Abschnitt 3 - Die Nach-Verteilung der Welt.

Die Erhebung der Niederlande gegen die spanische Herrschaft, die Losreißung und siegreich behauptete Selbständigkeit des protestantischen Holland änderte die politische Weltkarte wieder. Die zähen Niederländer, die ihre Heimaterde durch Dämme erst dem Meere hatten abgewinnen müssen, flüchteten sich vor der spanischen Übermacht zu Lande, ähnlich wie die Athener vor den Persern, auf ihre Schiffe. Diese Wasser-Geusen oder Bettler, wie sie sich selber hießen, wurden, infolge ihrer Seetüchtigkeit, die Beherrscher der Meere. Sie entrissen den Portugiesen das Kap, Ceylon, die Ostantillen! Der neue Weltteil in der Südsee, Australien, ward Neu-Holland zubenannt; die demselben im Südosten vorgelagerte Insel heißt heute noch Van Diemensland, und auch das Inselreich Neu-Seeland, das Großbritannien der Südsee, trägt noch seinen holländischen Namen. Aus Neu-Amsterdam am Ausfluss des Hudson hat der Engländer New-York gemacht.

Auch die Dänen und Schweden haben versucht, wenigstens in den Westantillen und an der Europa zugekehrten Küste Nordamerikas Fuß zu fassen. Da sie durch Kriege auf dem europäischen Festlande gebunden und geschwächt waren, hat ihre Seemacht nicht weit gereicht. Gegen die englische, die selbst die niederländische niederrang, konnten sie nicht aufkommen.


Ein tragisches Verhängnis ohnegleichen hat gewollt, daß bei der Verteilung der Welt, wie sie das Zeitalter der Entdeckungen mit sich brachte, im Süden von Europa Italien, im Norden Deutschland völlig leer ausgegangen sind. Es erklärt sich dies zunächst aus der geographischen Lage. Jenes Italien, das einst, als Zentralland inmitten des Mittelländischen Meeres, dieses unter seine Herrschaft gebracht hatte, war durch die Meerenge bei Gibraltar von dem Weltmeere abgeschlossen: wer diese in seiner Gewalt hatte, besaß damit den Schlüssel zur engen Pforte, die ins Weltmeer hinausführt. Italien lag geographisch zu weit zurück. Zudem war es politisch zerklüftet und der Fremdherrschaft verfallen.

Diesem Geschick glich dasjenige Deutschlands nur zu sehr. Auch dieses ist, durch das vorgelagerte England, das mit dem Ärmelkanal den Zugang zum Atlantischen Ozean beherrscht, von dem Weltmeere abgeschnitten. Als das Zeitalter der Entdeckungen jenseits der Meere neue Welten heraufführte, war die deutsche Hansa, die einst sogar den Handel der Themsemündung beherrscht hatte, dahin. Während die europäischen Westmächte den Erdkreis in ihre Machtsphäre zogen, auf amerikanischem Boden ein Neu-Spanien, Neu-Portugal, Neu-Frankreich, Neu-England erstand, zehnfach so groß wie das Mutterland, machte der 30 jähr. Krieg Deutschland zur Wüste. Als endlich der westfälische Friedensschluss das Gemetzel abstellte, war das Reich nur noch ein zerstückelter Rumpf, ein Wirrwarr ungezählter „souveräner“ Territorien, waren die Flüsse, seine Lebensadern, an ihrer Mündung sämtlich in fremder Gewalt. Wie sollte es sich nach außen betätigen? Der Große Kurfürst von Brandenburg wagte zwar eine Ansiedelung an der afrikanischen Goldküste, allein sie erwies sich nur zu bald ohne Bestand. Es gab auf See keine deutsche Flagge.

Dies alles wog um so schwerer, als die Kolonialmächte auf das eifersüchtigste und strengste darüber wachten, daß auch die bloß kommerzielle Ausbeutung ihrer Pflanzstätten ihnen allein verblieb. Kolonie war gleichbedeutend mit Monopol.

Das festländische Europa ist auch während des 18. Jahrhunderts nicht aus verheerenden Kriegen herausgekommen. Der spanische Erbfolgekrieg, das Ringen zwischen Frankreich und Österreich um das Erbe der letzten spanischen Habsburger, und gleichzeitig der nordische, der Schweden, Polen, Russland, Sachsen und Brandenburg in seine Kreise zog, machten fast ganz Mittelund Westeuropa zum Schlachtfelde. Dazu der Kampf mit den Türken, die 1683 bis vor Wien vorgedrungen sind und noch die Nordgestade des Schwarzen Meeres inne hatten. 1740, beim Tode des letzten männlichen Sprosses der österreichischen Habsburger, der Kampf um dessen Erbe! Gleichzeitig der Kampf Englands mit Frankreich und Spanien um Amerika und Indien! Nach einer 7jährigen Pause (von 1748—1755) Wiederausbruch des gigantischen Ringens auf der ganzen Linie! Ein Jahrzehnt nach dem Pariser und Hubertusburger Frieden die Erhebung der englischen Pflanzstätten an der nordamerikanischen Küste gegen das Mutterland, wobei Frankreich, Spanien und Holland mitfochten. 1789 Ausbruch der großen französischen Revolution, die über 20 Jahre hindurch ganz Europa abermals zu einem Schlachtfelde machen sollte.

Diese Kriege, in welchen sich die festländischen; Mächte mehr oder minder verbluteten, sind allesamt dem meerumgürteten, unbetretbaren England in hohem Maße zugute gekommen. Sogar die Losreißung der nordamerikanischen Pflanzstätten vom Mutterlande hat dieses letzten Endes mehr gestärkt als geschwächt. Indem die Vereinigten Staaten sich organisierten und ausbreiteten, dem unermesslichen jungfräulichen Boden immer neue Schätze abgewannen, ihren Wohlstand mehrten, Landwirtschaft, Industrie und Handel entwickelten, wurden sie immer kaufkräftigere Abnehmer und unentbehrlichere Lieferanten. Dabei wahrten sie ihre anglikanische Nationalität, die alle anderen von Europa einströmenden absorbierte. Endlich zog Alt-England aus dem mit den verlorenen Pflanzstätten gewonnenen Erfahrungen die wirksame Lehre, wie in Zukunft mit seinen Pflanzstätten zu verfahren, ohne sich dieselben zu entfremden. Kanada und Australien sind ein verjüngtes, erweitertes England geworden. Wenn, dieses trotzdem noch einmal 1812/13, infolge der Vergewaltigung der amerikanischen Handelsschiffe, mit den; Vereinigten Staaten in Krieg geraten ist und seine Rotjacken bis nach Washington vorgedrungen sind, wo sie das „Weiße Haus“ einäscherten, so ist es seitdem einem Waffengange mit ihnen auf das ängstlichste aus dem Wege gegangen. Mit gutem Grunde! Schon die lange offene Grenze Kanadas wirkt als ein ständiges Menetekel.

„Während des Sezessionskrieges waren Englands Sympathien zwar bei den Südstaaten, die es unter der Hand unterstützte, allein ohne daß es gewagt hätte, in den Kampf einzugreifen. Aus dem Sezessionskriege aber sind die Vereinigten Staaten als eine einzige, unzertrennliche „Nation“ von Ozean zu Ozean hervorgegangen. Seither sind sie für die Staatslenker an der Themse vollends ein Rührmichnichtan.

Den allergrößten Vorteil aber hat England während der napoleonischen Kriege aus der Kontinentalsperre gezogen, wie sie der französische Imperator, weil er, nach Trafalgar, dem Inselreiche anders nicht beizukommen wusste, über das gesamte europäische Festland zu verhängen suchte. Diese Sperre war niemals ganz vollständig und noch weniger radikal durchzusetzen. Hielt es doch Napoleon selbst im Interesse der französischen Volkswirtschaft für geboten, einzelne Waren sogar nach Frankreich hineinzulassen. Hierzu kam der Schleichhandel, dem u. a. Helgoland als sicherer Stapelplatz diente. Es fehlte daher auf den europäischen Märkten für England nicht gänzlich an Absatz. Durch seine Alleinherrschaft auf dem Meere brachte es den ganzen europäischen Handel an sich und gewann für seine Industrie und seinen Handel das Erdenrund, vermochte es sich aller europäischen Kolonien zu bemächtigen. Dem Kaufmanne, Reeder und Fabrikanten konnten unter solchen Umständen der Krieg nicht lange genug andauern: verbürgte er doch unbehinderte Geschäftsentfaltung im größten Stile! Dabei wurde der Krieg fast ausschließlich mit dem im Überfluss vorhandenen Gelde geführt, das zur Subvention der „Verbündeten“ diente, und nicht mit englischem Blute. Wellingtons Heer hat sowohl in Spanien wie bei Waterloo zu reichlich zwei Dritteln aus Nichtengländern bestanden.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Die Völker und das Meer im Lauf der Jahrtausende