Heiteres Leben

Libau hat nie die Ehre gehabt, ein eigentliches stimmführendes Mitglied der Hansa zu sein. Dennoch aber hat sich die Stadt in alten Zeiten immer als Hansastadt geriert und sich in jeder Hinsicht zum Bunde gehalten. Ihre Bürgermeister sind noch in diesem Augenblicke nicht unbedeutende Leute. Auch haben die meisten fremden handeltreibenden Nationen hier ihre Consuls; doch gibt es mehr Consuls, als wohl unumgänglich nötig wären, da die Kaufleute nach diesem Titel und Amte sehr begierig sind, die sie von manchen städtischen Lasten befreien und ihnen in Russland den Genuss mancher Privilegien verschaffen.

Mein Reisegesährte —husen führte mich in den ihm befreundeten Kreis ein, in dem ich die Bekanntschaft manches gebildeten und angenehmen Mannes machte. Die Leutchen leben hier äußerst gemächlich und namentlich was Küche und Keller betrifft, fehlt es an gar nichts, und eine Einladung zu einem Frühstück, Diner oder Souper bei einem Libauer Kaufmann auszuschlagen, würde immer ein sehr dummer Streich von einem Gourmand sein. Außer den gewöhnlichen Freuden, die eine Tafel überall bieten kann, reizen den reisenden und wissbegierigen Fremden insbesondere noch die delikaten Strömlinge*), die so zart sind, dass sie, mit Kopf und Schwanz verzehrt, auf der Zunge von selbst zerschmelzen, — die fetten Renntierzunge, die man leicht aus Finnland bezieht, und welche einen sehr angenehmen Leckerbissen bilden, — der litauische weiße Honig — und eine Menge eingemachter Beeren, die im Norden weit besser und reichlicher gedeihen als bei uns. Aufs Butterbrod perlt der besste russische Kaviar und ins Glas Champagner, Madeira, Portwein und was sonst noch hübsche Perlen bildet. In den schönen russischen Karavanentee taucht man die — ach so unvergesslichen — kurischen Schmantkuchen — und zum litauischen Schnaps die ganz ausgezeichneten gewürzten Speck- und Kümmelkuchen. In der Tat, spiegelt sich die innere Solidität eines Volks auch auf seiner Tafel wieder, so muss der Reisende dem Litauischen Völkchen einen sehr soliden Charakter vindizieren; denn auf seinen Speisetischen findet er Fremdes und Einheimisches, Warmes und Kaltes, Nasses und Trockenes, vom holländischen Heringe, mit dem man die Tafel eröffnet, bis zum Konfekt und Gefrorenen, mit dem man schließe, Alles nur von vorzüglichster sowohl Qualität als Quantität.


*) Diese Strömlinge sind eine Art kleiner silbergeschuppter Fische, die an den kurischen und estnischen Küsten gefangen werden (nicht an den schwedischen, und eben so wenig an preußischen und finnischen Küsten). Die bessten heißen Killo-Strömlinge. Gewöhnlich meint man, dass dies „Killo“ ein Ort oder eine Insel an der estnischen Küste sei. Einige Estländer sagten mir, dass das Wort Killo so viel als „klein“ heiße, andere leugneten dies, und ich kam darüber trotz vieler Nachfragen nicht aufs Reine. Die Fische werden mit Pfeffer, Salz und Essig eingemacht und dann weit und breit versandt. Sie gehen auch durch ganz Russland. Die Russen haben bloß das Wort „Killos“ aufgefasst, dasselbe nach ihrer Weise etwas russifiziert und nennen nun diese Fische „Kilki.“

Übrigens vermisst man auch sonst nichts, was einer ordentlichen Stadt eigen zu sein pflegt. Libau hat seine geringen, besseren, vornehmen und vornehmsten Kreise,— seine Senatoren und Älterleute, vor denen Jeder, wenn er ihnen am Hafen begegnet, den Hut zieht, — seine Gelehrten und Weisen, die Jedermann für Orakel hält, — seine komischen Charaktere, von denen tausend Anekdoten kursieren, — seine Schwätzer und Neuigkeiten-Krämer, — mit einem Worte seinen ganzen Stadt-Mikrokosmus, wie ihn unsere Städte im Großen zeigen.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Die deutsch-russischen Ostseeprovinzen Bd1