Ich hatte das ganze südliche Frankreich nach allen Richtungen durchstrichen, war über die Pyrenäen gegangen,

Ich hatte das ganze südliche Frankreich nach allen Richtungen durchstrichen, war über die Pyrenäen gegangen, hatte in Alhambra einsam schöne Stunden, in süßen Erinnerungen an die goldene Zeit der Abenceragen verträumt und auf den Kalkfelsen Gibraltars die blonden, rothgeröckten Söhne Albions ihre Parademärsche halten sehen. Wie Lord Byron hatte ich in Cintra geseufzt und wie er war ich ohne Befriedigung geblieben.

Wohin ich kam, umgaben mich die Huldigungen der Männer, alt und jung waren überwältigt von meinem Zauber. Fürsten knieeten zu meinen Füßen, schwarzlockige Hidalgos sangen zur Nachtzeit unter meinen Fenstern die glühenden Serenaden ihres Landes, und selbst der wilde Matador verdoppelte im Stiergefechte seine Anstrengungen, wenn mein Auge auf ihm ruhte und ihn inspirirte. Alle diese Huldigungen nahm ich an. Ich war unermüdlich in der Recherche nach dem Rechten, ich empfand süße, elegische Rührung am Herzen eines Abkömmlings der Abenceragen, dessen orientalische Phantasie mich einwiegte mit wundersamen Träumen; ich fand die aufgethaute Wärme eines jungen Irländers von der Garnison zu Gibraltar pikant; ich amüsirte mich mit den Liebesextravaganzen eines Portugiesen – ich lernte spanisch und portugiesisch, ich copirte sämmtliche Murillo's der spanischen Schlösser in wenig Monaten, und als ich nach Neujahr in Paris anlangte, war ich todt müde und trotz dieser ernsten Anstrengung, glücklich zu werden, ebenso unbefriedigt als je.


Der Ruf meiner Schönheit war mir vorausgegangen. Alle books of beauty und keep sakes brachten mein Portrait; ich war der Gegenstand der stupendesten Erwartung. Ich hatte bei den ersten Putzhändlerinnen so enorme Bestellungen gemacht, daß man sie selbst in Paris surprenirend fand und gespannt war, mich, diese vielgepriesene Frau, zu sehen. Der Fürst, mein treuer Cavalier auf der ganzen Reise, war nach Paris vorausgeeilt, um mir ein Hotel einrichten zu lassen und empfing mich mit der Nachricht, wie sehr man mir entgegenharre.

Das ennuyirte mich und ich beschloß ein ganz neues Regime zu beginnen. Ich machte keine Visiten, sah nur einmal meinen Onkel, welcher Gesandter war und mir die Scheidungsakte zwischen mir und meinem Manne zu unterzeichnen brachte, und verließ mein Haus gar nicht. Die Folge davon war, daß alle Fenster der gegenüberstehenden Häuser von den fashionabelsten jungen Männern zu ganz enormen Preisen gemiethet waren. Man macht Pari's darauf, wer der Erste sein werde, die miraculose Gräfin zu erblicken; der Fürst, selbst in Verzweiflung über mein wiederholtes Refusiren ihn zu empfangen, ward sehr recherchirt, weil man von ihm Auskunft über mich zu erhalten erwartete. Ich erfuhr durch Rosalinde all diese Extravaganzen und war degoutirt davon.

Eine finstere, lugubre Melancholie kam über mich, ich fing an die Welt und die Menschen zu hassen, dem Schicksal zu zürnen. Ich wollte versuchen, mir die Thüren des Jenseit zu eröffnen. Es schien mir picant, grade in Paris, wo alle Welt die Genüsse der Erde sucht, diese gänzlich zu verschmähen und, umgeben von einem wahrhaft eblouirenden Luxus, das Leben eines Anachoreten zu führen.

Ich ließ neben meinem pompösen, comfortablen Boudoir ein kleines, schlechtes Zimmer seiner Tapeten berauben, alle Möbel daraus entfernen, den Kamin vermauern und das Fenster verhängen. Aus einem Kloster schaffte ich mir das abgelegte Gewand einer verstorbenen Nonne. Als ich es angelegt hatte, sah ich mich zum letzten Male im Spiegel. Strahlender als je, erschien meine fascinirende Schönheit in dieser Verhüllung. Dann zog ich mich in meine Zelle zurück und beschloß, den Pater Benoit holen zu lassen, der berühmt war durch seine strenge Ascese, seine große Schönheit und sehr en vogue in der beau monde, um mich mit ihm über den Zustand meiner Seele und meines Herzens zu berathen.

Als er die Prachtsäle meines Hotels durchwandert hatte, vermuthete er sicher, in eines jener eleganten Betzimmer geführt zu werden, in denen die vornehmen Damen, kokett vor ihren prie-dieu hingegossen, die Sünden des vorigen Tages bereuen. Wie sehr war er erstaunt, eine Zelle, eine von allem eitlen Tande entblößte Frau, in voller Schönheit der Jugend, vor sich zu sehen. Aber nicht minder frappirt war ich selbst.

Der Pater war ein Mann von kaum dreißig Jahren. Zehn Jahre lang Missionair in dem Innern von Afrika, war von der Sonne des Südens sein edles Antlitz gebräunt. Seine Züge waren scharf geschnitten wie die des Nero oder August; sein Blick ruhig und sicher, sein Mund fest geschlossen. Schwarzes, glattes Haar legte sich weich um seine Schläfe und er trug sein einfaches Priestergewand mit der Eleganz, mit der Distinction eines Fürsten. Seine Hände waren aristokratisch fein und soignirt, wie er denn auch vortrefflich chaussirt war.

Einen Moment betrachtete er mich mit schweigendem Erstaunen. Dann sagte er: „Sie haben mich rufen lassen und ich finde Sie hier in einem Zustande, meine verehrte Gräfin, der mich zu der Frage ermächtigt, welch Leid Ihre Seele bedrückt?“

„O mein Vater!“ rief ich, „ich bin von Gott verlassen!“

„Das ist Niemand, der ihn sucht.“

„Mein Vater! ein schwerer Fluch ruht auf meinem Geschlechte, hören Sie mich an. Ich stamme von Diogenes, ich muß einen Menschen suchen, wie er es that, einen Menschen, einen Mann in der vollen Idealität des Wortes, den rechten Mann. Unzählige Frauen unsers Geschlechtes sind daran zu Grunde gegangen, denn nur das Herz und die Seele sind die Wünschelruthe, mit denen man Herz und Seele, mit denen man den Rechten findet, und – wir Alle haben weder Herz noch Seele.“

„Sie freveln, meine Tochter!“ sagte der Pater. Aber ich ließ ihn nicht weiter sprechen. „O!“ rief ich, ihn unterbrechend, „hören Sie mich an. Submiß dem Schicksalsspruch unsers Geschlechtes, habe ich die Liebe und den Rechten gesucht mit einer Ardeur, mit einer Vehemenz, die ihnen adorabel scheinen würde. Ich bin erst siebenzehn Jahre und schon war ich einem Grafen verheirathet, von dem ich geschieden bin; schon ist ein Lord zum Selbstmorde getrieben durch mich, ein Vicomte für mich im Duell geblieben, ein Fürst folgt mir mit stupider Hundetreue, ohne zu wissen weshalb, noch warum? Unter unzähligen Hidalgos der pyrenäischen Halbinsel habe ich umher gesucht nach Liebe und nach dem Rechten, ich habe Nichts gefunden als passagere Emotionen und gewöhnliche Cavaliere. Ich bin der Verzweiflung nahe. Ich finde es unter meiner Würde, zu den Regionen der Bourgeoisie hinabzusteigen und doch fürchte ich fast, ich finde nicht in der Aristokratie, was ich erstrebe. Da habe ich mich in meinen Zweifeln an Sie gewendet, mein Vater! Rathen Sie mir, que faire?“

„Frau Gräfin!“ sagte der Pater, „wenn Sie nicht ein unwürdiges Spiel mit mir treiben, vor dem schon die Heiligkeit meines Gewandes mich schützen sollte, so ist es hohe Zeit, daß Sie Ihre Seele in sich sammeln zum Gebete, ehe Sie der Schwindel erfaßt, der Sie hinabreißen muß in den Abgrund des Wahnsinns.“

Er wollte sich setzen, um mit mir zu sprechen, es war kein Sessel in dem Gemach. Da ich in Allem gern ganz war, so hatte ich, nun ich daran dachte, mich von allem Luxus zu debarrassiren, auch die gewohnte Bequemlichkeit eines Stuhles verschmäht und lag an der Erde. Ich sah dann frappant wieder wie eine Magdalena Correggio's aus.

Der Pater ging in das Boudoir, nahm einen Fauteuil und trug ihn in meine Zelle, wo er sich darauf niedersetzte. Ich kniete vor ihm nieder.

„O!“ sagte ich, „Sie sehen aus, mein Vater, als ob Sie eine Seele hätten, aus Ihren Augen spricht ein mildes, liebendes Herz. Haben Sie Erbarmen mit mir, geben Sie mir von dem Ueberflusse Ihrer Seele, Ihrer Liebe einen Funken, daß er in mir ein Mirakel wirke. Sehen Sie, ich bin das unglückliche Götterbild des Pygmalion, die Schönheit ohne den belebten Hauch der Liebe. Lieben Sie mich, mein Vater! Sie, dessen Herz, dessen Seele groß und mächtig genug waren, den in Heidenthum versunkenen Völkern den Geist der Liebe einzuflößen, Sie müssen die Kraft haben, auch mir eine Seele, ein Herz zu geben, auch mir die Gnade der Liebe zu gewähren. Lieben Sie mich, mein Vater! Es ist ein Gott wohlgefälliges Werk.“

Ich war außer mir. Aufgelöst in Thränen, umklammerte ich seine Kniee und preßte meine brennenden Lippen auf seine eleganten Hände, die er mir entzog, um sie segnend auf mein Haupt zu legen. Er betete leise, ich blickte zu ihm empor, er sah wunderschön aus.

„Gräfin,“ sagte er dann ruhig, „Sie haben wohl gethan, daß Sie sich zu Buße und Andacht wendeten, denn Gott muß ein Wunder thun, um Sie von Ihrer furchtbaren Verblendung zu heilen. Sie haben Gott gelästert und vergessen, und sich an seine Stelle gesetzt. Sie haben sich angebetet in fürchterlichem Egoismus und dem Götzen Ihrer Eitelkeit die Herzen und das Leben von Männern geopfert. Nicht in der Natur des elendesten Kaffernweibes fand ich die Grausamkeit spielender Selbstsucht, die sich in Ihren koketten Worten verräth. Nicht Liebe haben Sie gesucht, sondern Befriedigung Ihrer Sinnlichkeit, Beschäftigung für Ihre unersättliche Phantasie. Suchen Sie Gott im Geiste, nicht in der makellosen Schönheit eines Mannes, und Gott wird sich Ihnen offenbaren in jener heiligen, unvergänglichen Liebe, die nicht zu suchen braucht nach dem Rechten, weil jeder Mensch, auch der elendeste, einer rechten Liebe werth ist. Aber Sie wollen Nichts lieben als sich selbst und das ist Sünde, das ist Tod.“

Er war aufgestanden, ich hielt ihn zurück. „O, mein Vater!“ rief ich, „sprich, sprich immer weiter, Deine milde Stimme calmirt den wilden Sturm meines Herzens, wie Oel das Meer; die Wogen meines Innern legen sich zur Ruhe, die Fluthen aplaniren sich, und wie der Mond sich spiegelt im ruhenden Meere, so schwebt Dein heilig ernstes Antlitz auf dem Spiegel meines Innern. Verlaß mich nicht, mein Vater! halte mich nicht unwerth Deines Gebetes, Du, der hinabstieg zu dem Stumpfsinn miserabler Wilden, häßlicher Negerinnen, niedrigen Pöbels. Sieh, mein Vater! ich bin Gräfin, ich bin von edelstem Stamme, ich bin schön, ich bin jung, o bete, bete mit mir, daß ich das Einzige erlange, was mir fehlt; gib mir die heilige Liebe Deines Herzens, gib mir Dein Herz, damit es lebe in meiner Brust und Deine Liebe mächtig werde in meiner Seele!“

Ich sprang empor und schloß ihn in meine Arme, ein flammender Kuß Benoit's brannte auf meiner Stirn, dann riß er sich los und verschwand. Ich sank auf die Erde zurück, ich träumte von den langen, unabsehbaren Wüsten Afrikas, verschmachtend lag ich da im öden Sonnenbrand, ich hörte den Tritt von Kameelen, lange Karavanen zogen an mir vorüber, Niemand beachtete mich, Niemand hörte den leisen Ruf, den meine erschöpften Kräfte mir gestatteten. Da kroch ich mühsam weiter und fand das Lager eines Negerstammes. Schwarze, garstige Weiber, affenartige Kinder wälzten sich unter den Zelten umher, die elend aus Fellen und Tüchern bereitet waren. Ein schöner Mann stand inmitten des Lagers und theilte Worte der Liebe und Gnade den geistig Dürstenden aus, während ich ihn vergebens um einen Tropfen Wasser flehte, meine glühenden Lippen zu kühlen, um ein Wort des Trostes, meine Seele zu erfrischen. Ich sah ihn ungerührt an mir vorüberschreiten, er sagte, sich abwendend: „Sieh, Diogena! diese elenden, schwarzen Weiber sind glänzende Engel des Lichtes gegen Dich, denn sie lieben den Mann, deß harte Hand sie schlägt, und Du liebst Nichts.“

„O, Dich liebe ich!“ wollte ich rufen, aber er war schon verschwunden.

Ich lief in mein Boudoir, ich befahl Rosalinde, mir noch einmal den Pater holen zu lassen. Sie schickte fort und der Diener kam mit dem Bescheide zurück, der Pater Benoit sei im Dienste des Klosters beschäftigt. Er könne erst morgen wiederkehren.

Die Nacht verging mir in tödtlicher Unruhe; zuweilen war mir es wirklich, als liebte ich den Pater, als sei mit seinem Erscheinen ein neues Gefühl in mir erwacht, als perlten neue Quellen aus den profundesten Tiefen meiner Existenz hervor. Ich weinte, wenn ich an ihn dachte, ich wußte nicht, ob vor Liebe oder aus Depit, weil er kalt genug geblieben war, nicht auf meinen zweiten Ruf sogleich zu retourniren.

Am Morgen ließ ich meine goldenen Locken glätten, arrangirte meine Händchen und meine fabelhaft kleinen Füßchen, die in den Sandalen noch viel charmanter erschienen, als in der elegantesten pariser Chaussure, und erwartete sehnsüchtig die Ankunft des Paters, denn trotz aller Meditationen fing ich an, mich in meiner Solitude ganz unbeschreiblich zu langweilen. Ich grollte mit meinem Geschick. Da sah ich, so weit das möglich war bei der Distance, welche mich von der Bourgeoisie trennte, ganz einfache Bürgerfrauen, die gar kein Schicksal hatten, denen Nichts arrivirt war, die Nichts suchten und die dennoch ganz zufrieden waren. Sie hatten einen Mann, Kinder, Arbeit, Liebe für all dies – lauter furchtbar ignoble Dinge – aber sie sahen vergnügt und zufrieden aus und hatten so wenig Langeweile, daß sie selbst die Agrements von Theatern und Bällen selten besuchten, die ihre Männer ihnen offerirten, sondern still begnügt in ihrer Häuslichkeit lebten.

Aber dies war ja ganz incomprehensibel! Warum hat die kleine Frauennatur in der Begrenzung ein Glück, für das immense Seelen, wie meine, bei dem rastlosesten Suchen kein Aequivalent finden? Ich fühlte Widerwillen gegen die Erde, der Himmel lockte mich. Ich dachte an die Gefilde der Seligen. O! im Jenseits wenigstens sind die Stände scharf geschieden, dort, sagte ich mir, müsse es deliciös sein. Alle Freuden, alle Genüsse auf der Seite der Aristokratie, der Seligen; alle Pein, alle Schmerzen für das Gros der Verdammten. Darin fand ich die göttliche Gerechtigkeit wieder, das erhob meine Seele zur Adoration und ich hoffte, Gott würde mir im Himmel die Compensation für alles Ennui der Erde bereiten.

In diesen Betrachtungen störte mich die Meldung, daß der Pater gekommen sei. Ich ließ ihn bitten, einzutreten. Aber wie erstaunte ich, als statt des Paters Benoit, den ich erwartet hatte, ein alter, düsterer Priester erschien. Ich fragte nach seinem Begehren.

„Der Pater Benoit hat mir gesagt, daß Ihre Seele, meine Tochter, in den Fesseln des Bösen sei, und daß Sie Beistand suchen, sie daraus zu erlösen.“

„Und warum kommt er nicht selbst?“

„Er ist abgereist heute in aller Frühe.“

„Und wohin?“

„Zurück in die Wüsten Afrikas, wo er den Heiden das Wort des Lebens gepredigt hat, und wo er Men schen zu retten findet.“

„Warum verschmähte er, mich zu retten, deren Seele sich ihm hilfesuchend und vertrauend nahte?“

„Das beantworte Dir selbst, meine Tochter!“ sagte der Priester. „Er floh die Erbsünde, denn Du bist die Schlange, Du bist der Satan in seiner verführerischsten Gestalt, und wohl dem reinen Jünglinge, daß er sich Deiner teuflischen Arglist entzog. Dir wäre besser, Dein gleißend Antlitz überzöge sich mit Aussatz und Deine Seele würde rein von Schuld und Sünde!“

Ich richtete mich majestätisch empor. Eine Thräne prächtigen Zornes trat in die schöne Iris meines Auges. O! grade in dem Herzen dieses unentweihten reinen Jünglings hatte ich die ewig glühende Liebe, jenes Naphtha des Lebens zu finden gehofft, von dem ich mich zu ernähren strebte. Ich begriff, daß die durch tausend Leidenschaften usirten Männer der beau monde mir jenes heilige, primitive, indestructible Feuer nicht entgegenbringen konnten, von dem ich allein noch Rettung aus meiner Blasirtheit erwartete. Es verdroß mich, daß dieser junge Mönch mich, die göttliche Diogena, verschmäht hatte; mein Zorn wendete sich gegen den alten Pater, der, dies fühlte ich, mehr oder weniger zu jener mir verhaßten Abnegation Benoit's beigetragen haben mußte. Ich wollte dem Pater zeigen, wie wenig Einfluß er auf mich habe, und während er sich zu einer foudroyanten Rede vorbereitete und diese anfing, schellte ich Rosalinden und befahl ihr mit prächtiger Impertinenz, dem Pater einen Fauteuil in meinem Boudoir neben meiner Toilette zurecht zu setzen, da ich heute Abend meine Antrittsvisiten zu machen gedächte und mich sogleich coeffiren lassen müsse.“

Der Pater sah mich bewildert an. Dergleichen mochte ihm noch nicht vorgekommen sein. Er sagte keine Sylbe, sondern entfernte sich, über mir das Zeichen des Kreuzes machend.

Die Erinnerung an meine Pönitenzversuche, an Benoit, hatten Etwas, das mir penibel war und das ich zu verscheuchen trachten mußte. Die Gesellschaft ersehnte mich so lange, daß ich mich ihr wirklich schuldig war. Ich machte noch denselben Abend meine erste Visitentournée und nach wenig Tagen war ich auch hier der Mittelpunkt des geselligen Treibens.

Paris war wie in einem Zaubertraum. Meine Anwesenheit inspirirte die Poeten und Musiker, die Dichter benutzten die interessanten Episoden aus meinem Leben, welche allmälig public geworden waren. Die Fabrikanten nannten ihre neuesten Producte à la belle Comtesse oder à la Diogène, und unter den jungen Cavalieren war eine vollkommene Concurrenz um den Besitz meiner Gunst eingetreten.

Ich wanderte, geschmückt mit allen Colifichets des raffinirtesten Luxus unter diesem Treiben einher, so kalt, so nichtachtend, wie die himmlischen Gestirne über die Erde schreiten. Oftmals versuchte ich die Wünschelruthe auszuwerfen, wenn aus den Herzen der Männer das Liebesmeer unter dem Strahl meiner Augen zu mächtiger Fluth emporschäumte, aber während ich alle Herzen entzündete, blieb das meine kalt. Ich sagte mir selbst, dein Herz, wenn du eines hast, ist ein Diamant, blendend, strahlenwerfend, hart, von Allen begehrt und kalt – aber auch der Diamant verbrennt, wenn nur das rechte, intensive Feuer ihn ergreift; dies Feuer muß existiren auch für mein Herz, und wenn es einst brennt, dann sind all meine Skrupel auf einmal gelöst, dann weiß ich, daß ich ein Herz habe und dann habe ich den Rechten gefunden.

Diese Gedanken brachten mich auf die Gesetze der Schöpfung, auf Naturwissenschaften, Chemie und Anatomie. Die oberflächliche Conversation der Salons war mir insupportable geworden, ich wurde fast nervös, wenn die jungen Männer wieder mit den sich ewig gleichbleibenden banalen Liebesphrasen mir das matte Glühen ihrer usirten Herzen andeuteten, ich hatte keine Freude, keine Zerstreuung mehr von ihnen zu erwarten und ich war doch noch so jung, ich war Gräfin und schön, das heißt, zum Glück berechtigt. Um mich zu desennuyiren, fing ich an, mich in die Wissenschaften zu werfen. Ich besuchte einen Cursus um den andern; der Fürst, der sich dabei noch mehr als gewöhnlich langweilte, begleitete mich überall.

Ich ließ meine Zelle in ein Laboratorium verwandeln, ich verdampfte Quecksilber, experimentirte mit Jod, und hatte es bald zu einer Erkenntniß in den tiefsten Tiefen der Wissenschaft gebracht, die Berzelius und Faraday, denen ich in elegantem Salonjargon die tiefsinnigsten Briefe schrieb, in Entzücken versetzten. Da brachte mir eines Tages, als ich ermüdet von einer anstrengenden, mehrtägigen Beobachtung, erschöpft auf meine Chaise longue gesunken, der junge Professor, welcher mir bei meinen Studien behilflich war, einen seiner Freunde mit, um ihn mir zu präsentiren.

Ich hatte mir ein Costume arrangirt, das vortrefflich für meine dermaligen Zwecke paßte. Ich trug eine Robe montante von graubraunem Wollenstoffe, oben mit einer schwarzen Spitze geziert, die nur mit einer Cordelière um die Taille befestigt war. Lose Aermel ließen sich während der Arbeit leicht zurückschlagen und zeigten meine superben Arme mit schwarzen Steinkohlen-Braceletts geschmückt. Um den Kohlenstaub für meine goldenen Locken zu vermeiden, hatte ich mir ein kleines schwarzes Käppchen von Velours anfertigen lassen, das in der Form den mittelaltrigen Coeffuren gleichkam. Schwarze Stiefelchen chaussirten meine Füßchen vortrefflich; das Ganze war eben so graziös einfach als distinguirt.

Als die beiden jungen Männer bei mir eintraten, fanden sie mich mit dem neuesten Werke über den Elektro-Magnetismus beschäftigt. Es war von der belebenden Wirkung desselben auf die Nerven die Rede. Ich hatte lange darüber nachgedacht und mochte Etwas zerstreut sein, als mir der Professor seinen Freund nannte. Der Diener präsentirte den Männern die Fauteuils und es entstand eine wunderliche Pause, weil ich in Meditationen, der neue Gast in den Anblick meiner Schönheit versunken war.

Endlich raffte ich mich empor und sagte: „Verzeihen Sie, mein Herr, wenn ich Sie bitte, mir noch einmal Ihren Namen zu wiederholen. Ich kenne sämmtliche Namen aller adeligen Geschlechter auswendig nebst ihren Wappen, ich habe ein immenses Gedächtniß, indessen für die Namen der Bürgerlichen ist es miraculös schwach und sie entschwinden mir sehr leicht wieder.“

Der Angeredete sagte sehr ruhig: „Ich heiße Friedrich Wahl.“

„Ein Deutscher also?“

„Ja, gnädige Gräfin.“

„Und was führt Sie nach Paris?“

„Ich bin Prosector an dem anatomischen Cabinet.“

Ein plötzlicher Gedanke durchzuckte mich. Ich fragte: „Sagen Sie mir, mein Herr, gibt es Menschen, die das Unglück haben, ohne Herz geboren zu sein?“

„Unmöglich! gnädigste Gräfin!“ entgegnete Friedrich, „auch ist dies ein Mangel, über den sich wie mich dünkt, noch Niemand beklagt haben wird, am wenigsten in Ihrer Nähe.“

Ein glühendes Roth überflog sein Gesicht. Der milde Klang seiner Stimme frappirte mich angenehm. Ich zog mein Lorgnon hervor, ihn zu betrachten. Er machte mir einen lebhaften Eindruck. Groß, kräftig und regelmäßig gebaut, mit schönen, gradlinigen Gesichtsformen, großen blauen Augen, über die sich oft ein feucht verschwimmender Glanz ergoß, und mit reichem hellbraunem Lockenhaar, war er der Typus eines Deutschen, eine angenehme Diversion unter all den dunkeln Franzosen und fadblonden Engländern. Seine Tournure hatte Nichts von der recherchirten Nachlässigkeit der eleganten Cavaliere, seine Toilette war die simpelste von der Welt, sein ganzes Maintien erinnerte mich an die Haltung Napoleon's, wie er in sich selbst ruhend, mit übereinander geschlagenen Armen dargestellt wird.

Er hielt meinen Blick ruhig aus und sagte, indem ein leises Lächeln über seine Züge glitt: „Sie scheinen kurzsichtig zu sein, Frau Gräfin! Befehlen Sie, daß ich Ihnen näher rücke?“

Diese Worte von einem Manne gesprochen, der noch wenig Augenblicke vorher ganz fascinirt gewesen war von dem Zauber meiner Schönheit, machten mir einen wunderbaren Effect. Ich wollte diese Impertinenz mit einem wahrhaft aristokratischen Contrecoup vergelten und fragte: „Wollen Sie mir sagen, mein Herr Wahl, was Sie zu mir führt? Sie bedürfen wahrscheinlich einer Protection, die Sie in mir zu finden hoffen und die ich gern gewähren will.“

Friedrich lächelte wieder und entgegnete: „Gnädige Gräfin! ich bedarf keiner Protection, denn ich bin ganz und gar unabhängig.“

„Sie sind reich?“

„Im Gegentheil. Ich würde Ihnen vermuthlich arm erscheinen, hätten Sie Gedächtniß genug, die Einkünfte eines Bürgerlichen zu behalten; aber ich bin reich, weil ich früher ganz arm gewesen bin und mir also relativ sehr reich erscheine.“

„Und wem verdanken Sie diese Wandlung Ihrer Verhältnisse?“

„Mir selbst, und ich möchte auch sonst Niemandem Etwas verdanken.“

Friedrich's Selbstgefühl enchantirte mich, weil es mir in dieser Weise neu war. Ich hatte mich bis dahin in halbliegender Stellung, mit prächtiger aristokratischer Nachlässigkeit verhalten und mit der Kette meines Lorgnon gespielt. Jetzt fand ich, daß dieser Mann die Mühe verlohnte, sich für ihn aus den indolenten Alluren zu reißen. Ich richtete mich empor, kreuzte graziös meine Füßchen auf dem Tabouret und lehnte meine superbe, sammetweiche, fabelhaft kleine Hand auf das dunkle Sophakissen. Sie sah darauf aus wie eine röthliche, chinesische Primel, die im Frühjahr zum ersten Sonnenstrahl aus dem dunkeln Erdreich hervorguckt. Ich merkte, daß Friedrich, trotz seines Selbstgefühls, trotz seines forcirten Spottes, kein Auge von meinen Händchen verwenden konnte, und ich gönnte ihm generös die Freude des Anstaunens, indem ich sie in das rechte Licht brachte.

„Aber um Alles in der Welt, lieber Professor!“

sagte ich lachend zu dem Chemiker, der schweigend und ganz verwundert über diese originelle erste Entrevue dagesessen hatte, „was haben Sie mir da für einen wunderlichen Gast gebracht. Ich glaube, Sie wollen mich persuadiren, statt der chemischen Analysen einmal einen Charakter zu analysiren, wer weiß, ob ich dazu das Talent habe und ob die Elemente nicht so flüchtig sind, daß ich sie nicht zu fixiren verstehe.“

„Sie würden noch mehr erstaunen, verehrteste Gräfin,“ sagte der Chemiker, „wenn Sie wüßten, was meinen Freund zu Ihnen geführt hat. Er ist ein begeisterter Anhänger der Jetztzeit, des Liberalismus, der Entwickelung der Humanität, wie sie sich jetzt unter uns offenbart, und war begierig, Sie, gnädige Gräfin, kennen zu lernen, weil ich ihm erzählt hatte, daß all dieses für Sie gar nicht existire.“

„In der That,“ fiel ihm Friedrich, abermals flüchtig erröthend, in das Wort, „in der That, ich war begierig, eine Frau kennen zu lernen, die ganz Paris als das Wunder der Schöpfung anstaunt, deren Geist alle Welt anerkennt und die es dennoch möglich gemacht haben sollte, sich vor dem Einflusse der heiligsten und erhabensten Ideen zu bewahren, die die bewegende Kraft unsers Jahrhunderts sind.“

„Also auf eine Proselytin war es abgesehen!“ rief ich aus. „O, mein Herr Wahl! den Gedanken desavouiren Sie gewiß, wenn Sie mich kennen. Ich bin nun einmal von einer besondern Natur, ich bin wunderbar exclusiv, mein Geist hat seine eigenthümlichen Alluren. Vielleicht, daß ich mich zu groß fühle, mich in Ihre heilige Allgemeinheit zu verlieren, vielleicht scheine ich mir eines besondern Loses würdig, ein être à part zu sein. Denken Sie, was Sie wollen. Geben Sie mir Seraphsschwingen, mich zum Aether zu tragen, oder die Fledermausflügel eines Dämons, mich hinabzusenken in die nächtlichen Tiefen der Existenz – nur vor den Alluren Ihrer staubgeborenen Menschen lassen Sie mich sicher sein. Ich mag nicht im Staube leben, ich mag Nichts mit der Menge gemein haben, und mein Fatum ist mir gnädig gewesen: ich heiße Diogena, ein Name, den vielleicht Niemand außer mir trägt auf Erden. Vielleicht hat mich dies für meine exclusiven Neigungen prädestinirt.“

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Diogena.