Die russische Kunst. I. Die russische Baukunst

Aus: Russland
Autor: V. Erismann, Erscheinungsjahr: 1919

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Themenbereiche
Enthaltene Themen: Russland, Russen, Landeskunde, Sitten und Bräuche, Wirtschaft, Landschaft, Natur, Umwelt, Völker, Vegetation, Bewohner, Arabien, Araber, Syrien, Christen, Heiligtum, Bildung, Kultur, Morgenland, Türken, Muselmänner, Gastfreundschaft, Ehre, Unwissenheit,
Die Kunst eines Volkes gibt ein idealisiertes und verklärtes Bild seiner allgemeinen Kultur. Sie nimmt die charakteristischen Züge der Kultur einer Epoche und verarbeitet diese zu einer ästhetischen Einheit. In ihrer Evolution folgt die Kunst den Entwicklungsphasen der Kultur: Ägyptische Pyramiden, griechische Tempel und gotische Dome sind dauernd fixierte Momente der kulturellen Entwicklung der Völker. Dies bedingt auch das große Interesse, welches die verschiedenen Kunstschöpfungen eines Landes für denjenigen haben, der dieses Land und sein Volk verstehen will.

Die einzelnen Etappen der Entwicklung der russischen Kunst lassen sich am deutlichsten in den verschiedenen Baustilen erkennen. Diese sind in Westeuropa verhältnismäßig wenig bekannt. Selbst der Gebildete stellt sich wohl die russische Baukunst meistens als eine unselbständige, ziemlich gleichförmige Nachahmung byzantinischer Muster vor. Diese Auffassung stimmt jedoch nur für die ersten Anfänge der russischen Baukunst. Später nahm diese Kunst höchst eigentümliche und charakteristische Formen an.

Der weite Boden des europäischen Russlands zerfällt geographisch in zwei sehr verschiedene Teile: im Süden erstrecken sich weite Steppen, im Norden liegt das Waldgebiet (noch weiter hinauf zum Polarkreis verschwinden allmählich Wälder und beginnen dürftig bewachsene, wenig bewohnte Tundren). Die erste Kulturblüte Russlands entfaltete sich an der Grenze von Wald und Steppe; ihr Zentrum war die Fürstenstadt Kiew — die erste Hauptstadt des jungen russischen Reiches. Die Kunst dieser frühesten Periode der geschichtlichen Existenz Russlands war noch durchaus unselbständig. Nach Kiew berufene byzantinische Meister erbauten die ersten Gotteshäuser für den neu importierten christlichen Kultus. Auch einheimische Meister arbeiteten nicht anders als ihre byzantinischen Lehrer: byzantinische Kunstformen verbreiteten sich im ganzen Laude, gelangten auch ins nördliche Waldrussland, ins Gebiet der freien Handelsstadt Nowgorod — das Gebiet, auf dessen Boden später die originelle russische Baukunst entstehen sollte.

Im XIII. Jahrhundert ging das Kiewsche Russland zugrunde. Es hatte im Laufe von Jahrhunderten dem Andrang asiatischer Nomadenvölker widerstanden. bis endlich im XIII. Jahrhundert mächtige Tatarenhorden aus den Tiefen Asiens heranrückten. Wie eine Flut ergoss sich die Nomadeninvasion über Südrussland, zerstörte alles auf ihrem Wege, vernichtete jede Kultur und hinterließ nur Trümmer. Wer fliehen konnte, floh nach Norden, wo Wald und Sümpfe einen sicheren Schutz gegen den Eroberer gewährten. Die Folge der Invasion war eine Verschiebung der russischen Bevölkerung gegen Norden. Hier musste das Kulturleben neu aufgebaut werden. In Urwäldern des Nordens wurden von den Flüchtlingen neue Ansiedelungen gegründet. Sie lagen wie verloren in dunklen Wäldern des großen, noch menschenleeren Landes. Bis jetzt muss sich der Mensch in diesen Gegenden sein Leben mühsam in anstrengendem Kampfe mit der Natur erhalten. Viel schwieriger musste hier der Kampf ums Dasein vor Jahrhunderten gewesen sein; dichte Urwälder bedeckten das Land: nur mit Mühe konnte der Mensch nach schwerem Baumfällen und Ausgraben der Riesenwurzeln hundertjähriger Bäume dem Walde ein Stück Boden für seinen Acker abgewinnen. Stets musste er vor den Ureinwohnern des Waldes, — dem Bären, dem hungrigen Wolf, — auf der Hut sein. Zugleich aber war der Wald dem Menschen auch ein Freund: er gab sicheren Schutz gegen Feinde, er beschenkte den Menschen mit reichen Gaben: er bot ihm Pilze und Beeren, Honig und Wachs, Wild mit prächtigem Pelz — die teuerste Ware, die einem reisende „Gäste" (Kaufleute) stets gern abkauften. Vor allem gab er ihm Holz für den Bau und den Herd.

Auch auf die Entwicklung der Kunst wirkte der Wald zugleich hemmend und fördernd. Die große mühsame Arbeit des unmittelbaren Kampfes ums Dasein ließ dem Menschen für das Schaffen einer schönen Kunst nur wenig Kräfte übrig. Wir sehen auch jetzt in russischen Dörfern meist nur ein einziges Gebärde, bei dessen Herstellung sich ästhetischer Sinn mehr oder weniger mitbeteiligt hat, — die Kirche. Nicht anders war es in jenen entlegenen Zeiten. Und doch war eines stets zur Hand und fehlte nie — es war das Baumaterial. Die stärksten, die festesten Baumstämme standen dem Baumeister zur Verfügung. So entwickelte sich auch die originelle russische Baukunst vorwiegend als Holzbaukunst. Sie trägt in sich die ganze Poesie, den Duft des Waldes, eine Stimmung, die der Waldesstille eigen ist, — ruhig, tief und groß in ihrer Wirkung.

Sie wuchs im Schatten der Wälder unabhängig und frei aus dem einheimischen Boden empor. Ihre Anfänge kennen wir nicht aus eigener Anschauung: die ältesten erhaltenen Holzkirchen des Waldgebietes reichen in ihrer Entstehungszeit nicht über das Ende des XV. Jahrhunderte hinauf. Ältere Holzbauten kennen wir nur aus bildlichen Darstellungen und aus literarischen Überlieferungen. Diese Quellen zeigen, dass die Entwicklung der Holzbaukunst bedeutend früher als diejenige der originellen Steinbaukunst begonnen hatte; die ältesten durch Zeit und Witterung stark beschädigten Reste weisen auch dementsprechend eine große künstlerische Reife und Eigenart auf. Wir beginnen mit einer kurzen Darstellung der russischen Holzbaukunst, als der ältesten selbständigen Richtung der russischen Baukunst, die zugleich auch zu den bedeutendsten Kunstschöpfungen des russischen Volkes gehört.

Russland 002. Petersburg. Der Taurische Palst (Gebäude des Reichsduma)

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Russland 003. Petersburg, Altes Michael-Palais (Ingeneurschloss)

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Russland 008. Petersburg, Ein Landhaus in der Umgebung

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Russland 010. Petersburg, Die große Moschee

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Russland 010. Petersburg, Isaaksplatz

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Russland 012. Petersburg, Die Admiralität, Erbaut von 1727 an, Architekt Sacharow

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Russland 014. Wologda, Altes Herrenhaus, Holzarchitektur

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Russland 019. Kem (Archangelsk) Holzkirche, angeblich 17. Jahrhundert

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Russland 026. Wjatka, Auferstehungskirche, 17. Jahrhundert

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Russland 034. Moskau, Basilius-Kathedrale (Erbaut 1554-1557)

Russland 034. Moskau, Basilius-Kathedrale (Erbaut 1554-1557)

Russland 044. Kirchenkuppeln (Uspenskij-Kathedrale in Rostow a. S.)

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Russland 056. Nishnij-Nowgorod, Ein Glockenturm

Russland 056. Nishnij-Nowgorod, Ein Glockenturm