Die Franzosen und der Galerieraub. Von Joh. Christian von Mannlich.

Der Staatsmann und Galeriedirektor Joh. Christian von Mannlich (1741 - 1822) schreibt in seinen Lebenserinnerungen:

Im Frühjahre 1801 kamen die Franzosen so nahe an uns heran, daß der Hof aus München flüchtete. Salabert, Montgelas, Rheinwald, der damals in hoher Gunst stand, unsere sämtlichen Generale und die meisten Hofleute folgten ihm nach. Man hatte einen Rat ernannt, der in Abwesenheit des Herrschers dessen Geschäfte wahrnehmen sollte. Herr von Törring, Morawitzky, Cetto und einige andere bildeten ihn.


Endlich rückten die Franzosen in unsere Stadt ein. Da man ihnen keinerlei Widerstand entgegengesetzt hatte und ihr Kommandeur, der berühmte Moreau, die Disziplin aufrecht hielt, so ging dieser Einmarsch in aller Ruhe vor sich. Die Stärke des Heeres war jedoch so groß, daß wir von Einquartierung förmlich erdrückt wurden. Ich für meinen Teil bekam fünf Mann, obgleich meine kleine Wohnung kaum für mich und meine Dienstboten genügenden Raum bot.

Gleich am ersten Tage erlebte ich eine unangenehme Geschichte mit dem General Lecourbe. Er hatte sich die Paradegemächer, die sogenannten Kaiserzimmer, öffnen lassen und sich einige Gemälde aus deren Galerie ausgewählt, die man mich verhindert hatte, in Sicherheit zu bringen. Ich verweigerte ihm die Auslieferung, da ich dafür verantwortlich sei und keinen Befehl habe, darüber zu verfügen. ,,Nun, wer kann Ihnen denn den Befehl dazu geben?“ „Der Rat, der während der Abwesenheit des Kurfürsten regiert.“ „Gut, sagen Sie diesem Rat: Ich wünsche diese Gemälde zu besitzen.“ Bei diesen Worten drehte er mir den Rücken und entfernte sich mit seinem Adjutanten. Tags darauf übermittelte ich die Antwort des Rates, daß er über das Eigentum des Kurfürsten zu verfügen nicht ermächtigt sei, dem Adjutanten, der die Bilder abholen sollte. Dieser fuhr mich wütend an: „Wissen Sie denn, daß ich den Befehl habe, sie mit Güte oder Gewalt zu nehmen? Wenn ich sie morgen Nachmittag nicht von der Wand genommen vorfinde, werde ich sie durch eine Grenadierkompanie zum General schaffen lassen.“ Dabei wandte er mir den Rücken, gerade so wie sein General, dessen gebieterischen Ton er trefflich nachahmte.

Darob neue Beratung mit dem Ergebnis, sich beim kommandierenden General über den Divisionsgeneral zu beschweren. Die Antwort Moreaus kam durch den Überbringer der Beschwerde wieder zurück; sie war sehr höflich und lautete: „Da sich Lecourbe im Feindesland in seiner Handlungsweise im Recht glaube, die er weder verhindern, noch gut heißen könne, so rate er, den General zu befriedigen, um dadurch den Groll eines Heißsporns zu verhindern, der bei weitem schlimmere Folgen nach sich ziehen könne, als der Schaden sei. Im übrigen wäre er, soweit es von ihm abhänge, bereit, den Kurfürsten zu entschädigen. Die Herren möchten die von Lecourbe mitgenommenen Gemälde abschätzen lassen und deren Wert an der Kriegskontribution der Stadt in Abrechnung bringen.“

Man fügte sich der Notwendigkeit. Man ließ die Bilder in das erste Vorzimmer schaffen, aus Furcht vor einer weiteren Auslese des Generals. Die Abschätzung wurde gewissenhaft vorgenommen: der Kurfürst hätte wohl in keinem Falle den gleich hohen Preis fordern können. Der Bürger-General ließ sie pünktlich durch Grenadiere holen, die beim geringsten Widerstande alle Türen eingeschlagen hätten. Nach ihrem Abzuge glaubte ich die Sache erledigt und pries Gott, dabei so billig weggekommen zu sein. Denn im Grunde erlitten wir keinen großen Verlust. Der Geschmack des Generals bewies sein geringes Kunstverständnis.

Bald nach diesem Schrecken sollte mir ein anderer widerfahren, der weit verhängnisvoller war als der erste. Eines schönen Morgens betrat ein elegant gekleideter „Bürger“ mit schöner, blonder Perücke a la Titus mein Zimmer. Nachdem er mich gefragt hatte, ob ich der Direktor der kurfürstlichen Museen sei, fuhr er fort: „Ich bin Kommissär der Rhein-Armee und habe im Auftrag der Republik die unseren durch die Ausbeute bei den besiegten Nationen zu bereichern, indem ich aus ihren reichen Sammlungen der Kunst und Wissenschaft eine Auswahl treffe.“ Zugleich überreichte er mir seine Vollmachten und den Befehl, die Siege der „Großen Armee“ zu nützen, um durch Andenkenstücke von dauerndem Werte die Erinnerung an sie zu verewigen, wie man auch der Armee in Italien Meisterwerke der Kunst verdanke. Beim Durchlesen dieses Schriftstückes war ich bestürzt.

Der Kommissär bemerkte es und sagte zu mir: „Ich bedauere Sie, Bürger Direktor, ich empfinde mit Ihnen die Sorge, die Ihnen die Angelegenheit bereiten muss, und versetze mich in Ihre Lage. Beruhigen Sie sich indes: Sie werden in mir einen vernünftigen und mitfühlenden Mann finden!“ Auf meinen Einwurf, daß ich der Ermächtigung des Rates dazu bedürfe, erwiderte er: „Führen Sie mich zu diesem Rat, und ich bürge Ihnen für seine Zustimmung. Es kann keine Schwierigkeiten zwischen dem Sieger und dem Besiegten geben: ersterer befiehlt, letzterer gehorcht, gutwillig oder mit Gewalt.“ Ich stellte also meinen Kommissär, namens Neveu, dem versammelten Rate vor, der ihn, eingeschüchtert durch das brutale Vorgehen von Lecourbe, höflich empfing. Nachdem er diesen Herren dargetan hatte, daß sich der Sieger das Recht erworben habe, dem Besiegten das Gesetz zu diktieren, sollten sie mir befehlen, ihn in unsere Museen, Bibliotheken und alle auf die Künste und Wissenschaften bezüglichen Sammlungen zu führen, damit er daraus wählen könne, was zur Vervollständigung und Bereicherung derer von Paris notwendig sei. Paris solle von nun au der gemeinsame Herd der Aufklärung und Erkenntnis sein, dessen Licht und wohltätige Strahlen sich über die gesamte Erde ausbreiten und sie erleuchten werden. „Glauben Sie indes nicht, daß Sie die Republik durch dieses Opfer in die Finsternis der Unwissenheit stürzen will! Durchaus nicht! Sie ist damit einverstanden, daß ich nur unter dem Titel des Tausches in Ihren Sammlungen wähle, und wird Ihnen durch die Zentraldirektion der französischen Museen für das, was ich Ihnen nehme, Ersatz bieten.“

Nach Prüfung der von Lucien Bonaparte gezeichneten Vollmachten Neveus gaben diese Herren, die so triftigen Gründen nichts entgegenzusetzen fanden, in sichtlicher Verlegenheit nach und erteilten mir in aller Form den Auftrag, Herrn Neveu in die Galerien und das Kabinett des Kurfürsten zu geleiten. Ich freute mich, wenn auch wehmütigen Herzens, meines Triumphes. Denn ich hatte vorausgesehen und dem Rate vorhergesagt, was uns nun begegnete. Schmerzlich gestimmt, ließ ich die Kaiserzimmer aufschließen, wo noch alle Gemälde, mit Ausnahme der von Lecourbe entnommenen, an ihrem Platze hingen. Er war über ihre Schönheit verwundert und rief aus: ,,Wie zum Teufel haben es Ihre Herzöge von Bayern fertiggebracht, so reiche Schätze anzuhäufen! Ich finde hier die verschwenderische Pracht unserer Könige.“

Beim Betreten der Galerie machte ich ihn auf die Lücken aufmerksam, die Lecourbes brutales Vorgehen verursacht hatte. „Beschweren Sie sich darüber“ sagte er zu mir. ,,Die Republik wird nicht billigen, daß er vor mir zu wählen gewagt hat; sie wird ihn veranlassen, sie der Sammlung zurückzuerstatten, und Sie werden wieder auf Ihre Rechnung kommen.“

Bei diesen Worten ließ er sich eine Leiter herbeiholen und schrieb mit Kreide auf drei umfangreiche Gemälde in großen Lettern „Republique Francaise“. Es war ein Tintoretto, Roelant Savery und eine schöne Kopie von Rubens, die er für ein Original hielt. Als wir durch den Hofgarten nach der Galerie schritten, die ich geräumt zu finden hoffte, begegneten wir dem General Decaen, Richard und mehreren anderen, die mit ihren Frauen spazieren gingen. Sie wollten uns alle begleiten, um dem Kommissär beim Ausplündern behilflich zu sein. Wie groß war aber meine Überraschung, als ich sah, daß man kein einziges von den Bildern, die infolge der weisen Sparsamkeit unseres Rates zurückgeblieben waren, weder weggeschafft noch versteckt hatte. Dorner und Dillis, ebenso vertrauensselig auf die französische Loyalität als der Rat, hatten sich diese Mühe erspart und gaben die Gemälde dadurch der Habgier des Feindes preis.

Wie Harpyien warfen sich die Damen auf die Mappen, deren Inhalt man jedoch mit unseren Gemälden fortgeschafft hatte. Sie durchsuchten sie sämtlich, ohne etwas zu finden. Neveu zeichnete schleunigst den Namen seiner verhängnisvollen ,,Republique“ auf zehn Gemälde, und da es gerade die Stunde war, wo sie ihr Gabelfrühstück einnehmen pflegten, so luden sie mich so dringlich dazu ein, daß ich Folge leisten mußte. Das Dejeuner oder vielmehr üppige Diner fand beim General statt, der im Hanse des Grafen von Törring einquartiert war, und ging auf Kosten Seiner Exzellenz des Ministers. Die Damen schafften an und bestellten wie in einem Gasthofe. Nach dem Kaffee zog ich vor, mich zu entfernen, schickte einen Eilboten nach Schleißheim (wohin wir alle am nächsten Tage gehen sollten), um die Bilder gegebenenfalls noch schnell zu verbergen, und verständigte Bischof Haeffelin von dem Besuche des Kommissärs, der in der Bibliothek Bücher und Handschriften auswählen wolle. Dieser kam in größter Verlegenheit: ,,Wie soll ich denn eine ganze Bibliothek verstecken?“ sagte er zu mir. ,,Wem mich anvertrauen?“

,,Retten Sie wenigstens das Kostbarste an Handschriften.“

,,Aber wo sie verbergen?“

,,Unter Ihrem Bettle erwiderte ich und ging zum Konzert im Redoutensaal, wo ich meinem Kommissär versprochen hatte, mich einzufinden. Da ich nichts durch Gewalt vermochte, so wollte ich wenigstens meinen Mann für mich gewinnen, um möglichst wenig Unheil von ihm zu erfahren.

Pierre de Salabert, der vorher Abbé und Prinzenerzieher gewesen und später einflussreicher pfälzischer Staatsminister war, ist den Münchnern durch das für ihn von Karl von Fischer erbaute und nach ihm benannte Palais Salabert (später Prinz Karl-Palais) am Eingang zum Englischen Garten bekannt.

Über Max Joseph Graf von Montgelas (1759-1838), den allmächtigen Minister Max Josephs, vergleiche die später folgenden Ausführungen K. H. v. Langs.

Joseph August Graf von Törring (1763-1826), Staatsminister, auch als Dramatiker bekannt.

Theodor Graf von Morawitzky (1735-1810) war seit 1799 Kultusminister; später übernahm er das Justizministerium.

Jakob Dorner d.Ä.(1741-1813), Maler in München, war 1765 als Inspektor an die kurfürstliche Galerie berufen worden.

Johann Georg von Dillis (1759-184I), war ursprünglich Geistlicher, wandte sich dann der Kunst zu, war namentlich als Landschaftsmaler von Bedeutung und deshalb vom damaligen Kronprinzen Ludwig als künstlerischer Reisebegleiter erwählt. Als Galeriebeamter trat er später in Dorners Stellung.

Die aus den von Frankreich besiegten Staaten weggeführten Kunstwerke wurden später im Musée Napoleon vereinigt, aber nach dem Wiener Frieden von 1815 fast vollzählig wieder ausgeliefert. Auch München, das zweiundsiebzig Gemälde abgegeben hatte (einschließlich jener aus Schleißheim), erhielt achtundzwanzig davon zurück, d. h. alle irgendwie wichtigen, mit Ausnahme eines Gemäldes von Rubens, einer Anbetung der Heiligen drei Könige, das nach Lyon kam.


Bräuer und Bräuerin. Radierung von F. Bollinger

Brotladen in der Sendlingergasse. Radierung von F. Bollinger (vgl. Seite 10)



Dieses Kapitel ist Teil des Buches Ein Jahrhundert München 1800-1900