Chortitza-Rosenthal, am 18. Dezember 1919.
Meine Temperatur ist auf 39 Grad gestiegen. An meine Erkrankung muss ich glauben. Es war eine böse Nacht. Ich konnte nicht aufrecht bleiben. Aber es gab keinen Platz für ein Lager für mich in dem einzigen Zimmer. Ich musste mich schon in Fragebogenform krümmen und die Füße unter das Bettgestell meines Freundes stecken. Ihn musste ich ja bedienen: er warf fortwährend seine Decke von sich. Frau Grete behauptet, ich hätte französisch gesprochen. Sollte ich im Fieber gesprochen haben? Übel genug war mir zu Mute. Mag sein was will, eins ist gewiss die Anarchisten flüchten. Sie haben beim Abschied für Dienst und Pflege kein dankbares Wort für uns, nein! Wahrhaft teuflisch betragen sie sich. Statt an ihren Gegnern, denen sie weichen müssen, rächen sie sich an uns. Sie laufen durch alle Zimmer und suchen, was sie noch mitnehmen können. Dabei schonen sie in keiner Weise die Kranken. Meinem kranken Freunde hielt einer die Pistole vor die Brust, damit er angebe, wo er sein Geld hätte. Andere bedrängten Frau Grete roh, dass ich für ihr Leben fürchtete. Ich ging ihnen nach bei ihrem Rundgang durch das Haus. Sonderbar, niemand vergriff ‘sich an Sachen, die ich als die meinen bezeichnete. Nur einen Pelz nahmen sie mit, den ich auf dem Boden versteckt gehalten hatte. Mögen sie uns nackt zurücklassen, wenn sie nur nicht wiederkommen! Und doch — was beginnen? Die Pestilenz haben sie uns ins Haus gebracht, und nun können wir uns hinlegen und sterben. Mich fröstelt’s! ich will rasch einen Zettel an einen Bekannten schreiben, von dem ich vermute, dass er noch gesund ist. Wenn er noch lebt, kommt er uns zu Hilfe . . .
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Ein Tagebuch aus dem Reiche des Totentanzes