Neutralität überzugehen, heftig getadelt. Die Gründe des Scheiterns der Mission des Grafen Orlow werden dargelegt. Auch hier werden wir durch Reproduktion von Gesprächen zwischen dem Kaiser Franz Joseph und dem russischen Botschafter Baron Meyendorff in alle Details der Lage, in die Welt der Stimmungen und Verstimmungen eingeführt.

Sehr beachtenswert ist die Besprechung der Frage, ob Russland, dessen Truppen in den Donauprovinzen standen, korrekt gehandelt habe. Friedrich von Smitt bemerkt in seinem obenerwähnten Werke, es sei ein Fehler gewesen, die russische Armee in den Donauprovinzen in der Defensive beharren zu lassen; man hätte, meint dieser bewährte Militärhistoriker, kräftiger handeln sollen, während man eine gewisse Unentschlossenheit an den Tag legte; man hätte gleich Anfangs eine Schlacht erzwingen sollen: ein Erfolg hätte die Kriegslust der Türken abgekühlt; es sei ferner ein Fehler gewesen, dass man sich in einer langen Linie zersplitterte, statt sich zu konzentrieren u. s. w. Ganz andere Bedenken macht der Verfasser des vorliegenden Werkes geltend, und diese Ausführungen gewinnen insbesondere durch die Ereignisse der allerletzten Zeit an Interesse. Er spricht von dem Verhalten der Rumänen und Balkanchristen überhaupt. Gereizt über die Haltung, den Undank der ersteren sagt er: „Du reste les Moldo-Valaques doivent désormais être rayés du monde slave orthodoxe. Ils inclinent vers l’Occident et les Latins. L'avenir nous réserve probablement de rencontrer partout au rang de nos adversaires ces populations qui nous doivent la vie“. (S. 476.)


Dass Russland weder zu rasch zur Offensive überging, noch auf die Insurrektion der Balkanchristen rechnen wollte, scheint der Verfasser günstig zu beurteilen. Er zeigt, dass Russland als konservative Macht von so gewagten Unternehmungen absehen musste, welche revolutionären Regierungen recht wohl angestanden hätten. „Auf die Mitwirkung der christlichen Bevölkerung“, sagt der Verfasser (I, S. 515), „verzichteten wir aus Rücksicht auf die Stellung einer Macht, welche wir gerettet hatten und welche uns jetzt verriet“ (Österreich). Übrigens macht der Verfasser auch auf die Gefahr aufmerksam, welche darin lag, dass Russland, aggressiv vordringend, Österreich zur Seite und im Rücken hatte. So musste denn Russland auf so kühne Pläne verzichten, und zwar um so mehr, als, wie der Verfasser zeigt, die Haltung Serbiens und Griechenlands Russland nicht viel Hoffnung auf Mitwirkung dieser Staaten bot, und auch auf Bulgarien nicht zu rechnen war. Die große Bedeutung Bulgariens in dem letzten Kriege erhöht sehr wesentlich das Interesse der Bemerkungen, welche der Verfasser in Betreff dieser Provinz macht. Er führt aus, wie Russland von kühnen Entschlüssen durch die maßvolle, besonnene Haltung des Kaisers Nikolaus abgehalten wurde. Russland, bemerkt der Verfasser, war militärisch, aber nicht kriegerisch (La Russie était militaire, sans être belliqueuse); es rechnete immer noch auf seine früheren Verbündeten. „Fünfundzwanzig Jahre hindurch hatte der Kaiser Russland nach den Prinzipien von Gehorsam und Disziplin gemodelt. Er hatte dadurch Ruhe und innere Sicherheit geschaffen, aber zugleich alte energische Initiative gebrochen. Die am Ruder befindlichen Männer waren alt, mehr geneigt auf die Stimme der ruhigen Vernunft, als auf diejenige der Leidenschaft zu hören, welche bisweilen in kritischen Zeiten einer Nation Heil bringt“. Dem Kaiser machte die revolutionäre Seite der Bewegung der Balkanchristen Bedenken. Die Situation war nicht neu. Schon in den Zeiten des Kongresses von Verona hatte Fürst Metternich mit Erfolg dem Kaiser Alexander die Griechen als eben solche Rebellen geschildert, wie es die Spanier und Italiener waren. In solchen Grundsätzen waren Russland und Österreich solidarisch. Daraus erwuchsen aber für Russland in dem Augenblicke der Entscheidung Zweifel, Zaudern, Halbmaßregeln, welche verhängnisvoll werden mussten, weil sie Russland vor seinen Feinden entwaffneten, ohne die Freundschaft der ehemaligen Alliierten zu erhalten oder zu befestigen. Als endlich die Enttäuschung folgte und der Drang der Verhältnisse die militärische Stellung klarlegte, war es zu spät, das Werk der Politik eines Vierteljahrhunderts zu negieren.

So kam Russland, bemerkt der Verfasser am Schlüsse des ersten Bandes, in eine Lage, wo es von Stufe zu Stufe zu Konzessionen gedrängt, an Händen und Füssen gefesselt, den Gegnern überliefert, dem Todesstreiche preisgegeben wurde.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Ein neues Werk über den Krimkrieg.