Blaue und rote Garde

Die Bürgerschaft Libaus ist eine eben so ehrsame und achtbare wie die Bürgerschaften anderer deutschen Städte. Ihre politische Organisation gleicht ganz den Einrichtungen der deutschen Hansestädte. Auch haben die Bürger wie in unseren Republiken und wie gleichfalls in andereu kurischen und Inländischen Städten Waffenverbrüderungen unter einander. Sie teilen sich in „die rote, grüne und blaue Bürgergarde,“ antike Benennungen und Institutionen, die zum Teil ein mehr als hundertjähriges Alter haben.

Jede dieser Garden hat ihre besonderen Statuten und ihre besonderen Fahnen. Der einen gehören die verheirateten Kaufleute und die Bürger der ersten Gilde an, der anderen die Kaufmannsdiener und der dritten die Handwerker der zweiten und dritten Gilde. Diese Garden haben erstlich die Pflicht, die Stadt im Notfalle zu verteidigen, und zweitens das Recht, ihre Landesherren bei ihren Besuchen in feierlichen Aufzügen zu empfangen und im Namen der Stadt zu begrüßen.


Eine von diesen Garden ist beritten, ich glaube, die blaue. Doch könnte es nicht schaden, wenn ihre Anführer zuweilen etwas fester im Sattel säßen als jener, der bei dem letzten Besuche des Kaisers Alexanders in Libau im Angesichte seines Landesherrn vom Pferde fiel, was folgendermaßen zuging. Die blaue Libauische Garde hatte sich vor dem Hause des Kaisers in Parade aufgestellt, Herrn Major Friedrichs an der Spitze. Der Kaiser, der zu Pferde gestiegen war, um die Merkwürdigkeiten der Stadt in Augenschein zu nehmen, wollte den Major der blauen Garde als Cicerone zur Seite haben. Er ritt mit einigen Sprüngen seines Pferdes auf ihn zu und rief vielleicht etwas barsch und rasch: „Major Friedrichs!“ — Der Major, der bisher noch so wenig vor einem Kaiser wie vor der Mündung eines Zwölfpfünders zu Pferde gesessen hatte, befand sich eben in so außerordentlicher Spannung über die Dinge, die da kommen würden, dass, als er nun auf ein Mal so unerwartet seinen eigenen unbedeutenden Namen aus so erlauchtem Munde vernahm, dies mit einer eben so mächtigen elektrischen Kraft auf ihn wirkte, als hätte man ihm eine Bombe ins Ohr geschossen. Er fuhr zusammen, wie vom Blitze getroffen, und als der Kaiser noch ein Mal sich umwandte, „Major Friedrichs!“ rufend, sah er denselben aus Übermaß von Respekt auf das Straßenpflaster gefallen. Sein Pferd aber, das er in den Zuckungen des Schreckens noch mit den Sporen verwundet, war wütend davon gesprengt und hatte die größte Unordnung in die Reihen der blauen Garde gebracht.

Das letzte Pulver sahen — man kann nicht sagen, dass sie es rochen, — die roten, blauen und grünen Garden von Libau im Jahre 1831, als zur Verteidigung der Stadt gegen die Polen Pulver und Flintenkugeln unter sie ausgeteilt wurden. — Ganz Kurland war damals 5 Monate hindurch in einer Verfassung und in einer Stimmung, wie Leute, in deren Nachbarhause es brennt. Übrigens, wären auch die Polen nach Libau gekommen, — was sie unbegreiflicher Weise unterließen, — so wären ohne Zweifel keine anderen Kanonen aufgefahren worden als die, von welchen die Studenten singen: „lasset die feurigen Bomben erschallen,“ und es wäre zu keinem anderen Blutvergießen gekommen, als zu dem des Rebenbluts, von dem die Litauer große Freunde sind, und mit dem sie nach der Kapitulation die Polen eben so reichlich traktiert hätten, wie sie damit ihrer splendiden Gastfreundlichkeil gemäß alle Fremde regalieren.

Dem Allen zum Trotz wollte mir die Stadt bei diesem meinem ersten Aufenthalte in keinem recht freundlichen Lichte erscheinen, besonders da mir mein sehr antirussischer Kapitän Schmidt allerlei sehr betrübte Gedanken über das Land, das ich betreten, in den Kopf gesetzt hatte. Ich ging daher noch alle Morgen und Abende an Bord meiner Louise, die ich gewissermaßen noch als ein Stück meines Vaterlandes betrachtete. Und als ich endlich am fünften Morgen mit einem jüdischen Dreigespann*) über die Libau'sche Hasenbrücke trabte, und mein Kapitän auf mein abschiednehmendes Schnupftuchwinken seine Rostocker Flagge zum Gegengruß aufhissen ließ, konnte ich mich nicht der tiefsten Betrübnis, enthalten und fuhr in der traurigsten Stimmung durch Sandhügel und Tannenwälder, in das Innere des Landes, von dem ich nicht ahnte, wie viele Freude und Glück es mir zu gewähren bestimmt war.

*) In Litauen und Kurland sind in der Regel die Fuhrleute Juden.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Die deutsch-russischen Ostseeprovinzen Bd1