Zweite Fortsetzung

Ähnliches haben wir von dem Einfluss des Handels auf die Wissenschaft zu berichten. Auch sie finden wir in lebhafter Wechselwirkung zu der Tätigkeit des Kaufmanns. Auch sie gedeiht wenigstens teilweise nur kümmerlich unter dem Drucke der Entbehrung, auch sie verlangt in mehrfacher Hinsicht der behaglichen Umgebung, auch sie lässt sich vom Kaufmann gern in weite Fernen führen, um hier immer neue Schätze zu heben, — und wie sie selbst vom Handelsinteresse vielfach gefördert oder getragen wird, so bringt sie ihrerseits dem Handel manch wertvolles Geschenk dar. Es sind vor Allem jene exakten Wissenschaften, die Wissenschaft der Naturforschung, der Erdkunde, der Ethnographie, der Nationalökonomie, Technologie, Mechanik u. s. w., die sich der Anregungen durch das Handelsinteresse zu erfreuen haben. Nicht bloß im Gefolge eines Alexander oder Napoleon zogen allerlei Gelehrte in fremde Länder, um hier ihre Forschungen anzustellen; auch den friedlichen Kauffahrer begleiteten wohl öfters Männer der Wissenschaft in fremde Zonen, nach weit entlegenen Eilanden. Ohne das Handelsinteresse ließe sich das Erschließen immer neuer und neuer Gebiete unserer Erde gar nicht erklären, ohne dieses möchten kaum so große Summen von Einzelnen oder ganzen Staaten aufgebracht worden sein, um etwa ein noch unbekanntes Flussgebiet zu erforschen. Sind auch die kühnen Reisenden selbst vorwiegend durch ihren Wissenstrieb auf die Bahn ebenso mühevoller, als gefährlicher Entdeckungsfahrten in unwirtliche Wüsteneien getrieben worden, so hatten doch die sie Aussendenden und Unterstützenden ein Kommerzielles Interesse im Auge. In der Tat möchte unsere Kenntnis der Erde und ihrer Bewohner kaum zur Hälfte soweit vorgeschritten sein, wenn nicht der Kaufmann das Signal zum Aufbruche der Europäer nach allen Ländern gegeben hätte. Aus Nürnberg geht jener Martin Behaimb hervor, der zu den frühesten großen Reisenden Deutschlands zu rechnen ist, aus Venedig stammten die Caboto und jener Marco Polo, der die Blicke der Europäer zuerst schärfte für die Schätze Indiens, wie des ganzen Morgenlandes; in der Nähe von Genua stand die Wege des Colon, Portugal brachte die Bartholomeo Diaz, die Cabral, die Magelhaens, die Vasco de Gama, Holland die Tasman, England einen Cook, einen Franklin hervor — die Phönizier leisteten nicht bloß ihrem Handel, sondern auch der Wissenschaft wesentliche Dienste; die Reise des Carthagers Hanno brachte näheres Licht über einen größeren Teil von Afrika — und wollten wir in die neueste Zeit vordringen, so würden wir wiederum wahrnehmen, dass die größten Handelsplätze oder Handelsstaaten die Geburtsstätten der größten Entdecker gewesen sind.

Dem Handel mit Gewürzen, kostbaren Hölzern, oder mit Straußfedern, Elefantenzähnen, der schwarzen Ware u. a. ist z. B. die nähere Bekanntschaft europäischer Gelehrten mit so mancher Gegend der Tropenländer und wiederum dem einträglichen Pelzhandel oder dem Verbrauche kostbaren Gefieders und sehr nutzbarer Seetiere die immer genauere Erforschung der arktischen Länder zu verdanken. Das Handelsinteresse ist so recht eigentlich der Bahnbrecher aller der Wissenschaften, die es mit dem Studium der Erde und überhaupt der Natur zu tun haben.


Der befruchtende Einfluss des Handels auf die Wissenschaft zeigt sich auch darin, dass der Kaufmann direkt oder indirekt den Gelehrten auffordert, ihm neue Wege zur Ausbeutung der Naturschätze und Naturkräfte zu zeigen, also neue oder bessere Handelsgegenstände zu beschaffen. Und ist es nicht die Wissenschaft, welche z. B. auch dem Kaufmann die eigentlichen Verkehrsmittel vervollkommnen, ihm die kaufmännischen Manipulationen erweitern muss? Wie wir den zum Wohlstand gelangten Bürger bedeutender Handelsplätze die freie Entwicklung der Kunst gewährleisten sehen, so ließe sich wohl auch nachweisen, dass blühende Handelsstaaten die Lieblingssitze einer freien, wissenschaftlichen Forschung gewesen sind. Aus dem von Ludwig XIV. absolutistisch regierten Frankreich wandern große Denker, wie Descartes, nach den Niederlanden; in Amsterdam konnte ein Spinoza sein philosophisches System aufbauen, und in England erwächst die Gedankenfreiheit oder wenigstens ein ungehemmter Trieb freier Forschung, nachdem dieses Eiland in die Reihe der mächtigen Handelsstaaten Westeuropas eingetreten war. Nicht bloß die Kunst, auch die Wissenschaft entfaltete sich in Holland erst dann zur vollen Blüte, nachdem es seine Flotten nach allen befahrenen Meeren ausgesandt hatte.

Weiter fassen wir nun den Einfluss des Handels auf das soziale und allgemeine Völkerleben ins Auge. Es ist jedenfalls ein belebender, erfrischender Hauch, den, das soziale Leben von dem zunehmenden Handel erhielt. Sofern der Handel eine Menge Kräfte in Bewegung setzt, ist er zugleich ein Förderer des allgemeinen Wohlstandes, wehrt er dem Pauperismus, hebt er die schroffe Scheidewand zwischen den Klassen und Ständen der Gesellschaft. Das Handelsinteresse duldet keine starre Absonderung, keine unübersteiglichen Schranken innerhalb der Glieder eines Volkes oder einer städtischen Gemeinde. Der Handel fördert Parität der bürgerlichen Rechte, er lässt es höchstens zu einer Aristokratie des Besitzes oder des Reichtums kommen. Diese aber steht allen offen, die tätig ihrer Arbeit obliegen und vom Glücke nicht ganz verstoßen werden. Kaum ließe sich ein Staat mit der Herrschaft eines exklusiven Geschlechtsadels anführen, in welchem der Handel auf die Dauer ein schwunghafter geworden oder geblieben wäre. Es ist das Prinzip der Gleichheit vor dem Gesetz und der Gleichberechtigung aller Staatsangehörigen, es ist der Grundsatz des ungehemmten „Vorwärts" für jeden Einzelnen im Staate und in der Gemeinde, der sich bei Handelsvölkern Bahn bricht. Und forschen wir nach den Ursachen, aus denen z. B. Carthago oder Spanien, oder einige der einst blühenden, italienischen Handelsstaaten von ihrer Handelsgröße herabsanken, so müssen wir u. a. auf die ungesunden sozialen Verhältnisse in diesen Staaten zurückgehen. Freie Konkurrenz, freie Arbeit, freien Zutritt zu allen Annehmlichkeiten und Rechten des bürgerlichen Lebens predigt ohne Zweifel das Interesse des Handels.

Wir haben das Handelsinteresse — nach der sozialen Seite — aufzufassen als ein Hauptmittel, um die Ehre der Arbeit zur Anerkennung zu bringen. Dieses Interesse duldet keine vornehmen Faullenzer; es setzt Alles in Leben und Rührigkeit; die Aussicht auf Gewinn entfesselt die vergraben gebliebene Kraft des Volkes.

Sodann bringt der Handel Fürst und Volk oder Bürgertum einander näher. Es geschieht besonders in Folge des Handels, dass der Geschlechtsadel und die Klasse der vornehmen Vasallen aus dem ausschließenden Einfluss auf den Thron, aus der alleinigen Gunst des Fürsten gedrängt wird. Wir sehen den Kreis der Vollbürger sich erweitern, in dem Maße, in welchem der Handel an Umfang zunimmt. Die deutschen Kaiser steigen ab in den fürstlichen Wohnungen der Fugger, Welser — dieser Rotschilde des 16. Jahrhunderts — sie treten in nähere Beziehungen zu den reichen Patriziern unserer süddeutschen Städte. Sie werden dem Bürgertum näher gebracht. Es bildet sich überhaupt der Gedanke heraus, dass dem Menschen sein Werth noch durch etwas Anderes verliehen werde, als durch sogenannte reine Rasse, oder durch jene noblen Passionen des Kriegs, der Jagd, der galanten Abenteuer und allerlei ritterliche Künste — oder gar durch vornehme Nichtstuerei. Besonders aber möchte ich da noch auf die in Handelsstädten und Staaten rasch zunehmende Bevölkerung hinweisen. Je mehr Bewohner, desto mehr Arbeitskräfte treten in den Dienst des Handels. Es braucht tausend fleißiger Hände zur Beschaffung des Rohmaterials, zur Verarbeitung desselben, zur Herstellung und Instandhaltung der Verkehrsmittel, sowohl der Straßenbauten, als der verschiedenartigsten Transportartikel. Warum nahmen Holland, Brandenburg, England so gern die aus Frankreich geflüchteten Hugenotten, die aus Salzburg verdrängten Protestanten? Vorwiegend doch aus industriellen und Kommerziellen Interessen! Wo nehmen die Flecken und Städte am raschesten an Bevölkerung zu? wo werden deren in verhältnismäßig kurzer Zeit am meisten gegründet? — in Ländern mit blühendem Handel. Das sehen wir nirgends so eklatant, als in Nordamerika, dessen unglaublich rasche Besiedelung und Herausbildung zu einem Kulturlande im letzten Grunde dem gewaltigen Exportgeschäfte seiner atlantischen und pazifischen Häfen zuzuschreiben ist. — Und es bedarf da, wo der Handel blühen soll, nicht bloß einer rührigen, sondern auch einer intelligenten Bevölkerung. Verdankt der Kaufmann auch viel seinem Fleiße und seinem Glücke, so doch gewiss nicht wenig seiner Intelligenz, seinen Kenntnissen, seiner gesummten umfassenden Bildung; Produkten-, Länder- und Völkerkunde, vollständige Kenntnis der mancherlei schwierigen Börsen- und Bankgeschäfte, der Gesetze der Nationalökonomie, sowie eine ausgebreitete Sprachkenntnis sind dem Großhändler wenigstens, wie dem Reeder, fast unentbehrlich. Die sogenannten Handelswissenschaften umschreiben einen gewaltigen Kreis ebenso interessanter als zum Teil sehr schwieriger Probleme. Es ist eine höchst traurige Verblendung noch Vieler, welche dem Jünger des kaufmännischen Berufs einen möglichst niedrigen Grad von Kapazität, einen möglichst kleinen Umfang von Kenntnissen zumuten zu dürfen meinen. Der wahrhaft durchgebildete Kaufmann stellt sich sofort ebenbürtig den Hauptträgern der Staats-Verwaltung an die Seite. So mancher Epoche machende Finanzminister hat seine Vorschule in dem Comptoir eines Bankgeschäftes durchgemacht.

Die Entfesselung der Arbeit und des Arbeiters von allen unberechtigten Lasten, wie sie das wahre Interesse eines Handelsstaates fordert, wird aber nun der ganzen Physiognomie eines solchen Staates sein eigentümliches Gepräge geben. Mit selbstbewusstem Stolze kann da Jeder einhergehen; was der Andere noch vor ihm voraus hat, das steht auch ihm als erreichbar vor Augen. Freilich die Kehrseite des Bildes kann hier am wenigsten vertuscht werden. Das soziale Leben bei Handelsvölkern wird auf der einen Seite jene wohltuende Freiheit der Bewegung des Einzelnen, jene rührige Tätigkeit der großen Masse, jenen überall verbreiteten Wohlstand darbieten (wie z. B. in England), aber daneben wird es auch kaum an engherziger Gewinnsucht, einseitigem, rücksichtslosem Streben nach materiellen Gütern fehlen. Die Gefahren des reichen Besitzes für die Sittlichkeit im Privat- und öffentlichen Leben sind noch jeder Zeit zugestanden worden und au der zu großen, zu scharf ausgeprägten Liebe zum Gewinn und den, mit ihm verknüpften, Genüssen ist mehr als ein mächtiger Handelsstaat zu Grunde gegangen.

Auch das Assoziationswesen ist durch das Handelsinteresse ungemein gefördert worden: all diese Assekuranzen und Wohltätigkeitsanstalten, welche sich auf gemeinsame Anlegung von Kapitalien für den oder jenen Zweck beziehen, all die Aktienvereine und Geldinstitute, die mehr oder weniger zur Förderung der Industrie, zur lebhafteren Zirkulation der Gütermassen und zur Befriedigung des Bedürfnisses, der Nachfrage nach Arbeit beigetragen haben, — sie sind wiederum auf die Interessen des Geschäftsmanns zurückzuführen. Allerdings darf man hier auch jene Schwindeleien nicht übersehen, welche durch ein auf die Spitze getriebenes Aktiengeschäft oder durch irgend welche andere trügerische Spekulationen ins Leben gerufen worden sind, um unzählige Menschen in unverdiente Armut zu stürzen. Niemandem aber kann entgehen, dass mit dieser Belebung des Assoziationsgeistes zunächst für rein materielle Zwecke doch auch in anderer Beziehung der Geist für gemeinsame Unternehmungen, der Sinn für Einheit und festes Zusammenschließen oder Konzentrieren der Kräfte geweckt wurde. Mit der Ausbildung des auf wohlbegründete staatswirtschaftliche Prinzipien sich stützenden Geldwesens, welche eben doch Sache des Handels ist, wurden eine Menge Mittel und Wege gefunden, um teils im Großen die Vermögensverhältnisse der Staaten nach Kräften zu fördern, etwaigen drohenden Krisen vorzubeugen, teils aber auch zur Besserung der materiellen Lage der sogenannten kleinen Leute beizutragen. Eine der am schwersten wiegenden Fragen aller Staatsmänner, wie dem Pauperismus eines mächtig aufwachsenden Proletariats am sichersten abzuhelfen sei, wird sicherlich vorwiegend durch hochgebildete Vertreter des Handelsstandes aufgegriffen und einer glücklichen Lösung entgegengeführt werden müssen. Und das Interesse des Handels wird es sein, das vorzugsweise zur Befriedigung laut gewordener Bedürfnisse der brotlosen Menge die Hand zu bieten hat. Wer träte dem nach Arbeit suchenden und nach Brot schreienden großen Haufen naher, als eben der Kaufmann und der Industrielle? Es gibt in der Tat keine Macht im Staate, welche gleich dem Handelsinteresse den düstern Blick in die Zukunft des sozialen Lebens aufhellen könnte. Und je mehr der Kaufmann sich dieser seiner sozialen Aufgabe bewusst wird, desto näher rückt die Möglichkeit, die dringendsten Wünsche des Nationalökonomen zu befriedigen. Der Handelsgeist entwickelt eine bewundernswerte Kraft in Aufdeckung neuer Quellen der Arbeit und somit des Verdienstes und Gewinnes; dieser Handelsgeist weiß noch unbetretene Bahnen und Gebiete zu entdecken, auf welche die Tätigkeit und Arbeitskraft der besitzlosen Menge hingeleitet werden kann.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Die kulturhistorische Bedeutung des Handels.