b) Das Bündnis mit Polen.

Das lange Zusammenleben mit Polen und besonders Litauen übte trotz des Zurückdrängens des ukrainischen Elementes in diesen Staaten einen tiefen Einfluss, sowohl auf die Kultur, wie auch speziell auf die Gestaltung politischer Ideale der Ukraine. Für manchen ukrainischen Adligen war „die goldene Freiheit“ der polnischen Schlachta ein unübertroffenes Ideal und die Staatsorganisation des polnischen Reiches ein nachahmenswertes Muster. Dies war die erste Ursache, die schon gleich nach dem Tode Chmelnytzkis (1657) einer mächtigen Partei zum Aufstieg verhalf, die die Wiedervereinigung mit ihrem früheren Vaterland anstrebte. Die zweite Ursache war der schon oben erwähnte Widerstand der moskowitischen Regierung gegen eine Politik, die aus dem ukrainischen Gebiet ein mächtiges Staatsgebilde unter der Oberherrschaft des Hetmans schaffen wollte. Diese Politik hofften jetzt die Führer der Ukrainer (und zuerst der neue Hetman Wyhowsky) im Einvernehmen mit Polen durchzusetzen, das, wie leicht vorauszusehen war, unter ganz anderen Bedingungen als vor dem Abfall der Ukraine mit ihr zu paktieren bereit war. Auf solche Weise kam am 16. 9. 1659 der berühmte Vertrag zu Hadiatsch zustande. Nach der Absicht der Urheber dieses Vertrages sollte die Verfassung der Republik Polen, an die sich nun auch die Ukraine anschloss, auf dem System des Trialismus aufgebaut werden. Das Königreich Polen, das Großfürstentum Litauen und das neu zu schaffende Ruthenische Großfürstentum bildeten die Bestandteile dieses Reiches. Nach dem Wortlaut dieses Vertrages sollte das ruthenische Großfürstentum fast das ganze ethnographische Gebiet des ukrainischen Stammes umfassen, nämlich das gegenwärtige Gouvernement Poltawa, Tschernyhiw, Kiew, den östlichen Teil Wolhyniens und die südliche Hälfte Podoliens (drei polnische Wojewodschaften). Der König sollte künftighin durch alle drei Völker gewählt werden. Zwar musste jeder Teil auf das Recht eines selbständigen diplomatischen Verkehrs verzichten; doch im Übrigen genoss das ruthenische Großfürstentum alle Rechte eines unabhängigen Staates. Die Oberleitung lag in der Person des gewählten Hetmans. Die oberste gesetzgebende Gewalt gehörte einem ukrainischen Reichstag, der von der Bevölkerung aller drei Wojewodschaften beschickt wurde. Diese hatten ihren eigenen Kanzler, Marschall, Schatzmeister, alle drei mit Senatorwürden, ein eigenes Münzhaus und ein eigenes Heer. Es durften keine polnischen Truppen in die Ukraine verlegt werden, und wenn Kriegszustände diese Verlegung nötig machten, so sollten sie allemal unter dem Oberkommando des ukrainischen Hetmans stehen. Außerdem wurde in dem Vertrag vorgesehen die Errichtung zweier ukrainischen Universitäten, ferner Gymnasien, Kollegien, Freiheit der Presse und des griechischen Glaubens, sowie die Errichtung von Buchdruckereien. Wollte man für den Hadiatscher Vertrag eine Analogie suchen, so wäre diese Verfassung — mutatis mutandis — der jetzigen Verfassung der Habsburger Monarchie ähnlich. Jedenfalls ist es ebenso schwer, die Verfassung von Polen — Lithauen — Ukraine vom Jahre 1659 unter eine bestehende Kategorie der Staatenvereinigungen zu bringen, wie die Verfassung der österreichisch-ungarischen Monarchie. Allerdings war es eine Realunion im engeren Sinne, denn nicht nur der König, sondern auch einige Staatsorgane (der allgemeine Reichstag und Senat) waren in allen drei Staaten gemeinsam. Auch entbehrte jeder einzelne von ihnen das Recht des diplomatischen Verkehrs. Diese Einschränkungen beeinträchtigten jedoch den staatlichen Charakter des Ruthenischen Großfürstentums ebensowenig, wie der Mangel an dem internationalen Kontrahierungsrecht die staatliche Selbständigkeit Ungarns, und machten aus der Ukraine noch lange keine bloß autonome Provinz eines fremden Staates. Die Schöpfer dieses Reiches waren der festen Überzeugung, dass mit dem Hadiatscher Vertrag eine neue Ära für das ukrainische Volk begann. Es wurde im Jahre 1658 ein Manifest an alle Höfe Europas entsandt, in dem die ukrainischen Führer ihre Bestrebungen klar auszulegen suchten und „Gott als Zeugen“ anriefen, dass sie gezwungen wären, „für Erhaltung der Freiheit zum gerechten Verteidigungskampf zu greifen und die Hilfe ihrer Nachbarn zu suchen, um das moskowitische Joch abzuschütteln“. Das Leben des neuen Ruthenischen Großfürstentums begann unter den besten Auspizien. Zwei moskowitische Armeen (zwei Fürsten), die den „Verräter“ bestrafen sollten, wurden von: Hetman Wyhowsky niedergemetzelt (bei Konotop und Sosnowka), die russischen Wojewoden in der Ukraine entweder ermordet oder verjagt und die Freiheit der Ukraine war errungen. Aber das schöne Gebäude der im Blute der ukrainischen Aufstände renovierten polnischen Republik brach ebenso rasch, als es errichtet wurde, wieder zusammen. Die Zeit, die seit dem Tage, wo die Ukraine noch eine einfache Provinz Polens bildete, verflossen war, erwies sich als zu kurz, um den polnischen Adel von dem Segen der neuen Konstitution des Reiches zu überzeugen. Nicht von allen Polen wurde der Hadiatscher Vertrag mit Begeisterung aufgenommen. Fürchtete man doch mit Recht, dass das neue Großfürstentum nicht verabsäumen werde, seine Ansprüche auch auf den Rest der ukrainischen Länder zu erheben, die im Hadiatscher Vertrag nicht mit inbegriffen waren. Die Verlegenheiten internationaler Natur, in die Polen inzwischen geraten war (der Konflikt mit der Türkei und Schweden), half der Richtung die Oberhand zu gewinnen, die eine Aussöhnung mit Russland erstrebte. Unter solchen Umständen konnte die Hadiatscher Idee, deretwegen Polen unbedingt mit Russland in Konflikt kommen musste, keine begeisterten Anhänger unter den polnischen Politikern finden. Damals war Polen bereits zu schwach, um seine Kräfte für einen großzügigen, weitblickenden Plan zu opfern. Der durch die Polen nicht genügend unterstützte ukrainische Aufstand brach in sich zusammen. Der Hadiatscher Vertrag misslang. Einige Versuche, ihn zu restituieren (Tschudnower Vertrag 08. 09. 1660), erwiesen sich ebenfalls als erfolglos.

Die immer klarer auftretende Richtlinie der polnischen wie auch der moskowitischen Politik — über die Ukraine Herr zu werden — machte alle Anstrengungen derselben, im Bündnis mit einem dieser Mächte gegen die andere seine Unabhängigkeit zu behaupten, schon im vorhinein aussichtslos. Aussichtslos war aber auch die Unterwerfung der ganzen Ukraine unter die Herrschaft Polens oder Moskaus. Die Gefahr jedoch, dass dieses Land seine Kräfte gegen beide Staaten richten würde, zwang beide Gegner zum Andrussower Vertrag (1667), der das Land der ewigen Rebellen endlich unter beide Mächte teilte. Der Dniepr wurde die Grenze, rechts die rechtsseitige, links die linksseitige Ukraine. Von diesem Zeitpunkt ab wenden sich alle Versuche eines zerrissenen Volkes, die alte Einheit und Unabhängigkeit wieder zu erlangen, einer anderen Seite zu. Diese Versuche hatten nur vorübergehenden Erfolg und beide Teile der Ukraine lebten bis zum Fall Polens, als auch die Ukraine am rechten Ufer an Russland fiel, jeder sein eigenes Leben.


Um die Gedanken des Hadiatscher Vertrages richtig einzuschätzen, muss man diejenigen Verträge lesen (Sborower Vertrag 1649 und den Vertrag von Bila Cerkwa 1651), in welchen die Ukrainer ein paar Jahre vorher die Erfüllung ihrer höchsten politischen Ideale erblickten. Dann wird man begreifen, dass der Hadiatscher Vertrag ein riesiger Fortschritt in der Entwicklung der ukrainischen Staatsidee bildet. Er kommt uns desto merkwürdiger vor, wenn man sich ins Gedächtnis zurückruft, dass die Idee eines Ruthenischen Großfürstentums — und zwar sehr ausführlich ausgearbeitet — das die ganze ethnographische Fläche der Ukraine umfasste, bei einer Nation geboren wurde, die vor beinahe 300 Jahren ihre Staatsexistenz verlor und die — zerstückelt zwischen Polen und Litauen — fast zwei Jahrhunderte jedes Zusammenlebens entbehrte.