Zweiter Band

Am Anfange des zweiten Bandes schildert der Verfasser die allgemein verbreitete feindselige Stimmung gegen Russland, er erwähnt der Ausfalle der Presse in England und Frankreich, der im Westen auftauchenden Pläne: Russland wiederum nach Asien zu verbannen, demselben Finnland, Polen, die Krim und den Kaukasus zu entreißen. Selbst Lord Aberdeen ließ sich von der allgemeinen Strömung so weit fortreißen, dass er von seiner „Antipathie“ gegen Russland zu sprechen begann. „Das Herz blutet Einem“, bemerkte der Verfasser, „wenn man sieht, wie Europa die beständige Rechtschaffenheit, die Grossmut und Loyalität dieses großen Souverains — Nikolaus — belohnte! Diese Gewaltsamkeiten, welche nicht nur den Reihen der kosmopolitischen Demagogie, sondern auch den höheren Klassen der Gesellschaft entstammten, sind mehr als lächerlich und verabscheuungswürdig; sie zeigen, was Russland von Europa jedesmal zu erwarten hat, wenn es großen Krisen ausgesetzt ist. Das ist eine jener Lehren, die man nicht vergisst.“(II, S. 7-8.)

Der Verfasser kommt sodann auf den Fehler zu reden, den Russland machte, indem es seine militärischen Kräfte unterschätzte. Es bedachte nicht, dass seit dem Jahre 1812 die Art der Kriegführung sich sehr wesentlich verändert hatte. In derselben spielte das Meer eine große Rolle, die Eisenbahnen, die Dampfschiffe; es kam sehr viel auf die Vervollkommnung der Waffen an. Man überschätzte russischerseits die Widerstandskraft, welche man dem Angriffe der Feinde entgegenzusetzen hatte. Auch in der politischen Rechnung, welche Russland machte, gab es nichtzutreffende Kombinationen Russland hoffte, dass die Allianz zwischen Frankreich und England nicht von Dauer sein werde; man mochte sich nicht entschließen, an die „Verblendung“ Österreichs und Deutschlands zu glauben; man setzte zu große Hoffnungen auf die Mitwirkung der Balkanchristen, ohne doch sie zur Insurrektion ermutigen zu wollen. So kam es, dass Russland den Zeitpunkt verstreichen ließ, wo Europa sich mit massigen Konzessionen von Seiten Russlands zufrieden gegeben hätte. Indessen, meint der Verfasser, sei es jetzt freilich leicht, retrospektiv weise zu sein. Man begreift, wie der Kaiser Nikolaus in dem Bewusstsein seines Rechts, in dem Gefühl seiner Kraft die Fahne der Ehre und der Interessen Russlands nicht neigen wollte.


Der Verfasser zeigt nun, wie die Lage sich verschlimmerte, wie nach Räumung der Donaufürstentümer die vier Mächte sich enger zusammenschlossen, wie Preußens schwankende Haltung schädlich wirkte, wie die Anforderungen an Russlands Nachgiebigkeit immer sich steigerten und kommt zu dem Ergebnis, dass Russlands Weigerung, die ihm angetragenen Bedingungen der Erhaltung des Friedens anzunehmen, keinen Tadel verdiene.

Von Interesse sind die von dem Verfasser mehr oder minder eingehend geschilderten Beziehungen Russlands zu den verschiedenen Mächten, unmittelbar nach der Kriegserklärung. So erwähnt der Verfasser (11, S. 79) der Privatkorrespondenz des Königs Leopold von Belgien mit dem Kaiser Nikolaus; so berührt er die in Amerika lebhaft erörterte Frage von der Kaperei (S. 82 u. ff.), eine Frage, welche bekanntlich auch während des letzten Krieges eine bedeutende Rolle spielte. Russland hat damals auf dieses Kriegsmittel verzichtet. Der Verfasser bemerkt hierzu: „Die Frage, ob wir mit mehr Energie und weniger Besonnenheit unsere Lage und unsere Chancen verbessert oder verschlimmert haben würden, gehört zu den wichtigsten, welche man der Erwägung eines Kabinetts vorlegen kann. Aber es gibt verzweifelte Anstrengungen, die man nur von solchen Nationen erwarten kann, welche durch innere Erschütterungen erregt sind; solche Anstrengungen retten die Gegenwart, indem sie die Zukunft Eventualitäten preisgeben, welche jeder Berechnung spotten. Unter gewöhnlichen Bedingungen folgt eine geordnete Regierung den Ratschlägen der Vernunft; die Verhältnisse, in denen wir uns befanden, konnten uns eher veranlassen, den ohnehin ungleichen Kampf zu beschränken, als denselben durch Verschärfung der Kampfmittel auszudehnen“.

Besonders eingehend berichtet der Verfasser auch, in der Geschichte der Verhandlungen im Jahre 1854, von den Beziehungen Russlands zu Österreich. Es werden hier mehrere Gespräche zwischen dem Fürsten Gortschakow und dem Grafen Buol reproduziert. (II, S. 134 u. ff., 140 u. ff.) Höchst anziehend) vornehmlich im Hinblick auf die heutige Machtstellung Preußens ist die Erörterung der Haltung dieser Macht. Wir übersetzen eine Bemerkung des Verfassers, welche unmittelbar vor dem Druck des Werkes, also etwa ein Jahrzehnt nach der Abfassung des Textes geschrieben wurde: „Wir brauchen nicht darauf aufmerksam zu machen“, heißt es S. 204: „dass das Preußen, um welches es sich hier (bei Darstellung der Lage unmittelbar vor dem Krimkriege) handelt, nicht das Preußen der späteren Zeit, das Preußen unserer Tage ist. Um die Haltung Preußens gerecht zu würdigen, muss man der Schwierigkeit seiner damaligen Lage Rechnung tragen. Das Bild, welches wir entwerfen, erklärt, wie der Graf Bismarck fünfzehn Jahre später Alles an Alles setzte, um sein preußisches Vaterland, sein großes deutsches Vaterland aus dem politischen Sumpfe zu retten, und ihnen die Rolle zu sichern, welche ihnen ihre geographische Lage, die Bevölkerungsziffer und der hohe Grad materieller und geistiger Entwicklung zuweiste“. „Ce qu’il faut constater“, heißt es weiter, „c'est que dans la crise d'Orient, la Prusse nous a seule en Europe témoigné tout le bon vouloir que comportait sa Situation, seule elle a montré le prix qu’elle attachait par gratitude pour le passé, par prévoyance pour l'avenir, au maintien des relations d'amitié avec la Russie. Elle a eu le mérite du bon vouloir, et n'a eu que dans une mesure restreinte la responsabilité d’entralnements inhérents à sa position. Ces précédents sont importants. Ils permettent de croire, que si une crise pareille éclatait aujourd’hui, la Prusse et l’Allemagne, devenues puissantes, sauraient s'interposer efficacement, arrêter l’iniquité et imposer des solutions justes. C'est tout ce que la Russie est en droit d'attendre d'elles“. Diese Betrachtungen haben im Hinblick auf die Ereignisse der allerletzten Zeit ein erhöhtes Interesse.

Ergreifend schildert der Verfasser (II, S. 318) den Eindruck des Ablebens des Kaisers Nikolaus auf ganz Europa, und wie die Kunde von diesem Ereignis namentlich in Preußen und Österreich erschütternd wirken musste.

Die Kriegsereignisse berührt der Verfasser nur, um zu zeigen, wie Frankreich allein wirklichen militärischen Ruhm erwarb, während England durch die, an den Küsten Russlands verübten Exzesse sich mit Schmach bedeckte.

Zum Schluss kommt der Verfasser auf die Verhandlungen zu reden, welche zum Abschluss des Pariser Friedens führten. Besonders fesselnd ist die Schilderung der Verschiedenheit der Haltung Nesselrodes und Gortschakows, der in Russland selbst in Betreff des Kriegs und Friedens herrschenden Stimmungen und Meinungen (II, S. 396 u. ff.).

Die Verhandlungen in Paris bilden den Inhalt des kurzen Schlusskapitels. Der Verfasser macht auf die Annäherung zwischen Frankreich und Russland aufmerksam und erwähnt der bescheidenen Rolle, welche Preußen bei dieser Gelegenheit spielte. Diese Macht wurde nur als Mitunterzeichner des Vertrages vom 16. Juni 1841 zur Teilnahme am Pariser Friedensschluss zugelassen und es waren die russischen Bevollmächtigten, welche in erster Linie die Teilnahme Preußens beantragten.

Der Schluss des Buches ist ebenso wie die Einleitung nach dem deutsch-französischen Kriege geschrieben. Der Verfasser macht auf die großen Veränderungen aufmerksam, welche sich seit dem Krimkriege im europäischen Staatsleben vollzogen haben, auf das Zusammenbrechen des französischen Kaiserreiches, auf die Misserfolge Österreichs, auf das Erstehen des Deutschen Reiches. Er ist geneigt, in den Heimsuchungen Frankreichs und Österreichs eine Art Nemesis für die Haltung dieser Mächte im Krimkriege zu erblicken. Bedeutsam sind die Bemerkungen des Verfassers in Betreff Österreichs: „Hinausgedrängt aus Italien und aus Deutschland sucht Österreich inmitten einer, durch eine Reihe von Unglücksfällen gesteigerten inneren Verwirrung einen neuen Schwerpunkt. Wir wünschen, dass es glücklich aus dieser Lage komme; denn wenn wir auch die vergangene Politik Österreichs beklagen und missbilligen, so haben wir doch nie aufgehört, dieses Reich als ein, für das europäische Gleichgewicht notwendiges Element anzusehen. Russland, als Nachbar Österreichs, hat ein Interesse daran, dass es gedeihe. Man muss hoffen, dass die gemachten Erfahrungen dem, beiden Mächten schädlichen Gegensatze ein Ziel setzen. Bereits im Jahre 1860, zur Zeit der Zusammenkunft in Warschau, ließ Graf Rechberg dem Kabinett von St. Petersburg folgende Äußerung zugehen: Österreich und Russland haben einander gegenseitig viel Schlimmes zugefügt. Wir haben Euch Bessarabien verlieren machen, Ihr uns die Lombardei. Wie weit sollen wir auf diesem Wege kommen? Können wir nicht unsere Rechnung als ausgeglichen ansehen und weitere Repressalien aufgeben, um endlich im Einverständnis zu handeln? Hoffen wir, dass diese weisen Worte, welche von den Tatsachen so glänzend bestätigt wurden, den beiden Kabinetten zum Programm dienen werden“. Von ähnlichem Interesse sind die Äußerungen des Verfassers in Betreff der Politik Englands, der Türkei, Preußens u. s. w.

Der Verfasser schließt seine Betrachtungen mit einem Hinblick auf Russlands Lage und Haltung nach dem Krimkrieg. „In diesen fünfzehn Jahren“, schreibt er, „hat Russland sich auf sich selbst zurückgezogen, sich gesammelt. Alle seine Sorge und Kraft hat es auf die innere Arbeit gewandt, deren Bedeutung der Krimkrieg in das rechte Licht gesetzt hat. Durch die Initiative seines Souverains, welcher sein Land liebt und ihm vertraut, hat Russland eine Reihe von durchgreifenden Reformen unternommen, wie dieselben in solchem Umfange und in so kurzem Zeiträume ohne Beispiel sind. Diese Reformen sind, Dank sei es dem innigen Bande, welches den Souverain und die Nation umschließt, glücklich und friedlich durchgeführt worden. Dieser fruchtbringenden Arbeit hat es Russland zu verdanken, dass es materiell und moralisch in den Augen der Welt ein Ansehen genießt, dessen man es zu berauben gedachte. Seine militärisch-defensive Position, seine finanzielle, politische, wirtschaftliche Lage sind unzweifelhaft besser, als vor dem Kriege. So konnte es seine einstigen Gegner dazu vermögen, die Vertragsbestimmungen von 1856, welche seine Interessen schädigten und seine Ehre kränkten, ohne auch nur einen Tropfen Blutes zu vergießen, ja indem es sogar diese Frage zum Ausgangspunkte einer Versöhnung und Annäherung mit den anderen Mächten dienen ließ, einer Revision zu unterwerfen“.

Eine Tatsache scheint dem Verfasser sich zweifellos aus dem Krimkriege und der Haltung Russlands in der darauf folgenden Zeit zu ergeben. Er drückt sie folgendermaßen aus: „Il a suffi, que la Russie se soit retirée des affaires de l’Europe pour que son absence momentané en ait rompu l’équilibre et ait livré la paix générale aux plus dangereux bouleversements“. „So“, meint der Verfasser, „fällt die Antwort aus, welche die Ereignisse den Unsinnigen erteilen, die Russland von dem europäischen Konzert auszuschließen gedachten“. „Während die Gegner Russlands“, fährt er fort, „die Folgen ihrer gewalttätigen, gehässigen, agressiven, Andern Böses wünschenden Politik tragen mussten, hat Russland, nicht gleichgültig, aber ruhig, den Aufregungen und Erschütterungen der letzten Jahre zugesehen. Es hat die Früchte einer gerechten, gemäßigten, friedlichen Politik geändert, indem es das besondere Interesse des Augenblicks nicht über das allgemeine Interesse stellte und das große Gesetz der Solidarität, welchem die Vorsehung die menschlichen Dinge unterworfen hat, anerkannte. Alles ist dazu angetan, Russland zu veranlassen, auf diesem korrekten Wege weiterzugehen. Wir sind überzeugt, dass es nicht von demselben abweichen werde, nicht nur, weil dieses die Meinung der jetzt am Ruder Befindlichen ist, sondern auch, weil es dem Charakter seiner Interessen entspricht, wesentlich stetig, konservativ, friedlich und gemäßigt zu sein; es hat kein einziges Interesse, das nicht durchaus ehrlich und ehrenhaft sei und zu dem es sich nicht laut zu bekennen vermöchte, kein einziges, das nicht den allgemeinen Interessen Europas vollkommen entspräche. Dies ist die beste Bürgschaft. Wünschen wir, dass Europa seinerseits, durch die furchtbaren Erfahrungen der letzten zwei Jahrzehnte belehrt, Russland in dieser Richtung folgen möge. Es wird dadurch viel Unheil vermeiden, denn — man darf sich darüber nicht täuschen — die gegenwärtigen Ereignisse enthalten mehr ah eine Lehre, nämlich den Keim zu neuen politischen und sozialen, den Weltfrieden bedrohenden Kämpfen. Es bedarf der ganzen Weisheit der Regierungen und der Völker, um die Entwicklung dieser Keime aufzuhalten. Zum Schluss möchten wir der Hoffnung Ausdruck geben, dass diese beredte Stimme der Tatsachen — deren bescheidenes Echo wir sind — gehört und verstanden werde. Wir drücken nur den Wunsch aus. Denn leider herrscht zu unserer Zeit mehr die Leidenschaft, als die Vernunft, und die Regierungen selbst sind nicht stark genug, um die Aufwallungen der Gegenwart dem Voraus sehen in die Zukunft unterzuordnen. Gewiss aber ist, dass wenn man an die Lösung dieser Aufgabe geht, man auf Russlands Mitwirkung zählen darf. Mehr als einmal hat Russland zum Heile Europas beigetragen. Vielleicht wird es ihm vergönnt sein, noch weiter an demselben zu arbeiten, und. wenn ihm auch schlecht vergolten wurde, wird es, wir zweifeln nicht daran, diese undankbare Mission nicht von sich weisen“.

So der Schluss dieses merkwürdigen Buches, aus dessen Einzelheiten wir nur einiges Wenige haben herausgreifen können, eines Werkes, dessen Ton, Inhalt und Richtung dazu angetan ist, das Interesse der Leser im Allgemeinen, die Aufmerksamkeit der Politiker insbesondere im hohen Grade in Anspruch zu nehmen.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Ein neues Werk über den Krimkrieg.