Dritte Fortsetzung

Ungemein tiefgreifend erweist sich der Einfluss des Handels auf das allgemeine Völkerleben und namentlich auf den Verkehr der Völker untereinander. Wir dürfen den Handel geradezu als den eigentlichen Schöpfer eines internationalen Verkehrs bezeichnen. Nichts hat wohl das Bedürfnis nach gegenseitigen freundlichen Beziehungen der verschiedensten Nationen so lebhaft gefördert, als eben das Handelsinteresse. Weder der Staat des Lykurgus, noch das gewaltige Mongolenreich im Osten Asiens, noch die lange Zeit isoliert bleibenden Staaten am Nil und am Jordan oder am Ganges konnten sich auf die Dauer dem drängenden Interesse des Handels verschließen. Salomo lässt endlich doch seine Schiffe zu den Ophirfahrten vom Hafen von Eziongeber auslaufen. Psammetich gestattet nach langem Widerstreben seiner Ägypter den Zugang von Fremden im Delta des Nils, die Ghasnaviden öffnen der arabischen Eroberung den Weg nach den Ländern am Indus. Die Mandschudynastie wird durch den Opiumkrieg zur Eröffnung von fünf Häfen in den chinesischen Gewässern gezwungen, Japan muss erst den Nordamerikanern und dann den Russen, Engländern und Holländern sein Hakodadi, Simoda und Nangasaki erschließen — und mit europäischer Artillerie werden Mexiko, Peru, Chile, die la Plata Länder in den Kreis europäischer Handelsinteressen hineingezogen. Keinem Inselvolke der Südsee, keinem Neger stamme des Sudan, keinem Piratenstaate der indischen Gewässer wollte es gelingen, seine Märkte der unersättlichen Habgier, dem unstillbaren Handelsbedürfnis des europäischen Kaufmanns zu versperren. Mit zwingender Gewalt wurden allmählich alle Länder, alle Meere dem Handel der Europäer untertan. Zu allen Völkern der bekannten Erde kommt der Europäer mit seiner Ware oder mit barem Gelds, um fremdes Erzeugnis einzuhandeln. Auch hier ist wiederum nicht zu übersehen, dass es bei Verfolgung dieses allumfassenden Handelsinteresses zu manchem blutigen, höchst grausamen Konflikt gekommen ist. Ohne Rücksicht auf die sich sträubenden oder auch gutmütig gehorchenden Bewohner ferner Inseln und Länder haben die europäischen Handelsstaaten die Fahne ihrer Herrschaft aufgepflanzt, sich des neuentdeckten Landes als ihres Eigentums bemächtigt. Nicht immer genügte es den Handelsvölkern friedliche Kolonisten als Agenten in weit abgelegene Gebiete zu entsenden; mit Feuer und Schwert wurden wenigstens im vermeintlichen Interesse des Handels ganze Völkerstämme ausgerottet oder zum verzweifelten Selbstmord getrieben. Das Interesse des Handels gebot die Verbreitung von Produkten der Natur und der Kunst, die dem Empfänger zu leiblichem und geistigem Ruin gereichten. Der Engländer hat es sich nicht nehmen lassen, dem Chinesen das verderbliche Opium, oder dem Indianer den Branntwein zuzuführen. Wir staunen wohl über den grandiosen Kolonialbesitz mancher europäischen Seemacht — (war es doch der Handel auch wieder, der insonderheit die Kolonialpolitik leitete) — aber wir vergessen vielleicht zu willig die Tausende blutiger Opfer, welche die Gründung und Erhaltung so vieler reicher Kolonien erforderte. Der Handel war wohl, wie wir sahen, in gewisser Hinsicht die Mutter der Freiheit der Völker, aber es haftet an ihm auch der Fluch der Knechtschaft, ja des völligen Unterganges ganzer Stamme, ja vielleicht ganzer Rassen. Der Reihe nach wurden in Amerika Eingeborene und dann die Schwarzen Afrikas in den schweren Dienst des Handels mit den Produkten der Plantagen gezogen. Was litten nicht die Bewohner der Sundas und Molukken unter der harten, engherzigen Handelspolitik der Holländer! Wie die friedlichen Caziken Westindiens, so mussten auch die Rothäute des amerikanischen Festlandes dem Handelsinteresse der spanischen Romanen oder des Angloamerikaners Platz machen. Die Negersklaverei aber ist das am meisten verhängnisvolle Wort, das noch immer aus den riesigen Warenmagazinen des Großhändlers und von den Stapelplätzen selbst europäischer Handelsstädte uns in die Ohren schrillt. Wir geben zu, dass Vieles, was der Menschheit im Großen zum Segen gereicht, nur mit Gewalttaten, mit blutigen Opfern errungen werden konnte. Die gegen einen allgemeinen Völkerverkehr sich auflehnenden wilden Stämme oder sich selbst genügende Großstaaten, wie China, forderten zum Kampfe heraus — aber bei alle dem mischten sich unter die berechtigten Unternehmungen zu Gunsten des Welthandels gewiss auch viele Taten der schnödesten Brutalität, des krassen Missbrauchs der überlegenen Macht.

Doch ich kann von dieser folgeschweren Beziehung des Handels zur Hervorbringung eines allgemeinen internationalen Verkehrs nicht abgehen, ohne auf die unermesslichen Wohltaten hinzuweisen, welche für die Erleichterung jeglicher Art des Verkehrs von dem Handelsinteresse gewährt wurden und noch fortdauernd gewährt werden. Wenn im Altertum im Interesse des Kriegs und der bloßen Eroberungspolitik Kunststraßen angelegt, die Verkehrsmittel auch sonst erleichtert wurden, so datiert sich der unglaubliche Fortschritt im Bau von Straßen und in der Anlegung von Saumpfaden, die Beseitigung aller nur denkbaren Hindernisse des Verkehrs zu Land und Wasser doch von dem gewaltigen Fortschritt des Handels. Schon längst schreckt der Ingenieur und Architekt kaum vor einer Schwierigkeit in der praktischen Ausführung, oder eine Regierung vor den dazu erforderlichen hohen Summen zurück, wenn es gilt, neue Bahnen für den Handelsverkehr zu eröffnen. Posten und Eisenbahnen, Telegraphen und Dampferlinien, Abdämmung von Flüssen, Überbrückung von Meerengen, Anlegung von Kanälen über Berg und Tal, Ausfüllung von Tälern, Abtragung oder Durchstechung von Höhen, Aufführung von Schutzmitteln gegen Berg- und Lawinensturz auf den höchsten Alpenstraßen, exaktes Ineinandergreifen von Post-, Eisenbahn- und Dampferkursen — das sind die beneidenswerten Früchte, wenn auch nicht ausschließlich, so doch gewiss vorwiegend eines Alles belebenden und mit sich fortreißenden Handelsinteresses.


Schon beim Hinblick auf die Beziehung des Handels zum sozialen Leben lag es nahe, in ein anderes Gebiet hinüber zu streifen: auf die Beziehung desselben zur Politik. Es ist nicht leicht, gerade diese Seite der Einwirkung des Handels auch nur einigermaßen genügend zu besprechen. An Gesagtes anknüpfend, möchten wir vor Allem der inneren und äußern Politik gedenken, wie sie sich in Handelsstädten und -Staaten teils wirklich äußerte, teils wahrscheinlich äußern wird. Vergebens suchen wir nach despotisch regierten großen Monarchien, in denen der Handel auf längere Dauer geblüht hätte. Das Reich Philipps II. und seine Geschichte liefert einen Beweis für und nicht gegen unsere Behauptung. Dieser widerstreiten weder Phönizien, noch Carthago, noch die blühenden Handelsplätze der kleinasiatischen Küste oder Großgriechenlands, weder die Geschichte Portugals, noch der Niederlande und Englands, oder der mit Italien in lebhaften Handelsbeziehungen stehenden Donaustädte. Drückende Aristokratien und Patrizierregiment, auch genug der Sklaverei finden wir wohl in Handelsstaaten, aber gerade der jähe Sturz Spaniens und Portugals von ihrer einstigen Handelsgröße verkündigen unwiderleglich den Satz, dass in tyrannisch regierten Staaten kein dauerhaftes Heil für den Handel oder für einen großen Kolonialbesitz zu finden sei. In diesen Staaten paarte sich bekanntlich politischer Despotismus mit kirchlichem Fanatismus; sehr bald mussten sie ihre Rollen an Holland, England und Frankreich abtreten, und im Beginne des 19. Jahrhunderts ist es um ihre Kolonialmacht geschehen. Es sind freie Verfassungen, welche die Handelsvölker zu ihrem Gedeihen verlangen und auf die Dauer wenigstens nicht ungestraft haben daran geben können. Weniger eifersüchtig, als auf die Freiheiten in ihrem inneren Leben, waren die Handelsstaaten zuweilen hinsichtlich ihrer Unabhängigkeit nach außen. Wurden ihnen nur ihre „Handels-Rechte und Freiheiten" gelassen, so wechselten sie ziemlich kaltblütig ihre Gebieter. Daher die leichte Unterwerfung Phöniziens zuerst durch die Perser und dann durch den mazedonischen Großkönig. Aber auch hier stoßen wir auf rühmliche Ausnahmen. Was hat nicht Carthago gelitten und geopfert, um sich von römischer Herrschaft frei zu halten! Und wie hartnäckig blieb Tyrus gegen Nebucadnezar und Insel-Tyrus gegen Alexander dem Großen! — Nicht selten verfuhren Handelsstaaten ebenso schonungslos gegen die Freiheiten und Rechte Anderer, als sie ängstlich an den eigenen festhielten. Davon haben wir bereits genügende Andeutungen im Vorhergehenden gegeben. Wie rücksichtslos zeigte sich Carthago gegen seine afrikanischen Nachbarn, wie toll wirtschafteten die Portugiesen, Spanier und auch Holländer: jene z. B. in Japan, oder in der neuen Welt, diese im ostindischen Archipel! Aber es genügt hier nicht, auf das Verfahren der europäischen Handelsstaaten gegen wenig zivilisierte Völker der Tropenländer zu verweisen, wir dürfen hier ebensowenig die ewigen Eifersüchteleien und langwierigen blutigen Kriege unerwähnt lassen, welche zwischen dem einen und anderen der europäischen Handelsstaaten selbst erwuchsen und fortwucherten. Mit welchem blinden, wenig patriotischen Hass verfolgten sich Pisa, Genua und Venedig! Sie ruhten nicht, bis Eines nach dem Anderen gedemütigt und entkräftet vom Schauplatze trat. Wie eifrig und begierig fallen die von Philipp geächteten Niederländer über portugiesische und dann weiter über spanische Kolonien oder Silbergaleotten her! Wie emsig sucht ein Staat nach dem andern, eine Stadt nach der andern sich der hanseatischen Vorrechte zu erwehren! Cromwell legt die sicher treffenden und explodierenden Minen gegen die holländische Handelsgröße. England schreitet mit unwiderstehlicher Überlegenheit über alle seine Rivalen im Welthandel und Kolonienbesitze hinweg. Nachdem es die Armada zerstört, trifft es die französische und spanische Kolonialmacht besonders in Nordamerika und Westindien, die holländische besonders in Südafrika und Ostindien. Die Tage von Abukir und Trafalgar, die Taten Clives, Wellesleys, Warren Hastings' in Ostindien oder diejenigen Wolfes in den Gegenden des Lorenzstromes sind ebenso unvergessen, wie weiland diejenigen eines Almeida und Albuquerque, eines Don Juan d'Austria, oder eines de Ruyter und Tromp. Um uns von dem höchst bedeutenden Einfluss des Handelsinteresses auf die Politik, namentlich die auswärtige zu überzeugen, bedarf es nur eines Blickes auf die weltumfassenden Beziehungen der ersten Handelsstaaten und Städte unseres Erdteils,
eines Blickes auf die Geschichte der Kolonien. Woher erklärt sich dieser nie zu unterdrückende Drang nach Gründung neuer Kolonien oder wenigstens neuer Errichtung von Konsulaten und Agenturen in den fernsten Gegenden der Erde; woher das ungeteilte Interesse, das z. B. England den Vorgängen in China und Japan, oder in Indien zuwendet; woher diese kolossalen Anstrengungen gewisser Mächte, einen überall hinreichenden Einfluss zu gewinnen oder zu erhalten, wenn nicht aus dem Interesse des Handels? Dass der Europ?er so zu sagen zum Herrn der Welt geworden ist, hat man von seinem überaus regen Handelsinteresse herzuleiten. Die politische Geschichte ist unendlich reich an folgenschweren Ereignissen, die sich vorwiegend nur aus der Handelseifersucht oder dem Handelsinteresse erklären lassen. Wir meinen hier nicht bloß die so ergiebige Geschichte der Koloniengründung oder der Unabhängigkeitskriege von Kolonisten, wir müssen auch die gewaltigen welterschütternden Kämpfe ins Auge fassen, die z. B. im Anfange, gegen die Mitte und bis ans Ende des 18. Jahrhunderts zwischen den Seemächten West- und Osteuropas ausgefochten wurden. Die Jahre 1713 und 1763 wie verhängnisvoll für die Handelsgeschichte Frankreichs und Spaniens, 1783 wie ominös für England etc. Unablässig stößt und drängt man sich um dieses Handelsinteresses willen. Ewige Verschiebungen in dem auswärtigen Besitzverhältnis und in den diplomatischen Beziehungen der europäischen Großmächte: sei es zum Vizekönig von Ägypten, oder zum Bey von Tunis, oder zum Schah von Persien, oder zu dem Kaiser des himmlischen Reiches. Welches Wettlaufen und Antichambrieren, um eine Gunst für den Handel wegzufischen — selbst bei den Majestäten auf Madagaskar oder den Sandwichsinseln oder von Cochinchina! Ganze Legionen von Bündnissen, Assoziationen, Verträgen, Protektionen, Charten u. s. w. finden ihren einzigen Erklärungsgrund im Interesse des Kaufmanns, der Handelspolitik. Soll ich von Städtebündnissen reden, wie von dem rheinischen oder dem der Hansa, von dessen Vorgängern, wie „dem Verein deutscher Kaufleute in Wisby", oder „dem Verein der fünf wendischen Städte Lübeck, Wismar, Rostock, Stralsund und Greifswald" — von der Gesellschaft englischer Kaufleute unter Eduard III. für Ausfuhr ausländischer Erzeugnisse — von der Handelsgesellschaft des Thomas von Becket, „den Adventurers" — soll ich hinweisen auf die ostindischen
Compagnien Englands, Hollands, Frankreichs, auf die philippinische Spaniens? Welchen der Handelsverträge alter, mittlerer und neuerer Zeit soll ich vorerst herausheben? Den von Katharina II. gegen England zu Stande gebrachten Vertrag der bewaffneten Neutralität, oder Napoleons Kontinentalsperre? Offenbar bieten alle diese Bündnisse und Verträge, neben ihrer kommerziellen, eine sehr gewichtige politische Seite dar. Politik und Handelsinteresse sind aufs engste mit einander verknüpft. Erst als das revolutionäre Frankreich die Niederlande okkupiert, gibt der große Pitt die lange zurückgehaltene Losung zum offenen Kampfe gegen den Revolutionsstaat. Napoleons ägyptisch-syrischer Feldzug galt der Vernichtung der Handelsgröße Britanniens in den indischen Gewässern; die väterliche Fürsorge englischer Diplomatie für die Unverletzlichkeit des kranken Mannes, Englands Konflikte mit Russland in den Territorien südlich des Oxus: dies und unendlich viel Anderes bis herab auf die Neutralität der Westmächte gegenüber dem amerikanischen Kriege, die mexikanische Expedition der Franzosen, der glänzende Empfang der japanischen Gesandtschaft oder des ägyptischen Vizekönigs in den europäischen Metropolen findet seine letzte und wahre Erklärung in dem Interesse des Handels.

Aber nicht bloß lange, blutige Freiheitskriege rief das Handelsinteresse hervor, wir dürfen dasselbe auch als eine starke Garantie für die Erhaltung des Friedens betrachten. Welcher Handelsstaat sollte sich leichtsinniger Weise in einen Krieg einlassen? Gefährdet er doch damit den kaum gewonnenen Wohlstand vielleicht in höchst empfindlicher Weise. Es müssen sehr starke, das Handelsinteresse unmittelbar berührende Motive sein, welche da zum Ziehen des Schwertes herausfordern. Ja, es wird sich zeigen, dass die großen Börsenmänner eines Staates unter Umständen zu Hauptträgern des Friedens werden. Das Besitzinteresse wird in einer Weise gehoben und geschärft, dass man so lange als möglich ansteht, bevor man zum Äußersten greift.

Es bleibt nun noch die Beantwortung der Frage, welchen Einfluss der Handel und das Handelsinteresse endlich auch im religiösen Gebiet geübt habe und noch üben könne.

„Euch, ihr Götter, gehört der Kaufmann. Güter zu suchen,
Geht er, doch an sein Schiff knüpfet das Gute sich an."

Mit diesen Worten unseres Dichters kann ich wohl am besten auf das Band verweisen, welches so oft religiöses und Handels-Interesse umschlang. Wie der Gelehrte, begleitete den Kauffahrer nicht selten auch der Missionar. Das Missionswesen ist es in der Tat vor Allem, das uns im engsten Bunde mit dem Handel entgegentritt. Missionar und Kaufmann haben sich nicht bloß einmal und nicht bloß an einer Stelle in die Hände gearbeitete Beide haben unter Umständen gegenseitig die Bahnbrecher für ihre Tätigkeit abgegeben. Es gereichte dem Kaufmann zum wesentlichen Vorteile, wenn namentlich wohlgebildete, forsch-begierige, gewandte und umsichtige Missionare in dem Bezirke der Handelsstationen tätig waren; aber auch der Missionar konnte oft nur unter dem Schirme des Handelsagenten sein Werk beginnen und ungestört forttreiben. Und auch das haben wir gesehen, dass Missionare ihr eigentliches Werk der Bekehrung der Ungläubigen mit dem des Plantagenwirtschafters und Großhändlers verschmolzen. Die Jesuitenmissionen von Paraguay legen davon Zeugnis ab; ihr höchst einträgliches Handelsgeschäft gab sogar den Anstoß zu der Auflösung des Ordens der Brüder Jesu in Frankreich.

Sodann hat sich die Handelstätigkeit nicht selten durch religiöse oder doch durch Bedürfnisse des äußeren Kultus sehr bedeutend gefördert gesehen. Der Opferdienst der alten heidnischen Völker, die glänzende Ausstattung des katholischen Priesters und seiner Altäre, Kapellen und Dome — das Alles erforderte keinen geringen Umsatz der entsprechenden Waren.

Ferner sehen wir, wie in alter und neuer Zeit mit nationaler Festfreude oder mit, verschiedenen gemeinsamen religiösen Festlichkeiten das Handelsinteresse ganz von selbst sich verbrüderte. Die Versammlungsplätze der zu einer Amphictyonie Gehörenden benutzte man zugleich zu Warenniederlagen. Nicht minder wahrscheinlich erweist sich die Verbindung des kaufmännischen Interesses mit dem Besuche der großen, zu Ehren des olympischen Zeus gefeierten Festspiele. Und wie die Priester des delphischen Heiligtums treffliche Winke für Ausbreitung des griechischen Koloniennetzes gaben, so erkennen wir im uralten Priesterstaate Meroe zugleich den Mittelpunkt des Handels mit Arabien, Indien, Äthiopien oder Südafrika und Nordafrika oder Ägypten. Kaum möchten die frommen Wallfahrer so weite Strecken zu Wasser und zu Lande zurückgelegt haben, um die geweihten Plätze im Westen Arabiens aufzusuchen, kaum ließe sich die unermüdliche Wanderlust christlicher Waller oder gar die aufopfernde Todesverachtung so vieler Tausende von Kreuzfahrern erklären, wenn nicht dort dem frommen Triebe der Moslemin, hier der auf Christus Getauften sich eine Aussicht auf materiellen Gewinn, auf ein einträgliches Handelsgeschäft zugesellt hätte. Die Namens- und Wesensverwandtschaft von Messe als Jahrmarkt und heiligem Gottesdienst ist allgemein bekannt. An den Stationen der Karawanen entstanden ehrwürdige Tempel, welche das bewegte Treiben der Kaufleute durch ihr Ansehen schützten und dem ganzen Handel die Weihe der Religion aufdrückten, welche als Ziel der Wallfahrten viele Andächtige anzogen und somit dem religiösen und weltlichen Leben als Mittelpunkt dienten. Hier erwuchsen dann auch große Kaufmannsstädte.

Wie religiöser Fanatismus dem Handelsinteresse und dieses wiederum jenem reichliche Nahrung geben könne, das nehmen wir kaum irgendwo deutlicher wahr, als an der Geschichte der Kreuzzüge, oder an der massenhaften Austreibung der Morisken aus Spanien, der Hugenotten aus Frankreich, der Katholiken aus Irland, oder endlich an dem Schicksale der Juden nach ihrem letzten unglücklichen Versuche, sich selbständig zu erhalten. Keine Handelsgeschichte dürfte sich die Tragweite der hier angedeuteten Momente aus der Geschichte der Religion entgehen lassen. Man sieht an allen diesen epochemachenden Ereignissen, wie eng oft Handels- und religiöses Interesse, sei es zu ihrem beiderseitigen Vorteile oder zum entschiedenen Nachteile des einen, mit einander in Beziehung stehen.

Die Handelsvölker zeigen Neigung zu religiöser Freiheit. Es ist sehr bezeichnend, dass die deutsche Reformation in den blühenden Handelsstädten des südlichen und nördlichen Deutschlands verhältnismäßig am schnellsten Eingang fand. Wie ließe sich ein seefahrendes Volk mit geknechtetem Gewissen, mit veraltetem Aberglauben denken? Am schlagendsten zeigt sich diese Verbindung religiöser Freiheit mit großartiger Handelstätigkeit in England, Holland, Nordamerika. Aber wir wissen nicht minder, dass in unseren Hansestädten die Sympathien für die protestantische Lehre ebenso kräftig erwachten, wie in irgend einem der genannten Länder.

Vor Allem aber möchte ich auf jene religiöse Duldsamkeit verweisen, die als eine der schönsten und edelsten Früchte des Handelsinteresses mit vollem Recht betrachtet werden darf. Der Handel duldet — wie mehrfach gesagt — nun einmal nicht jene Exklusivität, jene kalte Absonderung der Völker oder der Bekenner verschiedener Kirchen von einander, wie sie z. B. päpstliche Edikte mehr als einmal gepredigt haben. Venedig handelt trotz päpstlicher Machtsprüche mit den Ungläubigen in Alexandrien und Syrien. Und wenn irgend etwas den lange verworfenen und gebrandmarkten Juden endlich eine menschlichere und ehrenvollere Behandlung von Seiten der Christen verschaffte, so war es ihre außerordentliche Gewandtheit und Klugheit in der Tätigkeit zunächst des reinen Geldgeschäftes und dann überhaupt jeglicher Art des Handels. Wenn daher auch heute kurzsichtige Zionswächter sich noch so heftig übernehmen wollten, um den längst vergessenen Fanatismus des Glaubens wieder wach zu rufen — die Macht des Handelsinteresses würde sofort ein stillendes Heilmittel dagegen abgeben.

In alle dem aber erkennen wir nichts Näheres und Besseres, als die Aussöhnung des Menschen mit seiner wahren Natur. Auf den erlaubten, Selbsterhaltungstrieb basiert sich die Existenz der Menschheit; lässt man diesem Triebe, den uns Gott der Schöpfer selbst ins Herz pflanzte, seinen ungehemmten Lauf, so erzeugt er eine schöne, reiche Welt
— so führt er zum Frieden, zur Versöhnung der kaum noch feindlich sich gegenüberstehenden Parteien.
                              Dr. Horst Keferstein.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Die kulturhistorische Bedeutung des Handels.