Änderung der Judengesetzgebung

Im eigentlichen Deutschland blieb es beim alten. Die Gesetzgebung wurde nicht geändert. Aber während bisher nur Schriftsteller die Sache ihrer Glaubensgenossen oder die Angelegenheit der Humanität verfochten hatten, traten nun die Juden mit einer eifrigen Tätigkeit selbst auf den Plan. Den ältesten der Berliner Judenschaft, vor allem dem wackeren David Friedlaender, einem hochgebildeten Kaufmann, dem Lieblingsschüler Mendelssohns, der sich in seinen Mußestunden als eifriger Sammler auch gern mit Fragen der Kunst beschäftigte und wegen einer solchen Tätigkeit durch Vermittelung Zelters mit Goethe in Berührung kam, gebührt hauptsächlich das Verdienst unentwegt für die innere Reform der Juden und für eine bessere Gestaltung ihrer äußeren Lage eingetreten zu sein. Diese Tätigkeit setzt ein unmittelbar nach dem Tode Friedrich des Großen und findet durch das Edikt vom 11. März 1812 ihren Abschluß. Für unsere Zwecke sei nur das hervorgehoben, was sich auf die Dienstpflicht der Juden bezieht.

Während der ersten Phase der Verhandlungen übersandte das preußische Generaldirektorium am 18. Dezember 1789 eine Abschrift seines Gesamtberichts über die Judenfrage dem Oberkriegskollegium mit dem Ersuchen, wegen der Punkte, welche die künftige Militärverbindlichkeit der Juden beträfen, nach Rücksprache mit der Mobilmachungs- und Kantonskommission sich gutachtlich zu äußern. Die jüdischen Deputierten, die gleichfalls befragt wurden, lehnten es ab ,,eine Erklärung wegen der Übernahme der Enrollementspflicht für ihre Kommittenten abzugeben. Diese würden ihnen mit Recht den Vorwurf machen, sie hätten sich für ihre Nachkommen Rechte und Freiheiten auf ihre Kosten erworben und wären dadurch an ihnen zu Verrätern geworden.“ Man muß zum Verständnis dieser Erklärung berücksichtigen, daß damals in Preußen die allgemeine Wehrpflicht nicht bestand, größere Städte und bestimmte Personenkreise von der Militärpflicht befreit waren. Die verschiedenen militärischen Behörden, die um ihr Gutachten angegangen worden waren, erklärten nach der Formulierung des Oberkriegskollegiums ihrerseits ,,daß die Juden wohl nicht für den Militärdienst brauchbar gemacht und dabei werden employiert werden können.“


Ein neues Gesetz war dem Abschluß nahe (1792), als die Kriegsverhältnisse einen Aufschub nötig machten; die folgenden Jahre vergingen mit resultatlosen Verhandlungen. In ein weiteres Stadium gelangten die Bestrebungen erst nach dem Regierungsantritt des Königs Friedrichs Wilhelms III. Schon im Jahre 1800 war eine Änderung der Judengesetzgebung im Prinzip entschieden. Während aber ein Reglement ausgearbeitet und mit vielen Bedenken der Juden begleitet wurde, tobte in Berlin der Schriftenkampf für und wider die Juden, der unter dem Namen des Grattenauer'schen Kampfes bekannt ist. So heftig nun Grattenauer und Konsorten gegen die Juden auftraten, und ihnen die schlimmsten Verbrechen und abscheulichsten Taten zuschrieben, so wacker auch die Verteidiger sich der Juden annahmen, - die Frage, die uns hier im besonderen berührt, wurde verhältnismäßig wenige angeschnitten. Einer der Gegner sagte freilich geradezu: ,,Soldaten können die Juden nicht werden, weil kein christlicher Soldat aus Gefühl für Ehre mit ihnen dienen würde.“ Dagegen wagte der Freiherr v. Diebitsch eine ziemlich schwache Verteidigung, in der er freilich nichts anderes zu sagen wußte, als daß in einem wohlgeordneten Staate der Soldat nicht der Stimme seines Gefühls, sondern den Befehlen seiner Vorgesetzten zu folgen habe.

Bis zur Katastrophe Preußens von 1806 wurden nur einzelne Punkte der Reform der Judengesetzgebung, besonders das Recht ,,der Ansetzung des zweiten Kindes“ infolge vielfacher Eingaben der jüdischen Gemeinden innerhalb des Ministeriums erwogen. Erst die Niederwerfung Preußens und die damit im Zusammenhang stehende große Reformtätigkeit brachte die Frage der Reform im allgemeinen, und der Berechtigung der Juden zum Militärdienst im besonderen wieder in Fluß. Jetzt handelte es sich indessen nicht bloß um einzelne Verbesserungen, sondern um eine grundsätzliche Regelung; die Notwendigkeit, alle Kräfte zur Hebung des Staates heranzuziehen, gab den Ausschlag.

Der Minister Schrötter, ehedem ein unbedingter Gegner der Juden, wurde ihr Fürsprecher. Früher war eines seiner Hauptbedenken die militärische Untüchtigkeit der Juden gewesen; er wurde jedoch von dem Königsberger Judenältesten, dem Bankier Caspar mit Hinweis auf einen Juden Berck, der unter Coszciusco ein Freikorps errichtet hatte, und zum Chef eines Eskadronregiments avanciert war, eines besseren belehrt. (1808). Infolgedessen unterbreitete er dem König einen Entwurf, in welchem über die Frage, die uns hier beschäftigt, Folgendes ausgeführt war:

,,Der Jude hat orientalisches feuriges Blut und eine lebhafte Imagination. Alles Anzeichen einer männlichen Kraft, wenn sie benutzt und in Tätigkeit gesetzt wird.

Er ist in der älteren und auch in der mittleren Zeit sehr tapfer gewesen und man hat selbst in ganz neuerer Zeit, sowohl im amerikanischen als französischen Revolutionskriege auffallende Beispiele von Juden gehabt, welche sich ausgezeichnet haben.

Die Feigheit der Juden entspringt, meiner Ansicht nach, aus der Sklaverei, in der sie gehalten und aus der Verachtung, mit der sie von allen Nationen behandelt werden.

Die Opinion der Nation hat ihnen, wie dem weiblichen Geschlecht, die Furchtsamkeit als ein Attribut ihrer Natur angedichtet und sie haben am Ende selbst daran glauben müssen; haben aber Weiber, in heroische Lagen versetzt, selbst die Opinion zu bekämpfen gewußt, wieviel mehr sollte man es unter gleichen Umständen, nicht auch von jüdischen Männern erwarten können?“

Überdies, so meinte er, sei die Konskriptionsfähigkeit der Juden jetzt in allen kultivierten Ländern anerkannt und da auf Schlesien, Ostpreußen und die Marken wenigstens 50.000 jüdische Seelen zu rechnen seien, könne der Staat in jetziger Zeit zur Verteidigung des Vaterlandes nicht auf sie verzichten.

Lehnte es der König nun auch ab, sich im gegenwärtigen Augenblick über die Heerespflicht der Juden zu äußern, so beauftragte er doch den Minister Schrötter, einen Entwurf dem Ministerium vorzulegen. Dieses geschah am 22. Dezember 1808.

Die auf den Heeresdienst bezüglichen Bestimmungen des Schrötterschen Entwurfs wurden in § 18-20 zusammengestellt und lauten folgendermaßen:

,,§ 18. Der Militär-Konskription oder der Kantonpflichtigkeit und den besonderen Vorschriften hierüber sind die Juden ebenfalls und zwar im strengsten Sinn unterworfen.

§ 19. Sie werden daher nach Verlauf von 6 Monaten und sobald als ihre Familiennamen bestimmt sind, den Vorschriften des Kanton-Reglements gemäß, in die Kanton-Bücher und Stamm-Rollen eingetragen, und bei Aushebung der Rekruten ihrer Qualifikation gemäß eingezogen.
§ 20. Desertiert ein im Militär angestellter Jude, so müssen die Mitglieder der kirchlichen Gemeinde, zu welcher er gehört, zwei ihrer Glaubensgenossen aus ihrer Mitte statt seiner bestellen.“

Dieser Entwurf wurde, nachdem Schrötter aus seinem Amte geschieden war, von dem Ministerium Dohna-Altenstein beraten. Bei den Gutachten der verschiedenen Minister und Räte, unter denen das Wilhelms v. Humboldt wohl das eigenartigste und tiefste ist, wurde auch die Heerespflicht berührt. Nach Freunds Zusammenstellung, (S. 56) ist darüber das Folgende zu sagen:

,,Der Zusatz, daß die Juden der Konskription und Kantonpflicht im strengsten Sinne unterworfen sein sollten, schien dem allgemeinen Kriegsdepartement mehr nachteilig als nützlich, weil er den Nebenbegriff herbeiführte, ,,als ob ihnen dabei mehr aufgelegt werden sollte, wie den christlichen Staatsbürgern.“

Die Bestimmung, daß für jeden jüdischen Deserteur seine Glaubensgenossen zwei Ersatzmänner zu stellen hätten, erachtete das Departement für ,,um so h?rter, als gerade für sie die Verpflichtung im Militär zu dienen, an sich ganz neu, und nach ihrer Ansicht und dem von ihnen präsumierten Charakter vielleicht die lästigste von allen ist.“ Auch Köhler und Humboldt sprachen sich gegen eine derartige Verpflichtung aus, weil ein neues Sozietätsverhältnis unter den Juden geschaffen würde, ,,wenn man die kirchliche Gemeinde in politische Anordnungen mischt“, Humboldt überdies auch aus dem weiteren Grunde, ,,weil man den Unterschied zwischen Juden und Christen, den man beseitigen wolle, von neuem begründe, wenn man die Desertion eines Juden härter bestrafe.“ Daß sie nicht häufig sei, dafür werde der Spott und die Vorwürfe der Christen sorgen. ,,Geschähen indes auch wirklich ein paar Desertionsfälle mehr, muß denn der Staat jeder einzelnen Kontravention so ängstlich vorbeugen?“

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Die deutschen Juden und der Krieg