Lohn- und Arbeitsbedingungen.

Die Erfolglosigkeit der Bemühungen um die Arbeitsnachweise lies den Hafenarbeiterverband sich mit doppeltem Eifer auf die Erringung besserer Lohn- und Arbeitsbedingungen werfen. Fast immer sind bei Lohnbewegungen die großen Mitgliedschaften der Ewerführer und der Schauerleute die Führenden gewesen. Die anderen Mitgliedschaften schlössen sich ihrem Vorgehen an. Man unterstützte sich gegenseitig mit Geld, blieb im übrigen bei der Festsetzung der Bedingungen selbständig. Jede Berufsgruppe des Verbandes hat ihren besonderen Lohntarif. Die Löhne bewegen sich in verschiedener Höhe in Grenzen von 3 Mk. bis 5 Mk. im Tagelohn, in doppelter Höhe aber im Akkordlohn. Der niedrige Satz von 3 Mk ist selten und trifft nur für eine kleine Gruppe von Arbeitern zu*). Durchweg ist der Verdienst ein guter und hält den Vergleich mit den Löhnen für gelernte Arbeit vieler Berufe aus. Aber auch hier macht sich die Wirkung des Wechsels in der Nachfrage nach Arbeitskräften geltend und zwar tritt er als Subtrahent auf. Rechnet man das Normalarbeitsjahr zu 300 Tagen, so ist mancher verdienstlose Tag in Abzug zu bringen. Dies betrifft vor allem die nicht festangestellten Arbeiter, die dann gezwungen sind, in Akkord-, Über- und Nachtarbeit den Ausfall wieder wett zu machen.

*) Kesselreiniger, organisiert 1906 164 Mann.


Da der Beschäftigungsgrad schwankender Natur ist, wollen vor allem die Ewerführer als Saisonarbeiter gelten und danach bezahlt werden*). Ansicht und Forderung bestehen aber offenbar zu Unrecht, da von den 12 Monaten des Jahres als flaue Geschäftszeit nur 2 Wintermonate, Januar und Februar, in Betracht kommen. Für die übrigen Monate ist der Beschäftigungsgrad im Laufe einer steigenden resp. fallenden Konjunkturperiode ziemlich konstant. Der größere Teil der Ewerführer ist im Tagelohn resp. mit täglicher Kündigung beschäftigt. Diese Unsicherheit des Arbeitsverhältnisses liegt in der Absicht der Gewerkschaft**), da sie so am besten über die Arbeiterschaft verfügen kann.

Eine gründliche Änderung haben neuerdings die Arbeitsbedingungen der Schauerleute erfahren. Bis vor kurzem noch war der Schauermann laut Tarif verpflichtet erforderlichenfalls 36 Stunden incl. Pausen hintereinander zu arbeiten. Seit dem 1. Oktober 1907 ist der 36 stündige Arbeitstag abgetan und der von den Arbeitern schon lange gewünschte Schichtwechsel eingeführt. Der Schichtwechsel hat den Arbeitern bedeutende Verbesserungen gebracht. Der Überstundenlohn wurde von 0,65 Mk. auf 1,00 Mk. erhöht, also um 54 %. Für den Tag von 6 — 6 Uhr ist der alte Lohnsatz von 4,80 Mk. geblieben. Tritt Schichtwechsel ein, dauert der Tag von 6 Uhr morgens bis 9 Uhr abends bei einem Verdienst von 7,30 Mk. Nacht- und Sonntagsarbeit werden wie die Überstunden bezahlt mit 1,00 Mk. pro Stunde, sodass der Verdienst für die Nacht auf 8 Mk (früher 6,20 Mk.) und für den Sonntag auf 8,50 Mk. (früher 6,20 Mk.) gestiegen ist. Als Mindestverdienst ist für die Nacht 5 Mk., für den Sonntag 3,50 garantiert.

Trotzdem die Einführung des Schichtwechsels den Arbeitern große Vorteile brachte und ihnen eigentlich ein alter Wunsch erfüllt wurde, verfolgt die Verbandsleitung den Tarif und seine Urheber nur mit Schmähungen und Verdächtigungen, weil der Tarif einseitig ohne Beihülfe des Verbandes ausgefertigt wurde.

*) Prot, der Ewerführer Febr. 1900.
**) Prot, der Ewerführer, Aug. 1907.

Diese Eigenmächtigkeit der Arbeitgeberschaft ist für den Lohnkampf im Hamburger Hafen typisch. Im Laufe der letzten 10 Jahre sind den Arbeitern fortwährend Lohnerhöhungen zugestanden, welche der Verband vielfach als einen Erfolg seiner Tätigkeit angibt. Das trifft aber nicht so ganz zu. Gewiss ist die Unternehmerschaft von dem Drängen des Verbandes beeinflusst, über Art und Höhe der Lohnverbesserung bestimmt sie aber nach eigenem Willen, wenn sie auch bisher meistens Unterhandlungen darüber mit den Vertretern der Organisation geführt hat. Zu diesen Verhandlungen lässt sich die Unternehmerschaft des Hafens nur aus politischer Klugheit herbei, da sie weis, dass eine scheinbare Mitbeteiligung der Verbandsleiter ihnen eine Sicherheit für die günstige Aufnahme und leichtere Durchführung des Tarifs bietet. Bei der Einführung des Schichtwechsels hat man diese Klugheit außer Acht gelassen, die Verbandsleiter dürfen daher die Verbesserungen nicht annehmen, wenn sie den Arbeitern nicht zeigen wollen, dass die Unternehmer, auch ohne den Verband nötig zu haben, den Lohn der Arbeiter zu erhöhen bereit sind.

In Wirklichkeit haben die Hafenarbeiter alle Lohnerhöhungen nur dem Laufe einer guten Konjunktur zu danken. Stellen die Arbeiter Forderungen, die die Unternehmer nicht bewilligen wollen oder können, so meiden diese den Streik nicht, den im Hamburger Hafen das mächtige Kapital noch jedesmal glücklicher ausgefochten hat als die Organisation der Arbeiter.

Im engsten Zusammenhange mit der Lohnforderung steht für den Hafenarbeiter die Frage der Nacht- und Sonntagsarbeit die vielleicht nirgends so ausgedehnt in Anwendung kommt, wie im Hamburger Hafen. Die Forderung der Arbeiter ist gänzliche Beseitigung der Nacht- und Sonntagsarbeit und Beschränkung der Überarbeit auf 9 Uhr, spätestens 10 Uhr abends. Diese Forderungen sind bisher von keinem Erfolg gekrönt worden und werden bei den gegenwärtigen Verhältnissen des Hafens auch keinen Erfolg haben können. So groß der Hafen ist, so reichen doch seine Liegeplätze nicht aus, um in regen Zeiten wie die vergangenen, den Verkehr bewältigen zu können. Um für die neu ankommenden Schiffe schnell wieder Platz zu schaffen, muss zu den Lösch- und Ladearbeiten die Nacht und auch der Sonntag hinzugenommen werden. Trotzdem kommen noch unangenehme Stockungen vor*),die bisweilen eine schwere finanzielle Schädigung für die Reedereien bedeuten. Die Nachtarbeit wird vorläufig also nicht zu vermeiden sein. Dieser Einsicht hat sich der Hafenarbeiterverband ebenso wenig verschließen können und hat sich der Verweigerung der Nachtarbeit im letzten Schauermannstreik, Frühjahr 1907, nur als Mittel zum Zweck bedient**) Der hohe Lohn der seit Oktober 1907 für die Nachtarbeit bezahlt wird, übt auf die Arbeiter, nach dem Bericht des Hafenbetriebsvereins, eine starke Anziehungskraft aus, sodass für die Tagsschichten sich zeitweilig (Nov. 07) ein Mangel an Arbeitskräften deswegen zeigt.

Die Sonntagsarbeit wird im Hamburger Hafen ebenfalls im starken Umfange betrieben. Nach dem Bericht der Hafeninspektion für 1905 wurde in diesem Jahre mit Ausnahme des ersten Weihnachtsfeiertages an allen Sonn- und Festtagen gearbeitet.

Im zweiten Halbjahr 1906 nahm die Sonntagsarbeit ab***) durch die Weigerung der weißen Schauerleute. Diese Störungen setzten sich bis zum Frühjahr 1907 fort. Der am 1. Oktober 1907 erheblich erhöhte Verdienst für die Sonntagsarbeit hat auch hier wieder Ruhe bewirkt. Ob diese Ruhe von Dauer sein wird, ist fraglich, da die Sonntagsarbeit dem Arbeiter viel verhasster ist, als die Nachtarbeit, in der Agitation gegen die Sonntagsarbeit findet die Gewerkschaft nicht nur eine kräftige Stütze in der prinzipiellen Haltung des Staates und in der öffentlichen Meinung, sondern sie kann allen Einwendungen begegnen durch einen Hinweis auf England, wo tatsächlich am Sonntag die Arbeit ruht. Die Einführung der Sonntagsruhe oder streng beschränkten Sonntagsarbeit wird mit der Zeit unvermeidlich sein, doch hängt das allein von der Intervention des Staates ab.

*) Bericht des Vereins Hamburger Reeder 1906/07. ,,Es haben z. B. 33 Dampfer einer hiesigen Reederei insgesamt 87 Tage, 13 Dampfer einer andern Reederei 53 Tage und 14 Dampfer einer dritten Reederei sogar 100 Tage innerhalb der 12 Monate vom 1. Juni 1906 bis 31. Mai 1907 durch Warten auf einen Kaiplatz verloren. Es ist vorgekommen, dass Dampfer einer regelmäßigen Linie, weil sie keinen Platz am Staatskai erhalten konnten, Tagelang, sogar bis zu 15 Tagen untätig im Strom haben liegen müssen.“

**) Verhandlungen des Hafenbetriebsvereins mit dem Hafenarbeiterverband.

***) Jahresbericht der Hafeninspektion für das Jahr 1906. Sonntagsarbeit in der ersten Hälfte auf 10 % von 259 Schiffen, in der zweiten Hälfte auf 6 % von 239 Schiffen, die Sonntags im Hafen lagen.


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Die sozialen Verhältnisse im Hamburger Hafen