Vierte Fortsetzung

Im Osten der Stadt, größtenteils außerhalb des Weichbildes, aber im Besitze teils der Stadt selbst, teils städtischer Privatbesitzer liegt zwischen dem Schifffahrtskanal und Treptow das ausgedehnte Terrain der Cölnischen Wiesen und Haideländereien, welches in der Separation begriffen ist. Auch für dieses ist ein Bebauungsplan vorgeschlagen im Anschluss an den Plan innerhalb des Weichbildes. Es ist auch zur Verbindung der Oberspree oberhalb Treptow mit dem Schifffahrtskanal und zur Aufschließung dieses ausgedehnten Bauterrains ein Schifffahrtskanal innerhalb des Separationslandes projektiert. Es liegen also die Verhältnisse ganz ähnlich wie vor 30 Jahren mit dem Köpeniker Felde, nur dass heute für alle derartigen Unternehmungen ungleich mehr Vertrauen und viel grössere Erfolge zu erwarten sind.

Hier wäre es Sache der Stadt, durch ähnliche Anerbietungen ein ebenso schönes, als gerade für den Bau von Mittel- und kleinen Wohnungen besonders günstig gelegenes Terrain bereit zu stellen.


Allein nicht hier allein, in allen Teilen der Umgebung liegen öffentliche oder durch Separationen freigelegte Wege, welche ein ähnliches Vorgehen ermöglichen. Der sogenannte Urban, zwischen dem Schifffahrtskanal und der Hasenhaide, ist ein nach einem Bebauungsplan separiertes Terrain, in welchem es nur der Pflasterung der Straßen und der Veräusserung der zum großen Teil im städtischen Besitz befindlichen Grundstücke bedarf, um ganz ähnliche Verhältnisse, wie in dem früheren Köpeniker Felde zu entwickeln; auch südlich von dem Görlitzer Bahnhof und westlich von der Belle-Alliancestraße liegen durch Separationen freigelegte Straßen. Dass die Baugesellschaften sich dieser Unternehmungen nicht bemächtigen und nicht bemächtigen können, liegt auf der Hand, denn der Besitz ist an Straßen, welche durch die Separation freigelegt sind, ein sehr zersplitterter. Jene Gesellschaften können aber nur große zusammenhängende Terrains erwerben, um schnell und unbehindert vorwärts zu kommen. Es ist aber auch ein Glück, dass der Besitz zum Teil noch ein so geteilter ist, denn sonst würde allerdings die Besorgnis begründet sein, dass das große Kapital sich ausschließlich der Bauterrains bemächtigen könnte. Sollen aber neue Stadtteile, welche nicht für Villenbesitzer, sondern für die arbeitende und gewerbetreibende Bevölkerung bestimmt sind, lebensfähig sein, so müssen sie unmittelbar mit der Stadt verbunden und an dieselbe angeschlossen werden, auch das zeigt das Beispiel des Köpeniker Feldes, welches so lange tot liegen blieb, bis es diese Verbindungen erhielt.

Die Ausführung ausgedehnter Pflasterungen ist jetzt allerdings mit gewissen Schwierigkeiten verbunden, da es sowohl an Material, als an Arbeitskräften fehlt. Allein es handelt sich für die vorliegende Frage nicht um eine plötzliche und einmalige Abhilfe, sondern um eine dauernde Organisation dieser Verhältnisse, und da wird sich auch durch Eröffnung von weiteren Bezugsquellen und eine entsprechende Disposition das Erforderliche erreichen lassen.

Wo das aber nicht schnell genug durchführbar ist, bleibt in der Chaussierung noch immer eine Aushilfe, die allerdings in städtischen Verhältnissen wegen des Schmutzes und des Staubes nur ein vorübergehender Notbehelf sein darf, die aber doch immer den Vorzug vor vollständig ungeregelten Verhältnissen verdient, wenn sie nur mit einer ausreichenden Entwässerung verbunden ist.

Es mag nur noch erwähnt werden, dass in anderen Städten, wo die Wohnungsnot nicht annähernd den Grad .erreicht hat, wie hier, durch Anlage fertig hergestellter Strassen der Bautätigkeit ungleich mehr die Wege geebnet werden. Unvermögende Gemeinden machen zu diesem Zweck in richtiger Erkenntnis der Verhältnisse Anleihen, um ihren Städten eine gesunde Entwicklung zu sichern. Es sind die Kosten für neue Straßenanlagen auch recht eigentlich solche, welche auf die Zukunft zu übertragen sind. Jedenfalls liegt die Verzinsung und Amortisation solcher Anleihen durch eine regelmäßige Besteuerung nicht entfernt so schwer auf den Schultern der Bevölkerung, als das Steuermonopol, welches die Hausbesitzer bei einem Mangel an Wohnungen gegenüber den Mietern haben und welches zu den willkürlichsten und übertriebensten Steigerungen der Mietpreise führt, oder andrerseits der ungesunde, für alle sittlichen und materiellen Verhältnisse gleich schädliche Zustand, welcher die Folge davon ist, wenn sich eine grosse Stadt nicht frei entwickeln und ausdehnen, sondern in ihrem Innern sich immer mehr verdichten und in die Höhe schrauben muss. Das letztere durch polizeiliche Mittel zu verhindern, hat seine Grenze darin, dass man die Anzahl der Menschen, welche in einem bestimmten Raume wohnen, nicht polizeilich bestimmen kann. Wenn man auch die Dichtigkeit der Bebauung über bestimmte Grenzen hinaus durch baupolizeiliche Bestimmungen verhindern kann, so lässt sich ein Gleiches doch nicht mit der Dichtigkeit der Bewohnung erreichen. Man wird sich sogar hüten müssen, durch das Verbot eines zu engen Bebauens in Verhältnissen, wie die hiesigen, geradezu das zu dichte Wohnen herbeizuführen.

Es ist aber keineswegs die notwendige Folge der Lebensverhältnisse in einer großen Stadt, dass man so eng und so dicht wohnt, wie dies allerdings in den meisten großen Städten, namentlich aber hier der Fall ist. Es ist nur, wie schon oben angedeutet, eine krankhafte und durch Vernachlässigung verschuldete Missgestaltung, wenn ein solcher Zustand entsteht. Die Bautätigkeit folgt willig den gesunden und natürlichen Wegen, wenn ihr solche nach Aussen geebnet werden, und die Entfernungen lassen sich durch Kommunikationsmittel viel leichter überwinden, als alle diejenigen Übel, welche wir im Gefolge der jetzigen Zustände zu erdulden haben.

Auch eine geordnete Entwässerung lässt sich nur in solchen Straßen erreichen, die planmäßig im Zusammenhang entstehen. Und dieser besonders wichtige Teil der öffentlichen Anlagen sollte niemals, wie hier allgemein, durch die Unternehmer, sondern stets von den städtischen Behörden ausgeführt werden. Wie jetzt hier die Entwässerungsanlagen entstehen, sind dieselben nur ein einstweiliger Notbehelf, jeder Unternehmer hilft sich so gut wie er kann, oder so schlecht, wie es ihm gestattet wird. Es liegt auch auf der Hand, dass wenn man wirklich nach einem bestimmten Entwässerungsprojekt bauen wollte, es doch nicht zulässig, wenigstens sehr unbillig wäre, einem Unternehmer, welcher unterhalb eines Flutgebietes liegt, die Anlage kostspieliger Kanäle aufzuerlegen, die nur dazu dienen, den oberhalb gelegenen Straßen künftig Vorflut zu schaffen.

Auch sind die Zeit- und Zinsverluste, welche den Baugesellschaften und den kleineren Privatunternehmern aus der Herstellung der Strassen mit diesen provisorischen Entwässerungen erwachsen, sehr erheblich.

Die Dammschüttungen, das Setzen derselben, bevor die Tonrohre eingelegt werden, das Setzen der Bettungen für die Tonrohre, die Herstellung des Pflasters, dies Alles sind zeitraubende Arbeiten, welche ausgeführt sein wollen, bevor die ersten Bauten beginnen. Müssen diese bei jeder einzelnen Strasse und jedesmal von neuen Unternehmern durchgemacht werden, so wird diese Last eine viel grössere, als wenn grosse Bauterrains von den städtischen Behörden auf einmal in dieser Weise vorbereitet und die Kosten dann repartiert werden.

Jedenfalls ist es eine Verschwendung von Arbeitskraft und Material, wenn man provisorische Anlagen macht, wo man dauernde schaffen könnte. Dass der Staat aber nicht mehr, wie in früheren Zeiten, in denen Berlin noch eine arme und der Unterstützung bedürftige Stadt war, hier mit seinen Geldmitteln eintreten kann, wie dies noch bei der Anlage des Köpeniker Feldes geschah, bedarf wohl kaum der Erörterung. Jene Leistungen liegen überall den Stadtgemeinden ob und können auch hier in Übereinstimmung mit der der Stadt zukommenden Selbstverwaltung nur von dieser getragen werden.

Gegenüber dieser den städtischen Behörden zukommenden Tätigkeit steht aber diejenige der Bauunternehmer, welche augenblicklich außer den oben bezeichneten Hindernissen mit manchen anderen Erschwerungen zu kämpfen haben. Man muss sich auch diese möglichst klar machen, wenn man einer Abhilfe näher treten will.

Zunächst fehlt es in Folge des schnell eingetretenen Bedarfes überall an Arbeitskräften, das ist nicht nur auf der Baustelle und im Atelier des Baumeisters, sondern auch in den Bureaus der Behörden der Fall. Die Bautätigkeit hat schon in diesem Jahre hier ungewöhnliche und bisher noch
nicht dagewesene Dimensionen angenommen. Eine kurze Angabe der vom Königl. Polizeipräsidium in den letzten Jahren erteilten Bauscheine wird dies am einfachsten nachweisen. Es betrug nämlich

im Jahr 1866 die Anzahl derselben 1.897,
im Jahr 1867 die Anzahl derselben 1.764,
im Jahr 1868 die Anzahl derselben 1.889,
im Jahr 1869 die Anzahl derselben 2.008,
im Jahr 1870 die Anzahl derselben 1.728,
im Jahr 1871 die Anzahl derselben 2.497,
bis zum 31. Oct. 1872 die Anzahl derselben 3.290,
macht pro 1872 nach dem Verhältnis des Vorjahres 3.773, also eine Steigerung von über 50 %.

Es sind daher Verzögerungen in der Tätigkeit der beteiligten Behörden weniger leicht zu vermeiden gewesen, wie früher.

Selbstverständlich wird hier demnächst Abhilfe durch Vermehrung der Arbeitskräfte erfolgen.

Die Bewegungen in den Kreisen der Bauarbeiter sind uns Allen bekannt. Es ist wohl zu erhoffen, dass ähnliche Krisen, wie in den beiden letzten Jahren, sich kaum wiederholen werden, denn die Unternehmer haben erfahren, dass bei den Arbeitseinstellungen nichts gewonnen wird.

Neben dem Arbeiter ist das Baumaterial der wesentlichste Faktor der Bautätigkeit. Auch in dieser Beziehung haben wir neuerdings schwere Erfahrungen gemacht; die augenblickliche Preissteigerung und teilweise der gänzliche Mangel namentlich an Ziegelmaterial hat die Bauten erheblich eingeschränkt. Hierfür wird die grosse Anzahl von Ziegeleien, welche in weitem Umkreise der Stadt entstanden sind, Abhülfe schaffen. Nur in Betreff der unzureichenden Zufuhrwege für dieses Material ist schwerer zu helfen.

Der naturgemäße Weg für Baumaterialien ist der Wasserweg, und wenn es bei uns auch nicht gerade hieran fehlt, so sind namentlich unsre Kanäle doch für wesentlich andere Verhältnisse angelegt und reichen bei weitem nicht aus, um dem jetzigen Bedürfnis zu genügen. Die wochenlangen Verzögerungen, welche der Schifffahrtsverkehr durch die engen Wasserstraßen, die geringe Größe der Schleusen, besonders aber durch den Mangel an Hafen- und Ausladeplätzen erfährt, ist ein sehr wesentliches Hindernis und trägt viel zur Verteuerung der Bauten bei. Auch fehlen neue Wasserstraßen, um neue Teile der Umgebung für die Bebauung aufzuschließen.

Zur Verbindung des Spandauer Schifffahrts-Kanals direkt mit der Spree ist deshalb oberhalb Charlottenburg bereits ein neuer Kanal in der Ausführung begriffen und für das Separations-Gebiet der Cölnischen Wiesen, wie oben angedeutet, wenigstens in Aussicht genommen.

Die Anlage des Landwehr-Kanals zwischen Böschungen und frequenten, ziemlich hoch über dem Wasser gelegenen Straßen hatte wesentlich den Zweck, die durchgehende Schifffahrt anstatt durch die Stadt, außen herum zu führen.

Jetzt dient dieser Kanal mehr als Wasserstraße zu den anliegenden Terrains, und für diesen Zweck wäre allerdings eine Erweiterung seiner Breite, sowie die Anlegung von Häfen und einer unmittelbar über dem höchsten Wasserstande liegenden Ladestraße auch für den Verkehr mit Baumaterialien in hohem Grade erwünscht. Es ließe sich dies jetzt noch erreichen, wenn die Böschungen durch Kai-Mauern ersetzt würden.

Was die Ausführung der Bauten sonst betrifft, so wird ja jede Tätigkeit um so wirksamer, je weniger sie von lästigen und einschränkenden Bestimmungen abhängig ist. Zu den letzteren gehören auch die baupolizeilichen Vorschriften.

Man wird deshalb auch diese durchzumustern haben, wenn es sich um eine Hebung der Bautätigkeit handelt.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Die Wohnungsnot in Berlin.