Lage

Die Erörterungen über die Lage eines geographischen Objektes haben nicht nur auf eine, sondern auf eine ganze Anzahl von Fragen Antwort zu geben.

F. Ratzel unterscheidet in seiner „Politischen Geographie“*) eine allgemeine und eine besondere Lage. Von der ersten sagt er, „dass sie die wichtigsten Eigenschaften eines größeren Gebietes festhält“. Die Eigenschaften eines größeren Gebietes werden gleichzeitig zutreffen für alle kleineren Objekte, die innerhalb desselben liegen. Die allgemeine Lage eines geographischen Objektes ist also diejenige, welche dasselbe besitzt, sofern es Teil eines größeren geographischen Ganzen ist. Demgegenüber ist dann die besondere Lage die Summe derjenigen Merkmale, welche nicht mit der Lage des ganzen Gebietes gegeben sind, sondern dem einzelnen Objekte innerhalb desselben spezifisch zukommen und es von anderen unterscheiden lassen. Man könnte diese Art der Lage vielleicht auch die lokale oder Ortslage nennen.


*) S. 237.

Allgemeine und besondere Lage sind nicht entgegengesetzte oder nebeneinanderstehende Begriffe, sondern verhalten sich zu einander wie Gattung und Art, wie konzentrische Kreise von verschiedener Größe. Die besonderen Lagemerkmale eines größeren Gebietes, z. B. eines Erdteils sind wieder allgemeine für die in demselben liegenden kleineren, geographischen Objekte, z. B. die Länder, die besonderen Merkmale der Länder wieder allgemeine für deren Provinzen u. s. w. So wird sich die Betrachtung der Lage eines Gegenstandes immer in einer Anzahl von konzentrischen Kreisen vollziehen müssen, deren Menge im umgekehrten Verhältnis zu der Größe des Objektes steht. Nicht immer wird es nötig sein, bei der Behandlung eines verhältnismäßig kleinen Objektes bis an den äußersten Kreis zurückzugehen, sondern man wird sich damit begnügen können, bei einer bis zu einem gewissen Grade allgemeinen Stufe zu beginnen. Bei einem Gegenstand aber, wie er unserer Behandlung vorliegt, bei einer Gruppe von Seestädten, deren Entwicklung wesentlich von klimatischen Verhältnissen und von Beziehungen zu fremden Erdteilen abhängig ist, muss die Betrachtung unbedingt mit der allgemeinsten Stufe, mit der Lage auf der Erdkugel einsetzen. Da ferner Seestädte Gebilde sind, die ihre Entstehung und Erhaltung unmittelbar dem Verkehr verdanken, so haben wir auch alle die Lage betreffenden Fragen mit Bezug auf den Vorteil oder Nachteil für den Verkehr jener Städte zu stellen und zu beantworten.

Demgemäß ist zuerst zu untersuchen, ob die klimatische Lage der von uns betrachteten Städte eine für den Verkehr günstige ist oder nicht: darauf ist ihre Lage innerhalb der beiden großen Formen der Erdoberfläche, des Landes und des Wassers, sofern diese Träger des Verkehrs sind, also ihre Weltverkehrslage zu erörtern. Als der eine Anfangs- und Endpunkt dieses Weltverkehrs ist für sie ihr Hinterland von besonderer Bedeutung, das ergibt als nächsten Kreis der Betrachtung ihre Lage zum Hinterland und die Verbindung mit demselben. Sofern es sich hier um mehrere Städte handelt, die sich in die Vermittlung des Verkehrs zwischen demselben Hinterlande und dem Weltmarkte teilen, muss eine Untersuchung über die Lage der Städte zu einander ergeben, wie weit sie sich bei diesem Geschäft gegenseitig fördern oder hemmen, und schließlich ist noch ihre Lage innerhalb ihrer nächsten Umgebung, ihre etwaige Abhängigkeit von topographischen Verhältnissen, ihre Ortslage festzustellen.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Die wichtigsten deutschen Seehandelsstädte