Einleitung

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Bei der Wahl unseres Gegenstandes ließen wir uns von drei Gesichtspunkten leiten: Erstens sollten die Städte der betreffenden Gruppe die Abhängigkeit von beiden Hauptformen der Erdoberfläche, von Land und Wasser zeigen; dies geschieht am deutlichsten von den an der Küste liegenden Städten, von Seestädten. Zweitens sollten dieselben möglichst mannigfaltige anthropogeographische Erscheinungen, d. h. sehr alte und vollständig neue Stadtteile enthalten. Beide finden wir am schönsten in alten Städten, die in der Gegenwart wieder in einer Periode rascher Entwicklung stehen, d. h. in Städten, die entweder schon Großstädte sind oder die im Begriff stehen, es zu werden. Endlich sollten die Städte möglichst der Heimat angehören, weil sich dann mit unseren Untersuchungen ein doppelter Nutzen verbinden lässt. Einmal erweitern wir unser Wissen vom Heimatlande und sodann unsere Kenntnis geographischer Gesetze überhaupt. Außerdem ist in diesem Falle die Möglichkeit eigener Anschauung leichter gegeben. Fassen wir die Begriffe Seestadt — Großstadt — Heimatland zusammen, so ergeben sich als Gegenstand unserer Betrachtung von selbst „die wichtigsten deutschen Seehandelsstädte“. Als solche sehen wir gemäß ihrer Größe und ihrer Verkehrsbedeutung an: Bremen, Hamburg, Kiel, Lübeck, Stettin, Danzig und Königsberg. Jedoch sei erwähnt, dass zur Vergleichung und als Beispiele gelegentlich auch die kleineren, wie Emden, Rostock, Stralsund und andere herangezogen werden sollen.


Wenn wir zum Schlusse noch daran erinnern dürfen, dass in den letzten Jahrzehnten aus bekannten Gründen das Interesse des deutschen Volkes für die Wasserkante mehr und mehr gestiegen ist, und wenn man bedenkt, dass die Mehrzahl unserer großen Seestädte infolge ihres schnellen Aufschwunges in der Gegenwart in starken Veränderungen begriffen ist, durch die nicht nur viel Altes, sondern auch manche geographische Eigentümlichkeit künstlich beseitigt wird, so mag die vorliegende Arbeit auch „zeitgemäß“ erscheinen.

In ihrem Gange muss sich die Behandlung unseres Gegenstandes nach den für eine geographische Betrachtung überhaupt geltenden Normen richten. Der Geograph hat bei der Erklärung einer Erscheinung immer zuerst nach dem Wo?, nach der Lage des betreffenden Objektes zu fragen *). Erst nach genauer Beantwortung dieser Frage wird er sich der Betrachtung und Beschreibung des Gegenstandes selbst zuwenden können. Diese hat wiederum zuerst das Ganze, die Größe und Gestalt des Objektes ins Auge zu fassen, um dann zu einer Analyse, zu den einzelnen Merkmalen desselben überzugehen **). Dabei ist zu beachten, dass jeder Abschnitt der Betrachtung geschehe in Erinnerung dessen, was über die Lage gesagt ist, sodass dies immer gleichsam der Hintergrund bleibt, auf dem die einzelnen Farben des Gemäldes aufzutragen sind. Damit ist der Gang unserer Betrachtungen fest vorgeschrieben.

*) Vgl. F. Ratzel, Die Lage im Mittelpunkte des geographischen Unterrichtes. Geogr. Zeitschr. 6. Jahrg. 1900, 1. Heft.
**) Eine genaue „Analyse der Ansiedelung“ an sich gibt Otto Schlüter in seinem Aufsatze: „Bemerkungen zur Siedslungsgeographie“. Hettners Geograph. Zeitschr. 1899, S. 65.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Die wichtigsten deutschen Seehandelsstädte