Die Bedeutung der ersten Wanderungen.
Die ersten Wanderungen entziehen sich einer genaueren sozialwissenschaftlichen Analyse, da sie sich teils im biblischen Altertum abgespielt haben, von den wir nicht viel wissen, teils aber in einem Zeitalter — im 6. Jahrhundert v. Chr. — das nach seiner ökonomischen Struktur hin noch nicht genügend untersucht ist.
Doch sind diese Wanderungen von größter Bedeutung, da sie — abgesehen von allem anderen — den Inhalt der ältesten jüdischen Religionsbücher bilden. Und das hat etwas zu bedeuten. Denn diese Religionsbücher — ich meine auch die 5 Bücher Moses (15) (von den Propheten wie Esra und Nehemia, die während und nach dem Exil wirkten, nicht zu sprechen), — welche die Bestimmung hatten, die Juden auf allen ihren späteren Wanderungen zu begleiten, haben dadurch auf die Herausbildung der jüdischen Eigenart mächtig eingewirkt. Selbst der literarische Niederschlag der ersten Wanderungen, waren diese Bücher ihrerseits der Führer und der Trost der Juden in allen ihren späteren Wanderschicksalen.
Nun ist wohl anzunehmen, dass die Idee der Auserwähltheit des Volkes Israel und die damit verbundene messianische Hoffnung — lange Zeit hindurch der größte Trost der Juden und eigentlich die ausschlaggebende Idee der jüdischen Religion (16) — aus den Wanderungen heraus zu erklären ist. Erst seit dem Exil datiert die Überhebung der Juden über andere Völker, über die ganze Menschheit.
Die Wanderungen wurden schon von Anfang an nicht als Segen, sondern meistens als Strafe empfunden und auch an vielen Stellen den Juden von Jahwe als Strafe angedroht. „Euch will ich zerstreuen unter den Völkern und will hinter euch her das Schwert zücken, und euer Land soll zur Wüste und eure Städte sollen zu Trümmerhaufen werden". (Lv. 26, 33). Doch musste dem Volke in seinen ihm als Strafe auferlegten Wanderungen ein gewisser Trost gegeben werden, damit es nicht ganz verzweifelte und noch einen Halt, eine Würde im Leben hätte(17) .
Eine theologische Auseinandersetzung Moses mit Gott über die Führung des Volkes während seiner Wanderung in der Wüste ist in dieser Beziehung sehr charakteristisch. Mose will von Jahwe Genaueres über seine Absichten wissen, als Beweis dafür, dass er Gnade bei ihm gefunden hat. „Da erwiderte er (Jahwe): Soll ich selbst mitgehen und dich zum Ziele bringen? Er (Mose) antwortete ihm: Wenn du nicht persönlich mitgehst, so führe uns lieber nicht von hier hinweg. Woran soll denn sonst erkannt werden, dass ich samt deinem Volke Gnade bei dir gefunden habe, wenn nicht eben daran, dass du mit uns gehst, und wir, ich und dein Volk, dadurch ausgezeichnet werden vor allen Völkern auf Erden?" (Ex. 33, 14—16). Hier fordert also Mose einfach für die Juden eine besondere, bevorzugte Stellung. Ist ihm dies aber einmal gewährt worden, so bleibt das jüdische Volk Jahwes Volk, sein auserwähltes, das vor allen Völkern auf Erden ausgezeichnet ist. Die Idee der Auserwähltheit ist da, und später sagt Jahwe: ,,Ich bin Jahwe, der euch heiligt, der euch weggeführt hat aus Ägypten, um euer Gott zu sein — ich, Jahwe" (Lv. 22, 32—33).
Dieser Glaube an die Auserwähltheit wird durch die nachfolgenden Wanderungen nur genährt, indem die Juden, unter verschiedenen Völkern zerstreut, eine Sonderstellung einnehmen; hierdurch werden sie in ihrem Bestreben bestärkt, ihre Eigenart dadurch zu erhalten, dass sie nach ihren eigenen, besonderen religiösen Gesetzen lebten. Das Leben aber nach eigenen Gesetzen, das den Zweck hatte, die völkische Eigenart: nämlich die Auserwähltheit, rein zu erhalten, machte die Juden zuweilen sehr hochmütig, indem sie sich mehr als andere Völker dünkten. Doch war dies ein Ersatz für die Misere der Wanderungen, für das Fehlen eines selbständigen, politischen Lebens, — und so wurde das Bewußtsein der Auserwähltheit durch die Wanderungen nur gestärkt. Allerdings brachte diese von den Juden immer so stark betonte Idee der Auserwähltheit — was ohne Wanderungen und Zerstreuung beim normalen Leben im eigenen Staate nicht gut möglich gewesen wäre — ihnen Hass und Hohn entgegen. Das bezieht sich hauptsächlich auf das ganze Altertum. ,,Nicht ihr (der Juden) Gott und ihre Religion an sich ist es, was Spott und Hohn und Verfolgung der Heiden hervorruft, sondern die hochmütige Überlegenheit, mit der sie als alleinige Bekenner des wahren Gottes allen anderen Völkern entgegentreten, jede Berührung mit ihnen all befleckend zurückweisen, den Anspruch erheben, mehr und besser zu sein als sie, und berufen zu sein, über sie zu herrschen" (18).
Die zweite Idee, die vielleicht auch dem Verlauf der ersten Wanderungen entsprungen ist, ist die der Rückkehr. Zweimal kehrten die Juden zurück nach Palästina (19), und das hat den Glauben erweckt, dass diese Rückkehr den notwendigen Abschluss der Wanderungen bilden soll. Dies wurde von den Verfassern der religiösen Schriften ganz besonders mit Anwendung auf Allmacht und höhere Absichten Jahwes benutzt.
Aber es kommt noch ein anderes Moment hinzu. Nach der Fortführung nach Babylonien war das jüdische Volk politisch untergegangen. Doch bedeutete das nicht, dass die Großen des Volkes, die nunmehr in Babylon hauptsächlich am Hofe Unterkunft fanden, die Idee der Wiederherstellung der politischen Selbständigkeit ohne weiteres aufgegeben hätten. Zwar prosperierten sie in der Fremde und hatten keinen besonderen Anlass, sich über ihre Lage zu beklagen, doch eben darum, weil sie am Hofe waren und dadurch die Möglichkeit bekamen, auf die Herrscher Einfluss zu gewinnen, kam ihnen der Plan der Wiederherstellung nicht so aussichtslos vor. Außerdem konnte sich nur durch diesen Akt der Restauration die Macht des Nationalgottes kundgeben, indem er sein Volk nie verlässt und es aus der Not rettet. Gleichzeitig aber offenbarte sich dieser Nationalgott auch als Weltgott, und zwar dadurch, dass er mit der Wegführung seines Volkes aus dem Exil anscheinend seine Macht auch über andere Völker äußerte (20).
So musste wenigstens eine „geringe Zahl" erhalten bleiben. Und in der großen Trostrede steht es: ,,So wird Jahwe, dein Gott, dein Geschick wenden und sich deiner erbarmen und wird dich wieder sammeln aus allen den Völkern, unter die dich Jahwe, dein Gott, verstreut hat. Wenn sich Versprengte, die zu dir gehören, am Ende des Himmels befinden sollten, wird dich Jahwe, dein Gott, von dort sammeln und dich von dort holen, und Jahwe, dein Gott, wird dich in das Land bringen, das deine Väter besessen hatten, damit du es besitzest, und wird dich beglücken und mehren, reichlicher als deine Väter" (Dt. 30, 3—5).
Die praktische Bedeutung dieser Idee bestand aber darin, dass die Juden, die nachher so viel zu wandern hatten, immer — und besonders wenn es ihnen schlecht ging — sich als „Ausländer" schon von vornherein fühlten, die in der Fremde nur vorübergehend sich aufhalten, um schließlich doch die Rückkehr anzutreten. Es begann damit die bewusste Abschließung des Volkes. Diese Idee, die sogar bis in die Gegenwart hinein bei der Masse der östlichen und wohl auch der eingewanderten amerikanischen Juden ungemein stark wirkt, ließ die Juden nirgends sesshaft werden. Auch begünstigte sie ein leichteres Abfinden mit der rechtlichen und ökonomischen Lage, die nicht immer und nicht überall glänzend war. Man versöhnte sich mit den schlechten gegenwärtigen Zuständen in der Hoffnung, dass sie nur vorübergehend seien. Gleichzeitig aber hatte man einen Trost, eine Würde: — dass man ein auserwähltes Volk ist, das nur zu Gottes Ehren all die Drangsale zu erleiden hat.
Die Bürde der Wanderungen wurde zu einer Würde, — und diese fand das Volk in seinen heiligen Büchern, der Thora, den 5 Büchern Moses. Dass aber die letzteren ihre bekannte Fassung erhielten, verdanken wir zum guten Teil dem Verlauf der ersten Wanderungen (21).
Doch sind diese Wanderungen von größter Bedeutung, da sie — abgesehen von allem anderen — den Inhalt der ältesten jüdischen Religionsbücher bilden. Und das hat etwas zu bedeuten. Denn diese Religionsbücher — ich meine auch die 5 Bücher Moses (15) (von den Propheten wie Esra und Nehemia, die während und nach dem Exil wirkten, nicht zu sprechen), — welche die Bestimmung hatten, die Juden auf allen ihren späteren Wanderungen zu begleiten, haben dadurch auf die Herausbildung der jüdischen Eigenart mächtig eingewirkt. Selbst der literarische Niederschlag der ersten Wanderungen, waren diese Bücher ihrerseits der Führer und der Trost der Juden in allen ihren späteren Wanderschicksalen.
Nun ist wohl anzunehmen, dass die Idee der Auserwähltheit des Volkes Israel und die damit verbundene messianische Hoffnung — lange Zeit hindurch der größte Trost der Juden und eigentlich die ausschlaggebende Idee der jüdischen Religion (16) — aus den Wanderungen heraus zu erklären ist. Erst seit dem Exil datiert die Überhebung der Juden über andere Völker, über die ganze Menschheit.
Die Wanderungen wurden schon von Anfang an nicht als Segen, sondern meistens als Strafe empfunden und auch an vielen Stellen den Juden von Jahwe als Strafe angedroht. „Euch will ich zerstreuen unter den Völkern und will hinter euch her das Schwert zücken, und euer Land soll zur Wüste und eure Städte sollen zu Trümmerhaufen werden". (Lv. 26, 33). Doch musste dem Volke in seinen ihm als Strafe auferlegten Wanderungen ein gewisser Trost gegeben werden, damit es nicht ganz verzweifelte und noch einen Halt, eine Würde im Leben hätte(17) .
Eine theologische Auseinandersetzung Moses mit Gott über die Führung des Volkes während seiner Wanderung in der Wüste ist in dieser Beziehung sehr charakteristisch. Mose will von Jahwe Genaueres über seine Absichten wissen, als Beweis dafür, dass er Gnade bei ihm gefunden hat. „Da erwiderte er (Jahwe): Soll ich selbst mitgehen und dich zum Ziele bringen? Er (Mose) antwortete ihm: Wenn du nicht persönlich mitgehst, so führe uns lieber nicht von hier hinweg. Woran soll denn sonst erkannt werden, dass ich samt deinem Volke Gnade bei dir gefunden habe, wenn nicht eben daran, dass du mit uns gehst, und wir, ich und dein Volk, dadurch ausgezeichnet werden vor allen Völkern auf Erden?" (Ex. 33, 14—16). Hier fordert also Mose einfach für die Juden eine besondere, bevorzugte Stellung. Ist ihm dies aber einmal gewährt worden, so bleibt das jüdische Volk Jahwes Volk, sein auserwähltes, das vor allen Völkern auf Erden ausgezeichnet ist. Die Idee der Auserwähltheit ist da, und später sagt Jahwe: ,,Ich bin Jahwe, der euch heiligt, der euch weggeführt hat aus Ägypten, um euer Gott zu sein — ich, Jahwe" (Lv. 22, 32—33).
Dieser Glaube an die Auserwähltheit wird durch die nachfolgenden Wanderungen nur genährt, indem die Juden, unter verschiedenen Völkern zerstreut, eine Sonderstellung einnehmen; hierdurch werden sie in ihrem Bestreben bestärkt, ihre Eigenart dadurch zu erhalten, dass sie nach ihren eigenen, besonderen religiösen Gesetzen lebten. Das Leben aber nach eigenen Gesetzen, das den Zweck hatte, die völkische Eigenart: nämlich die Auserwähltheit, rein zu erhalten, machte die Juden zuweilen sehr hochmütig, indem sie sich mehr als andere Völker dünkten. Doch war dies ein Ersatz für die Misere der Wanderungen, für das Fehlen eines selbständigen, politischen Lebens, — und so wurde das Bewußtsein der Auserwähltheit durch die Wanderungen nur gestärkt. Allerdings brachte diese von den Juden immer so stark betonte Idee der Auserwähltheit — was ohne Wanderungen und Zerstreuung beim normalen Leben im eigenen Staate nicht gut möglich gewesen wäre — ihnen Hass und Hohn entgegen. Das bezieht sich hauptsächlich auf das ganze Altertum. ,,Nicht ihr (der Juden) Gott und ihre Religion an sich ist es, was Spott und Hohn und Verfolgung der Heiden hervorruft, sondern die hochmütige Überlegenheit, mit der sie als alleinige Bekenner des wahren Gottes allen anderen Völkern entgegentreten, jede Berührung mit ihnen all befleckend zurückweisen, den Anspruch erheben, mehr und besser zu sein als sie, und berufen zu sein, über sie zu herrschen" (18).
Die zweite Idee, die vielleicht auch dem Verlauf der ersten Wanderungen entsprungen ist, ist die der Rückkehr. Zweimal kehrten die Juden zurück nach Palästina (19), und das hat den Glauben erweckt, dass diese Rückkehr den notwendigen Abschluss der Wanderungen bilden soll. Dies wurde von den Verfassern der religiösen Schriften ganz besonders mit Anwendung auf Allmacht und höhere Absichten Jahwes benutzt.
Aber es kommt noch ein anderes Moment hinzu. Nach der Fortführung nach Babylonien war das jüdische Volk politisch untergegangen. Doch bedeutete das nicht, dass die Großen des Volkes, die nunmehr in Babylon hauptsächlich am Hofe Unterkunft fanden, die Idee der Wiederherstellung der politischen Selbständigkeit ohne weiteres aufgegeben hätten. Zwar prosperierten sie in der Fremde und hatten keinen besonderen Anlass, sich über ihre Lage zu beklagen, doch eben darum, weil sie am Hofe waren und dadurch die Möglichkeit bekamen, auf die Herrscher Einfluss zu gewinnen, kam ihnen der Plan der Wiederherstellung nicht so aussichtslos vor. Außerdem konnte sich nur durch diesen Akt der Restauration die Macht des Nationalgottes kundgeben, indem er sein Volk nie verlässt und es aus der Not rettet. Gleichzeitig aber offenbarte sich dieser Nationalgott auch als Weltgott, und zwar dadurch, dass er mit der Wegführung seines Volkes aus dem Exil anscheinend seine Macht auch über andere Völker äußerte (20).
So musste wenigstens eine „geringe Zahl" erhalten bleiben. Und in der großen Trostrede steht es: ,,So wird Jahwe, dein Gott, dein Geschick wenden und sich deiner erbarmen und wird dich wieder sammeln aus allen den Völkern, unter die dich Jahwe, dein Gott, verstreut hat. Wenn sich Versprengte, die zu dir gehören, am Ende des Himmels befinden sollten, wird dich Jahwe, dein Gott, von dort sammeln und dich von dort holen, und Jahwe, dein Gott, wird dich in das Land bringen, das deine Väter besessen hatten, damit du es besitzest, und wird dich beglücken und mehren, reichlicher als deine Väter" (Dt. 30, 3—5).
Die praktische Bedeutung dieser Idee bestand aber darin, dass die Juden, die nachher so viel zu wandern hatten, immer — und besonders wenn es ihnen schlecht ging — sich als „Ausländer" schon von vornherein fühlten, die in der Fremde nur vorübergehend sich aufhalten, um schließlich doch die Rückkehr anzutreten. Es begann damit die bewusste Abschließung des Volkes. Diese Idee, die sogar bis in die Gegenwart hinein bei der Masse der östlichen und wohl auch der eingewanderten amerikanischen Juden ungemein stark wirkt, ließ die Juden nirgends sesshaft werden. Auch begünstigte sie ein leichteres Abfinden mit der rechtlichen und ökonomischen Lage, die nicht immer und nicht überall glänzend war. Man versöhnte sich mit den schlechten gegenwärtigen Zuständen in der Hoffnung, dass sie nur vorübergehend seien. Gleichzeitig aber hatte man einen Trost, eine Würde: — dass man ein auserwähltes Volk ist, das nur zu Gottes Ehren all die Drangsale zu erleiden hat.
Die Bürde der Wanderungen wurde zu einer Würde, — und diese fand das Volk in seinen heiligen Büchern, der Thora, den 5 Büchern Moses. Dass aber die letzteren ihre bekannte Fassung erhielten, verdanken wir zum guten Teil dem Verlauf der ersten Wanderungen (21).
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Die Wanderbewegungen der Juden