Klimatische Lage

Die deutsche Küste liegt ungefähr zwischen dem 53. und 56.° nördlicher Breite, also mitten in der nördlichen Hälfte der Ökumene. Damit ist sofort gesagt, dass hier alle Bedingungen für das menschliche Leben noch gegeben sind; ja, diese Bedingungen sind noch so reichlich vorhanden, dass sie die größten Bevölkerungsansammlungen in Gestalt der oben aufgezählten großen Städte entstehen ließen.

Aber dieses Gebiet ist doch bereits so weit nördlich gelegen, dass in seinen ungünstigsten Teilen klimatische Verhältnisse unter Umständen störend auf den Verkehr einwirken können. Es geschieht nämlich fast regelmäßig, dass die an der Nordund Ostseeküste liegenden Flussmündungen und Haffe sich im Winter auf kürzere oder längere Zeit mit Eis bedecken. Das ist für die Städte, die auf jene Gewässer als auf ihre natürlichen Verkehrswege angewiesen sind, von weittragender Bedeutung. Wir wissen, dass die Temperatur im allgemeinen von Südwesten nach Nordosten zu abnimmt, da nun die deutsche Küste, während sie nach Osten schreitet, gleichzeitig nach Norden emporsteigt, so müssen die Temperaturverhältnisse für die an ihr liegenden Städte desto günstiger sein, je weiter dieselben nach Westen liegen. Genaue Beobachtungen der Eisverhältnisse an den deutschen Küsten sind leider erst seit dem Winter 1899 — 1900 gemacht worden, aber schon diese eine *) Beobachtungsperiode bestätigt die Richtigkeit der oben aus allgemeinen Temperaturgesetzen abgeleiteten Folgerungen.


*) Die Ergebnisse der Beobachtungen im vergangenen Winter sind noch nicht veröffentlicht.

Wir entnehmen das für uns Wichtigste einem in den „Annalen der Hydrographie“ Jahrg. XXVIII S. 537 veröffentlichten Bericht über „die Eisverhältnisse an der deutschen Küste im Winter 1899/1900“. Nach diesem trat der Beginn in der Behinderung der Schifffahrt durch Eis an der Nord- und Ostseeküste fast gleichzeitig ein, nämlich im Anfang des Monats Dezember. Im Laufe des Winters gestalteten sich aber die Verhältnisse an beiden Küsten wesentlich verschieden gemäß den verschiedenen hydrographischen und Wärme Verhältnissen der beiden Meere. So war in der Nordsee nach mehrfachen und auch längeren Unterbrechungen durch mildes Wetter und eisfreie Zeiten die letzte winterliche Eiszeit nach dem 19. Februar als beendet zu betrachten, während an der Ostsee, besonders in deren östlichem Teile, länger anhaltende Frostperioden auftraten und an mehreren Plätzen die Eisschwierigkeiten bis tief in den März, ja selbst bis in den April hinein sich fortsetzten. Hamburg und Bremen erlitten seit Mitte Februar keine Schifffahrtsbehinderungen mehr, dagegen war die Hilfe der Eisbrecher auf dem Stettiner Haff bis zum 19. März nötig, und noch am 7. April wurde der Schifffahrtsverkehr nach Königsberg vollständig geschlossen, weil die Eisbrecher die neugebildete starke Eisdecke nicht zu durchbrechen vermochten. Bedenkt man noch, dass das Eis in den Flussmündungen der Nordsee nie so stark wird, dass es nicht von den modernen sehr kräftigen Eisbrechern geöffnet werden könnte, so ergibt sich in klimatischer Hinsicht ein großer Vorteil für die an der Nordsee gelegenen Städte gegenüber denen der Ostsee, besonders den östlichsten derselben.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Die wichtigsten deutschen Seehandelsstädte