Kriegsschicksale im Herbst und Winter 1805. Von Lorenz von Westenrieder.

Lorenz von Westenrieder schreibt in seinem Tagebuch:

1805. Den 9. September. Vormittag entstand überall das Gerede, daß die Kaiserlichen auf dem Marsch nach München seien. Um 12 Uhr Mittags wurden alle Wachen von den Bürgern besetzt. Die hiesige Garnison bereitete sich zum Abzug. Um 1½ Uhr nachmittag reiste der französische Gesandte ab. Alles war in einer seltsamen Spannung und reger Erwartung.


Den 13. September, an einem Freitag, kamen vor der Stadt die ersten österreichischen Truppen, Ulanen und einige reitende Artillerie, hier an. Sie bezogen die äußere Isarkaserne. Es waren recht wackere, auserlesene Männer.

Den 14. September. Heute Samstag waren viele österreichische Offiziere von verschiedenen Monturen in der Stadt. Abends um 6 Uhr marschierten österreichische Grenadiere, etwa 500 Mann, in die Stadt auf den Platz und besetzten die Hauptwache, wo sie zugleich mit der Bürgerlichen Wache stehen. Auch das Karlstor besetzten sie. Die Leute wurden einquartiert. Es ging alles in Stille und Wohlstand vorbei.

Den 15. September am St. Peter Kirchweihsonntag marschierten um 8 Uhr durch die Stadt ein Ulanenregiment, dann Infanterie mit Kanonen. In allem waren es bei 3.000 Mann, lauter schöne, vortrefflich gekleidete Männer.

Nach neun Uhr zogen wieder etliche tausend Mann Reiterei und Fußvolk mit Kanonen und Gepäck durch die Stadt.

Den 21. September, an einem Samstag, sind um halb sechs Uhr abends (ohne Paradierung der hiesigen Garnison, doch unter dein Geläut sämtlicher Glocken) Se. kais. Majestät Franz II. zu München angekommen und im Stürzerischen Wirtshaus abgestiegen. Auf der Post waren 36 Pferde bestellt.

Den 22. September, am Sonntag in der Früh um 7 Uhr ist der Kaiser durch die Kaufingerstraße wieder abgefahren. Es war ein einziger mit 6 Pferden bespannter Wagen. Einige Ulanen, welche aber gleich wieder zurückkamen, begleiteten den Wagen durch die Stadt. Auch sind heute früh einige hundert Mann Fußvolk mit den Gepäckwägen durchgezogen. Um 12 Uhr mittags zog ein Husarenregiment durch die Stadt; bald darauf kam ein großer Zug Artilleriezeug-Wägen, neben welchen rechts und links Artilleristen gingen. Um 4 Uhr kam ein Regiment zu Fuß ungarischer Nation mit Bauernwägen, welche die Schnappsäcke nachführen mußten. Mich dauerten diese und jene. Nach 5 Uhr marschierten zweimal Fußvölker durch.

Den 27. September. Um 3 Uhr führten sie Bauernpferde durch, welche so ausgemergelt und entkräftet waren, da sie alle Mühe hatten, die Füße und ihre Totengerippe fortzuschleppen. Sämtliche Pferde gehörten dem Abdecker. Das sind wahrhaftig sehr schlimme Vorzeichen und mathematische Zeichen eines zerrütteten Menschenverstandes! Wozu doch ein solcher Aufzug!

Den 7. Oktober. Heute um 10 Uhr zog ein ungarisches Grenzregiment, das aus großen, fürchterlichen Leuten bestand, durch. Es waren eine Menge Schützen, welche mit Spießen und Kugelstutzen versehen waren.

Den 10. Oktober. Heute war es in der Stadt sehr lebhaft, und alles schien im Rückzug begriffen zu sein. Man sagte, die Österreicher stünden am Nymphenburgerkanal, die Franzosen wären in Dachau. Man machte auch eine Menge Lieferungen hinaus an die Österreicher an Brot, Bier etc.

Den 11. Oktober. Heute war wieder den ganzen Tag ein unaufhörliches, unruhiges Durcheinanderlaufen, Fahren, Reiten der österreichischen Truppen. Die Grenzsoldaten bettelten, nachdem sie kein Geld sowie fast keine Kleidung am Leibe hatten, in der Stadt vor den Häusern. Mich selbst bettelte einer an, indem er die Hand gegen mich ausstreckte und sagte: „Einen Kreuzer!“ Ich gab ihm mehr als einen. Abends, da es schon finster war, kamen beständig vom Neuhausertor herein Wägen durch die Stadt, welche von einem Bauern geführt wurden und mit 6 - 8 Soldaten beladen waren. Dieses Fahren dauerte die ganze Nacht. Es schneite und regnete unaufhörlich seit dem 8. Oktober.

Am Morgen des 12.Oktober, am Maximilianstag (es war ein Samstag), war kein Österreicher mehr in der Stadt, und die Hauptwache und andere Wachen waren wieder von unsern Bürgern besetzt. Übrigens kann man den Österreichern das Zeugnis nicht versagen, daß sie sich seit ihrem Einmarsch, den 14.September, in der hiesigen Stadt, in der Stadt sage ich, bescheiden betragen haben, in der Rücksicht nämlich, daß sie die Vereinigung der bayerischen Truppen mit den französischen schon vernommen haben. Auf dem Lande machen es aber die Österreicher desto ärger, und diejenigen, welche sie ins Feld schickten, taten wahrhaftig alles, was man tun muss, wenn man sich die ganze Welt abgeneigt machen will.

Nach sieben Uhr sprengten bayerische Reiter, bei welchen der kommandierende bayerische General Wrede selbst war, auf die Hauptwache und sogleich den flüchtigen Österreichern nach. Es strömte augenblicklich unbeschreiblich viel Volk zusammen, von dem ich das Vivatrufen in der Ferne hörte, so wie ich den Dampf, in welchen die rauchenden Pferde eingehüllt waren, sah. Wrede stieg auf der Hauptwache ab und begrüßte die Leute. Die ganze Stadt war mit Jubel erfüllt.

Nachts acht Uhr kam das ganze Kürassierregiment, welches hier in Garnison gelegen war, auf dem Platz an, in Dampf verhüllt, aus welchem es kaum sichtbar wurde, als es wieder davon, zum Isartor hinaussprengte. Der Himmel ertönte von Vivatrufen des freudigen und segnenden Volkes. Heute war kaum ein Bauer nach der Schranne gekommen. - Um neun Uhr führten französische Chasseure etwa 150 gefangene Österreicher der Kaserne beim Neuhausertor zu. Bald darauf sprengte ein Chevauxlegers-Bataillon derUnsrigen vom Neuhauser- oder Karlstor herein durch die Stadt hinaus zum Isartor. Um halb zehn Uhr ritt durch das Schwabingertor herein ein französisches rotgekleidetes Kavallerieregiment über den Platz zum Isartor fort. - Die ganze Stadt befindet sich in einer unbeschreiblichen Freude, und niemand merkt, daß der Schnee auf den Dächern liegt und daß es beständig Nebel reißt. Soeben wurde mir heute Abend angesagt, daß eine allgemeine Stadtbeleuchtung sein werde.

Nach zehn Uhr kamen durch das Karlstor einige bayerische Regimenter zu Fuß und marschierten durch das Isartor wieder fort, ohne auch nur eine Minute Halt zu machen, und dies bei der allerschlimmsten Witterung und ganz und gar grundlosen Straßen. Um elf Uhr war alles wieder wie eine Erscheinung verschwunden, und nur unsere guten Wünsche waren bei den Truppen. In den Pfarrkirchen wurden feierliche Ämter und Te Deum laudamus gehalten. - Von zwölf Uhr angefangen kamen beständig neue Regimenter in der Stadt an, teils bayerische, teils französische; einige marschierten gleich wieder ab. Es waren alle Gassen mit Soldaten gefüllt, von welchen abends einige tausend in Quartiere verteilt wurden. Den ganzen Tag wurden gefangene Österreicher in die Stadt eingebracht. Der französische Marschall Bernadotte, welcher die französischen Truppen kommandiert, ist ebenfalls angekommen und logiert in der Residenz des Herzogs Wilhelm von Birkenfeld.

Der Schäfflertanz. Steinzeichnung von Gustav Kraus (1814)

Der Metzgersprung. Steinzeichnung von Albrecht Adam (um 1825)

Ansicht der Isarbrücke nach dem Einsturz am 13. September 1813. Steinzeichnung von C. Wenng.

Brand des Hoftheaters am 14. Januar 1823. Steinzeichnung von Peter Ellmer.


Den 21., 22. und 23. Oktober wurden noch immer Quartiere ausgeteilt, so daß alle und jede Einwohner der Stadt unter den größten Bedrängnissen seufzen und jammern. In und um die Stadt in einem Bezirk von 3-4 Stunden sind zuverlässig sechzigtausend Mann. Beständig wird Heu und Stroh und Getreide, das die Inhaber von Wiesen und Äckern unentgeltlich liefern müssen, zugeführt. Die Theatinerkirche ist zu einem Heumagazin benützt worden.

Den 24. Oktober. Heute Abend nach sieben Uhr, da es schon sehr finster war, wurde in den Pfarrkirchen geläutet, und bald darauf kam der Kaiser Napoleon mit einem prächtigen Gefolge. Zu gleicher Zeit wurde die ganze Stadt beleuchtet und auf dem Hauptplatz Musik gemacht. Es war trockenes, aber sehr kaltes Wetter.

Den 26. Oktober. Heute Mittag belustigte sich der Kaiser Napoleon mit einer kleinen Jagd, von welcher er um drei Uhr, während des Durchmarsches der Armee durch die Kaufingergasse, zurückehrte. Er ritt, wie der Einzige von einsamer Größe, in einen ganz einfachen Rock gekleidet, auf einem Schimmel voraus, und ihm folgte eine große Menge von Gold und Silber schimmernder Generale und dergleichen.

Den 29. Oktober. Heute vor halb 12 Uhr Mittags kam unser Kurfürst. Er wurde mit einem jubilierenden Vivatruf empfangen. Er stieg bei dem Tor, dein Hofgarten gegenüber, ab.

Den 31. Oktober. Es kamen heute wieder unaufhörlich neue Leute an, welche neue Quartiere verursachten. Diese Quartiere machten, daß sich alle Einwohner in der peinlichsten Unruhe, Sorge und Furcht befanden. Man getraute sich kaum, auszugehen und ging mit Kummer nach Hause und näherte sich mit banger Angst seiner Haustüre, indem man fürchtete, Quartier anzutreffen. Wenn mit der Glocke geschellt wurde, erschrak man, und wenn man das Schreien eines Franzosen hörte, so wusste man nicht mehr, wohin man aus Beklemmung sich wenden sollte; zumal da kein Machthaber unter uns vorhanden war, der dem Unfug der Einquartierten Einhalt hätte tun können oder wollen.

Den 5. Dezember. Heute kamen, wie schon seit einigen Tagen, einzelne Partien an, welche zum Gefolge der Kaiserin Josephine gehörten. Nach vier zogen sämtliche hiesige Bürgermilizen in höchster Gala auf. Die Beleuchtung der Stadt, wozu überall eifrig Anstalten gemacht worden waren, fing mit der Abenddämmerung an, wurde aber, wo sie außer den Fenstern angebracht wurde, vom nassen Schwaden-wind überall sehr benachteiligt. Um halb sieben kam die Kaiserin von einer mäßigen französischen Garde, aber von der Stadtkavallerie und dem bayerischen neuerrichteten reitenden Jägerkorps begleitet. Sie saß, wie ihr unmittelbares Frauengefolge, in ihrem eigenen Reisewagen und nahm mithin die prächtigen Hofwägen, welche man ihr entgegengeschickt hatte, nicht an. Man läutete bei ihrem Einzug in den Pfarrkirchen.

Den 8. Dezember. Am Sonntag und Mariaempfängnistag wohnte die Kaiserin Josephine in der schönen Kapelle bei Hof einer stillen Messe, welche der San. Kreitmayr las, bei. In der ordinären Hofkapelle war der gewöhnliche Gottesdienst mit einem Hochamt, welchem ein französischer Husar mit der Mütze auf dem Kopf zusah, da ihn, diesen Lümmel, der gesunde Menschenverstand hätte lehren sollen^ wenigstens für den anwesenden Kurfürsten Achtung zu haben, wenn er auch für die Religionsgebräuche der Bayern keine Achtung bezeigen zu dürfen glaubte. Wie die Franzosen dieses dritte Mal, da sie seit 1796 in Bayern erscheinen, roher, gröber und anmaßender sind, so sind sie auch im Punkt der Religion ungezogen; es gingen schon mehrere mit bedecktem Kopf durch unsere Kirchen und an eine Verbeugung bei der Confecration ist gar nicht zu denken (von Ausnahmen ist die Rede nicht). Bei dem Herrn von Werner Revisionsrat sel. war einer auf Kosten seiner Kasse im Quartier. Unter anderen köstlichen Gemälden, welche Herr Werner hinterlassen hatte (er hatte eine vortreffliche Sammlung), war auch ein Familienstück, auf dem sich eine Nonne befand. Dieser stieß der einquartierte Franzose ein Loch durch den Hals, und einen herrlichen Christuskopf mußte man eilfertig von der Wand herabnehmen, weil er die Malerei misshandelt haben würde.

Heute den 26. Dezember hat unsere Prinzessin eingewilligt, den Vizekönig Eugen von Italien, Sohn der Kaiserin und Stiefsohn des Kaisers, heiraten zu wollen. Diese Prinzessin Augusta Amalia, eine Tochter Maximilians und Maria Wilhelmine Carolina (des Landgrafen von Hessendarmstadt Ludwig X. Tochter) wurde am 21. Juni 1788 geboren.

Den 30. Dezember. Heute Mittag sagte ein Kurier den Kaiser Napoleon an; er kam aber erst um ein Uhr in der Nacht beim Schwabinger Tor herein.

Wrede: Karl Philipp Fürst von Wrede (1767.- 1838), Feldmarschall und Oberstkommandierender der bayerischen Armee im napoleonischen Zeitalter, ein Kurpfälzer und besonderer Günstling Napoleons und Max Josephs, war einer der gütlichsten Karrieremacher seiner Zeit. Sein Feldherrntalent wurde, wie die von ihm verlorene Schlacht bei Hanau (1813) bewies, weit überschätzt. Sein politischer Einfluss in Bayern war neben dem Montgelas` bestimmend für die bayerischen Geschicke dieser Epoche.

Vizekönig Eugen von Italien: Eugene Beauharnais, Stiefsohn Napoleons, Sohn der Kaiserin Josephine aus ihrer Ehe mit dem Vicomte de Beauharnais. Nach dem Zusammenbruch der napoleonischen Herrlichkeit verlieh der König von Bayern seinem Schwiegersohn das Fürstentum Eichstätt mit dem Titel eines Herzogs von Leuchtenberg. Eugene Beauharnais starb 1824 im 43. Lebensjahr.

Der erwähnten Verlobung am 26. Dezember 1805 folgte die Vermählung am 14. Januar 1806. Die Prinzessin starb 1851.


Pferdestall der Postillone. Radierung von F. Bollinger.


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Ein Jahrhundert München 1800-1900