Ich erkannte mein Zimmer nicht wieder, als ich es betrat. Es war auf das Eleganteste mit Blumen decorirt und ein superbes Album

Ich erkannte mein Zimmer nicht wieder, als ich es betrat. Es war auf das Eleganteste mit Blumen decorirt und ein superbes Album mit meinem Namen lag auf meinem Schreibtische. Ich schellte dem Kellner und fragte, wer die Sachen hierhergebracht hätte? Er behauptete, sie wären ihm von einem Gärtner gebracht worden, mit dem Bemerken, ich hätte sie gekauft.

Gleich darauf kam der Lord. Da er gar nicht frappirt schien durch die Blumenflora, die am Tage vorher nicht vorhanden gewesen war, drängte sich mir natürlich der Gedanke auf, daß es eine Galanterie von ihm sei und ich beeilte mich, ihm dafür zu danken.


Er hatte sich in eine Couchette geworfen und sah mich mit seinem gewohnten kalten Blicke an. „Wovon sprechen Sie, theure Gräfin!“ fragte er, „ich verstehe Sie nicht.“

„Von der liebenswürdigen Attention, welche Sie für mich an diesem Morgen gehabt haben, von den Blumen, welche ich Ihrer Güte verdanke und von dem superben Album.“

„Haben Sie Blumen erhalten?“

„Aber mein Gott, Mylord, sehen Sie denn nicht, daß mein Zimmer in ein kleines Indien verwandelt ist?“

„Ich habe mich nicht umgesehen und bin Indien sehr gewohnt!“ antwortete er ruhig, während er sich sein Toast mit Butter bestrich, da man indessen das Dejeuner servirt hatte.

„So waren Sie es nicht, dem ich die angenehme Ueberraschung verdanke?“

„Unmöglich, theure Gräfin! Ich habe bis jetzt geschlafen.“

„Bis jetzt? in diesem wundervollen Wetter?“

„Wundervolles Wetter ist mir sehr indifferent, nur schlechtes Wetter ist mir horrid. Zudem sind die Tage so lang!“

„Aber die Welt ist auch groß und schön!“ sagte ich.

„O, theure Gräfin! Ich kenne die Welt schon, ich habe sie schon zweimal umschifft, habe Alles gesehen, nun kann ich doch nicht immer von Neuem anfangen. Das ist langweilig für mich und darum verschlafe ich gern einen Theil des Tages! Das ist bequem!“

„Und Sie sehnen sich nach keiner andern Existenz?“ fragte ich ihn, förmlich erschüttert durch seine Ruhe.

„Wie kann ich mich nach Etwas sehnen, das ich für unmöglich halte? Aber lassen Sie den Thee nicht zu lange brühen, theure Gräfin! das macht ihn ungenießbar.“

„Ah!“ rief ich, erfreut davon, daß dieser Mann doch wenigstens in dieser Kleinigkeit die Spur eines Wollens oder Nichtwollens verrieth, „so ist Ihnen doch nicht Alles gleichgültig, Mylord!“

„Alles bis auf den Comfort!“ sagte er, behaglich den Thee schlürfend, den ich ihm präsentirt hatte.

Es entstand eine lange Pause, er trank mit großem Genusse und ich betrachtete ihn mit Staunen. Ich fand die Resignation adorable, mit der er ein so trostloses Dasein wie das seine ertrug. Ich fing an, ihn zu achten, ihn zu beklagen; plötzlich fiel mir ein Gedanke sternenhell in die Seele und schnell sagte ich: „Beantworten Sie mir eine Frage. Wenn Ihnen Alles indifferent ist, wenn Nichts Sie fesselt, welches Interesse haben Sie, mir zu folgen?

„Die Neugier, theuerste Gräfin!“

„Die Neugier?“ wiederholte ich.

„Ja! die Neugier zu wissen, wie Sie ein gleiches Schicksal wie meines, dem Sie entgegengehen, ertragen werden. Es ist langweilig, blasirt zu sein und doch zu leben, es erfordert Kraft, Heroismus und ich möchte wissen, ob Sie die haben.“

„Und was werden Sie thun, Mylord?“ fragte ich.

„Leben!“ antwortete er, und tranchirte ein Cotelett.

Mir schauderte und der Lord imponirte mir. Ich gestand ihm das freimüthig.

„Das wundert mich nicht,“ entgegnete er, „das ist mir schon oft begegnet, aber es freut mich von Ihnen, dabei empfinden Sie doch Etwas und das gönne ich Ihnen.“

„Und Sie empfinden Nichts? gar Nichts, Mylord? Sie haben keinen Wunsch?“

„O doch! Ich möchte mit Ihnen zusammen sterben. Ich dachte mir es gestern, als ich Sie Abends so schön dastehen sah, in der Lampenbeleuchtung, welche aus Ihrem Zimmer auf den Balcon fiel. Sie sind die schönste Frau, die ich seit lange erblickte. Ich möchte wissen, wie dieses schöne Antlitz in der Agonie des Todes aussieht; ich möchte wissen, was ich empfände, hätte ich das schönste Weib umgebracht, um deren Besitz andere Männer alle Thorheiten der Welt begehen würden – und wüßte ich das, dann, glaube ich, möchte ich selbst sterben wollen, weil ich dann Nichts mehr finden möchte, was meine Neugier reizte.“

„O! Du bist entsetzlich, Mann!“ rief ich zitternd vor nie gefühlter Emotion, „aber Du bist ein Mann! Warum fanden wir uns nicht früher? Warum lernte ich Dich nicht kennen, als Dein Männerherz noch nicht alle seine Pulsschläge des Wollens, des Wünschens und Begehrens verlernt hatte, als noch die Liebe Dir das Leben zur Lust machen konnte? O, das Fatum ist unerbittlich in diesem entsetzlichen Zuspät! Eine Gigantenseele eristirte hienieden und ich fand sie zu spät! Aber warum kamst Du nicht früher, warum fanden wir uns nicht?“

Der Lord sah mich mit starrem, festem Blicke an, setzte die Theetasse nieder und sagte nach einer Pause innerlicher Meditation: „Man hat mir in Kairo von Saaten erzählt, die Jahrtausende hindurch in den Pyramiden gelegen hatten und zu blühen anfingen in Frühlingsfrische, als sie dem Lichte der Sonne wieder exponirt wurden. Bist Du die Sonne, Diogena, daß Du in meinem Herzen ein neues Blühen hervorrufst? Es wäre remarquabel wie jenes!“

Indolent wie immer, blieb er in seiner Couchette liegen, die er bis zu meinem Sopha heranrollte, dann ergriff er meine Händchen und zog mich empor, so daß ich vor ihm stand.

„Ich glaube, wir lieben uns!“ sagte ich, ohne recht zu wissen, was ich sprach.

„So scheint es mir,“ entgegnete der Lord, indem er meine Hände und Arme mit seinen Küssen bedeckte.

In diesem Momente erscholl im Nebenzimmer ein heftiges Geklapper, ich fuhr erschrocken empor und der Lord sagte mismuthig: „Aber, theure Gräfin! wie uncomfortable ist Ihr Arrangement, daß man durch Geräusch beleidigt wird in Stunden, in denen die Seele der Ruhe bedarf! Aendern Sie das für die Zukunft.“

Es war der neue Kellner gewesen, der eine Tablette mit verschiedenen Geräthschaften zur Erde geworfen hatte. Als ich ihm Vorwürfe deshalb machte, trat er dicht an mich heran und sagte so leise, daß es nur für mich vernehmbar war: „Madonna! noch ein Wort mehr und Ermanby und ich sind Beide verloren!“

Ich bebte zusammen! Es war der Vicomte, der in dieser mysteriösen Verkleidung sich wieder in meine Nähe introducirt hatte.

Ich war wie vernichtet, ich wußte mir nicht zu helfen, keinen Ausweg zu finden. Eine innere Stimme sagte mir, opfre den Mann, den Du nicht liebst, für den, den Du liebst! Aber das war eben die Verzweiflung, ich liebte sie Beide nicht, ich sah es mit erschreckender Deutlichkeit in diesem Momente. Und doch rührte mich die Devotion des Vicomte, doch interessirte mich Ermanby's Apathie, doch lag ein belebendes Element in der Gefahr meiner Position, das mich anregte wie der Schall der Kriegsdrommete den jungen Krieger, der sich thatendurstig nach Schlachten und Kämpfen sehnt.

„Liebe ist Gehorsam! Liebe ist Glaube!“ sagte ich leise zu Servillier. „Verlassen Sie mich, Anatole, wenn ich an Ihre Liebe glauben soll.“

Er that, wie ich es verlangte. Ich athmete auf, soulagirt von der Angst dieses Momentes, und entzückt über die schöne Hingebung des Vicomte. Der Lord hatte nicht einmal den Kopf gewendet, er sah ruhig auf seine Fußspitzen nieder, plötzlich fragte er mich:

„Wann wollen wir reisen, Diogena?“

„Reisen?“ wiederholte ich verwundert, „und wohin?“

„Gleichviel!“

„Aber wozu denn?“

„Um mit einander zu sein, so lange es uns Freude macht, so lange wir uns lieben.“

„Und dann? Und wenn wir uns nicht mehr lieben?“

„Dann trennen wir uns oder versuchen, ob es uns tentirt zusammen zu sterben!“ sagte er mit einem Gleichmuth, vor dem ich schauderte. Wie konnte ein so junger Mann bereits alle Quellen des Lebens erschöpft haben! Bot denn das Leben so wenig oder war er einer der Titanen, die den schäumenden Becher schnell bis auf seine Hefe leeren, um ihn dann mit Degout von sich zu schlendern? Was für trostlose Erfahrungen, was für Deceptionen mußte er erlitten haben, um nicht mehr an Liebe, an Freude zu glauben, um nur im Tode einen neuen Reiz für seinen Geist zu finden! Ich dachte an mein eigenes unverstandenes Dasein, ich fragte mich, wie, wenn wir Beide berufen wären, die trostlose Leere zu füllen, die wir fühlen? Er fesselte doch wenigstens mein Interesse, er gab meinen Gedanken eine Richtung, er machte mir Furcht.

Ich setzte mich an seine Seite und sagte, indem ich zu lächeln versuchte: „Sie erwarten schwerlich, daß ich Ihren Reiseplanen beistimme, Mylord! Ich bin Graf Bonaventura's Frau –“

„Das eben reizt mich,“ meinte Ermanby. „Ich möchte wissen, wie er sich dabei betragen würde, wenn sein Freund ihm seine Frau entführte; die Deutschen sind so troublesome in diesen Angelegenheiten.“

„Und wenn ich nun dennoch fest erklärte, nicht reisen zu wollen?“

„So würde ich nicht weiter darauf bestehen.“

„Und Sie behaupten, daß Sie mich lieben?“

„Ja, Diogena! ich liebe Dich! – O!“ rief er plötzlich und ein Feuer, wie ich es nie in ihm gesehen hatte, flammte über sein ganzes Wesen empor, „o, Diogena! laß den Funken unter der Asche schlummern, die sich über mein Herz gelegt hat.“

Er stand auf, seine Bewegungen waren ganz Nerv und voller Energie. Er ging heftig im Zimmer auf und ab. Plötzlich blieb er vor mir stehen und sagte: „Es war eine Zeit, in der ich an das Leben glaubte, in der ich die Liebe erstrebte und die Treue erwartete, weil ich selbst treu war. Damals hatte ich eine Braut, so rein, so hold, wie das erste Weib, das hervorging aus den Händen des Schöpfers. Sie war mir verlobt und entfloh mit meinem Bruder, den ich geliebt hatte mit allen Fibern meines Herzens. Ich gab den Beiden ein Rendez vous auf der Insel Chios, mein Bruder – – doch wozu dies?“ rief er und ging wieder mit großen Schritten auf und nieder. Eine dunkle Wolke hatte sich über seine Stirne gelagert, es war etwas Dämonisches in ihm, ich konnte meine Blicke nicht von ihm wenden.

Bebend vor angstvoller Erwartung fragte ich leise: „Und wo ist Ihr Bruder?“

„Er starb auf Chios“ antwortete er kalt und tonlos.

„Und das Mädchen?“

„Ueberlebte ihn nicht lange!“

Eine dumpfe Pause trat ein, während welcher der Lord seine heftige Wanderung in meinem Zimmer fortsetzte. Ich wagte nicht zu sprechen, ich war dominirt von der miraculösen Empfindung, welche die Vögel zwingt, der Anakonda in den Rachen zu fliegen, die ihnen todbringend ist. Nach einer Weile setzte sich der Lord so ruhig neben mich nieder, als wäre nie eine Emotion durch seine Seele gegangen. Er nahm meine Hand und sagte mit seiner gewohnten, glacialen Kälte: „Diogena! höre mich recht an; es ist Ernst, was ich Dir sage. Du bist so schön, daß Deine Schönheit wie die Sonne alle Nebel, alle Gewitterwolken zerstreut, die sich über mein Leben gelagert haben. Mir ist, als liebte ich Dich, als wäre mir Deine Liebe wirklich noch ein Besitz, welcher der Mühe, ihn zu empfinden, werth wäre. So will ich Dich denn besitzen. – Verstehst Du mich nicht, Diogena? Willst Du mein sein im Leben? Oder wollen wir sterben zusammen, noch heute, noch in dieser Stunde?“

Mir war, als öffne sich eine neue Welt meinen Augen. Aber dies war ja ein Mann, wie ich ihn gesucht hatte; ein Mann, der Nichts verlangte vom Leben, als Liebe. Ich fragte mein Herz, was es für ihn empfände. Es schwieg wie immer. Meine Phantasie war occupirt durch ihn; ich fühlte, daß ich die Seine werden könne, mit jener horribeln Indifferenz, mit der ich des Grafen Frau geworden war; aber das war es nicht, was er verlangte, nicht, was ich erstrebte. Ich war außer mir über die Kälte meines Herzens, ich wollte ja lieben, dies war eine Natur, weit über die Grenzen des Gewöhnlichen erhaben, warum konnte ich ihn nicht lieben? Warum fühlte ich keinen Impuls für ihn zu leben, ihm den Glauben an Glück wiederzugeben, ohne Egard, ob ich selbst es fände oder nicht? Ich war innerlich deprimirt, ich verzweifelte an mir selbst, am Leben. Ich fühlte, es würde niemals anders werden und mir immer lästiger; und doch hatte ich die Apprehension vor dem Tode, die allem Leben den so tief inne wohnt. Ich war mir incomprehensible. Aber die innere Wahrheit meiner Natur trug den Sieg auch diesmal gloriös davon. Ich gestand dem Lord, daß er mir Staunen, aber keine Liebe abgewinne.

Er sah mich mit einem furchtbaren Blicke an. „Und wozu das elende Spiel in dieser Stunde, Diogena?“ fragte er. „Wozu das Verbrechen, noch einmal Leben zu erwecken in einem Herzen, das aufgehört hat zu vibriren?“ fragte er.

„O!“ rief ich, „vergib, vergib! Ich wollte ja versuchen, ob ich Dich lieben könne?“

„Und Du glaubst, ein Mann sei der Spielball Deines thörichten Willens? Du glaubst, ein Mann sei da, Deine müßigen eiteln Capricen zu befriedigen, weil Du schön bist? Denn schön bist Du!“

Ich schwieg. Er hielt mich am Handgelenk fest, das er mit einer Vehemenz preßte, welche mir Thränen in die Augen trieb.

„Liebst Du mich?“ fragte er.

Mein Stolz war auf das Empfindlichste verwundet; Ermanby imponirte mir, aber er sollte es nicht wissen, weil ich ihn nicht liebte, und mit vollkommner Ruhe sagte ich, während ich zu lächeln versuchte, ein deutliches „Nein!“

Da schleuderte der Lord meine Hand von sich und sagte mit einem eisigen Hohne: „So soll doch der Moment, in dem ich das lästige Leben von mir werfe, wenigstens dazu dienen, das kälteste, hochmüthigste Weib zittern zu lehren, so soll doch das herzloseste Weib mich niemals vergessen.“

„Um Gottes Willen, Ermanby! was willst Du thun?“ rief ich schaudernd. „Mann, um der Liebe willen, die ich suche, suche, ohne sie zu finden, was ersinnst Du?“

Ich hatte noch nicht die letzten Worte vollendet, als ein kleines Terzerol in des Lords Hand aufblitzte, ein Knall – und Ermanby sank lautlos in die Couchette zurück. Mit einem Schrei des furchtbarsten Entsetzens brach ich zusammen.

Als ich erwachte, lag ich auf meinem Lager. Rosalinde saß an meiner Seite, durch die geöffnete Thüre entdeckte ich den Fürsten Callenberg, aufgestützt an einem mit Arzneigläsern besetzten Tische. Es war Nacht, eine Lampe erhellte das Zimmer, der Fürst schien zu schlummern. Ich hatte keine distincten Vorstellungen, nur die Ahnung eines terriblen Evenements schwebte mir vague vor der Seele. Ich mochte meinen Erinnerungen nicht durch meine Kammerfrau zu Hilfe kommen lassen, ich befahl ihr, den Fürsten zu rufen.

„Wo ist Ermanby?“ fragte ich ihn, als er an meinem Lager stand.

„Beerdigt gestern Morgen.“

Eine eisige Hand legte sich über meine Stirn und mir war, als wolle mein Bewußtsein aufs Neue schwinden, aber ich raffte die ganze Energie meines Wollens zusammen und fragte, wie man von einem Gestern sprechen könne, da Ermanby ja noch am Morgen bei mir dejeunirt hätte.

„Pardon! meine Gräfin!“ sagte der Fürst, „Sie haben mehr als zwei Tage in tiefem Todesschlummer gelegen. Sonst würden Sie ja die Vorgänge von gestern und heute wissen!“

„Die Vorgänge? Und was ist denn vorgegangen?“

„Sie meinen nach der Ankunft Ihres Mannes?“

„Ist der Graf von seiner Excursion retournirt?“

„Mein Gott! auch das wissen Sie nicht einmal?“ fragte der Fürst. „Sie wissen nicht, daß, als Sie aufschrieen im Moment von Ermanby's Tode, Servillier hineinstürzte, und Sie in seinen Armen hielt, in dem Moment, in dem Ihr Mann heimkehrte?“ Er hatte Servillier gleich am ersten Abende in seiner Verkleidung erkannt, die Excursion mit den Elslebens war nur fingirt, er wollte Sie überraschen, weil er sicher wußte, den Vicomte in Ihrer Nähe zu finden.

„Und dann?“ fragte ich indignirt über diese Perfidie meines Mannes.

„Nun! Dann hat er den Vicomte gefordert, sie haben sich geschossen und noch am Abende ist Ihr Mann nach England gegangen,“ berichtete der Fürst phlegmatisch.

„Aber Servillier?“

„Ist vierzehn Stunden nachher gestorben; in meinen Armen gestorben. Ihr Name, meine Gräfin, war sein letztes Wort.“

Ich schwieg. Eine Welt von Emotionen drang auf mich ein; Geister der Verstorbenen, blutige Leichen hielten ihren wahnsinnigen Reigen vor meinem innern Auge. Mein Hirn schwindelte, meine Seele erbebte, mein Herz war kalt. Ich sehnte mich nicht nach meinem Gatten, ich dachte ohne Liebe an die beiden Männer, welche für mich und durch mich gestorben waren. Ja, selbst ein Gefühl des Hasses mischte sich in die Erinnerung an sie. Sie waren mir durch ihren Tod Gegenstände des Entsetzens, und weshalb? – Hatte ich Einem von ihnen ein Glück zu danken? Warum hatten sie sich in die verzehrende Gluth meiner Nähe gewagt, diese erbärmlichen Eintagsfliegen? Warum hatten sie versucht, diese schwachen Naturen, in den Kreis einer Diogena zu treten, deren Kometenlauf sie fortreißen mußte aus der bescheidenen Bahn, welche solch kleinen Seelen prädestinirt ist.

Ich richtete mich empor, groß und frei, wie Marius auf den Ruinen von Karthago. „Rosalinde!“ sagte ich, „legen Sie mir ein elegantes Reisenegligee zurecht und lassen Sie packen. Sobald es Tag wird, gehen wir nach Paris.“

„Darf ich Ihnen folgen?“ fragte der Fürst.

„Fürchten Sie nicht das Schicksal der Andern?“

„O nein, meine Gräfin, wie sollte ich, da ich nicht die Prätensionen habe, wie Jene. Ich kann ja weder hier allein zurückbleiben, noch Sie allein reisen lassen, so folge ich Ihnen nach Paris.“

Ich reichte dem Fürsten die Hand. „O!“ rief ich, „Sie sind sublime in Ihrer Treue. Das ist die wahre instinctive Treue des Hundes, der liebt und folgt, ohne zu wissen weshalb, ohne Dank, ohne Anspruch, ohne Verlangen. O, die Thiere sind unegoistischer als wir und glücklicher obenein, denn sie kennen nicht das ewig wache, ewig ungestillte Sehnen in unserer Brust, das vom Himmel stammend, hier rastlos und vergebens nach Befriedigung sucht.“

„Schlafen Sie noch eine Stunde, meine Gräfin,“ sagte der Fürst, „ich will es auch thun – und dann lassen Sie uns reisen, es freut mich, daß ich doch nun weiß, wohin ich von Baden gehen soll. Ich konnte zu keinem Entschlusse kommen bis jetzt. Gute Nacht, meine Gräfin!“ Und innerlich sagte er sich: Welch ein Thor ist doch der Graf, sich von dieser Frau zu entfernen, deren prächtige Capricen alle Tage neu sind, so daß man vollauf beschäftigt ist und gar keine Langeweile hat, wenn man nur all das thut, was sie verlangt. Solch eine Frau, wenn sie jung und reich und schön ist wie diese Gräfin, ist ja ein veritabler Tresor.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Diogena.