Chortitza-Rosenthal, am 17. Dezember 1919.

Was wir kaum mehr zu hoffen wagten, es scheint sich zu erfüllen: die Anarchisten rüsten zum Abzug. Wie ein Lichtstrahl in dunkler Nacht weckt uns das aus der Versteinerung. Und dann: dann bleibt zurück Not und Tod, Leere. Was sie uns genommen, kann niemand ersetzen . . .

Ich fühle mich nicht wohl. Schon gestern hatte ich Temperaturerhöhung. Heute war die Temperatur auf 38,2 Grad gestiegen. Was soll werden, wenn auch ich unfähig werde zu helfen. Frau Grete hält sich auch nicht mehr lange. Sie sieht so verdächtig abgehärmt aus Ich glaube, sie will nicht wahrhaben, dass sie krank ist. Ich darf ihr nicht nachstehen. Ich bleibe, bis ich umfalle, das ist mein Gelübde.


O diese Kerle! Heute kamen drei unheimliche Gesellen in hohen, zottigen Mützen, gehüllt in kostbare Pelze, und stellten ein Verhör mit mir an. Ich konspiriere gegen sie, ich organisiere gegen sie. Sie wollen beobachtet haben, dass Männer zu mir kommen und ich selber von Zeit zu Zeit ausgehe und Besuche mache. Ich soll mein verstecktes Maschinengewehr herausgeben. Ich gab ihnen zu verstehen, dass ich aus all diesem nur einen Vorwand für ihre geplante Willkür erkannte. Wir kennen bereits die Methoden dieser „Helden“, die Wehrlosen gegenüber ungemein tapfer sind. Mich erregte nicht der Gedanke an den Tod, aber mich schreckte die Vorstellung von vorhergehenden Foltern. Haben sie doch unlängst Frau Gretes Bruder mit Bleiknuten so geschlagen, dass er hilflos in seinem Blut liegen blieb.

Ich berief mich auf unsere Einquartierung, und diese wagte nichts Ungünstiges über mich auszusagen. „Also,“ schloss ich kurz, „habe ich euch nicht weiter Rede zu stehen“ und ging ruhig meiner Wege. Was sie untereinander noch besprochen haben, weiß ich nicht, aber die drei verließen das Haus.

Die Kranken hat das Auftreten der rohen Gesellen stark erregt. Ihr Zustand hat sich verschlimmert.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Ein Tagebuch aus dem Reiche des Totentanzes