Der Staat.

Neben den bisher aufgeführten privaten Unternehmern, die eine praktische Sozialpolitik treiben, ist als letzter großer Arbeitgeber des Hamburger Hafens der Hamburger Staat selbst zu nennen. Seine Arbeiter sind im Hafen in den verschiedensten Berufszweigen tätig. unter die Kategorie der eigentlichen Hafenarbeiter fallen die staatlich angestellten Baggerer, Schiffer und Kaiarbeiter.

Die vorgesetzte Behörde der Staatskaiarbeiter ist die Kaiverwaltung, welche die erforderlichen Arbeiter einzustellen und nach dem vereinbarten Tarif mit der Mitgliedschaft Kaiarbeiter des Hafenarbeiterverbandes zu entlohnen hat. Es ist dem Hamburger Staate von den Arbeitern sehr übel vermerkt worden, dass nach Beendigung des großen Streiks von 1896/97 die Kaiverwaltung genau so mit Maßregelungen und Aussperrungen vorging, wie die übrigen Arbeitgeber, trotzdem die Kaiarbeiter erst in letzter Stunde, als die Reeder jeden Vergleich ausgeschlagen hatten, die Arbeit niederlegten. Auch heute noch schließt sich die Kaiverwaltung bei allen gewerkschaftlichen Bewegungen dem Vorgehen der privaten Arbeitgeber an, wodurch bei den Arbeitern die Ansicht verstärkt wird, dass die großen Unternehmer und die Hamburgische Staatsregierung miteinander identisch seien. Auch sonst hat sich der Staatskaiarbeiter keiner besonderen Fürsorge zu erfreuen, Unterkunftsräume, Waschvorrichtungen und Wärmeofen für das Essen sind nur in mangelhaftester Weise vorhanden. Man hat allerdings im Hafengebiet Kaffee- und Speisehallen errichtet und deren Betrieb dem Verein für Volkskaffeehallen gegen eine aus etwaigen Überschüssen des Betriebes zu leistende Mietsentschädigung übertragen. Die Arbeiter können dort für billiges Geld verschiedene gut bereitete Speisen und Getränke, besonders Kaffee, erhalten. Entgegen den Bestimmungen, welche im übrigen Gebiete des Hamburger Hafens den Handel mit alkoholischen Getränken verbietet, wird noch heute am Staatskai unter der Hand Flaschenbier verkauft.


Seit einigen Jahren hat der Hamburger Staat, dem Beispiel privater Unternehmer folgend, die Errichtung einer Arbeiterversorgungskasse in Erwägung gezogen. Die Beratungen und Verhandlungen zogen sich bis zum Mai 1905 hin. Den Abschluss bildete die Gründung einer Alters- und Invaliditätsversicherung der Staatsarbeiter in Hamburg. Der Kreis der fürsorgeberechtigten Personen erstreckt sich auf alle im unmittelbaren Dienste des Hamburger Staates angestellten Arbeiter, die der reichsgesetzlichen Versicherungspflicht unterliegen. Eine Maximalgrenze für das Eintrittsalter ist nicht gezogen in Rücksicht auf viele alte Arbeiter, die der Vorteile der Versicherung teilhaftig werden sollten.

Der Beitrag beträgt wöchentlich 15 Pfg., zu dem der Staat einen Zuschuss in gleicher Höhe leistet. Personen mit einem Einkommen von über 2.000 Mk. können die Versicherung fortsetzen, müssen aber den doppelten Beitrag zahlen unter Fortfall des Staatszuschusses, bis sie eventuell als Beamte angestellt werden. Bei Entlassung erfolgt die Rückzahlung des Einsatzes nach einem Jahr mit 70 %, nach jedem weiteren Jahr mit 2% mehr, sodass nach 15 Jahren der volle Betrag vergütet wird.

Die nach dem Gesetz zuständige Rente beträgt nach Zurücklegung von 5 Dienstjahren 200 Mk. jährlich. Sie steigt für jede weitere Beitragswoche bis zur 1000. um 20 Pfg., von da bis zur 1520. um je 10 Pfg. Weitere Steigerung findet nicht statt.

Mit Hinzuziehung der Reichsinvalidenrente, die jedem Versicherten ungekürzt bleibt, würde ein Hamburger Invalide der IV. Lohnklasse zu beziehen haben nach 5 jähriger Mitgliedschaft 200 Mk. und 151,60 gleich 351,60 Mk. , nach weiteren 1.000 Wochen
348 Mk. und 240,00 gleich 588,00 Mk. , nach weiteren 1.520 Wochen
400 Mk. und 292,00 gleich 692,00 Mk.
...............der V. Lohnklasse zu beziehen haben
200 Mk. und 162,00 gleich 362,00 Mk. , nach 5 Jahren
348 Mk. und 270,00 gleich 618,00 Mk. , nach weiteren 1.000 Wochen
400 Mk. und 332,00 gleich 732,00 Mk. , nach weiteren 1.520 Wochen

Das Recht auf Bezug der Rente ruht während einer Freiheitsstrafe von über einem Monat, während zwangsweiser Arbeit im Arbeits- oder Besserungshaus und im Auslande. Doch treten in diesen Fällen unterhaltungsberechtigte Angehörige an seine Stelle. Ausländer, die Anspruch auf Rente erworben haben, können bis zu ihrer Rückkehr ins Ausland mit dem dreifachen Betrage der Jahresrente abgefunden werden.

Eine Witwenversorgung fehlt bis jetzt, doch wird der Witwe beim Tode ihres Mannes der fällige Rückzahlungsbetrag ausgezahlt.

Über die Anträge auf Gewährung oder Entziehung der Rente und Kapitalabfindungen, wie über alle Streitigkeiten zwischen der Behörde und den Versicherten entscheidet ein Ausschuss, zu dem je zwei Vertreter der Behörde und der Versicherten gehören. Als Beschwerdeinstanz über die Beschlüsse des Ausschusses wirkt die Berufungskammer, gleichfalls mit paritätischer Besetzung.

Bemerkenswert ist die Stellung, die der Hamburger Staat der reichsgesetzlichen Invalidenversicherung gegenüber einnimmt, indem er die Bestimmung, dass die Gesamtbezüge des Versicherten den 7 1/2fachen Grundbetrag der Rente nicht übersteigen dürfen, willkürlich dahin deutet, dass für diesen Fall nur Pensionen aus öffentlichen Mitteln in Frage kämen, die Hamburger Invalidenversicherungsrente aber nicht unter solche Pensionen zu rechnen sei.


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Die sozialen Verhältnisse im Hamburger Hafen