Kriegsdienst am Sabbath!?

Gegen diese Stelle, wie gegen andere des Dohm’schen Buches machte Michaelis starke Einwendungen. Er konnte zwar die von Dohm angeführten Bemerkungen nicht entkräften, meinte aber, das Exerzieren würden die Juden am Sabbath nicht üben, und glaubte seinen Gegner abzuführen, indem er bemerkte, ,,unsere Regimenter würden sich doch wegen der Exerziertage nicht nach untergesteckten Juden richten, auch nicht eigene Regimenter von bloßen Juden errichtet werden sollen.“ Vor allen Dingen will er die Stelle des Maimonides nicht gelten lassen; er druckt sie zwar ab, schließt aber daraus das Folgende: ,,Das ist weiter nichts, als was wir längstens wissen, und im Mosaischen Recht gesagt ist, daß die Juden erlauben, sich am Sabbath zu verteidigen, wenn man angegriffen wird, und ihr Leben in Gefahr ist: Also wo dieser Fall nicht eintritt und der Feind so klug ist als Pompejus, da er Jerusalem belagerte, am Sabbath gar nicht anzugreifen, darf der Jude nicht fechten, nicht selbst den Angriff, nicht einen Ausfall aus der belagerten Stadt tun, wie Approchen und Belagerungswerke zu zerstören, nicht den flüchtigen Feind verfolgen, nicht marschieren, dies alles völlig der jüdischen Geschichte von Johann Kyrkans Zeit an gemäße Kasuistik. Sogar der sonst am vernünftigsten denkende Josephus, einer nicht von der abergläubischen neupharisäischen, sondern von der bessern Sekte der alten Pharisäer, selbst Anführer der Juden im Kriege, hält es für eine Entheiligung des Sabbaths, daß die Juden, da Cestius Gallus sich mit der römischen Armee Jerusalem nähert, einen Ausfall tun, die Römer schlagen, so daß 515 Römer und nur 22 Juden bleiben und dies noch dazu, da dieser Ausfall so nahe dabei war, den Ausschlag des ganzen Krieges zu geben, denn er sagt selbst, wenn nicht die römische Reiterei eben zu rechter Zeit zu Hülfe gekommen wäre, so würde Cestius mit der ganzen Armee in Gefahr gewesen sein. Was könnten wir mit solchen Soldaten, die noch dazu durch National- und Religionsbande miteinander verbunden wären, anfangen? Besser haben wir sie gar nicht, wenn sie auch nach dieser über zweitausend Jahr alten wunderlichen Auslegung des bessern mosaischen Gesetzes dienen wollten. Hätte der gelehrte Jude, der Herrn Dohm Maimonides Stelle mitteilte, auch völlig so gedacht, wie ich im Mosaischen Recht, so hat er doch meine Meinung mit keiner ihr beistimmenden jüdischen Autorität belegen können; sie bleibt also bloß meine und ist nicht der Juden Meinung.“ Aber er geht weiter: Er behauptet nämlich, den Juden fehle vielleicht infolge ihrer frühen Ehen, vielleicht infolge der ungemischten Rasse das richtige Soldatenmaß.

Wider solche Ausführungen wandte sich sowohl Mendelssohn als Dohm selbst. Der erstere bemerkt ziemlich kurz: ,,Was Herr Michaelis von unserer Untauglichkeit zum Kriegesdienste sagt, lasse ich dahingestellt sein, will er, daß die Religion den Trutzkrieg gutheiße, so nenne er mir die unselige, die es tut. Die christliche sicher nicht. Und werden nicht Quäker und Menonisten geduldet und mit weit anderen Vorrechten und Freiheiten geduldet als wir.“ Aber er gebraucht in seiner kurzen Ausführung die goldenen Worte: ,,Soll das Vaterland verteidiget werden, so muß jeder hinzueilen, dessen Beruf es ist.“


Bevor Dohm selbst das Wort ergreift, stellt er einige Aussprüche aus den Briefen seiner Korrespondenten zusammen. Unter allen diesen geht aber nur einer auf die Soldatenfrau ein, nämlich der Prediger Schwager, der die von Michaelis angeführten religiösen Bedenken wegen des Sabbath teilt und die Juden im allgemeinen für ,,feige Memmen“ erklärt.

Dohm selbst erörtert die Kriegsfrage ziemlich ausführlich. Er bemerkt, ,,es bleibe also Grundsatz, daß die Juden nicht völlige Bürgerpflichten erfüllen und den Staat so gut wie andere verteidigen wollen.“ Dann setzt er auseinander, ,,Man hat also Recht, auch von den Juden ganz unbeschränkte Kriegsdienste zu fordern. Jetzt können sie dieselben freilich nicht leisten, weil die Unterdrückung, in der sie so lange gelebt, den kriegerischen Geist und persönlichen Mut bei ihnen erstickt und ihre religiösen Spekulationen auf so ungesellige Paradoxen geleitet hat. Sie hatten seit anderthalb Jahrtausenden kein Vaterland, wie konnten sie also für dasselbe fechten und sterben? Aber ich bin überzeugt, daß sie dieses mit gleicher Fähigkeit und Treue wie alle andern tun werden, sobald man ihnen ein Vaterland gegeben hat. Die Beispiele, die ich aus der älteren Geschichte angeführt, sind deutlich und ich sehe nicht, warum die Juden nicht in unseren Armeen sich ebenso gut betragen würden, als ehemals in griechischen und römischen.“

Er weist sodann in Beziehung auf die neuere Geschichte darauf hin, daß in andern Ländern Juden ihre Soldatenpflicht gut erfüllt haben, daß sie 1648 Prag gegen die Schweden, 1686 Ofen gegen die Österreicher verteidigten, daß sie in Litthauen dem allgemeinen Aufgebote so gut wie andere unterworfen waren, daß in Surinam eine der zwölf Kompagnien aus Juden bestehe und daß 1781 in dem Kampfe zwischen Engländern und Holländern viele Juden dem Beispiele eines besonders tapferen portugiesischen Juden gefolgt seien, der auf der Flotte der Holländer mit ausnehmender Tapferkeit focht, bei den Holländern Dienste nahm. Er macht daher den Vorschlag, die Juden an körperliche Übungen zu gewöhnen, um sie stärker zu machen, und begegnet dem Einwande ,,daß der Jude nicht gegen seine Glaubensbrüder um des Twistes der Christen willen werde fechten wollen“ mit der Bemerkung, daß wenn die Juden erst Bürger wären, sie ebensogut wie andere ihre Bürgerpflicht erfüllen werden. Die Bemerkung aber wegen des geringen Körpermaßes der Juden hält er für hinfällig, weil die Ehre für das Vaterland zu sterben ,,auch jetzt nicht notwendig an gewisse Zolle gebunden ist und es gibt Arten von Knüppeln, die auch kleine Leute gebrauchen können.“

Diese ganze Diskussion, die keineswegs eine Abschweifung, sondern von außerordentlicher Bedeutung für unser Thema ist, hatte freilich keine weiteren Folgen. Eine gesetzliche Bestimmung, die den Juden bürgerliche Rechte gewährte und sie damit zu Kriegsdiensten brauchbar, dem Soldatendienste unterworfen erklärte, erfolgte nicht. Das Religionsedikt des österreichischen Kaisers Joseph II., das nach dem Erscheinen des ersten Teils von Dohms Schrift veröffentlicht wurde (19. Oktober 1781), gewährte den Juden zwar manche Freiheit, hob viele drückende Maßregeln auf, berührte aber die Frage des Kriegsdienstes nicht.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Die deutschen Juden und der Krieg