Mein Busen hob sich in convulsivischem Weinen, meine Augen sprühten in unerhörtem Lustre, ich glich einer zürnenden Gottheit

Mein Busen hob sich in convulsivischem Weinen, meine Augen sprühten in unerhörtem Lustre, ich glich einer zürnenden Gottheit und war irresistible. Mein Mann warf sich vor mir nieder, er küßte meine Füßchen, er versprach, sich von allen vernünftigen Interessen loszusagen, er wollte seine ganze ernste Vergangenheit desavouiren und nur ein Leben der Liebe leben für mich. Seine Worte ließen mich kalt, seine flammenden Küsse machten mich fast schaudern, ich war in Desespoir, mir selbst ein Gegenstand des Horreurs. Meine Kraft drohte zu erliegen, da nahm Bonaventura mich in seine Arme, und leise weinend wie ein müdes Kind, faltete ich trostlos meine Händchen zum Gebete und schlief von seinen Küssen überdeckt, in seinen Armen ein.

Am Morgen erwachte ich in Zorn gegen mich selbst. Ich hatte keinen Glauben in die Versprechungen meines Mannes und dennoch sah ich gleich an dem Tage, daß er Ernst mache, sie zu erfüllen. Er besuchte das Lesecabinet nicht mehr, er vermied alle Männer von geistiger Distinction, mit denen er sonst zu conversiren pflegte, er wich, wie Fürst Callenberg, nicht von meiner Seite.


Servillier, eitel wie alle Franzosen, hielt dies für ein Zeichen von Jalousie, fühlte sich dadurch geschmeichelt und vermehrte seine Attentionen für mich. Mich brachte dieses Benehmen meines Mannes in eine wunderbare Position. Wollte ich nicht das Ridicule über mich nehmen, von der Laune eines eifersüchtigen Gatten tyrannisirt zu werden, so blieb mir keine Wahl, als zu zeigen, daß ich frei sei, die Huldigung der Männer anzunehmen. Ich schwankte, welchen von meinen Adorateuren ich bevorzugen wolle, denn alle Drei waren mir unaussprechlich indifferent. Da entschied ein Moment, ein Zufall meine Wahl.

Bonaventura hatte nach wenig Tagen, da ihm seine sogenannten ernsthaften Occupationen fehlten und ich unmöglich in der Laune sein konnte, ihn in seinem Attachement an meine Person zu encouragiren, angefangen sich furchtbar zu langweilen. So oft ich nach ihm hinblickte, saß er mismuthig da und schon mehrmals hatte ich ihn gähnen sehen, das machte ihn mir vollends insupportable. Ich nahm gar keine Rücksicht auf ihn und es war mir ein Soulagement, als ich bemerkte, daß ein ganz unbedeutendes, schlichtes Fräulein von Elsleben, eine Cousine des Fürsten, die mit ihrem Vater, einem preußischen Gutsbesitzer, eben angekommen war, ihn zu beschäftigen anfing. Sie war eine ganz gewöhnliche, weibliche Erscheinung, ein unschuldiges Kind, das für mich dadurch ein Ridicule bekam, weil der Vater sie immer „meine Mieze“ nannte. Eigentlich hieß sie Aurora, nach ihrer verstorbenen Mutter; aber auch diese war von dem Vater „Mieze“ genannt worden und so führte er aus Pietät den Namen auch in der Tochter fort.

Aurora zu Ehren war ein Dejeuner auf dem alten Schlosse veranstaltet worden. Man ritt theils auf Eseln, theils zu Pferde hinauf. Mein Mann machte den Cavalier Aurora's und that ängstlich um sie besorgt, während ihr Vater ihm unablässig zurief: „Geben Sie Acht, bester Graf! daß meine Mieze nicht vom Esel fällt; halte Dich fest Miezchen! Du bist noch nie geritten, so ein Esel ist eine eigensinnige Bestie und keine bequeme Familienkutsche, in der man so sicher sitzt wie in Abrahams Schoos; biege Dich weiter nach hinten, Miezchen!“ und wie dergleichen Ermahnungen denn weiter hießen.

Mich packte ein solcher Degout vor diesen ganz ignobeln Menschen, und vor Bonaventura, den dies höchlich zu belustigen schien, daß ich zu Servillier sagte, der grade in meiner Nähe war: „Um Gottes Willen, Vicomte, lassen Sie uns absteigen und einen Fußpfad einschlagen, denn die Anwesenheit dieser Menschen macht mich nervos.“

Servillier bot mir die Hand, ich ließ mich von meinem Pferde herabheben, und wanderte mit ihm durch den Baumschatten den Berg in die Höhe; wie immer folgte der Fürst in gewisser Entfernung. Ganz gegen seine Gewohnheit schwieg Servillier eine Weile, dann sagte er: „Wenn ich Sie so ansehe, meine Gräfin, so frage ich mich immer, welch ein splendides Gestirn über dem Grafen geleuchtet hat, daß ihm eine Diogena zu Theil ward; ja welches Gestirn über diesem Jahrhundert leuchtet, daß Sie uns gegönnt sind.“

„Sie sind grandios in Ihren Exagerationen, Vicomte!“ warf ich mit der Gleichgültigkeit hin, mit der man solche banale Phrasen beantwortet und selbst verschwendet.

„Meine Gräfin!“ rief er aus, „o, hören Sie mich an!“ – Er führte mich zu einer der Bänke, die sich auf dem Wege fanden, nöthigte mich darauf niederzusitzen und legte sich mir zu Füßen hin, während er anmuthig meine Hände hielt und sie mit spielender Grazie an seine Lippen drückte. Dann erhob er sich etwas und sagte knieend: „Madonna! Du mußt ein Kind des Südens sein! Nur der Süden erzeugt solch glänzend poetische Erscheinungen wie Du! Im schönen Griechenland stand die Wiege Deiner Ahnen; dort hat der goldene Sonnengott Deine goldenen Locken angestrahlt, dorthin, nach dem Süden gehört Deine flammende Existenz! – O, Madonna! Du hättest im Mittelalter leben müssen bei uns in der schönen Provence, an den Ufern des blauen Meeres, die Königin der Herzen und der Cours d'amour!“

Ich hörte ihm schweigend zu und träumte mich zurück in die Tage, von denen er sprach, in ein Zeitalter, in dem Liebe ein Cultus war, und man die Frauen wie Göttinnen anbetete aus scheuer, blöder Ferne. Ich fragte mich, ob das die Liebe sei, die ich gesucht? – Servillier blickte mit seinen großen, brennenden Augen so fest in die meinen, daß es schien, als wolle er in den profundesten Tiefen meiner Seele lesen. Ich empfand Nichts für ihn, mein Herz war kalt und still, aber ich erbebte vor seinem fascinirenden Blick, seine Glut dominirte mich. Ich wollte mich erheben, er ließ es nicht zu. Mit festen Armen umschlang er meine Taille: „Diogena! Madonna!“ rief er aus, „nicht diesen kalten, herzlosen Blick, der in das Weite vaguirt; auf mich, Diogena! wende Deine Augen. Sieh mich zu Deinen Füßen, fühle meine Arme, die Dich enlaciren, die Dich halten, um Dich Deinem kalten, berechnenden Gatten zu entreißen, Dich dem Norden zu entführen, wo Schnee und Eis sich um Dich lagern! – Diogena! mein Engel! folge mir in meine schöne Provence, denn Du mußt folgen, Du mußt mein sein; denn ich lasse Dich nicht, auf mein Wort, ich lasse Dich nicht! Aber Diogena, Du hast kein Herz!“

Er hatte mich an sich gepreßt, mir schwindelte, meine Sinne drohten mich zu verlassen. Ich lehnte meinen Kopf an seine Brust, ich wußte nicht, ob ich träume oder wache, glücklich oder miserabel sei. Ich empfand eigentlich gar Nichts und willenlos duldete ich die stürmischen Küsse und Schwüre des Vicomte.

Als ich mich erholte, fiel mein erster Blick auf den Fürsten Callenberg, der in einiger Entfernung stehen geblieben war. Mit der ihm eigenen Impassibilität und Discretion hielt er meinen Shawl und meinen grünen Fächer, und that, als ob er sich mit diesem spielend gegen die Sonne schütze, nur um mir durch seine unvermeidliche Gegenwart nicht à charge zu sein.

In der Ferne erblickte ich meinen Mann und Aurora. So wenig liebte er mich, daß er mich ruhig den leidenschaftlichen Bewerbungen des Vicomte überließ, die ihm nicht entgangen sein konnten. Das ganze Gewicht des schmerzlichen Irrthums, der mich mit ihm verbunden hatte, die trostlose Leere meines Herzens an seiner Seite, das passionirte Verlangen nach Liebe und Liebesglück standen in frappirender Deutlichkeit vor meinem innern Auge. Alles, was Bonaventura mir zu bieten hatte, kannte ich nun à fond, hatte ich ungenügend gefunden. Ich wußte, daß solche ekstatische Momente, wie er sie in den Stunden unsers ersten Begegnens gehabt, eben nur Momente waren, die seinen modernen Ideen von der Pflicht gegen die Zeit und die Menschheit immer weichen mußten. Ich mußte mir gestehen, daß er in den Augen der Welt ein sehr achtbarer Charakter, das Muster eines jungen Edelmannes sei, aber er war nicht das Ideal eines Mannes, wie ich es mir geträumt hatte, wie ich es zu finden berechtigt war. Ich fühlte, es würde mir nicht Ruhe lassen, bis ich den Rechten gefunden hätte, und in diesem Augenblicke ward mir, wie durch mysteriöse Revelation, der Sinn meines Wappens klar und zum Lebensgesetze.

Servillier hielt, wie vernichtet durch mein Schweigen, noch immer meine Hände in den seinen; eine tiefe Glut lag über seinem ganzen Wesen ausgebreitet. Eine dämonische Stimme in mir rief: Versuche, vielleicht ist er es. – Ich blickte ihn fest an, ich wollte es mit meinem Auge in dem seinen lesen; meine fascinirende Kraft magnetisirte ihn. „Diogena!“ rief er mit einer solchen Gewalt und Intensität der Liebe, daß der Ton tief in meinem Innern wiederklang; eine Ahnung möglichen Erfolges durchzuckte mich, und überwältigt von einer namenlosen Sehnsucht nach Glück, lehnte ich mein Haupt an ihn und sagte ganz bewildert: „O, wenn Du lieben kannst, lehre mich lieben!“

„Und Du hast nie geliebt?“ fragte er, beseligt von dem Gedanken, der erste Mann zu sein, der all die seligen Emotionen in mir hervorzurufen erwählt war, welche wir Liebe nennen. „Du hast nie geliebt? O! Aber das ist ja zu viel Wonne! zu viel! Madonna!“

„Nein! Anatole!“ sagte ich, „nicht zu viel für das Gut, das ich von dir erwarte; nicht zu viel, wenn Du ein Mann bist, wie ich ein Weib; wenn Du die Kraft besitzest, das Perpetuum mobile meines Herzens zu sein, es unablässig in der immer gleichen Vibration ekstatischen Vollgefühls zu erhalten.“

„Und was muß ich dazu thun? Madonna!“

„Wie kann ich's wissen, da ich's noch nicht fand?“

„O! rief er, nun sollst Du's kennen lernen! Komm! komm! mein Engel! laß uns hinauf zu den hellsten Höhen des Berges! Laß uns hinauf ins Freie, und wenn die Erde in ihrer zauberischen Schönheit sich vor dir ausbreitet, wenn die Sonne Alles goldig beleuchtet, dann denke, daß ich der Beherrscher der Welt sein möchte, um Dir sie zu Füßen zu legen, und daß ich wollte, meine Liebe wäre wie die Sonne, um Dein ganzes Wesen zu beleben und zu durchleuchten, wie jene die Welt.“

Mit einem Jubelrufe hob er mich in den Sattel und wir sprengten mit solcher Eile den Berg hinan, daß wir, trotz des Aufenthaltes, oben in den Ruinen vor allen Andern angelangt waren. Zum ersten Male fehlte der Fürst an meiner Seite. Er war in einen wunderlichen Conflict mit sich selbst gerathen. Als wir seinen Blicken entschwunden waren, fuhr er sich mit der Hand über die Stirne, wie Jemand, der einen wüsten Traum geträumt hat.

„Diable!“ sagte er zu sich selbst! „wie ist mir denn? Mir ist so warm, als hätte ich eine Wette gehalten beim Pferderennen, und hätte die Partie verloren. Aber was kümmert mich denn die Comtesse mit ihrer Miene à la sainte N'y touche; mag sie doch lieben wen sie will, das ist des Grafen Sache. Was kümmert's mich! Ich liebe sie nicht, aber dieser Servillier ist mir odios! Wo er nur mit ihr sein mag?“

Verdrießlich schlug er mit der Reitpeitsche gegen die zunächst stehenden Bäume und trabte meditirend und übler Laune den Berg in die Höhe.

Wie im Rausche vergingen mir die nächsten Tage und Wochen. Anatole war wie ein angezündetes Feuerrad, in rastlos brennender Bewegung. Er liebte mich wirklich; er begriff die tödtliche Leere meines armen unersättlichen Herzens, er begriff die Apathie, in die ich versank, wenn ich nicht ewig in immer neuen Emotionen erhalten wurde. Er war erfinderisch, wie nur die wahre Leidenschaft es macht. Unablässig hörte ich von ihm sprechen und immer in der Weise, welche für uns Frauen so viel Charmes hat. Bald sprach man davon, daß er Unsummen an der Bank pointirt und verloren oder gewonnen habe, bald hatte er, der magnifiqueste Reiter, ein Racepferd acquirirt, das der Großherzog zu kaufen refusirt hatte, wegen des enormen Preises. Da ich erklärt hatte, daß die impassible Galanterie des Fürsten mir unerträglich sei, und daß mich nur eine Huldigung entzücken könne, die mich wie die Liebe meines Schutzgeistes unsichtbar umschwebe, wußte Anatole tausend Mittel ausfindig zu machen, um in meiner Nähe zu sein und unbemerkt für mich zu sorgen.

Machte man eine Partie auf Eseln, so trat oft der Führer desselben, den ich als einen bezahlten Menschen nicht beachtet hatte, leise an mich heran, als ob an dem Sattelzeuge Etwas verdorben sei, und aus dem gewaltigen blonden Barte, der ihn für Jedermann unkenntlich machte, fragten mich Anatole's blühende Lippen: „Madonna, schlägt Dein Herz?“ – Aber Anatole's Anbetung fing an, die allgemeine Aufmerksamkeit zu erregen, nur mein Mann schien sie nicht zu bemerken. Fräulein Aurora dominirte als Sonne an seinem Horizonte und blendete ihn so, daß er für mich kein Auge mehr hatte. Mein Stolz war auf das Empfindlichste verletzt. Eines Tages fand mich Anatole in Thränen.

Der Glanz meiner Farben war wie erblichen, mein Antlitz sah wie ein klarer weißer indischer Mousselin aus, den man mit dem zartesten rosenrothen Taffet gefüttert hätte; wie leichte blauseidene Plattschnürchen liefen die Adern darunter hin.

„Du weinst, Madonna?“ fragte er. „Bist Du nicht glücklich durch meine Liebe?“

„Ich liebe Dich nicht, Anatole!“ sagte ich. „Ich kann Dich nicht täuschen. Du bist brillant, Du bist sublime als Cavalier und Du liebst mich; aber fühle es, mein Herz klopft ruhig und still. Meine Nerven versinken in ihre frühere Apathie und in diesem Momente ist es allein der Depit über meines Mannes Vernachlässigung, der meinem Dasein noch einen Impuls, einen Anschein von Leben gibt. Ach, ich fühle es, ich werde sterben, denn mir fehlt die bewegende Kraft für meine Existenz. Ich schlafe ein vor Unmöglichkeit zu leben.“

„Aber Madonna!“ rief Anatole in Verzweiflung, „Du empfindest Nichts, Nichts? Und ich verzehre mich in Gluten, die Deine Schönheit anfacht, Deine Blicke nähren! Du erwiederst den Druck meiner Hand, Du duldest meine flammenden Küsse – und Du liebst mich nicht! Du sagst, Du empfändest Nichts? Aber was soll ich denn thun, damit Du lebst, statt zu sterben?“

„Lehre mich lieben! Lehre mich fürchten und hoffen, aufjauchzen und verzweifeln, laß mich die ganze Scala der Sensationen durchlaufen in dem Gedanken an Dich, und mache, daß dies nie, niemals ende und wie eine Sklavin ihrem Herren will ich Dein eigen sein.“

Anatole kreuzte die Arme über der Brust, sah mich mit einem langen desidirten Blicke an, sagte mit gepreßter Stimme: „Leb' wohl, Diogena!“ und sprang vom Balkon, auf dem ich saß, hinunter in den Garten.

Ein furchtbares Zittern durchflog meine Nerven. Ich schickte, als ich mich erholt hatte, meinen Diener in die Wohnung des Vicomte, mich nach seinem Befinden zu erkundigen; man brachte mir die Antwort, er sei heimgekehrt, dann ausgegangen und seine Domestiken packten seine Sachen, da er in einer Stunde abreisen werde.

Ich blieb ruhig und kalt wie immer. Er war mir eine Zerstreuung gewesen, Nichts mehr, Nichts weniger. Dennoch fehlte er mir am Morgen und die Frage meines Mannes, wo mein Cavaliere servente geblieben sei? die Auskunft, welche die Gesellschaft von mir über sein Verschwinden verlangte, hatten in der That etwas Embarrassirendes.

Ich hielt mit aller Sicherheit einer Weltfrau Contenance und Fürst Callenberg und Lord Ermanby benutzten den Zeitpunkt, ihre nicht beachteten Prätensionen geltend zu machen. Ich war, nicht in der Stimmung, sie zu encouragiren, dennoch nöthigte mich meine wunderbare Position dazu. Von meinem Manne gänzlich negligirt, von Servillier urplötzlich verlassen, mußte ich die sehr auffallende Lücke durch eine neue Wahl füllen und Servillier's Abreise dadurch motiviren.

Des Fürsten war ich gewiß. Er war eine jener seltenen Naturen, die niemals ihren Posten verlassen; ich war so gewiß ihn zu finden, wie den Reflex meiner Person in dem ungetrübten Glase eines Spiegels, und zudem lag in dem wunderlichen Wesen des Lords ein je ne sais quoi, das mich agacirte.

Er selbst war dermaßen ennuyirt und blasirt, daß es fast das non plus ultra dieses Genres war; aber ich habe nie einen Mann besser gekleidet gesehen als ihn, nie einen Mann gekannt, der so vollkommen Gentleman war als er. Er hatte nie versucht sich an die Stelle meines Mannes zu drängen, so lange er mich in gutem Einverständniß mit diesem wähnte, nie daran gedacht, die Rechte streitig zu machen, welche ich Servillier später zugestand. Dazu war er zu delicat, aber dennoch glaubte ich, daß er sie beneide, daß er mich liebe und daß ein Blick, ein Wort von mir ihn glücklich und elend machen könne.

Als Servillier abgereist war und ich am nächsten Morgen auf der Promenade des Lords Arm annahm, war er ganz bewildert von diesem Glücke und nahm es als ein Signal, mir von nun an ausschließlich seine Zeit zu weihen. Anfangs quälte mich sein Phlegma unbeschreiblich, seine grenzenlose Schweigsamkeit impatientirte mich, bald aber fand ich darin einen Reiz, den ich nie in der Impetuosität des Vicomte empfunden hatte. Was kann ein Mann uns sein, der uns unablässig die Gefühle seines Herzens enthüllt, der nichts Verborgenes in seiner Seele hat, den wir auswendig wissen?

Mit dem Lord war das ein Anderes. Er sprach halbe Tage lang gar nicht und da ich dennoch fest von seiner Liebe überzeugt war, so lag ein eigenthümlicher Zauber für mich darin, in seinem stillen, kalten Antlitz nach den Gedanken, nach den Gefühlen zu spähen, von denen er bewegt war. Oft saß er mir dann Stunden hindurch gegenüber und der schaukelnde Stuhl und ein leises Gähnen verriethen mir, daß er lebe. Ich respectirte dies Gähnen; es war nicht, wie bei meinem Manne, das Gähnen nach der Arbeit und Ermüdung des Tages, das Gähnen der Theilnahmlosigkeit, das mich so unsäglich in ihm beleidigt hatte; es war jenes erhabene Gähnen der Blasirtheit, der Leere, der tödtlichsten Langeweile, das mir sympathisch war, das ich vollkommen begriff. O! und es ist auch ein Unterschied zwischen dem Gähnen des Liebhabers und dem Gähnen eines Ehemannes! Das Eine reizt unsere Eitelkeit, das Andere vernichtet sie; das Eine belebt uns, das Andere ist der Tod.

Lord Ermanby's Blasirtheit interessirte mich, denn sie war der Reflex meiner eigenen Leiden. Ich hatte Erbarmen mit ihm, ich beschloß, Alles daran zu setzen, diesen Unglücklichen zu galvanisiren durch die Macht meiner Gefühle, ich wollte ihn glücklich machen und darin vielleicht selbst eine Befriedigung finden.

Man sprach in jenen Tagen unablässig von Servillier's Verabschiedung und von meiner neuen Liaison mit dem Lord. Mein Mann mochte es für angemessen halten mich darüber zur Rede zu setzen und trat eines Abends mit aller Majestät eines beleidigten Gatten in mein Zimmer, als Rosalinde grade einem neu engagirten Kellner die Arrangements für meinen Theetisch zu machen zeigte.

Der Graf hieß die Dienerschaft sich zu entfernen, der Kellner zögerte und es frappirte mich, daß er mit einer Art von Angst abwechselnd den Grafen und mich betrachtete; indessen währte das nur einen Moment, da Rosalinde ihn mit sich hinauswinkte. Kaum waren wir allein, als der Graf sich förmlich in Position setzte, um mir in aller Form zu imponiren.

„Diogena!“ sagte er, „wir sind kaum zwei Monate verheirathet und schon ist jedes Band der Liebe zwischen uns zerrissen. Wie soll das werden für die Zukunft?“

„Handle nach Deinem Belieben, wie Du es ja auch jetzt thust! Oder hindere ich Dich etwa dem blonden Fräulein zu folgen von früh bis spät?“ sagte ich stolz.

„Du bist prächtig in diesem Stolze, Diogena!“ fuhr Bonaventura auf. „Du! Du wagst es mir Vorwürfe zu machen? Und war es nicht Deine caprizieuse Kälte, war es nicht Deine ganz wahnsinnige Exigence, die mich von Dir trieben und meine Neigung für Dich erkalten machten? Zwei Monate sind wir verheirathet und schon ist der Vicomte verabschiedet und der Lord an seine Stelle getreten, des immobilen Fürsten nicht zu gedenken!“

„Und wer will es mir verargen, wenn ich in der Immobilität des Fürsten mehr Reiz finde, als in Deiner Beweglichkeit, die sich durch den geringsten Schatten am Himmel meiner Liebe verscheuchen läßt?“ fragte ich spöttisch, denn es indignirte mich, daß Bonaventura, der mir kein Glück gewährt hatte, es wagte, mir Vorwürfe zu machen, weil ich es anderwärts suchte.

„So wirst auch Du es begreiflich finden, daß ich, wenn schon nicht Glück, so doch Zerstreuung suche, und Herrn von Elsleben und Aurora auf einem Ausflug in den Elsaß begleite, bei dem ich Deine Anwesenheit nicht fordere. Auch bist Du ja unter dem unwandelbaren Schutze des unwandelbaren Fürsten, und also besser geborgen, als durch die Liebe eines wankelmüthigen Mannes, wie ich! – Ich reise morgen früh!“

Mit den Worten verließ er mich und ich trat auf den Balkon hinaus, der in den Garten ging, da sah ich den Lord lang ausgestreckt auf einer Bank unter meinem Fenster liegen, das Lorgnon in das rechte Auge geklemmt, die Cigarre im Munde, sehnsüchtig nach meinem erleuchteten Fenster emporblicken. Er stand auf, grüßte mich und ging von dannen. Der Gruß that mir wohl, denn in jener Stunde bedurfte ich eines Liebeszeichens, weil ich traurig war.

In der Morgendämmerung hörte ich den Wagen des Grafen über den Hof rollen und seine Stimme verschiedene Befehle geben. Nun war ich allein, ich fühlte mich frei, wie in den Tagen vor meiner Verheirathung und beschloß eine Morgenpromenade zu machen. Ich schellte nach Rosalinde, der neue Kellner kam mir zu melden, sie sei in der Nacht erkrankt und der Arzt geholt, der ihr befohlen habe im Bette zu bleiben. Das desappointirte mich, indessen machte ich selbst meine Toilette und ging aus, mit dem Befehle, den Lord zum Frühstück zu mir einzuladen.

Ich war noch nicht tausend Schritte von unserm Hotel entfernt, als der Fürst erschien, mir seinen Arm und seine Dienste anzubieten. So anerkennenswerth diese ewig wache, unermüdliche Fürsorge auch sein mochte, so war es mir in dieser Stunde fatal, daß ich keinen Moment ohne ihn sein konnte, sobald ich mein Zimmer verließ, und in ziemlich übler Laune, sagte ich: „Aber um Gottes Willen, lieber Fürst! sind Sie denn wirklich mein Schatten? Kann ich denn nie sich er vor Ihrer Begleitung sein? Nie einen Augenblick allein der Natur genießen?“

„O! meine Gräfin!“ sagte er, „thun Sie als existirte ich nicht. Sie sind allein, wenn Sie es sein wollen und ich bin da, wenn Sie es begehren.“

„Aber werden Sie es denn nicht müde, mir ohne Lohn, ohne Hoffnung zu folgen, Nichts zu thun, Nichts zu denken, als“ – –

„O, meine Gräfin! ich that und dachte niemals Etwas, auch ehe ich Sie sah, und jetzt denke ich an Sie.“

„Und das befriedigt Sie?“

„Vollkommen!“

„Und Sie fragen sich nie, ob – –“

„Ich frage mich Nichts. Ich sehe Sie an, Sie sind schön, und ich folge Ihnen, um Sie anzusehen. Der Graf, der Vicomte berauben sich freiwillig dieses Glückes, so genieße ich es dreifach. Und nun gehen Sie allein spazieren, ich folge Ihnen in einiger Entfernung, aber nur so fern, daß mein Blick Sie erreichen kann, denn Sie sind schön, meine Gräfin!“

„Unbegreiflich!“ sagte ich zu mir selbst. „Ich gehe aus, die Liebe zu suchen und finde die Treue – aber das ist bleiches Silber für strahlendes Gold!“ Ich versank in schwermüthige Träumereien und wanderte fort weit über Lichtenthal hinaus, dem kleinen Wasserfalle zu, und wieder zurück nach Baden, ohne daß der Fürst sich mir genähert oder ein Wort mit mir gesprochen hätte. Als ich die Treppe vor meinem Hotel erreicht hatte, sah ich, wie er, eine starke, schwerfällige Gestalt, sich mit dem Battisttuche die Stirn trocknete und erschöpft auf einer Bank Platz nahm, von der aus er meine Fenster und die Thüre des Hotels beobachten konnte.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Diogena.