Arbeitsnachweis.

Der Hafenarbeiterverband, der mit so geringem Erfolg ein Jahrzehnt um seine Anerkennung als gleichberechtigte Organisation gekämpft hat, konnte noch weniger einen Einfluss auf die Besetzung der Arbeitsstellen gewinnen. Mit Ausnahme der einen kleinen Kategorie der Schiffsreiniger und Schiffsmaler hat keine einzige einen eigenen Arbeitsnachweis. Die größten Schwierigkeiten machte die Streitfrage des Arbeitsnachweises von jeher bei den Schauerleuten. Soweit es in ihrer Macht lag haben sie sich immer heftig gewehrt. Als ihnen 1899 der Arbeitsnach- weis aufoktroyiert werden sollte, gingen die Wogen der Erregung hoch, viele traten in der festen Erwartung eines Streiks dem Verbände bei. Aber der Streik blieb aus, und die Mitgliederzahl ging wieder von Monat zu Monat zurück. Der Arbeitsnachweis der Arbeitgeber war aber geschaffen. Nicht mit Unrecht erklärten die Arbeiter diese Nachweisbureaux für Maßregelungsbureaux. Schon zu Anfang des nächsten Jahres gingen die Arbeitgeber weiter vor und machten die Annahme zur Arbeit von der Verpflichtung zur Überstunden- und Nachtarbeit abhängig. Weiter verschärft wurde die Kontrolle im Jahre 1906. Es konnte nunmehr kein Schauermann Arbeit im Hamburger Hafen erhalten, der nicht eine vom Arbeitsnachweisbureau ausgestellte Legitimation hatte. Im Jahre 1907 wurde dem Streben des Hafenarbeiterverbandes durch Einführung des Kontraktsystems endgültig ein Ziel gesetzt. Die Arbeitsvermittlung für die Schauerleute und einen Teil der Kaiarbeiter ging in die Hände des Hafenbetriebsvereins über. Der Arbeitsnachweis der Ewerführer ist beständig in der Macht des Vereins der Ewerführer von 1879 geblieben.

Diese einseitige Arbeitsvermittlung führt allein durch die Abneigung und den Widerstand der Arbeiter zu allerhand Misshelligkeiten. Bei den Schauerleuten tritt das in der Weise zu Tage, dass sie durch Arbeitsverweigerung einen künstlichen Mangel an Angebot hervorrufen. Der Hafenbetriebsverein hat festgestellt*), dass zwar die Gesamtzahl aller als Schauerleute eingetragenen Arbeiter immer größer war (in der Periode Okt. 1906 bis Dez. 1907) als die Zahl der täglich beschäftigten Arbeiter. Das wirkliche Angebot von Arbeitskräften war aber vielfach um ein Bedeutendes geringer. Ähnliche Schwierigkeiten treten bei dem Arbeitsnachweis der Ewerführer ebenfalls zu Tage, doch liegt hierüber kein Material vor. Ein anderer Übelstand dieses Nachweises ist, dass er vielfach nicht die Arbeit, sondern nur die Berechtigung zur Arbeit vermittelt. Der Ewerführerbaas ist nicht gezwungen, einen Mann, der mit einer Legitimation vom Nachweise kommt, zur Deckung eines Bedarfs in Arbeit zu nehmen, wenn ihm dieser nicht passt. Umgekehrt macht der Tagelöhner von demselben Rechte Gebrauch**). Das sind Unzuträglichkeiten, die bei beiden einen weiten Spielraum zur wirtschaftlichen Schädigung des andern lassen; dem Arbeitgeber zur Maßregelung und dem Arbeiter zum Boykott.


*) Jahresbericht des Hafenbetriebsvereins 1907. Als besonderes Bei-spiel seien hier die Zahlen vom Monat Mai 1907 gegeben. Es waren vorhanden Kontraktarbeiter 1240, Hilfsarbeiter 5207, zusammen 6447 Arbeiter. Täglich beschäftigt wurden in der Höchstzahl 4235. Der Überschuss der eingeschriebenen Arbeiter betrug demnach 2212 resp. 4912. Trotzdem blieben bei der Höchstzahl 903 und bei der Mindestzahl immer noch 6 Stellen unbesetzt.
**) Protokoll der Ewerführer 2. Aug. 98.

Die letzte Ursache, weswegen die Hafenarbeiterorganisation so gänzlich unbeteiligt an der Funktion des Arbeitsnachweises ist, muss wieder in der Fluktuation gesucht werden. Bei dem ewigen Wechsel der Nachfrage nach Arbeitskräften haben die Führer der Gewerkschaft nicht verstanden, die erforderliche Kontrolle über die Gesamtzahl aller im Hafen arbeitenden Leute auszuüben. Den fortwährend steigenden Bedarf der notwendigen Arbeitskräfte wussten sie nicht richtig zu beurteilen. Sie sahen in dem Eindringen frischer Arbeitskräfte nur die Gefahr eines Überangebots, ohne der Frage genügend auf den Grund zu gehen, ob bei der raschen Entwicklung des Hafenverkehrs dieser die Kräfte nicht dringend bedürfe. Bei der richtigen Einsicht hätten sie nicht immer in ihrer Presse vor Zuzug gewarnt, sondern hätten den Zuzug selbst geregelt. So aber waren die Arbeitgeber in die Notwendigkeit versetzt, die Herbeischaffung der Arbeitskräfte selbst zu besorgen. Hierzu war der unumschränkte Besitz des Arbeitsnachweises unbedingt erforderlich. Die Kurzsichtigkeit der Verbandsleiter gab den Unternehmern eine feste Stütze für die Erhaltung einer so wichtigen Position. Die beste Gegenwehr wäre eine systematische Herbeiziehung tüchtiger, gut organisierter Arbeiter gewesen und eine ständige Kontrolle darüber, sowie eine verständige Berücksichtigung der gegebenen Verhältnisse. Der Erfolg hätte dann möglicherweise der paritätische Arbeitsnach- weis sein können.

Für die Unternehmer wäre eine Preisgabe des Arbeitsnachweises von unabsehbaren Folgen gewesen. Sie erscheint in Rücksicht auf den Hafenbetrieb einfach undenkbar. Mit allen Machtmitteln hätte sich das Kapital dagegen wehren müssen, da jede Stockung der Arbeitsvermittlung selbst in sogenannten friedlichen Zeiten bei den wirtschaftlichen Verhältnissen des Hamburger Hafens Unsummen verschlingen würde. Der Handel Hamburgs würde fraglos ernstlich gefährdet sein. Auf eine solche Gefahr wird von Seiten des Unternehmertums immer hingewiesen und nicht mit Unrecht.

Bei einer objektiven Stellungnahme zum Arbeitsnachweise ist nicht zu übersehen, dass die soziale Lage des Hamburger Hafenarbeiters sich unter der einseitigen Leitung des Nachweises in keiner Weise verschlechtert, sondern vielmehr noch gerade in letzter Zeit noch bedeutend verbessert hat*).

Bei den gegenwärtigen Verhältnissen ist ein Einlenken der Unternehmer zum paritätischen Arbeitsnachweise völlig aus- geschlossen. Man misstraut von vornherein jeder gewerkschaftlichen Beteiligung, weil diese eine Auswahl**) der Arbeitskräfte verhindern würde. Diese Auswahl ist für den Hafenbetrieb aber äußerst wichtig. Die Gewerkschaft macht keinen Unterschied darin, ob ein Arbeiter fleißig oder faul, stark oder schwach, ehrlich oder unehrlich ist. Und doch kann die Nachlässigkeit eines Arbeiters zu den schwersten wirtschaftlichen Schädigungen führen: der Schwächling würde bei der schweren Arbeit zu leicht Unfällen ausgesetzt sein; der Unehrliche schädigt nicht allein den Besitzer, er wirkt demoralisierend auf seine Arbeitsgenossen.

*) Z. B. Lohntarif der Schauerleute 07.
**) § 12 der Geschäftsordnung des Arbeitsnachweises der Patriotischen Gesellschaft.

Um den andern Unmöglichkeiten zu entgehen, wird im Hafenarbeiterverband vielfach der Wunsch nach einer staatlichen Regelung des Arbeitsnachweises laut. Ob das bei der Zusammensetzung der Hamburgischen Regierung für den Arbeiter von Vorteil wäre, ist kaum anzunehmen.


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Die sozialen Verhältnisse im Hamburger Hafen