Die kulturhistorische Bedeutung des Handels.

Nordische Revue. Bd. 1. Internationale Zeitschrift für Literatur, Kunst und öffentliches Leben.
Autor: Keferstein, Horst Dr. (1828-1907) Pädagoge und Schriftsteller, Erscheinungsjahr: 1864

Exemplar in der Bibliothek ansehen/leihen
Themenbereiche
Enthaltene Themen: Hanse, Hansa, Norddeutschland, Städtebund, Handelsmacht, Ostsee, Nordsee, niederdeutsche Kaufleute und Städte, 12. Jahrhundert, 13. Jahrhundert, Kauffahrer, 14. Jahrhundert, Waldemar III. König von Dänemark, Handelsgesellschaft, Norddeutschland, Niederlande, England, Frankreich, Schweden, Skandinavien, Schonen, Livland, Niederdeutschland, Seestädte, Landstädte, Hansegrafen, Oldermannen, Hansekoggen, Hansewappen, Bremen, Rostock, Greifswald, Stralsund, Wismar, Braunschweig, Goslar, Elbing, Berlin, Kölln, Kaiser Otto I., Lüneburg, Magdeburg, Stettin, Danzig, Brügge, Antwerpen, London,
Herausgeber: Wolfsohn, Wilhelm Dr. (1820-1865) Journalist, Dramendichter, Übersetzer und Vermittler deutsch-russischer Literaturbeziehungen
                                ************
Das „Handelsinteresse" bietet aus kulturhistorischem Gesichtspunkte sowohl eine negative als positive Seite dar. Ohne weitere Beweise wird man einräumen müssen, dass dasselbe unter Umständen für die Kultur ebenso nachteilige als wohltätige Folgen nach sich gezogen habe, oder doch nach sich ziehen könne. Wer wollte nicht zugeben, dass das Handelsinteresse, wie zu den segensreichsten, oft auch zu den verderblichsten Taten und Unternehmungen geführt, und dass es vielen Völkern zu Zeiten eine Quelle des Heils, zu Zeiten aber auch eine Saat des Fluches geworden! Allein so wenig diese Doppelseitigkeit in den Wirkungen des Handelsinteresses auf die Kultur der Menschheit übersehen werden darf, so wird eine kulturhistorische Betrachtung doch zu dem Endresultat gelangen, dass der Einfluss des Handels sich auf allen Gebieten des Völkerlebens als eine wahrhaft schöpferische und belebende Macht erweist. Stellen wir für eine solche, wenn auch nur flüchtige Betrachtung folgende Hauptpunkte fest: Wie wirkte das Handelsinteresse im Gebiete 1) der Industrie, 2) des Acker- und Bergbaues und der Forstkultur, 3) der Kunst, 4) der Wissenschaft, 5) des sozialen und allgemeinen Völkerlebens, 6) der Politik und endlich 7) der Religion?

Was zunächst vor Augen liegt, ist, die Einwirkung des Handels auf Industrie und jene andern Zweige menschlicher Tätigkeit, die, so zu sagen, dem Handel sein Material, also gleichsam seine Hauptgrundlage zu liefern haben.

Es wäre überflüssig, besonders darauf hinzuweisen, in wie enger, lebendiger Wechselbeziehung Handel, Industrie, Acker- und Bergbau, Jagd, Fischfang und dergl. zu einander stehen. Sie bedingen sich gegenseitig in einer Weise, dass Eines ohne das Andere kaum gedacht werden kann. Der Industrielle arbeitet für sich selbst, sofern er selbst auch Großhändler genannt werden kann, oder für andere Grossisten und Detailverkäufer. Allerdings liegt ihm selbst das Verkaufsgeschäft zunächst ob, indem er teils das Rohmaterial zu beschaffen, teils seine Manufakturartikel zu vertreiben hat. Aber die Kunst des kaufmännischen Geschäfts wird doch vornehmlich eintreten müssen, um die Ware der Industriellen nach Kräften in Umlauf zu bringen und sie aus der Werkstatt des Verfertigers oder Lieferanten in die weitesten Kreise von Konsumenten zu verbreiten. Die Kunst des Anpreisens und einer möglichst umfassenden Versendung der Ware wird eben doch die Aufgabe des Kaufmanns sein.

In dem Maße, als die Handelstätigkeit immer größere Dimensionen annahm und das Handelsinteresse immer lebhafter wurde, wuchs auch die Nachfrage nach Manufakturwaren oder, was dasselbe besagt, die industrielle Tätigkeit. So lange das Handelsinteresse wenig ausgebildet und der Handel ein auf kleinem Raum beschränkter war, fehlte es an dem stärksten Antriebe für die Industrie. Die Hand des Menschen rührt sich niemals so freudig und lebendig, als wenn ein reicher Gewinn, ein starker Absatz in Aussicht steht. Daher sehen wir auch, wie bei allen Handelsvölkern im Verhältnis zu dem Wachstum ihres Handels auch ihre Industrie fortschreitet, wie gerade Handelsvölker im Gebiete der Industrie Erfindungen oder wenigstens bewundernswürdig schnelle Fortschritte gemacht haben. Bei den Euphratvölkern fand man die trefflichen Farb- und Webstoffe, den Phöniziern schreibt man die erste Bereitung von Glas, die erste Einrichtung von Purpurfärbereien zu — und wie regsam waren die Venezianer in der Tuch- und Seidenwarenfabrikation, in Verfertigung von Glaswaren, in der Ausbeutung der Salzreichtümer Dalmatiens und der fischreichen Gewässer des adriatischen Meeres, um ihre Märkte möglichst ergiebig zu machen! Wie großartig entfaltet sich bei den Niederländern die Wollenweberei, nach dem Brügge, später Antwerpen in die Reihe der ersten Handelsplätze Europas eingetreten war! Und wir wissen, dass die Engländer erst dann aufhören, ihre Rohstoffe, namentlich die Wolle, dem Auslande zuzuführen, erst dann ansangen, dieselben in ihrem Lande selbst zu verarbeiten, als das Handelsinteresse ihnen in seiner national-ökonomischen Bedeutung aufzugehen begann. Es sind aber namentlich Gegenstände des Luxus, die nur in dem Grade eine erhöhte Produktion finden können, in welchem sich der entfesselte Handel ihrer bemächtigt. Ein gut Teil unserer europäischen Manufakturen müsste verderben, wenn nicht der alle Länder und Völker umfassende Welthandel sie den fernsten Zonen zubrächte. Wir arbeiten nicht bloß für unsere Nachbarn; unsere Industrieerzeugnisse gehen eben so nach den Häfen Abyssiniens, wie nach denen von Guinea und Klein-Neu-Seeland. Und je geschäftiger der Kaufmann in Aufspürung der Lieblingsbedürfnisse der verschiedensten Nationen der Erde ist, je besser er ihren Geschmack rücksichtlich der Farbe und des Stoffes, ihrer Gewandung oder ihre etwaigen Neigungen zu Genüssen des Gaumens und dergleichen in Erfahrung zu bringen wusste, desto weiteren Spielraum eröffnet er der heimischen Industrie. Gibt es doch Fabriken, die weit mehr für die zum Teil kindischen Bedürfnisse irgend welcher fernen wilden Völker, als für die der Heimat arbeiten. Und liegt es nicht ganz im Interesse des Kaufmanns, dass der Industrielle immer neue Unternehmungen, resp. Erfindungen im Bereiche seiner Produkte mache! Das Neue in Form und Farbe muss die Kauflust wach, den Absatz in Schwung erhalten. So zeigt sich der Handel als der unermüdliche Dränger zu unablässiger Erweiterung alles dessen, was sowohl wirkliche, als eingebildete, rohe wie feinere Bedürfnisse der Menschen zu befriedigen im Stande ist.

Sofern nun aber Land- und Bergbau, dann Jagd und Fischerei teils mittelbar, teils unmittelbar Gehilfen der Industrie genannt werden können, müssen natürlich auch diese Beschäftigungen der Menschen zugleich mit dem Handel ihre mächtige Förderung erhalten. Der Handel mit allen erdenkbaren Früchten des Bodens, mit trocknen und flüssigen, rohen und verarbeiteten Erzeugnissen der Erde hat, seitdem er seine erstaunliche Höhe erreicht, die entsprechenden Arten der Kultivierung des Bodens in einer nie geahnten Weise gehoben. Wie groß würden noch die Strecken unbebauten, wenig ausgebeuteten Landes sein, wenn nicht das Handelsinteresse zu ihrem Anbau getrieben! Diesem Interesse ist es zu danken, wenn Wildnisse und Einöden in lachende fruchtbare Felder und Wesen verwandelt wurden und wenn sich jetzt üppige Plantagen, Obst- und Weingelände, weithin erstrecken, wo vordem undurchdringliche Waldungen oder schilfbekränzte Sumpfstrecken sich ausdehnten. Der Kaufmann weckt nicht bloß den Eifer und Fleiß und die Erfindungsgabe des Arbeiters in stiller Werkstatt, sondern er beflügelt auch auf das höchste jeden Zweig der Bodenkultur. — In der Aussicht auf reichlichen Gewinn führt der Landmann doppelt fleißig den Pflug, schwingt der Pionier des Ackerbaues, der Holzfäller doppelt emsig die Axt, steigt der Bergmann freudiger und mutiger in die tiefen Schachten hinab, erträgt der Winzer geduldiger die unsäglichen Mühen seiner Arbeit, nimmt der Plantagenbesitzer williger die unerquickliche Bürde seines Geschäftes auf sich, setzt der kühne Jäger seine Angriffe auf seltene Pelztiere oder kostbare Seevögel, der unerschrockene Perlenfischer oder Korallensammler oder Robbenschläger und Walfisch-Jäger energischer und furchtloser das mühsame Tagewerk fort. In der Tat gibt es kaum ein anderes Interesse, das, wie das des Handels, den Menschen gleich stark und gleich vielfältig auf eine Unzahl von Tätigkeiten und Beschäftigungen hintriebe und die unwiderstehliche Aufforderung zur Ausbeutung aller nur denkbaren Gaben und Kräfte der Natur in höherem Maße enthielte. Vergleichen wir die Berichte älterer Reisenden und Geographen über die Physiognomie und den Produktenreichtum des einen und des andern Landes mit demjenigen, was wir in diesen Beziehungen wahrzunehmen haben, so muss uns der gewaltige Fortschritt in Erstaunen setzen. In manchen Ländern können wir Tage lang wie durch liebliche, reich bevölkerte Gartenanlagen wandern, wo man sich ehemals mit der Axt den Weg zu bahnen, mit der Büchse gegen allerlei räuberische Gäste zu wehren, mit schwerem Gepäck gegen peinigenden Hunger zu schützen hatte. Die Anlegung unermesslich sich dehnender Reis-, Mais- oder Roggen- und Weizenfelder, die Verwandlung dichter Wälder in blühende Kaffee- oder Zuckerplantagen, öder Bergabhänge in lachende Weingelände, die Entwässerung weiter Flächen sumpfigen Landes, um sie der Viehzucht zu gewinnen — und was damit zusammenhängt — die Gründung einer Menge Wohnplätze, die Ansammlung zahlreicher Bewohner, wo ehedem nur das Tier des Waldes seine Nahrung suchte — wem anders, wem so sehr wäre es zu danken, als dem Handelsinteresse! Dieses allein oder doch vorzugsweise schuf jene Wunder der Kultur, z. B. im gewaltigen Becken des Mississippi oder an der pazifischen Küste von Kalifornien oder im Osten der Alleghanykette. Wer erschloss die unwirtliche Strecken der arktischen Ländergebiete der Bodenkultur, wenn nicht der Kaufmann, der Pelzhändler; wer eröffnete die kostbaren Minen von Peru und Mexiko, wer die mit Eisklippen übersatten Gewässer der Polarmeere, um hier Jagd auf den Seehund zu machen! Die immer größere Verbreitung aller möglichen Kulturpflanzen, mögen sie nun Farb-, Nahrungs- oder Kleiderstoffe hergeben, die unaufhaltsam fortschreitende Gewinnung urbaren Bodens, die Eröffnung immer neuer mineralischer Fundgruben, haben wir nicht minder dem industriellen, als dem ihm dienenden und es fördernden kommerziellen Interesse zu verdanken. Freilich fehlt es hier nicht an einer traurigen Kehrseite. Das Streben einzelner Handelsstaaten, den Handel mit gewissen Kulturpflanzen zu monopolisieren, trieb zu unbarmherzigen Edikten, wie zur Ausrottung der reichsten Anpflanzungen auf manchen Eilanden, die unter das Joch europäischer Herren gebeugt worden waren. Wir wissen von Spaniern und Holländern, dass sie in solcher Weise die Bodenkultur der einen oder der anderen ihrer Kolonien mit Füßen getreten haben. Auch kam es wohl vor, dass, von einseitigem Handelsinteresse getrieben, die jeweiligen Inhaber größerer Ländereien dieselben durch forcierten Anbau gewisser Pflanzen völlig entkräfteten und den wahren Interessen der Agrikultur in mehrfacher Hinsicht entgegenarbeiteten. Und was die Forstkultur angeht, so ist bekannt, dass eine mutwillige Ausrottung und Verschleuderung von Waldreichtum, wie sie ein leidenschaftliches Handelsinteresse an die Hand gab, mehr als einem Lande empfindliche klimatische, ja sogar ethische Nachteile bereitete. Wie der durch das Handelsinteresse belebte Bergbau zum Ruin blühender Reiche beigetragen und wie also hier von einer kulturhistorischen Bedeutung jenes Interesses im negativen Sinne die Rede sein könne, das beweist vor Allem die Geschichte der spanischen Monarchie.

Wolfsohn, Wilhelm Dr. (1820-1865) Journalist, Dramendichter, Übersetzer und Vermittler deutsch-russischer Literaturbeziehungen

Wolfsohn, Wilhelm Dr. (1820-1865) Journalist, Dramendichter, Übersetzer und Vermittler deutsch-russischer Literaturbeziehungen

Hansewappen

Hansewappen

Hanse Kogge

Hanse Kogge

007 Rathausplatz

007 Rathausplatz

011 Bauern bei der Feldarbeit

011 Bauern bei der Feldarbeit

012 Bauernfamilie auf dem Weg zum Markt ziehend

012 Bauernfamilie auf dem Weg zum Markt ziehend

013 Bürgerstube

013 Bürgerstube

034 Hafen mit Hanseschiff

034 Hafen mit Hanseschiff

Fuhrmann in der Hansezeit

Fuhrmann in der Hansezeit

037 Bergwerk

037 Bergwerk