Dritte Fortsetzung

Auch durch solche Erleichterungen würde die Förderung von grossen Bau-Unternehmungen in sehr wirksamer Weise erfolgen. Sie bedingen aber auf der anderen Seite eine Belastung des Stadtsäckels und würden deshalb hier jedenfalls Widerspruch finden. Es ist hier ortsüblich, dass das gesamte Straßenterrain, wie es der Bebauungsplan ergibt, von den Straßen- oder Bauunternehmern unentgeltlich abgetreten wird, und wird die formelle Erfüllung dieser Vorbedingung verlangt, bevor die Bau-Erlaubnis erteilt wird.

Im Allgemeinen ist dies gewiss auch eine zweckmäßige und richtige Weise, neue Straßen entstehen zu lassen, denn es erscheint billig, dass diejenigen die Kosten neuer Anlagen tragen, welche sie bewohnen, und dass nicht diejenigen Steuerzahler, welche die vorhandene Stadt erhalten, auch noch die Kosten der Stadterweiterungen zu tragen haben. Berlin hat hierdurch vor anderen Städten ein Privilegium, welches, wenn es richtig benutzt würde, die Anlage neuer Stadtteile außerordentlich erleichtern müsste.


Allein bei der Anordnung eines Bebauungsplans für eine große Stadt, welcher für den durchgehenden Verkehr Strassen von sehr bedeutender Breite haben muss, und bei dem hohen Preise des Grundwertes in der nächsten Umgebung bedarf es einer Ausgleichung wie die oben bereits angedeutete, in Wien gesetzlich eingeführte, namentlich, wenn der Mangel an Wohnungen eine Steigerung der Bautätigkeit verlangt.

Bei der Ausführung der Straßen-Anlagen wird es als ein Übelstand empfunden, dass jede Gesellschaft mit besonderen Technikern operiert, welche ähnliche Unternehmungen noch nicht geleitet haben und deshalb oft erst auf zeitraubenden Umwegen ans Ziel gelangen.

Das Richtigste wäre ja, wenn die Stadtgemeinde allein neue Strassen anlegte, da sie dieselben später zu unterhalten und das grösste Interesse an der Art und an der Solidität der Ausführung hat, welche durch Kontrolle allein nicht zu verbürgen ist.

Da dies aber vorläufig nicht erreichbar erscheint, so wäre es sehr erwünscht, dass besondere Techniker sich ausschliesslich der Anlage von Strassen mit ihren Entwässerungen unterzögen, oder dass es Straßen- Baugesellschaften gäbe, wie es Eisenbahn-Baugesellschaften gibt.

Wenn also die Verzögerung, welche die Tätigkeit der Bau-Gesellschaften bisher erfahren hat, zum großen Teil in der Neuheit dieser Unternehmungen ihren Grund hat, so werden diese Gesellschaften doch trotz des hiermit verbundenen Zinsverlustes, nachdem sie die Straßen hergestellt und mit Entwässerungs-Anlagen versehen haben, vor denjenigen Bau-Unternehmern, welche an nicht regulierten Straßen bauen, bedeutend im Vorteil sein.

Schon aus diesem Grunde, um den großen Unternehmern also eine wirksame Konkurrenz zu machen, namentlich aber, um die Bautätigkeit auch da zu heben, wo die Grundstücke nicht in den Händen solcher Gesellschaften sind, und um besonders für den Bau kleiner Wohnungen zu sorgen, an welchen es am meisten fehlt und mit deren Herstellung alle diese Gesellschaften sich nicht viel befassen werden, ist es dringend geboten, dass Seitens der Stadtgemeinde für die Herstellung von Straßen gesorgt wird, und zwar mehr als bisher.

Es ist in Berlin der Bauunternehmer gesetzlich verpflichtet, die Kosten der Pflasterung vor seinem Neubau zu bezahlen, während an anderen Orten in der Regel die Stadtgemeinde diese Kosten trägt. Es wird deshalb keine Bau-Erlaubnis an einer ungepflasterten Straße erteilt, bevor der Unternehmer nicht der Stadtkasse einen baren Betrag entrichtet hat, welcher die Pflasterungskosten decken soll. Dessen ungeachtet werden hier fast alle neuen Straßen, welche nicht von den Unternehmern selbst gepflastert werden, Zunächst bebaut und erst später reguliert und gepflastert. Diese Pflasterung erfolgt oft erst nach einer längeren Reihe von Jahren, wenn mit der fortgeschrittenen Bebauung das Straßenland stückweise abgetreten und somit in öffentlichen Besitz übergegangen ist.

So lange liegen die eingezahlten Kautionen als tote Kapitalien in der Stadtkasse, und wenn dem Unternehmer auch der Zinsgenuss der hierfür hinterlegten Wertpapiere zusteht, so wird das Kapital selbst doch seinem Besitzer entzogen und ihm dessen ungeachtet keiner von den Vorteilen gewährt, zu deren Erlangung er diese Kaution hinterlegt hat.

Es liegt außerdem auf der Hand, wie schwer die Ausführung eines Baues, namentlich die Anfuhr der Materialien an einer nicht befestigten Straße ist; noch schlimmer sind aber die Missstände, welche entstehen, wenn ausgedehnte Gebäude an solchen auch nicht entwässerten Straßen bewohnt werden und wenn ein städtischer Verkehr auf nicht befestigte und nicht entwässerte Straßen angewiesen wird.

Zustände, wie diese, welchen wir leider überall in der Umgebung der Stadt begegnen, sind nicht allein unwürdig, sondern auch für die Gesundheit, für die Sitten und Gewöhnungen, wie für den Erwerb und den Verkehr der Bewohner von größtem Nachteil. Noch nachtheiliger aber wirken sie auf die Baulust.

Denn was die Bewohner solcher Straßen trifft, das wirkt rückwärts auf die Mieten, also auf den Ertrag von Bauunternehmungen unter solchen Verhältnissen, auf den Credit, der ihnen gewährt wird, und lähmt so die Bautätigkeit selbst in der empfindlichsten Weise. Auf der andern Seite ist auch die zunehmende Dichtigkeit und Höhe der Gebäude wesentlich eine Folge dieser Verhältnisse. Die nicht regulierten, nicht gepflasterten und nicht entwässerten Straßen in der nächsten Umgebung schließen die Stadt wie die Wälle einer Festung ein, über welche hinaus der Bautätigkeit jede Ausdehnung untersagt ist, und die Folge ist dieselbe, wie in einer von Wällen und Gräben eingeschlossenen Stadt, es drängt sich die Bebauung in der nachteiligsten Weise zusammen. An den Chausseen sucht die Bautätigkeit unter Erschwerungen aller Art Auswege, um aus diesem engeren Kreise herauszukommen, allein auch hier fehlt die Entwässerung, die allein städtische Straßen bieten können. Es entstehen hier die schlimmsten Zustände, wie wir dies früher an der Potsdamer Straße, neuerdings an der Schönhauser Allee und noch jetzt an der Frankfurter und anderen Chausseen erfahren haben. Hierdurch wird auch an diesen Straßen jede ausgedehntere Bebauung unmöglich.

Es würde gewiss die Baulust namentlich der kleinen Unternehmer eine sehr vermehrte und wirksamere werden, wenn ihnen diese Sorge genommen würde, und überall da, wo die Straßen nicht durch Baugesellschaften hergestellt werden, dies von der Stadtgemeinde vor Ausführung der Bauten geschähe, wenn also eine größere Anzahl von Straßen namentlich in den Gebieten, in welchen der Bau von kleinen und von Mittelwohnungen am meisten Bedürfnis ist, in jedem Jahre fertig für die Bebauung bereit gehalten würden. Die Verpflichtung zum Ersatz der betreffenden Kosten würde hierdurch nicht geändert werden. – Der jetzige Zustand macht sich um so nachteiliger geltend, als bisher in dem sogenannten Köpeniker Felde jene Abhilfe im ausgedehntesten Maße geboten war, welche jetzt fehlt. Es ist deshalb vielleicht nicht ohne Interesse, einen Blick auf die Entstehung dieses Stadtteiles, der jetzigen Luisenstadt, zu werfen.

Das Köpeniker Feld war ein teils im gemeinsamen, teils im einzelnen Besitz von Ackerbürgern befindliches Terrain von etwa 650 Morgen, für welches schon im Jahre 1826 ein Bebauungsplan aufgestellt wurde, welcher aber die Bebauung nicht erleichterte, da dem Terrain die erforderlichen Zugänge zu den älteren Stadtteilen fehlten, namentlich aber der gemeinsame Besitz und die mit den Strassenzügen nicht in Übereinstimmung gebrachten Grenzen der einzelnen Grundstücke der Entwicklung der Baulust hinderlich waren.

Es wurde deshalb im Anfang der vierziger Jahre ein Abkommen mit der Staatsregierung getroffen, nach welchem die Interessenten ihren gesamten Besitz zusammenwarfen, denselben dann auf Grund des Bebauungsplanes separierten und alles Land, welches zu den Straßen, den öffentlichen Plätzen und zu dem Luisenstädtischen-Kanal erforderlich war, im Ganzen etwa 200 Morgen, zum Wert von circa 1.500 Thlr. pro Morgen, unentgeltlich hergaben. Dafür wurde aus Staatsmitteln nicht allein die Kanal-Anlage ausgeführt, sondern auch die Aufschüttung, Pflasterung und Entwässerung aller Straßen und öffentlichen Plätze. Zu den Durchlegungen der erforderlichen Verbindungen nach den alten Stadtteilen wurde von beiden Seiten beigetragen. Der Fiskus gab aber im Ganzen etwa 360.000 Thlr. für Pflasterung und für Entschädigung und Grunderwerb an solchen Flächen her, welche außerhalb des Separationslandes lagen. Für die Quadratrute Pflasterung wurden damals etwa 14 Thaler bezahlt.

Die Stadtgemeinde trug nichts hierzu bei, sondern übernahm nur die fertige Anlage in die Unterhaltung. Dies Unternehmen war im Jahre 1847 beendet und es war hiermit das ganze Terrain zwischen der jetzigen Alexandrinenstraße, der Köpenikerstraße und der Skalitzer und Gitschiner Straße der Bautätigkeit eröffnet, welche denn auch sehr bald, nachdem sich die Unruhen des Jahres 1848 gelegt hatten, in ganz überraschender Weise vorwärts ging.

Jetzt ist fast das ganze ausgedehnte Terrain bebaut, zum grössten Teil durch Gebäude mit kleinen und Mittelwohnungen und fast nur durch kleine Bauunternehmer oder durch Bauten für den eignen Bedarf des Bauherrn. Nur ein kleiner Rest der Baustellen ist noch unbebaut, aber in festen Händen, die damit spekulieren.

Man kann mit Sicherheit behaupten, dass bei dem rapiden Steigen der Bevölkerung Berlins, welche im Jahre 1850 noch 418.000 Einwohner, also nur die Hälfte der jetzigen Anzahl betrug, die Wohnungsnot schon viel früher aufgetreten wäre, wenn nicht ein so ausgedehntes Gebiet für die Bebauung bereit gestellt worden wäre. Die in den anderen Stadtteilen seit dem Jahr 1850 angelegten neuen Straßen haben alle zusammen nicht so viel Menschen aufgenommen, als die Luisenstadt, in welcher schon nach der Volkszählung vom Jahre 1867 allein 150.000 Menschen wohnten, während der Zuwachs der gesamten Stadt vom Jahre 1850 bis zu diesem Jahre nicht ganz 300.000 betrug, und doch ist es bekannt, dass die Baulust in unserer Stadt sich stets mit Vorliebe dem Westen und Süden zugewendet hat, während das Köpeniker Feld im Osten der damaligen alten Stadt lag. Man muss also um so mehr die Macht der angeführten Verhältnisse anerkennen, und nichts scheint näher zu liegen, als von dieser Erfahrung Gebrauch machend ähnliche Vorsorge zu treffen.

An Gelegenheit hierzu fehlt es weder im Großen noch im Kleinen.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Die Wohnungsnot in Berlin.