Die deutschen Juden und der Krieg

Autor: Geiger, Ludwig Dr. (1848-1919), Erscheinungsjahr: 1915
Themenbereiche
Enthaltene Themen: Mittelalter, Kreuzzüge, Juden, Christentum, Germanien, Mitschuld am Tode Christi, Handelsstand,
Mittelalter und Kreuzzüge

Es ist nicht bekannt, wie und wann die Juden zuerst nach Deutschland gekommen sind. Sicherlich geschah dies schon sehr früh. Vermutlich sind Juden im Gefolge der Römer nach Germanien gezogen, einige möglicherweise schon vor der Entstehung des Christentums, so daß der Anspruch, den manche erhoben, daß sie und ihre Nachkommen nicht die Mitschuld an Christi Tod tragen könnten, da sie ja vor diesem bereits sich aus Palästina entfernt hätten, nicht völlig ungerechtfertigt erscheinen möchte. Jedenfalls existierten vereinzelte Juden, ja sogar kleinere jüdische Gemeinden in manchen deutschen, besonders in rheinischen Städten lange bevor es ein deutsches Reich gab.

In den ersten Jahrhunderten des Mittelalters waren die Juden, wie sie es von Palästina her gewohnt waren, durchaus nicht ausschließlich dem Handelsstande ergeben. Gewiß waren auch Kaufleute in ihrer Mitte; die Mehrzahl aber dürfte, wenn auch nicht geradezu Ackerbauer, so doch Handwerker gewesen sein; Geistliche, Lehrer, Aerzte befanden sich unter ihnen. Ihre Lage war nicht schlecht, in manchen Städten erscheinen sie als Bürger, einzelne bekleideten sogar städtische Aemter. Wurden auch schon frühzeitig Stimmen der Abneigung gegen sie laut, als gegen die fremden Einwanderer und gegen die Mörder Christi, wurden sie daher auch ziemlich früh mit schweren Abgaben belegt durch entehrende Abzeichen (den gelben Fleck) gekennzeichnet, und dadurch leicht dem Gespött und rohen Angriffen preisgegeben, wurden sie auch nicht minder früh auf einzelne Gassen beschränkt, so erhob sich die Feindschaft gegen die Wucherer erst dann, als die Juden durch schwere Bedrückungen und noch schlimmere Gesetze von jeder anderen Tätigkeit ausgeschlossen und notwendig zu Geldgeschäften gedrängt wurden.

Die schwerste Zeit begann für die deutschen Juden in den Kreuzzügen, da die religiös erhitzte Menge der Kreuzfahrer und die mit jenen verbundene Masse des raublustigen Pöbels Verfolgungen wider sie begann. Diese Leiden wurden immer schlimmer während der späteren Jahrhunderte des Mittelalters, da Städte und Landesherren die Juden als die willkommensten Steuerobjekte betrachteten und da die Kaiser, die sie als Geldquelle schätzen gelernt hatten, und die sie gern als notwendige und wohltätige Aushülfe behalten hätten, sie nur mühsam zu schützen vermochten. Ihre Lage wurde immer elender, als die falschen, zwar niemals bewiesenen, aber stets und immer lauter wiederholten Anklagen von Hostienschändung, Schmähung der Christen und ihrer Glaubenssätze in den jüdischen Schriften, von Tötung christlicher Kinder zu religiösen Zwecken, von Brunnenvergiftung sich mit den zwar gerechtfertigten, aber nicht von den Juden, sondern durch eine schlimme Gesetzgebung verschuldeten Anklagen wucherischer Aussaugung zu einem üblen Chorus vereinigten.

Unter den Anklagen der judenfeindlichen Schriften während des Mittelalters und zum Beginne der neuen Zeit, die den Juden freilich wenig Neues, sondern nur Altes in veränderter Gestalt boten, erklang bisweilen auch der Vorwurf, sie, die kein Vaterland hätten, wären ungeeignet Deutschland zu verteidigen. Schon ihre Zeremonien und ihre vielen Feiertage hinderten, so behauptete man, sie, das Waffenhandwerk zu treiben, zu dem sie überdies ihre schwache Konstitution und die Feigheit, deren man sie bezichtigte, unfähig machten. Trotzdem mag es vorgekommen sein, daß gelegentlich sich auch unter den Söldnern, aus denen die Heere des Mittelalters und des 16. und 17. Jahrhunderts ausschließlich bestanden, ein Jude befand; als Händler folgten sie gewiß vielfach dem Trosse und nahmen so einen geringen aktiven Anteil an den Kriegen der Vorzeit, an denen sie, wie recht- und wehrlose Leute passiven Anteil dadurch hatten, daß sie von den protestantischen und katholischen Kriegsscharen, von Rittern und Bauern zu allen Zeiten als bequemes Mittel zur leichten Bereicherung angesehen und behandelt wurden.